Seinem Denkmal

Briefwechsel mit Goethe

SONETT

    Mit Flammenschrift war innigst eingeschrieben
Petrarcas Brust, vor allen andern Tagen,
Charfreitag. Ebenso, ich darf's wohl sagen,
Ist mir Advent von Achtzehnhundertsieben.

Ich fing nicht an, ich fuhr nur fort zu lieben
Sie, die ich früh im Herzen schon getragen,
Dann wieder weislich aus dem Sinn geschlagen,
Der ich nun wieder bin ans Herz getrieben.

Petrarcas Liebe, die unendlich hohe,
War beiden unbelohnt und gar zu traurig,
Ein Herzensweh, ein ewiger Charfreitag;

Doch stets erscheine, fort und fort, die frohe
Süß, unter Palmenjubel, wonneschaurig,
Der Herrin Ankunft mir, ein ew'ger Maitag.


An Goethe.

Kassel, den 15. Mai 1807.

»Liebe, liebe Tochter! Nenne mich für alle Tage, für alle Zukunft mit dem einen Namen, der mein Glück umfaßt; mein Sohn sei Dein Freund, Dein Bruder, der Dich gewiß liebt usw.«

Solche Worte schreibt mir Goethes Mutter; zu was berechtigen mich diese? – Auch brach es los wie ein Damm in meinem Herzen; – ein Menschenkind, einsam auf einem Fels, von Stürmen umbraust, seiner selbst ungewiß hin- und herschwankend, wie Dornen und Disteln um es her – so bin ich; so war ich, da ich meinen Herrn noch nicht erkannt hatte. Nun wend' ich mich wie die Sonnenblume nach meinem Gott und kann ihm mit dem von seinen Strahlen glühenden Angesicht beweisen, daß er mich durchdringt. O Gott! Darf ich auch! – Und bin ich nicht allzu kühn?

Und was will ich denn? – Erzählen, wie die herrliche Freundlichkeit, mit der Sie mir entgegenkamen, jetzt in meinem Herzen wuchert? – alles andre Leben mit Gewalt erstickt? Wie ich immer muß hinverlangen, wo mir's zum erstenmal wohl war? – Das hilft alles nichts; die Worte Ihrer Mutter! – Ich bin weit entfernt, Ansprüche an das zu machen, was ihre Güte mir zudenkt, – aber diese haben mich geblendet; und ich mußte zum wenigsten den Wunsch befriedigen, daß Sie wissen möchten, wie mächtig mich die Liebe in jedem Augenblick zu Ihnen hinwendet.

Auch darf ich mich nicht scheuen, einem Gefühl mich hinzugeben, das sich aus meinem Herzen hervordrängt wie die junge Saat im Frühling; – es mußte so sein, und der Same war in mich gelegt; es ist nicht mein vorsätzlicher Wille, wenn ich oft aus dem augenblicklichen Gespräch zu Ihren Füßen getragen bin; dann setze ich mich an die Erde und lege den Kopf auf Ihren Schoß oder ich drücke Ihre Hand an meinen Mund, oder ich stehe an Ihrer Seite und umfasse Ihren Hals; und es währt lange, bis ich eine Stellung finde, in der ich beharre. Dann plaudre ich, wie es mir behagt; die Antwort aber, die ich mir in Ihrem Namen gebe, spreche ich mit Bedacht aus: »Mein Kind! Mein artig gut Mädchen! Liebes Herz!« Ja, so klingt's aus jener wunderbaren Stunde herüber, in der ich glaubte von Geistern in eine andre Welt getragen zu sein; und wenn ich dann bedenke, daß es von Ihren Lippen so widerhallen könnte, wenn ich wirklich vor Ihnen stände, dann schaudre ich vor Freude und Sehnsucht zusammen. O, wieviel hundertmal träumt man und träumt besser, als einem je wird. – Mutwillig und übermütig bin ich auch zuweilen und preise den Mann glücklich, der so sehr geliebt wird; dann lächeln Sie und bejahen es in freundlicher Großmut.

Weh mir! Wenn dies alles nie zur Wahrheit wird, dann werd' ich im Leben das Herrlichste vermissen. Ach, ist der Wein denn nicht die süßeste und begehrlichste unter allen himmlischen Gaben? Daß, wer ihn einmal gekostet hat, trunkner Begeistrung nimmer abschwören möchte. – Diesen Wein werd' ich vermissen, und alles andre wird mir sein wie hartes geistloses Wasser, dessen man keinen Tropfen mehr verlangt, als man bedarf.

