Fehlercode 451

Die 5. Kolonne der Meinungsfreiheit im Internet. Von Tom Borg

Der Fehlercode 451 eine letzte Chance der Administratoren von Webseiten, eine 5. Kolonne der Meinungsfreiheit im Internet, um den Besuchern anzuzeigen: "Wir würden ja gerne, aber wir dürfen nicht…" Wo nicht einmal mehr das angezeigt werden darf, da ist das freie Internet verloren.

Dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist, haben die meisten Menschen inzwischen begriffen. Kein Wunder, täglich flattern irgendwem Abmahnungen ins Haus, werden Accounts gehackt und Online-Shops oder einfache Webseiten vor den Kadi gezerrt. Das geht auch am normalen Surfer, der das Internet eigentlich nur zur Information nutzen möchte, nicht spurlos vorbei.

Vorbei ist hingegen die Zeit der digitalen Raubritter, die mit Maus und Tastatur bewaffnet ganze digitale Reiche eroberten, Firmenimperien gründeten und mit Tricks der dubiosen Sorte ihr Ranking verbesserten.

Mittlerweise schaut der Staat der Internetgemeinde sehr aufmerksam auf die Finger, oder genauer auf die Leitung. Längst so genau, dass es die Mehrheit der Surfer schon wieder stört und verängstigt.

Mal eben über den Chef lästern, kann schnell den Job kosten. Das falsche Bild hochgeladen, kostet schnell den Urlaub. Unbedachte Klicks im Internet können fatale Folgen haben.

Und doch sind diese Kontrollen hochgradig erwünscht, weil auch im Internet die allgemeinen Gesetze gelten. Aber das Problem dabei ist: genau das lässt sich nur schwer prüfen und sicherstellen, denn zu groß sind die Portale und das Netz generell und zu viele Schlupflöcher existieren für die schwarzen Schafe. Umgekehrt liegen die braven Bürger, die einfach nur surfen und die Möglichkeiten des Internets nutzen möchten, mit all ihren Daten und Profilen wie auf dem Präsentierteller - für Kriminelle genauso wie für staatliche Schnüffler. Und von beiden Sorten gibt es leider viel zu viel.

Die große digitale Freiheit entwickelt sich deshalb immer mehr zum digitalen Albtraum. Unsere Ängste liefern den Gegnern der Freiheit die Munition, die sie brauchen, um uns Stück für Stück das freie Internet wieder wegzunehmen - mittels Sperren, einstweiligen Verfügungen oder einfach mit ein paar neuen Gesetzen und Verordnungen, die auf mehr Geschäft zielen und die allgemeine Freiheit treffen. Und immer steht man zwischen den Fronten und würde am liebsten beide Seiten wählen, wenn nicht ständig eine von beiden den eigenen Interessen im Wege stünde.

Recht auf Wissen

Das Recht auf Vergessen ist ein Paradebeispiel für das Beschneiden der Freiheit. Es gibt mindestens ebenso viele Argumente dafür wie dagegen. Dabei gilt die Regelung, die zu Recht als "Google-Gesetz" bezeichnet wird, nur für Links auf Artikel in Suchmaschinen, nicht jedoch für die Inhalte auf die verlinkt wird. Es ist weiterhin jedermann erlaubt, sein eigenes Zeitungsarchiv aufzubewahren, Zeitungsschnipsel zu beliebigen Themen und Personen zu sammeln und diese auch weitestgehend frei nach Lust und Laune online zu stellen. Denn den Artikel selbst kann man, so er keine objektiv falschen Informationen enthält, nicht so einfach verbieten zu lassen. Was natürlich niemanden davon abhält, es dennoch zu versuchen. Nur Google darf eventuell nicht darauf verlinken.

Weitaus radikaler als Google, aber deutlich leiser sammelt das Internet-Archiv, kurz archive.org, frei verfügbare Materialien aller Art. Im Gegensatz zu Google findet man im Internet-Archiv jedoch keine Links auf Inhalte, sondern kann direkt auf die gespeicherten Inhalte zugreifen und diese herunterladen.

Bereits seit 1996 sammelt das im amerikanischen San Francisco beheimatete Projekt Text-, Audio-, Video- und Bildmaterial und besitzt heute das - neben dem NSA-Archiv - wohl umfangreichste Archiv alter Webseiten. Denn im World Wide Web kommen nicht nur täglich Millionen neuer Seiten hinzu, es verschwinden auch ständig Millionen von Seiten aus den unterschiedlichsten Gründen. Ein halbseidenes Recht auf Vergessen gibt es dort zwar auch, aber eigentlich sammelt das Archiv alles was es zu fassen bekommt, sofern es nicht vom Webmaster ausgesperrt wird.

