V.
Franzosen-Deutsche

Statt der vorigen Deutsch-Franzosen werden wir Franzosen-Deutsche werden, will man befürchten. Ich nenne dies Furcht, denn eine ausgelöschte Nation wäre durch keine andere, nicht einmal durch die auslöschende zu ersetzen, geschweige aber die deutsche; ich habe indes nichts weniger als diese Furcht. Einseitigkeit kann an entgegengesetzter sich brechen, ja sich in diese verlieren. Aber wir weltseitigen Deutschen, schon längst im geistigen Verkehr mit allen Völkern, und ohne von ihren Whims, Capriccios und hors d'oeuvres mehr anzunehmen als das Gleichgewicht unserer Kräfte, geraten ja seit gestern bloß in eine andre Berührung mit einem schon vertrautern Volke. Umgekehrt dürften vielmehr, wenn uns bisher, anders als den alten Völkern, denen Fremder und Feind gleich klang, Fremder und Freund sinnverwandt gewesen, von nun an manche Nachahmungen, die vorher Willkür und Ferne verdoppelt und versüßet hatte, durch die einheimische Nähe der Franzosen uns verbittert und zuwider werden – weil wir so ungern das Einheimische und Nahe nachahmen –; ja es wäre möglich, daß die französische Sprache ein so gemeines Gut würde, daß man [am] Ende an unsern Höfen deutsch spräche; es wäre möglich, daß der Vertrag zu Verdun 843, der Frankreich und Deutschland wieder in zwei Reiche absonderte, sich geistig erneuerte.

Aber wozu diese harte Entgegensetzung zweier so großen Völker? Bis hieher wurde das deutsche Volk wie eine vergoldete Silberstange durch immer engere Löcher durchgetrieben, um verfeinert zu werden; aber eben wie die dicke Stange, lang und dünn ausgezogen, doch noch den Gold-Beleg behält, so haben wir unser Gold der Weltseitigkeit und der Treue fortbewahrt. Es scheint darum ordentlich, da wir geistige Gütergemeinschaft mit allen Völkern haben – und so wie die Franzosen die Herren des Landes sind, die Engländer die des größern Meeres, wir die der beide und alles umfassenden Luft sind –, daß wir deshalb, um ein Verquickungsmittel der spröden Völker zu sein, in alle Länder und Klimen ausgesäet worden, wie die Juden, Jesuiten, Eisen und das Tier, das unsere Treue teilt. Ja, wurden nicht von jeher alle feindseligen Völker mit ihren Kriegen ins deutsche Reich als in die Quickmühle, welche durch Aneignung die Metalle scheidet, d. h. durch Frieden, hineingespielt?

Wenn in der ganzen Geschichte die gebildete Nation die ungebildete auflöst und polypenartig in sich verwandelt, gleichgültig, ob siegend oder besiegt; – so ist hier zwischen zwei gebildeten Nationen keine historische Möglichkeit eines nationellen Vertilgungs-Friedens.

Unsere literarische Entgegensetzung und Eigentümlichkeit muß uns auch als politisch-nationelle bestehen lassen. Was allerdings (wie leider die neuesten Jahre zeigen) das französische Volk an Bildung und Lebensfreiheit voraus hat vor dem noch in manche Roheit[1] und zünftige Unbeweglichkeit eingesunkenen deutschen, dies holet der Deutsche im Mittel- und Gelehrtenstand wieder ein durch die Weltseitigkeit und Tiefe seiner Bildung. Sind wir in der Literatur und Rechtlichkeit Kameen und in der Politik und Lebens-Gewandtheit Gemmen – so wie umgekehrt die Franzosen in dieser Edelsteine mit erhabnen Figuren –, so weiß ich nicht, ob das Näherbringen entgegengesetzter Vorzüge nicht zur Erhebung und Vereinigung derselben wirke.

 

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Anmerkungen:
  1. Gleichsam allegorisch waren im Krönungsanzug des deutschen Kaisers alle Diamanten ungeschliffen.
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