Wie werd' ich mich alsdann trösten können! – Mit dem Lied etwa: »Im Arm der Liebe ruht sich's wohl, wohl auch im Schoß der Erde?« – Oder: »Ich wollt', ich läg' und schlief' zehntausend Klafter tief.« –

Ich wollt', ich könnte meinen Brief mit einem Blick in Ihre Augen schließen; schnell würde ich Vergebung der Kühnheit herauslesen und diese noch mit einsiegeln; ich würde dann nicht ängstlich sein über das kindische Geschwätz, das mir doch so ernst ist. Da wird es hingetragen in rascher Eile viele Meilen; der Postillon schmettert mit vollem Enthusiasmus seine Ankunft in die Lüfte, als wolle er frohlockend fragen: »Was bring' ich?« – Und nun bricht Goethe seinen Brief auf und findet das unmündige Stammeln eines unbedeutenden Kindes. Soll ich noch Verzeihung fordern? – O, Sie wissen wohl, wie übermächtig, wie voll süßen Gefühls das Herz oft ist, und die kindische Lippe kann das Wort nicht treffen, den Ton kaum, der es widerklingen macht.

Bettine Brentano.

 

An Bettine, im Brief an seine Mutter eingelegt von Goethe.

Solcher Früchte, reif und süß, würde man gern an jedem Tag genießen, den man zu den schönsten zu zählen berechtigt sein dürfte.

Wolfgang Goethe.

Liebe Mutter, geben Sie dies eingesiegelte Blättchen an Bettine und fordern Sie sie auf, mir noch ferner zu schreiben.


An Goethe.

Am 25. Mai.

Wenn die Sonne am heißesten scheint, wird der blaue Himmel oft trübe; man fürchtet Sturm und Gewitter, beklemmende Luft drückt die Brust, aber endlich siegt die Sonne; ruhig und golden sinkt sie dem Abend in den Schoß.

So war mir's, da ich Ihnen geschrieben hatte; ich war beklemmt, wie wenn ein Gewitter sich spüren läßt, und ward oft rot über den Gedanken, daß Sie es unrecht finden möchten, und endlich ward mein Mißtrauen nur durch wenig Worte, aber so lieb gelöst. Wenn Sie wüßten, wie schnelle Fortschritte mein Zutrauen in demselben Augenblick machte, da ich erkannte, daß Sie es gern wollen! – Gütiger, freundlich gesinnter Mann! Ich bin so unbewandert in Auslegung solcher köstlichen Worte, daß ich schwankte über ihren Sinn; die Mutter aber sagte: »Sei nicht so dumm, er mag geschrieben haben, was er will, so heißt es, Du sollst ihm schreiben, so oft Du kannst, und was Du willst.« – Ach, ich kann Ihnen nichts anders mitteilen als bloß, was in meinem Herzen vorgeht. O dürft' ich jetzt bei ihm sein, dacht' ich, so glühend hell sollte meine Freudensonne ihm leuchten, wie sein Auge freundlich dem meinigen begegnet. Jawohl, herrlich! Ein Purpurhimmel mein Gemüt, ein warmer Liebestau meine Rede, die Seele müßte wie eine Braut aus ihrer Kammer treten ohne Schleier und sich bekennen: »O Herr, in Zukunft will ich Dich oft sehen und lang am Tage, und oft soll ihn ein solcher Abend schließen.«

Ich gelobe es, dasjenige, was von der äußeren Welt unberührt in mir vorgeht, heimlich und gewissenhaft demjenigen darzulegen, der so gern teil an mir nimmt, und dessen allumfassende Kraft den jungen Keimen meiner Brust Fülle befruchtender Nahrung verspricht.

Das Gemüt hat ohne Vertrauen ein hartes Los; es wächst langsam und dürftig wie eine heiße Pflanze zwischen Felsen; so bin ich, – so war ich bis heute, – und diese Herzensquelle, die nirgend wo ausströmen konnte, findet plötzlich den Weg ans Licht, und paradiesische Ufer im Balsamduft blühender Gefilde, begleiten ihren Weg.

O Goethe! – Meine Sehnsucht, mein Gefühl sind Melodien, die sich ein Lied suchen, dem sie sich anschmiegen möchten. Darf ich mich anschmiegen? – Dann sollen diese Melodien so hoch steigen, daß sie Ihre Lieder begleiten können.

Ihre Mutter schrieb wie von mir: daß ich keinen Anspruch an Antworten mache; daß ich keine Zeit rauben wolle, die Ewiges hervorbringen kann; so ist es aber nicht: meine Seele schreit wie ein durstiges Kindchen; alle Zeiten, zukünftige und verflossene, möchte ich in mich trinken und mein Gewissen würde mir wenig Bedenken machen, wenn die Welt von nun an weniger von Ihnen zu erfahren bekäme und ich mehr. Bedenken Sie indes, daß nur wenig Worte von Ihnen ein größeres Maß von Freude ausfüllen werden, als ich von aller späteren Zeit erwarte.

Bettine.

Die Mutter ist sehr heiter und gesund, sie trinkt noch einmal soviel Wein wie vor'm Jahr, geht bei Wind und Wetter ins Theater; singt in ihrem Übermut mir vor: »Zärtliche getreue Seele, deren Schwur kein Schicksal bricht.«


Extrablatt.

