Erstes Kapitel

I

Es gibt Namen, die etwas von einer Zauberformel in sich tragen. Man spricht sie aus, und wie der Prinz in dem Märchen der Tausend und eine Nacht, der das Wunderpferd bestieg und die magischen Worte rief, fühlt man sich vom Boden der Erde in die Wolken steigen. Nur »Athen!« – und was im Altertume an großen Taten geschah, liegt wie ein plötzlicher Sonnenschein über unserem Herzen. Nichts Bestimmtes, keine einzelnen Gestalten erblicken wir, aber Wolkenzüge, aus herrlichen Männerscharen gebildet, ziehen am Himmel hin, und ein Hauch berührt uns, der wie der erste laue Wind im Jahre mitten in Schnee und Regen den Frühling schon zu gewähren scheint. »Florenz!« – und die Pracht und leidenschaftliche Bewegung der italienischen Blütezeit duftet uns an wie volle blütenschwere Äste, aus deren dämmernder Tiefe flüsternd die schöne Sprache redet.

Nun aber treten wir näher und wollen die Dinge deutlicher betrachten, deren Sammlung mit einem Blicke überflogen die Geschichte von Athen und von Florenz genannt wird. Da erkalten die glühenden Bilder und werden trübe und nüchtern. Wie überall gewahren wir auch hier den Kampf der gemeinen Leidenschaften, das Märtyrertum und den Untergang der besten Bürger, die dämonische Widersetzlichkeit der großen Menge gegen das Reine und Erhabene und die energische Uneigennützigkeit der edelsten Patrioten mißtrauisch verkannt und hochmütig zurückgewiesen. Ärger, Wehmut und Trauer stehlen sich ein an die Stelle der Bewunderung, die uns zuerst bewegte. Und dennoch, was ist das? Indem wir uns abwendend von weitem einen Blick zurückwerfen, da liegt der alte Glanz wieder auf dem Bilde, und eine schimmernde Ferne scheint das Paradies trotzdem zu entfalten, zu dem es uns von neuem hinzieht, als sollten wir es zum letzten Male betreten.

Athen war die erste Stadt Griechenlands. Reich, mächtig, mit einer Politik, die sich beinahe über die ganze Welt ihres Zeitalters ausspannte, – es begreift sich, daß von hier ausging, was Großes geleistet wurde. Florenz aber, in seinen schönsten Tagen nicht einmal die erste Stadt Italiens, erfreute sich in keinem Betracht außerordentlicher Vorteile. Es liegt nicht am Meere, nicht einmal an einem jederzeit schiffbaren Flusse; denn der Arno, zu dessen beiden Seiten sich die Stadt erhebt, an dem Punkte seines Laufes, wo er aus engen Tälern in die zwischen den sich ausbreitenden Armen des Gebirges gelegene Ebene heraustritt, bietet im Sommer oft kaum Wasser genug, um den Boden seines breiten Bettes damit zu überströmen. Neapel liegt schöner, Genua königlicher als Florenz, Rom ist reicher an Kunstschätzen, Venedig besaß eine politische Macht, gegen welche der Einfluß der Florentiner gering erscheint. Endlich, diese Städte und andere, wie Pisa oder Mailand, haben eine äußere Geschichte durchgemacht, der gegenüber die von Florenz nichts Außerordentliches enthält: und trotzdem ist alles, was zwischen 1250 und 1530 in Italien geschieht, farblos im Vergleich zu der Geschichte dieser einzigen Stadt. Ihre inneren Bewegungen überbieten an Glanz die Anstrengungen der anderen nach innen und außen. Die Schicksale, durch deren Verirrungen sie sich mit jugendlicher Unverwüstlichkeit durcharbeitet, die Männer, die sie hervorbringt, erhöhen ihren Ruhm über den von ganz Italien und stellen Florenz Athen wie eine jüngere Schwester an die Seite.

