Proteste in der Demokratie

Berechtigte Wut - tut gut?, hinterfragt Christa Schyboll

Das Recht auf Protest ist ein hohes demokratisches Gut. Aber erreichen wir die Politiker überhaupt noch damit? Oder muss der Protest gegen so manche Misstände erst so groß werden, dass eine Revolte droht? Weder Angst noch Wut sind gute Ratgeber, doch was soll man tun, wenn man sich mit seinem Anliegen nicht wahrgenommen fühlt?

Spielen Sie auch mit? Protestieren Sie auch heftig und empört per Internet mit einer Petition an die Bundesregierung? Gegen Robbenschlachten, Wasserausverkauf oder Energiekonzerne? Wer zählt eigentlich noch alle die Petitionen, die er gefühlt täglich für sinnvolle Bürger-Initiativen im Internet zugeschickt bekommt und unterschreibt? Ein Klick! – und schon haben wir alle protestiert! Wir sind gute Demokraten? Wogegen? Das oft alles durchzulesen, kostet viel Zeit. Meist reicht die Überschrift und der erste Absatz. Klar. Gute Sache. Muss ich mitmachen!

Das ganze Spektrum der berechtigen Wut thematisch aufzuzählen wäre zu mühsam. Zu viele Brandherde gibt es, die demokratisch und friedlich gelöscht werden wollen. Wir wissen nur: Was da von diesen und jenen Gruppen begehrt wird, ist einerseits berechtigt und hat andererseits kaum eine Chance auf positive Realisierung im Sinne der Unterschriftenaktion. Denn hätte es sie, bräuchte es diese Aktion wohl nicht und wir könnten unseren gewählten Volksvertretern durchaus vertrauen.

Dass wir das leider aber nicht können, zeigen diese ganzen Aktionen, deren Notwendigkeit zum oft schon zum Himmel schreit. Man fragt sich in so manchem Fall, wie es so weit kommen konnte. Zum Beispiel Wasserrechte ans Ausland verscherbeln! Man fast sich an den Kopf. Dafür gehen wir zur Wahl?

Und wir haben ja nicht nur ein deutsch-internes Problem damit, sondern verschärft auch noch ein europaweites und häufig auch ein globales, wo die Ansinnen so ganz anders ticken und gleich viele Kräfte mit am Rädchen der Macht und der Geldverteilung in bestimmte Richtungen drehen.

Deshalb liken, teilen, unterschreiben wir auf Teufel komm raus. Andere Menschen gehen lieber auf Straßen - pro oder contra, für was auch immer.

Was bringt Bürgerprotest denn wirklich? Kennt jemand die Statistik von abschlägigen und positiv beschiedenen Volksbegehren, Petitionen usw.? Gibt es da eine Zahl, die uns Hoffnung macht, das unser friedliches Einmischen von unten zu wirklich wichtigen Themen überhaupt beachtet und auch umgesetzt wird? Oder müssen wir uns schon damit zufrieden geben, dass wir ein kurzes, belangloses Statement über den Empfang von Hunderttausend Unterschriften bekommen?

Interessante Spielregeln der Demokratie

Oder ist es das Recht auf Protest nicht viel mehr ein kleines demokratisches Zuckerbrot, das zwar erlaubt ist, damit sich erst gar kein großer Zorn anstaut, aber ansonsten doch ziemlich beliebig von den gewählten Politikern gehandhabt wird?

Wie ist das denn z.B. mit den Konzernriesen, die seit Jahrzehnten dem Bürger Unmengen von Kosten auflasten, aber die Gewinne unter sich verteilen? Müssen wir uns das immer weiter gefallen lassen? Die Politik richtet es jedenfalls seit Jahrzehnten nicht! Wie ist das mit den Multikonzernen, die Absprachen für legale Steuerhinterziehung treffen? Wie ist das mit Google und co? Wie ist das mit dem Grundrecht auf Wasser und den ans Ausland verkauften Wasserrechten in Zeiten, wo die Wasserkriege doch längst auf dem Reißbrett genau skizziert sind? Wie ist das mit der Unverantwortlichkeit für Milliarden-Vorhaben, die in den Sand gesetzt werden - während jeder Kleinunternehmer sofort brutal in die Pleite geht und manchmal bis zum Lebensende ruiniert ist. Warum wird ständig mehr Ökologie gefordert, während die kleinen Ökobauern zugleich planmäßig durch die Politik in die Pleite und den persönlichen Ruin getrieben werden? Tolle Worte allerorten, beeindruckende Ansprachen, lächelnde Gesichter - und kleine Bürger, die eine bittere Zeche zahlen. Ich könnte Abertausende von Beispielen aufführen - aber belasse es hier nur bei Andeutungen. Es geht um die Kernfrage demokratischer Politik!