Wir führen Krieg, ich und die Mutter, und nun ist's so weit gekommen, daß ich kapitulieren muß; die harte Bedingung ist, daß ich selbst Ihnen alles erzählen soll, womit ich's verschuldet habe, und was die gute Mutter so heiter und launig ertragen hat; sie hat eine Geschichte daraus zusammengesponnen, die sie mit tausend Pläsier erzählt; sie könnte es also selbst viel besser schreiben, das will sie nicht, ich soll's zu meiner Strafe erzählen, und da fühl' ich mich ganz beschämt.

Ich sollte ihr den Gall bringen und führte ihr unter seinem Namen den Tieck zu; sie warf gleich ihre Kopfbedeckung ab, setzte sich und verlangte, Gall soll ihren Schädel untersuchen, ob die großen Eigenschaften ihres Sohnes nicht durch sie auf ihn übergegangen sein möchten; Tieck war in großer Verlegenheit, denn ich ließ ihm keinen Moment, um der Mutter den Irrtum zu benehmen; sie war gleich in heftigem Streit mit mir und verlangte, ich solle ganz stillschweigen und dem Gall nicht auf die Sprünge helfen; da kam Gall selbst und nannte sich; die Mutter wußte nicht, zu welchem sie sich bekehren solle, besonders da ich stark gegen den rechten protestierte, jedoch hat er endlich den Sieg davongetragen, indem er ihr eine sehr schöne Abhandlung über die großen Eigenschaften ihres Kopfes hielt; und ich hab' Verzeihung erhalten und mußte versprechen, sie nicht wieder zu betrügen. Ein paar Tage später kam eine gar zu schöne Gelegenheit, mich zu rächen. Ich führte ihr einen jungen Mann aus Straßburg zu, der kurz vorher bei Ihnen gewesen war; sie fragte höflich nach seinem Namen; noch eh' er sich nennen konnte, sagte ich: der Herr heißt Schneegans, hat Ihren Herrn Sohn in Weimar besucht und bringt Ihr viele Grüße von ihm. Sie sah mich verächtlich an und fragte: »Darf ich um Ihren werten Namen bitten?« Aber noch ehe er sich legitimieren konnte, hatte ich schon wieder den famösen Namen Schneegans ausgesprochen; ganz ergrimmt über mein grobes Verfahren, den fremden Herrn eine Schneegans zu schimpfen, bat sie ihn um Verzeihung, und daß mein Mutwill' keine Grenzen habe und manchmal sogar ins Alberne spiele; ich sagte: »Der Herr heißt aber doch Schneegans.« »O schweig«, rief sie, »wo kann ein vernünftiger Mensch Schneegans heißen!«Wie nun der Herr endlich zu Wort kam und bekannte, daß er wirklich die Fatalität habe, so zu heißen, da war es sehr ergötzlich, die Entschuldigungen und Beteuerungen von Hochachtung gegenseitig anzuhören; sie amüsierten sich vortrefflich miteinander, als hätten sie sich jahrelang gekannt, und beim Abschied sagte die Mutter mit einem heroischen Anlauf: »Leben Sie recht wohl, Herr von Schneegans, hätte ich doch nimmermehr geglaubt, daß ich's über die Zunge bringen könne!« –

Nun, da ich's geschrieben habe, erkenne ich erst, wie schwer die Strafe ist; denn ich hab' einen großen Teil des Papiers beschrieben, ohne auch nur ein Wörtchen von meinen Angelegenheiten, die mir so sehr am Herzen liegen, anzubringen. Ja, ich schäme mich, Ihnen heute noch was anders zu sagen, als nur meinen Brief mit Hochachtung und Liebe abzuschließen. Aber morgen, da fange ich einen neuen Brief an, und der hier soll nichts gelten.

Bettine.


An Goethe.

3. Juni.

Ich habe heut' bei der Mutter einliegenden Brief an Sie abgeholt, um doch eher schreiben zu dürfen, ohne unbescheiden zu sein. Ich möchte gar zu gern recht vertraulich kindisch und selbst ungereimt an Sie schreiben dürfen, wie mir's im Kopf käme – Darf ich? Z. B., daß ich verliebt war fünf Tage lang, ist das ungereimt? – Nun, was spiegelt sich denn in Ihrer Jugendquelle? – Nur hineingeschaut; Himmel und Erde malen sich drin; in schöner Ordnung stehen die Berge und die Regenbogen und die blitzdurchriss'nen Gewitterwolken, und ein liebend Herz schreitet durch, höherem Glück entgegen; und den sonnedurchleuchteten Tag kränzet der heimliche Abend in Liebchens Arm.

Drum sei mir's nicht verargt, daß ich fünf Tage lang verliebt war.

