Digitale Aussperrung

Über einseitige Begehrlichkeiten. Von Tom Borg

Nicht alles was gerecht klingt, ist es auch. Mit Begriffen lässt sich trefflich täuschen, manchmal auch sich selbst. Der Jubel über den juristischen Sieg der Autoren in Sachen VG WORT wird schnell verstummen. Spätestens dann, wenn Verlage von ihren Urhebern druckreife Manuskripte verlangen, was aber nur die wenigsten können.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat Recht gesprochen, doch kaum einem ist das recht. Zwar kommen die üblichen Jubelrufe und Proteste wie nicht anders zu erwarten. Doch geregelt ist letztlich gar nichts, denn der Gesetzgeber hat nicht nur bei alten Gesetzen geschludert, sondern auch beim aktuellen Urheberechtgesetz (UhG).

So bejubelt denn die Autorenschaft den Pyrrhussieg über den Verteilungsplan der Verwertungsgesellschaft VG WORT - und sieht nicht die dunklen Wolken am Horizont. Gewiss, Urheberrechtsabgaben gehören den Urhebern. Daran gibt es nichts zu deuteln oder gar zu rütteln. Doch, Hand aufs Herz, welcher Urheber ist schon alleiniger Urheber? Dabei müssen wir nicht einmal Lichtgestalten wie Musikproduzenten hervor zerren, die Eigenbiografien schreiben ohne sich je Gedanken um Formulierungen oder gar Grammatik machen zu müssen. Dafür gibt es schließlich Ghostwriter. Wer von beiden ist der Urheber bzw. zu wie viel Prozent?

Kaum ein Manuskript, das zum Bestseller avanciert, wird vom Autor so abgeliefert, wie es später gedruckt wird. So ziemlich jedes Manuskript wird von einem professionellen Lektor glattgebügelt, was nicht selten heißt, dass ein Drittel des Manuskripts vom Lektor neu geschrieben wird. Bezahlt wird der Lektor üblicherweise vom Verlag. Doch wer ist nun der Urheber am letztendlich verkauften Buch?

Die juristisch brutale Anwendung der aktuellen Rechtsprechung wird lauten, dass Autoren gefälligst selbst ihre Lektoren bezahlen. Die meisten der weniger bekannten Autoren müssen das bereits heute, da vor allen die Bezahlverlage, über die selbst die konservative Verlagselite die Nase rümpft, sich alles bezahlen lassen: vom Lektor bis hin zur Erstauflage, die u.a. für die Bewerbung verwendet wird.

Werden Verlage nicht mehr an den Urheberausschüttungen der Verwertungsgesellschaften beteiligt, wird das aber auch bei den etablierten Verlagen gängige Praxis werden. Zu spüren bekommen das in erster Linie die weniger erfolgreichen Autoren, die große Masse der austauschbaren Schreiberlinge, die auf einen Erfolg hoffen und dafür auch gerne den Geldbeutel hervorholen. Das Ego möchte schließlich aufpoliert werden. Auf der Strecke bleiben dabei die wirklich guten Autoren, die sich ohne Förderung all das nicht leisten können.

Fehlende Anspruchsgrundlage im Internet

Noch deutlicher macht sich die mangelhafte Gesetzgebung im Internet bemerkbar. Auch dort werden Autoren und Verlage seit einigen Jahren aus dem großen Topf der Urhebereinnahmen der VG WORT bedacht. Allerdings erfolgt hier, wie auch bei Bibliotheken, die Vergütung anhand der Nutzungs- bzw. Kopierwahrscheinlichkeit. Um diese zu ermitteln, muss der Betreiber der Webseite, sprich der Verleger im weitesten Sinne, ein Zählpixel setzen, dessen Aufrufe einen Rückschluss auf die Nutzung der Texte erlauben.

Das Problem dabei ist nicht nur, dass Anwender Cookies blockieren können, ohne die das Zählpixel nicht gezählt werden kann, sondern auch der juristische Schildbürgerstreich, dass Autoren jetzt 100% der Ausschüttung bekommen, aber Verleger bzw. Webseitenbetreiber nicht verpflichtet sind, überhaupt ein Zählpixel zu setzen.

Im Rahmen der gemeinsamen Verwertung haben Webseiten das bisher selbstverständlich geleistet. Doch wie wird das in Zukunft werden, wenn der Verleger der Webseite nicht mehr an der Urheberausschüttung partizipieren darf? Ganz einfach: Es wird zur digitalen Aussperrung kommen. Der an der Ausschüttung unbeteiligte Verlag wird zum Dienstleister, der für den Autor die Dienstleistung des Ausspielens eines Zählpixels erbringt. Sprich: Der Autor muss für das Ausspielen des Zählpixels zahlen. Natürlich im Voraus. Und damit ergibt sich ein brutaler wirtschaftlicher Nachteil für Autoren: sie treten in Vorleistung.