Der Verdacht drängt sich auf, als handele es sich bei unserem demokratischen Recht auf Protest vor allen Dingen um ein wichtiges psychologisches Ventil: Wer genug protestiert hat, wird irgendwann müde! Aber er durfte sich vorm Schlafengehen ausgiebig austoben, solange sein Protest friedlich blieb. Aber das war es in der Regel dann auch schon. Protestiert man langanhaltend genug, dann kann hin und wieder etwas erreicht werden. Selten bekommt es das Prädikat: historisch. Aber auch da sollte man sich nicht täuschen lassen. Historische Erfolge von friedlichem Protest, wie in der ehemaligen DDR, sind zwar einerseits dem mutigen Eintreten der Bürger in erster Linie auf die Fahnen zu schreiben. Andererseits war der russische Staat so pleite, dass eine weitere Unterstützung der ehemaligen DDR auch längst zum finanziellen Desaster mutierte. Also hier waren sehr verschiedene Kräfte im Spiel, die mit zu gewichten sind, wenn es um den Erfolg eines Bürgerprotestes geht.

Wer kennt denn die Erfolgszahlen des Protestes?

Gibt es eigentlich eine Statistik, die zahlentechnisch ausweist, dass Demokratie von unten tatsächlich auch erfolgreich funktioniert? Immer wieder neu fordern uns doch alle möglichen Politiker auf, mitzugestalten, uns aktiv zu beteiligen. Tun wir das ernsthaft, hören wir in der Regel freundliche Phrasen. Das Lächeln ist inklusive. Die Hohlheit für denkende Mitbürger auch, die heute mehr und mehr auch informiert sind. Nichts sagen mit vielen Worten wird schneller denn je entlarvt. Medial inszenierte Statements, die uns politisch suggerieren, ein eventuelles Etwas als eventuelle Zukunftsoption eventuell in Erwägung zu ziehen, ist keineswegs merkelischer Slang, sondern parteienübergreifendes Geschwätz.

Wenden Sie sich an Ihren Abgeordneten! Er bietet Bürgersprechstunden an! - Was aber, wenn man keinen hat, weil man parteilos ist? An wen darf man sich dann wenden? Oder ist man dann kein Demokrat, obschon einem das eigene Land dennoch sehr am Herzen liegt? Wo ist die Grenze dieser Spielregel?

Es ist eine häufig vorkommende Tatsache, dass ein Volkswille überaus oft - trotz gewählter Politiker - eben nicht zugleich auch dem Politiker-Lobbyisten-Willen entspricht. Die alte Patina der gewohnten Politik blättert ab. Der Bürger verändert sich. Langsam reift er heran. Er will nicht nur allein Wut- und Protestbürger sein, sondern ernstgenommen werden. Er will Veränderungen erleben und nicht nur per Statement hören.

Es mag jedoch sein, dass er vielleicht vorübergehend dafür sogar noch wütender werden muss, damit genau das passiert. Parteien aller Coleur horcht auf und unterschätzt Eure Bürger nicht! Das könnte eine teure Rechnung werden.

Was bleibt, ist die Frage, ob all diese Eingaben, Proteste, Demonstrationen, Petitionen überhaupt ernsthaft noch irgendeinen einen Politiker - welcher Partei auch immer - im Alltagsgeschäft überhaupt noch ernsthaft zu berühren vermögen!? Oder wachen erst alle immer dann auf, wenn der friedliche Protest in einen blutigen, gar tödlichen umschlägt, weil vorher zu lange gezögert, zu vieles versäumt wurde. Nachher gesteht man es gerne zu. Vorher aber will man nichts davon hören! So ist es immer!

Meine Anfrage an eine große Politische Bildungsanstalt im Hinblick auf messbare Erfolge von Bürgerprotesten wird ja eventuell Auskunft geben, wie es um die Sache funktionierender Demokratie denn so steht. Vielleicht werde ich dann eines besseren belehrt und man sagt mir, dass die Erfolgsquote aller Proteste insgesamt immerhin vielleicht die 50 Prozentmarke überschritten hat. Nun ja, ich träume für Sekunden…

Das wäre immerhin eine (Traum-)Zahl, die Hoffnung vermittelt und dann auch eine aktuelle Pressemeldung wert wäre. Einzig zum Ziel, den Protest, wo er dringend notwendig ist, noch mehr zu intensivieren… und in den berechtigten Forderungen nicht nachzulassen.

— 24. Januar 2015
 Top