Bettine.


Goethe an B.

10. Juni.

Der Dichter ist manchmal so glücklich, das Ungereimte zu reimen, und so wär' es Ihnen zu gestatten, liebes Kind, daß Sie ohne Rückhalt, alles was Sie der Art mitzuteilen haben ihm zukommen ließen.

Gönnen Sie mir aber auch eine nähere Beschreibung dessen, der in fünftägigem Besitz Ihres Herzens war, und ob Sie auch sicher sind, daß der Feind nicht noch im Versteck lauert. Wir haben auch Nachrichten von einem jungen Mann, der, in eine große Bärenmütze gehüllt, in Ihrer Nähe weilt und vorgibt, seine Wunden heilen zu müssen, während er vielleicht im Sinne hat, die gefährlichsten zu schlagen.

Erinnern Sie sich jedoch bei so gefahrvollen Zeiten des Freundes, der es angemessener findet, Ihren Herzenslaunen jetzt nicht in den Weg zu kommen.

G.

*

14. Juni.

Lieber Goethe! Lieber Freund!

Heute hab' ich mit der Mutter Wahl gehalten, was ich Ihnen für einen Titel geben darf; da hat sie mir die beiden freigelassen – ich hab' sie beide hingeschrieben; ich seh' der Zeit entgegen, wo meine Feder anders dahintanzen wird, – unbekümmert, wo die Flammen hinausschlagen; wo ich Ihnen mein verborgenes Herz entdecke, das so ungestüm schlägt und doch zittert. Werden Sie mir solche Ungereimtheiten auch auflösen? – Wenn ich in derselben Natur mich weiß, deren inneres Leben durch Ihren Geist mir verständlich wird; dann kann ich oft beide nicht mehr voneinander unterscheiden; ich leg' mich an grünen Rasen nieder mit umfassenden Armen und fühle mich Ihnen so nah wie damals, wo Sie, den Aufruhr in meinem Herzen zu beschwichtigen, zu dem einfachen Zaubermittel griffen, von meinen Armen umfaßt, so lange mich ruhig anzusehen, bis ich von der Gewißheit meines Glückes mich durchdrungen fühlte.

Lieber Freund! Wer dürfte zweifeln, daß das, was einmal so erkannt und so ergriffen war, wieder verloren gehen könne? – Nein! Sie sind mir nimmer fern. Ihr Geist lächelt mich an und berührt mich zärtlich vom ersten Frühlingsmorgen bis zum letzten Winterabend.

So kann ich Ihnen auch das Liebesgeheimnis mit der Bärenmütze für Ihren leisen Spott über meine ernste Treue auf das beschämendste erklären. – Nichts ist reizender als die junge Pflanze in voller Blüte stehend, auf der der Finger Gottes jeden frischen Morgen den zarten Tau in Perlen reihet und ihre Blätter mit Duft bemalt. – So blüheten im vorigen Jahr ein paar schöne blaue Augen unter der Bärenmütze hervor, so lächelten und schwätzten die anmutigen Lippen, so wogten die schwanken Glieder, und so schmiegte sich zärtliche Neigung in jede Frage und Antwort und hauchten in Seufzern den Duft des tieferen Herzens aus, wie jene junge Pflanze. – Ich sah's mit an und verstand die Schönheit, und doch war ich nicht verliebt; ich führte den jungen Husaren zur Günderode, die traurig war; wir waren jeden Abend zusammen, der Geist spielte mit dem Herzen, tausend Äußerungen und schöne Modulationen hörte und fühlte ich, und doch war ich nicht verliebt. Er ging – man sah, daß der Abschied sein Herz bedrängte. »Wenn ich nicht wiederkehre«, sagte er, »so glauben Sie, daß die köstlichste Zeit meines Lebens diese letzte war.« – Ich sah ihn die Stiegen hinabspringen, ich sah seine reizende Gestalt, in der Würde und Stolz seiner schwanken Jugend gleichsam einen Verweis geben, sich aufs Pferd schwingen und fort in den Kugelregen reiten, – und ich seufzte ihm nicht nach.

Dies Jahr kam er wieder mit einer kaum vernarbten Wunde auf der Brust; er war blaß und matt und blieb fünf Tage bei uns. Abends, wenn alles um den Teetisch versammelt war, saß ich im dunkeln Hintergrund des Zimmers, um ihn zu betrachten, er spielte auf der Gitarre; – da hielt ich eine Blume vors Licht und ließ ihren Schatten auf seinen Fingern spielen, das war mein Wagstück, – mir klopfte das Herz vor Angst, er möchte es bemerken; da ging ich ins Dunkel zurück und behielt meine Blume, und die Nacht legte ich sie unters Kopfkissen. – Das war die letzte Hauptbegebenheit in diesem Liebesspiel von fünf Tagen.