Die ältere Geschichte der Stadt vor den Tagen ihres höchsten Glanzes verhält sich zu den späteren Ereignissen wie die Kämpfe der homerischen Helden zu dem, was in historischen Zeiten in Griechenland geschah. Der unaufhörliche Sturm der feindlichen Adelsparteien gegeneinander, der Jahrhunderte ausfüllt und mit der Vernichtung aller endete, hat im großen wie in den Einzelheiten den Gang eines Heldengedichtes. Mit dem Streit zweier Familien, durch eine Frau herbeigeführt, mit Mord und Rache im Gefolge, beginnen diese Kämpfe, in die die gesamte Bürgerschaft hineingerissen wird, und immer ist es die Leidenschaft der Führer, welche die sinkenden Flammen zu neuem Leben entfacht. Aus ihrer Asche endlich entwuchs das eigentliche Florenz. Es hatte jetzt keinen kriegerischen Adel mehr wie Venedig, keine Barone und Päpste wie Rom, keine Flotte, keine Soldaten, kaum ein Territorium. Innerhalb seiner Mauern saß ein launiges, geiziges, undankbares Volk von Parvenüs, Handwerkern und Kaufleuten, das bald hier, bald dort von der Energie oder den Intrigen fremder und einheimischer Tyrannei unterjocht worden wäre und endlich erschöpft seine Freiheit wirklich dahingab; – und gerade die Geschichte dieser Dinge von solchem Glanze umgeben und diese Begeisterung des eigenen Volkes heute noch beim Andenken an seine Vergangenheit!

Was in der Natur uns und in der Kunst, dieser höheren Natur, die der Mensch geschaffen hat, anzieht, das gilt auch von den Taten der einzelnen Menschen und Völker. Eine unbegreifliche, verlockende Melodie, die aus den Begebenheiten ausströmt, macht sie bedeutend und begeisternd. So möchten wir leben und handeln, das miterrungen, dort mitgekämpft haben. Es wird uns klar, dieses sei das wahre Dasein. Die Ereignisse reihen sich zum Kunstwerk aneinander, ein wunderbarer Pfad verbindet sie allgesamt, es sind keine abgerissenen, erschütternden Schläge, daß wir erschrecken wie beim Sturze eines Felsens, durch den der Boden aufzittert, der Jahrhunderte lang still dalag und dann wieder auf Jahrhunderte vielleicht in die alte Ruhe zurücksinkt. Denn nicht die Ruhe, die Ordnung, das gesetzmäßige Fortschreiten auf geebneten Wegen des Friedens verlangen wir zu gewahren oder darauf dann den erschreckenden Bruch des Altgewohnten und das Chaos, das ihm nachfolgt, sondern Taten und Charaktere ergreifen uns, deren Anfang eine Folge verspricht und einen Abschluß ahnen läßt, wo die Kräfte der Menschen und Völker sich spannen, und unser Gefühl von den Dingen einem harmonischen Ziele entgegenstrebt, das wir erhoffen oder fürchten und das wir sie am Schlusse erreichen sehen.

Unser Wohlgefallen an den Begebenheiten hat keine Ähnlichkeit mit der Genugtuung, in der sich etwa ein moderner Polizeibeamter über die vortrefflichen Zustände eines Landes ausspräche. Es gibt sogenannte ruhige Zeiten, innerhalb deren dennoch die besten Handlungen wurmstichig erscheinen und ein geheimes Mißtrauen einflößen, wo Friede, Ordnung und unparteiische Gerechtigkeitspflege Worte ohne echten Inhalt sind und Frömmigkeit sogar wie Blasphemie klingt, während in anderen Epochen offen daliegende Verdorbenheit, Fehler, Unrecht, Laster und Verbrechen nur die Schatten eines großen erhebenden Gemäldes bilden, dem sie erst die rechte Wahrheit verleihen. Je schwärzer die dunklen Stellen, je heller die leuchtenden. Eine unverwüstliche Kraft scheint beide zu bedingen und zu bedürfen. Wir werden nicht hinters Licht geführt, das ist unsere innige Überzeugung. Es ist alles so klar, so deutlich, so verständlich. Der Kampf der unabwendbaren finsteren Notwendigkeit mit dem Willen, dessen Freiheit nichts besiegen kann, ergreift uns. Auf beiden Seiten sehen wir große Kräfte sich erheben, die Ereignisse gestalten, in ihnen untergehen oder sich über ihnen emporhalten. Wir sehen das Blut fließen, die Wut der Parteien durchzuckt uns wie ein Wetterleuchten noch von längst verrauschten Gewittern, wir stehen hier oder dort und kämpfen mit in den alten Schlachten noch einmal. Aber Wahrheit wollen wir, keine Verheimlichung der Zwecke und der Mittel, mit denen man sie erreichen wollte. So sehen wir die Völker kochen, wie die Lava im Krater eines feuerspeienden Berges sich in sich selbst empört, und aus dem Kessel klingt das zauberhafte Lied, an das wir uns erinnern, wenn »Athen« oder »Florenz« ausgesprochen wird.

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