Schicksals Daumen

Über Daumen-Signale im Web. Von Sarah Walter

Der Facebook Button "Gefällt mir" wurde zu einem der wichtigsten sozialen Indikatoren unserer Zeit. Geht es um Aufmerksamkeit, den Gradmesser des eigenen Wirkungskreises, ist der virtuelle Daumen nach oben inzwischen das Maß aller Dinge.

Früher begann der Tag mit Frühstück und Morgentoilette. Heute heißt es immer öfter: "Ich will nur kurz sehen, wie viele mein Foto schon geliket haben."

Der Facebook Button "Gefällt mir" wurde zu einem der wichtigsten sozialen Indikatoren unserer Zeit und schaffte es sogar in unseren Sprachgebrauch, denn dieser englische Begriff ist heute als "geliked" genauso eingedeutscht wie "googlen" als Synonym für das Suchen im Internet.

Geht es um Aufmerksamkeit, den Gradmesser des eigenen Wirkungskreises, ist der virtuelle Daumen nach oben inzwischen das Maß aller Dinge.

Täglich werden Tausende Bilder ins Netz gestellt. Die Bandbreite reicht weit von Selfies über Urlaubsbildern bis zu Werbefotos. Ob diese unbedingt alle sehenswert sind, mag zumindest zweifelhaft sein.

Aber nicht nur Bilder werden hochgestellt, auch ständige Posts über das, was man gerade macht oder denkt, werden in schöner Regelmäßigkeit veröffentlicht. Doch wozu eigentlich? Warum muss man alles mitteilen?

Letztendlich ist diese Frage recht simpel zu beantworten: es geht um die Suche nach Aufmerksamkeit. Wir fühlen uns wohl, wenn wir wissen, dass andere uns und das was wir tun gut finden, und sei es auch nur, dass wir mit einem Post eine lange Kette an Kommentaren erzeugen.

Natürlich gibt es auch Ausnahmen, seriöse Gründe dafür, anderen mitzuteilen, wie man gerade sein Leben lebt. Doch meistens geht es um Aufmerksamkeit, auch wenn wir alle das entrüstet abstreiten.

Warum sollte man das auch zugeben? Da kann man sich ja auch gleich ein Schild auf die Stirn kleben mit der Aufschrift: "Hilfe, ich brauche Aufmerksamkeit!"Doch ist man ehrlich, dann ist es letztlich doch wirklich so. Wozu hat Facebook denn sonst den Like-Button, wenn es doch sowieso keinen interessieren sollte, ob er geklickt wird oder nicht? Der "Gefällt mir"-Button ist doch der eigentliche Grund für die vielen Posts. Insbesondere bemerkt man es oft auch daran, wie viele Male Leute ihre Profilbilder ändern. Diese sind dann oft "Like-geil" und hoffen auf viele "Likes". Warum sollte man denn sonst sein Profilbild so oft ändern? Ist ja nicht so, dass man jede Woche ein neues Gesicht bekäme.

Allerdings sind es nicht nur die "Gefällt mir"-Angaben, sondern auch die Kommentare, an denen sich viele Menschen mit dem Verlangen nach Bestätigung erfreuen. Es sind eben soziale Netzwerke. Man redet nicht von Angesicht zu Angesicht, sodass es leichter ist, ehrliche Meinungen zu äußern. Da findet man schon das eine oder andere übertriebene "Omg bist du schön!" oder "Wie hübsch du aussiehst!" unter den Bildern, was man im realen Leben nicht unbedingt immer direkt gesagt bekommt. Aber auf diese Weise bekommt man Bestätigung - und man will immer mehr davon…

Man lässt sich davon treiben, was andere denken, will, dass alle sich für einen interessieren und je mehr man vom Interesse anderer mitbekommt, desto mehr wird man davon abhängig - es wird zur Sucht.

Das virtuelle Urteil

Doch will man wirklich immer wissen, was andere von einem halten? Läuft man durch die Straßen und fragt jeden, ob man hübsch ist? Letztendlich weiß man, dass es absurd ist, vor allem im realen Leben. Aber genau so läuft es in der virtuellen Welt ab.

Doch, Stop, Halt! So ist es letztlich ganz und gar nicht. Wir möchten gelobt werden, sondern gekliked - und das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge! Sie führen letztlich alles ad absurdum, wenn Posts absichtlich so geschrieben werden, dass sie viele Likes bekommen. Dann wandelt sich - unmerklich für viele und doch professionell gesteuert von ebenso vielen - die Richtung der Aussage: Wir posten nicht mehr das, was uns wichtig ist, sondern das, von dem wir glauben, dass andere das so wichtig und toll finden, dass sie liken. Unser ganzer Erfolg von Webseiten, Geschäftsideen und persönlichem Image hängt von der Anzahl der "Likes" ab. Kein Politiker oder Star stellt seine Argumente oder Meinungen heraus. Alles was zählt sind die Anzahl der Freunde, Follower und Likes.

Unsere Vorfahren kannten den Spruch: "Haste was, biste was." In unserer Zeit heißt es nun: "Haste Likes, biste wer!" Und das fühlt sich gut an. Macht Appetit auf mehr und ist gleichzeitig die Basis des sozialen Erfolgs, der immer öfter auch Grundlage des wirtschaftlichen bzw. beruflichen Erfolgs ist. Der Daumen, nicht mehr unsere wahre Leistung, entscheidet über Wohl und Wehe in unserem Leben - und bestimmt damit auch unser Selbstwertgefühl. Denn post man viele gute Inhalte ohne ge"like"d zu werden, dann läuft halt etwas gründlich schief. Man nimmt sich selbst als unwichtig wahr, ein Staubkörnchen im virtuellen Universum…

Die Frage ist aber: Wollen wir wirklich unseren Beliebtheitsgrad an der Anzahl von nach oben zeigenden Daumen messen und unseren Erfolg von der Anzahl der Likes und Follower abhängig machen? Stehen viele Likes wirklich für etwas Gutes?

Hätte es 1933 schon soziale Netzwerke gegeben, wer wäre dann wohl die absolute Nummer 1 gewesen? Der (Ver-)Führer hat auch so einen ganzen Kontinent in die Katastrophe gerissen. Aber hätten Millionen von "Likes" vielleicht sein Image in der Geschichtsschreibung verändert, etwa gar gerechtfertigt? Das - zugegeben, weit hergeholte - Beispiel zeigt, wie weit "Likes" und reale Bewertung auseinander driften können. Aber noch schlimmer wird es dann, wenn all die "Likes" die reale Bewertung ersetzen…

— 26. Juni 2014
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