Dieser Jüngling, dessen Mutter stolz sein mag auf seine Schönheit, von dem die Mutter mir erzählte, er sei der Sohn der ersten Heißgeliebten meines geliebten Freundes, hat mich gerührt.

Und nun mag der Freund sich's auslegen, wie es kam, daß ich dies Jahr Herz und Aug' für ihn offen hatte und im vorigen Jahre nicht.

Du hast mich geweckt mitten in lauen Sommerlüften, und da ich die Augen aufschlug, sah ich die reifen Äpfel an goldnen Zweigen über mir schweben, und da langt' ich nach ihnen.

Adieu! In der Mutter Brief steht viel von Gall und dem Gehirn; in dem meinigen viel vom Herzen.

Ich bitte, grüßen Sie den Doktor Schlosser in Ihren Briefen an die Mutter nicht mehr mit mir in einer Rubrik; es tut meinem armen Hochmut gar zu weh.

Bettine.

Dein Kind, dein Herz, dein gut
Mädchen, das den Goethe über alles
lieb hat und sich mit seinem An-
denken über alles trösten kann.

 


An Goethe.

18. Juni.

Gestern saß ich der Mutter gegenüber auf meinem Schemel, sie sah mich an und sagte: »Nun, was gibt's? – Warum siehst du mich nicht an?« Ich wollte, sie solle mir erzählen; – ich hatte den Kopf in meine Arme verschränkt. »Nein«, sagte sie, »wenn Du mich nicht ansiehst, so erzähl' ich nichts;« und da ich meinen Eigensinn nicht brechen konnte, ward sie ganz still. – Ich ging auf und ab durch die drei langen schmalen Zimmer, und so oft ich an ihr vorüberschritt, sah sie mich an, als wollte sie sagen: »Wie lang' soll's dauern?« – Endlich sagte sie: »Hör'! – Ich dachte, du gingst.« – »Wohin?« fragte ich. – »Nach Weimar zum Wolfgang, und holtest dir wieder Respekt gegen seine Mutter.« »Ach Mutter, wenn das möglich wär'!« sagte ich und fiel ihr um den Hals und küßte sie und lief im Zimmer auf und ab. »Ei«, sagte sie, »warum soll es denn nicht möglich sein? Der Weg dahin hängt ja aneinander und ist kein Abgrund dazwischen; ich weiß nicht, was dich abhält, wenn du eine so ungeheure Sehnsucht hast; – eine Meile vierzigmal zu machen ist der ganze Spaß, und dann kommst du wieder und erzählst mir alles.«

Nun hab' ich die ganze Nacht von der einen Meile geträumt, die ich vierzigmal machen werde; es ist ja wahr, die Mutter hat recht, nach vierzig durchjagten Stunden läg' ich, am Herzen des Freundes; es ist auf dieser Erde, wo ich ihn finden kann, auf gebahnten Wegen gehet die Straße, alles deutet dorthin, der Stern am Himmel leuchtet bis zu seiner Schwelle, die Kinder am Weg rufen mir zu: »Dort wohnt er!« Was hält mich zurück? – Ich bin allein meiner heißen Sehnsucht Zeuge und sollte mir's nicht gewähren, was ich bitte und flehe, daß ich Mut haben möge? Nein, ich bin nicht allein, diese sehnsüchtigen Gedanken – es sind Gestalten; sie sehen mir fragend unter die Augen: wie ich mein Leben verschleifen könne, ohne Hand in Hand mit ihm, ohne Aug' in Aug' in ihrem Feuer zu verglühen. – O Goethe, ertrag mich, nicht alle Tage bin ich so schwach, daß ich mich hinwerfe vor Dir und nicht aufhören will zu weinen, bis Du mir alles versprichst. Es geht wie ein schneidend Schwert durch mein Herz, daß ich bei Dir sein möchte; – bei Dir, und nichts anders will ich, so wie das Leben vor mir liegt, weiß ich nichts, was ich noch fordern könnte, ich will nichts Neues wissen, nichts soll sich regen, kein Blatt am Baum, die Lüfte sollen schweigen; stille soll's in der Zeit sein, und Du sollst ausharren in Gelassenheit, bis alle Schmerzen an Deiner Brust verwunden sind.

*

19. Juni.

Gestern abend war's so, lieber Goethe; plötzlich riß der Zugwind die Tür auf und löschte mir das Licht, bei dem ich Dir geschrieben habe. – Meine Fenster waren offen, und die Pläne waren niedergelassen; der Sturmwind spielte mit ihnen; – es kam ein heftiger Gewitterregen, da ward mein kleiner Kanarienvogel aufgestört – er flog hinaus in den Sturm, er schrie nach mir, und ich lockte ihn die ganze Nacht. Erst wie das Wetter vorüber war, legt' ich mich schlafen; ich war müde und sehr traurig, auch um meinen lieben Vogel. Wie ich noch bei der Günderode die griechische Geschichte studierte, da zeichnete ich Landkarten, und wenn ich Seen zeichnete, da half er Striche hineinmachen, daß ich ganz verwundert war, wie emsig er mit seinem kleinen Schnabel immer hin und her kratzte.