Im Rahmen der bisherigen gemeinsamen Verwertung teilten sich Verlag und Autor das Risiko: Der Verlag bezahlte die Entwicklung und den Betrieb einer Webseite, während der Autor auf eigene Kosten einen Text schrieb und beisteuerte. Somit waren beide Seiten auf den Erfolg der Webseite angewiesen. Profitiert nun der Autor alleine, so wird er zum Subunternehmer, der auf einer Webseite ein Zählpixel bucht, damit er im Erfolgsfall eine Ausschüttung bei der VG WORT erhält. Dieses Risiko trugen bisher der Verlag und Autor gemeinsam.

Weltfremde Anspruchsmentalität

Klar, machen wir uns nichts vor, die Handvoll Bestsellerautoren wird diesen Service auch in Zukunft bekommen. Doch auf der Strecke bleiben die kleinen Autoren. Die engagierte Autoren, die sich freuen, wenn sie einen Text auf einer erfolgreichen Webseite platzieren können und dafür sogar noch eine - zugegeben: kleine - Ausschüttung erhalten können. Zukünftig werden sie dafür als Vorleistung Euros auf den Tisch legen müssen, damit der Text überhaupt angezeigt und verpixelt wird. Ob er dann auch ausreichend Leser findet, das wiederum ist dann das alleinige Risiko des Autors.

Auf der Strecke bleiben dabei wiederum die kleinen Autoren, die sich dieses Risiko nicht werden leisten können oder wollen. Sie werden einfach digital ausgesperrt werden. Und genau das ist nicht im Sinne der Autoren, nicht im Sinne der Verleger und schon gar nicht im Sinne einer lebendigen Kulturlandschaft.

Natürlich machen die Texte im Internet nur einen Bruchteil der zur Disposition stehenden Ausschüttungen aus. Dennoch zeigt sich hier erneut, was eine schlampige Gesetzgebung verursachen kann. Egal, ob das Gesetz jeden zufrieden stellt, es sollte rechtssicher und in der Praxis handhabbar sein. Und vor allem keinen Beteiligten benachteiligen.

Verlage und Autoren leben voneinander und miteinander. Ein Verlag kann sich seine Bücher nicht selbst schreiben - und viele Autoren, die sich Urheber nennen, können es auch nicht alleine. Ohne Lektorat kommt kein professionelles Buch auf den Markt. Demzufolge wäre es an der Zeit, dass die Lektoren ebenfalls ihre Urheberrechtsansprüche geltend machen. Das wäre natürlich wiederum gegen die Autoren gerichtet, die dann erneut auf die Barrikaden gehen würden. Wobei: es wäre dann zu klären, wer den Lektor eigentlich bezahlt hat und wer ihn bezahlen sollte. Denn Aufgabe eines Verlags ist es, ein Manuskript als Buch zu verwerten. Das setzt voraus, dass Manuskripte so abgeliefert werden, dass daraus nur noch ein Buch produziert und vertrieben werden müsste.

Doch halt, da wären ja auch noch die Grafiker, die das Cover gestalten, dem ein nicht unerheblicher Teil des Verkaufserfolgs zugeschrieben wird. Sind sie auch Urheber des Buchs? Und was ist mit dem Satz, der ein gutes Manuskript erst ansprechend präsentiert…?

Ein Buch ist letztlich Teamwork, wobei der Löwenanteil der kreativen Arbeit vom Autor erledigt wird. Aber nur die wenigsten Autoren leisten die gesamte Arbeit komplett alleine. Vor allem der Nachwuchs wäre überfordert. Doch gerade den sollte der Kulturbetrieb fördern.

Es steht zu befürchten, dass am Ende alle verlieren werden - außer den Großverdienern, die es unter den Verlagen, Autoren, Lektoren und Serviceunternehmen zweifelsohne auch gibt. Doch Hand aufs Herz: wie viele Autoren können wirklich von ihrer Kunst leben? Und wie viele Kleinverlage, die sich wenig lukrativen Nischen und dem Nachwuchs widmen, können ohne Urheberabgaben und ohne Leistungsschutzrecht überleben? Da bleibt letztlich nur ein Weg: Digitale Aussperrung unkooperativer Autoren. Doch das wollen wir genau so wenig wie die Ausbeutung von Autoren.

Kann man den Kuchen wirklich nicht so teilen, dass jeder satt wird…?!

— 21. April 2016
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