Das Internet-Archiv propagiert das "Recht auf Erinnern" und das "Recht auf Wissen", die beide als Grundrecht betrachtet werden. Denn es werden nicht nur politisch missliebige oder juristisch angegriffene Inhalte aus dem Netz genommen, sondern auch ganz normale Seiten verschwinden, weil die Betreiber die Arbeit einstellen, Serververträge enden oder einfach Webmaster keine Lust mehr haben. Deswegen ist längst nicht alles wertlos, was plötzlich offline ist, aber es ist auch nicht mehr zu erreichen. Hier springt das Internet-Archiv ein und liefert die alten Seiten. Oft kann auch die Entwicklung einer Webseite nachvollzogen werden, wenn verschiedene Sicherungen der gleichen Seite verfügbar sind.

Eine sinnvolle Einrichtung, zweifelsohne, dann, wenn man Informationen sucht, die hilfreich waren, aber deren Webmaster nicht mehr an der Seite arbeitet bzw. sie infolge Projektaufgabe offline stellte.

Vergessen wollen

Doch viele Webseiten sollen vergessen werden, weil ihr Verfasser seine Meinung geändert hat oder Inhalte Bezug nehmen auf Themen, an denen sich wiederum andere stören. Dass man seine Meinung gelegentlich ändert, ist ein allgemeines Grundrecht, es gehört zur Meinungsfreiheit. Zumindest solange wie die Änderung der Meinung nicht durch andere erzwungen wurde.

Doch der Druck auf missliebige Meinungen steigert sich auch in unserer Demokratie beständig - in autoritären Systemen sowieso. Wo Webseiten auf Missstände hinweisen, darf es kein Vergessen geben. Es ist in unserer modernen freiheitlichen Welt nicht hinnehmbar, dass ganze Webprojekte verschwinden, weil eine Regierung sich angegriffen fühlt.

2015 hat die türkische Regierung mehrfach brutal durchgegriffen, wenn die Presse regimeunfreundliche Berichte veröffentlichte. In Saudi-Arabien wurde gar ein Blogger zu Peitschenhiebe und Gefängnis verurteilt weil er kritische Beiträge verfasste.

Doch meist verschwinden unliebsame Artikel und Webseiten deutlich laufloser. Sie sind einfach nicht mehr erreichbar. Als Surfer landet man auf einer nett gestalteten Fehlerseite oder bekommt einen Fehlercode 404 präsentiert: Seite nicht gefunden. Das sagt aber wenig aus. Es kann alles bedeuten: von falschem Aufruf bis hin zum Fehler in der Datenbank oder Serverstörung.

Mit dem neuen Fehlercode 451 lässt sich nun aber gezielt anzeigen, dass eine Seite aus juristischen oder anderen Gründen vom Netz genommen werden musste. Anders als die meisten anderen Fehlermeldungen wird diese Fehlermeldung "Fehler Code 451" nicht automatisch angezeigt. Sie muss explizit von den Verantwortlichen einer Seite eingestellt werden. Hierin liegt aber wiederum eine Schwäche des Fehlercodes, denn das Anzeigen des Fehlercodes weist eindeutig auf Zensur welcher Art auch immer hin und könnte von den Behörden oder sich beschwert Fühlenden unter Strafe gestellt werden.

Auch für Googles vergleichsweise harmlosen Hinweis, dass einige Suchergebnisse aus rechtlichen Gründen unterdrückt wurden, gibt es immer wieder Kritik - vor allem wenn sie im Zusammenhang mit dem Recht auf Vergessen stehen. Doch genau darüber sagt diese Meldung gar nichts aus. Es gibt viele Gründe, warum Google Ergebnisse in der Suche unterdrückt. Aber immerhin, der Hinweis ist sichtbar und zeigt an, dass es da noch mehr gibt, das aber nicht angezeigt werden darf. Dieser Hinweis ist auch dann wichtig, wenn normale Webseiten bestimmte Inhalte aus rechtlichen oder politischen Gründen nicht anzeigen dürfen.

Somit ist der Fehlercode 451 eine letzte Chance der Administratoren von Webseiten, eine 5. Kolonne der Meinungsfreiheit im Internet, um den Besuchern anzuzeigen: "Wir würden ja gerne, aber wir dürfen nicht…" Wo nicht einmal mehr das angezeigt werden darf, da ist das freie Internet verloren…

— 25. Dezember 2015
 Top