Nun ist er fort, gewiß hat ihm der Sturm das Leben gekostet; da hab' ich gedacht, wenn ich nun hinausflög', um Dich zu suchen, und käm' durch Sturm und Unwetter bis zu Deiner Tür, die Du mir nicht öffnen würdest – nein, Du wärst fort; Du hättest nicht auf mich gewartet, wie ich die ganze Nacht auf meinen kleinen Vogel; Du gehest andern Menschen nach, Du bewegst Dich in andern Regionen; bald sind's die Sterne, die mit Dir Rücksprache halten, bald die tiefen abgründlichen Felskerne; bald schreitet Dein Blick als Prophet durch Nebel und Luftschichten, und dann nimmst Du der Blumen Farben und vermählst sie dem Licht; deine Leier findest Du immer gestimmt, und wenn sie Dir auch frischgekränzt entgegenprangte, würdest Du fragen: »Wer hat mir diesen schönen Kranz gewunden?« – Dein Gesang würde diese Blumen bald versengen; sie würden ihre Häupter senken, sie würden ihre Farbe verlieren, und bald würden sie unbeachtet am Boden schleifen.

Alle Gedanken, die die Liebe mir eingibt, alles heiße Sehnen und Wollen kann ich nur solchen Feldblumen vergleichen; – sie tun unbewußt über dem grünen Rasen ihre goldnen Augen auf, sie lachen eine Weile in den blauen Himmel, dann leuchten tausend Sterne über ihnen und umtanzen den Mond und verhüllen die zitternden, tränenbelasteten Blumen in Nacht und betäubendem Schlummer. So bist Du, Poete, ein von Sternenreigen seiner Eingebungen umtanzter Mond; meine Gedanken aber liegen im Tal wie die Feldblumen und sinken in Nacht vor Dir, und meine Begeisterung ermattet vor Dir, und alle Gedanken schlafen unter deinem Firmament.

Bettine.


Goethe an Bettine.

18. Juni.

Mein liebes Kind! Ich klage mich an, daß ich Dir nicht früher ein Zeichen gegeben, wie genußreich und erquickend es mir ist, das reiche Leben Deines Herzens überschauen zu dürfen. Wenn es auch ein Mangel in mir ist, daß ich Dir nur wenig sagen kann, so ist es Mangel an Fassung über alles, was Du mir gibst.

Ich schreibe Dir diesen Augenblick im Flug; denn ich fürchte da zu verweilen, wo so viel Überströmendes mich ergreift. Fahre fort, Deine Heimat bei der Mutter zu befestigen; es ist ihr zu viel dadurch geworden, als daß sie Dich entbehren könnte, und rechne Du auf meine Liebe und meinen Dank.

G.


An Goethe.

Frankfurt, am 29. Juni.

Wenn ich alles aus dem Herzen in die Feder fließen ließ', so würdest Du manches Blatt von mir beiseite legen, denn immer von mir und von Dir und einzig von meiner Liebe, das wär' doch nur der bewußte ewige Inhalt.

Ich hab's in den Fingerspitzen und meine, ich müßte Dir erzählen, was ich nachts von Dir geträumt habe, und denk' nicht, daß Du für anders in der Welt bist. Häufig hab' ich denselben Traum, und es hat mir schon viel Nachdenken gemacht, daß meine Seele immer unter denselben Bedingungen mit Dir zu tun hat; es ist, als solle ich vor Dir tanzen, ich bin ätherisch gekleidet, ich hab' ein Gefühl, daß mir alles gelingen werde, die Menge umdrängt mich. – Ich suche Dich, dort sitzest Du frei mir gegenüber; es ist, als ob Du mich nicht bemerktest und seiest mit anderem beschäftigt; – jetzt trete ich vor Dich, goldbeschuhet und die silbernen Ärmel hängen nachlässig, und warte; da hebst Du das Haupt, Dein Blick ruht auf mir unwillkürlich, ich ziehe mit leisen Schritten magische Kreise, Dein Aug' verläßt mich nicht mehr, Du mußt mir nach, wie ich mich wende, und ich fühle einen Triumph des Gelingens; alles, was Du kaum ahnest, das zeige ich Dir im Tanz, und Du staunst über die Weisheit, die ich Dir vortanze, bald werf' ich den lustigen Mantel ab und zeig' Dir meine Flügel und steig' auf in die Höhen; da freu' ich mich, wie Dein Aug' mich verfolgt; dann schweb' ich wieder herab und sink' in Deine umfassenden Arme; dann atmest Du Seufzer aus und siehst an mir hinauf und bist ganz durchdrungen; aus diesen Träumen erwachend, kehr' ich zu den Menschen zurück wie aus weiter Ferne; ihre Stimmen schallen mir fremd und ihre Gebärden auch; – und nun laßt mich bekennen, daß bei diesem Bekenntnis meiner Traumspiele meine Tränen fließen. Einmal hast Du für mich gesungen: »So laßt mich scheinen, bis ich werde, zieht mir das weiße Kleid nicht aus.« – Diese magischen Reize, diese Zauberfähigkeiten sind mein weißes Kleid; ich flehe auch, daß es mir bleibe, bis ich werde, aber Herr: diese Ahnung läßt sich nicht bestreiten, daß auch mir das weiße Kleid ausgezogen werde, und daß ich in den gewöhnlichen des alltäglichen, gemeinen Lebens einhergehen werde, und daß diese Welt, in der meine Sinne lebendig sind, versinken wird; das, was ich schützend decken sollte, das werde ich verraten; da wo ich duldend mich unterwerfen sollte, da werde ich mich rächen; und da, wo mir unbefangne kindliche Weisheit einen Wink gibt, da werd' ich Trotz bieten und es besser wissen wollen – aber das Traurigste wird sein, daß ich mit dem Fluch der Sünde belasten werde, was keine ist, wie sie es alle machen – und mir wird Recht dafür geschehen. – Du bist mein Schutzaltar, zu Dir werd' ich flüchten; diese Liebe, diese mächtige, die zwischen uns waltet, und die Erkenntnis, die mir durch sie wird, und die Offenbarungen, die werden meine Schutzmauern sein; sie werden mich frei machen von denen, die mich richten wollen.

Dein Kind.


An Goethe.

Vorgestern waren wir im »Egmont«, sie riefen alle: »Herrlich!« Wir gingen noch nach dem Schauspiel unter den mondbeschienenen Linden auf und ab, wie es Frankfurter Sitte ist, da hört' ich tausendfachen Widerhall. – Der kleine Dalberg war mit uns; er hatte deine Mutter im Schauspiel gesehen und verlangte, ich solle ihn zu ihr bringen; sie war eben im Begriff, Nachttoilette zu machen, da sie aber hörte, er komme vom Primas, so ließ sie ihn ein; sie war schon in derweilen Negligéjacke, aber sie hatte ihren Kopfputz noch auf. Der liebenswürdige feine Dalberg sagte ihr, sein Onkel habe von oben herüber ihre freudeglänzenden Augen gesehen während der Vorstellung, und er wünsche sie vor seiner Abreise noch zu sprechen und möchte sie doch am andern Tag bei ihm zu Mittag essen. Die Mutter war sehr geputzt bei diesem Diner, das mit allerlei Fürstlichkeiten und sonst merkwürdigen Personen besetzt war, denen zulieb' die Mutter wahrscheinlich invitiert war; denn alle drängten sich an sie heran, um sie zu sehen und mit ihr zu sprechen. Sie war sehr heiter und beredsam, und nur von mir suchte sie sich zu entfernen. Sie sagte mir nachher, sie habe Angst gehabt, ich möge sie in Verlegenheit bringen; ich glaube aber, sie hat mir einen Streich gespielt; denn der Primas sagte mir sehr wunderliche Sachen über Dich, und daß Deine Mutter ihm gesagt habe, ich habe einen erhabenen ästhetischen Sinn. Da nahm er einen schönen Engländer bei der Hand, einen Schwager des Lord Nelson, und sagte: »Dieser feine Mann mit der Habichtsnase, der soll Sie zu Tisch führen, er ist der schönste von der ganzen Gesellschaft, nehmen Sie vorlieb;« der Engländer lächelte, er verstand aber nichts davon. Bei Tisch wechselte er mein Glas, aus dem ich getrunken hatte, und bat mich um Erlaubnis, daraus zu trinken; der Wein würde ihm sonst nicht schmecken; das ließ ich geschehen, und alle Weine, die ihm vorgesetzt wurden, die goß er in dies Glas und trank sie mit begeisterten Blicken aus; es war eine wunderliche Tischunterhaltung; bald rückte er seinen Fuß dicht an den meinigen und fragte mich, was meine liebste Unterhaltung sei; ich sagte, ich tanze lieber, als ich gehe, und fliege lieber, als ich tanze, und dabei zog ich meinen Fuß zurück. Ich hatte meinen kleinen Strauß, den ich vorgesteckt hatte, ins Wasserglas gestellt, damit er nicht so bald welken solle, um ihn nach Tisch wieder vorzustecken, er frug: »Will you give me this?« Ich nickte ihm, er nahm ihn, daran zu riechen, und küßte ihn; er steckte ihn in Busen und knöpfte die Weste darüber zu und seufzte, und da sah er, daß ich rot ward. – Sein Gesicht übergoß sich mit einem Schmelz von Freundlichkeit; er wendete es zu mir, ohne die Augen aufzuschlagen, als wolle er mich auffordern, seine wohlgefällige Bildung zu beachten; sein Fuß suchte wieder den meinen, und mit leiser Stimme sagte er: »Be good, fine girl.« – Ich konnte ihm nicht unfreundlich sein, und doch wollte ich gerne meine Ehre retten; da zog ich das eine End' meines langen Gürtels um sein Bein und band es geschickt an dem Tischbein fest, ganz heimlich, daß es niemand sah; er ließ es geschehen, ich sagte: »Be good, fine boy.« – Und nun waren wir voll Scherz und Witz bis zum End' der Tafel, und es war wirklich eine zärtliche Lust zwischen uns; und ich ließ ihn sehr gern meine Hand an sein Herz ziehen, wie er sie küßte. –

Ich habe meine Geschichte der Mutter erzählt, die sagt', ich soll sie Dir schreiben, es sei ein artig Lustspiel für Dich, und Du würdest sie allein schön auslegen; es ist ja wahr, Du! Der es weiß, daß ich gern den Nacken unter Deine Füße lege, Du wirst mich nicht schelten, daß ich der Kühnheit des Engländers, der gern mit meinem Fuß gespielt hätte, keinen strengeren Verweis gab. – Du, der die Liebe erkennt und die Feinheit der Sinne, o, wie ist alles so schön in Dir; wie rauschen die Lebensströme so kräftig durch dein erregtes Herz und stürzen sich mit Macht in die kalten Wellen Deiner Zeit und brausen auf, daß Berg und Tal rauchen von Lebensglut, und die Wälder stehen mit glühenden Stämmen an Deinen Gestaden; und alles, was Du anblickst, wird herrlich und lebendig. Gott, wie gern möcht' ich jetzt bei Dir sein! Und wär' ich im Flug, weit über alle Zeiten und schwebte über Dir: ich müßte die Fittiche senken und mich gelassen der stillen Allmacht Deiner Augen hingeben.

Die Menschen werden Dich nicht immer verstehen, und die Dir am nächsten zu stehen behaupten, die werden am meisten Dich verleugnen; ich seh' in die Zukunft, da sie rufen werden: »Steiniget ihn!« Jetzt, wo Deine eigne Begeistrung gleich einem Löwen sich an Dich schmiegt und Dich bewacht, da wagt sich die Gemeinheit nicht an Dich.

Deine Mutter sagte jetzt: »Die Menschen sind zu jetziger Zeit alle wie Gerning, der immer spricht: ›Wir übrigen Gelehrten‹, und ganz wahr spricht; denn er ist übrig.« –

Lieber tot als übrig sein! Ich bin es aber nicht; denn ich bin Dein, weil ich Dich erkenne in allem. Ich weiß, daß, wenn sich auch die Wolken vor dem Sonnengott auftürmen, daß er sie bald wieder niederdrückt mit glänzender Hand; ich weiß, daß er keinen Schatten duldet als den er unter den Sprossen seines Ruhmes sich selber sucht. – Die Ruhe des Bewußtseins wird Dich überschatten; – ich weiß, daß, wenn er sich über den Abend hinwegbeugt, so erhebt er wieder im Morgen das goldne Haupt. – Du bist ewig. Drum ist es gut mit Dir sein.

Wenn ich abends allein im dunkeln Zimmer bin und des Nachbars Lichter den Schein an die Wand werfen, zuweilen auch Streiflichter Deine Büste erleuchten, ober wenn es schon still in der Stadt ist, in der Nacht; hier und dort ein Hund bellt, ein Hahn schreit; – ich weiß nicht, warum es mich oft mehr wie menschlich ergreift; ich weiß nicht, wo ich vor Schmerz hin will. Ich möchte anders als wie mit Worten mit Dir sprechen; ich möchte mich an Dein Herz drücken; – ich fühl', daß meine Seele lodert. – Wie die Luft so fürchterlich still ruht kurz vor dem Sturm, so stehen dann gerade meine Gedanken kalt und still, und das Herz wogt wie das Meer. Lieber, lieber Goethe! – Dann löst mich eine Rückerinnerung an Dich wieder auf; die Feuer- und Kriegszeichen gehen langsam an meinem Himmel unter, und Du bist wie der hereinströmende Mondstrahl. Du bist groß und herrlich und besser als alles, was ich bis heute erkannt und erlebt hab' – Dein ganzes Leben ist so gut.


An Bettine.

Am 16. Juni 1807.

Was kann man Dir sagen und geben, was Dir nicht schon auf eine schönere Weise zugeeignet wäre; man muß schweigen und Dich gewähren lassen; wenn es Gelegenheit gibt, Dich um etwas zu bitten, da mag man seinen Dank mit einfließen lassen für das viele, was unerwartet durch Deine reiche Liebe einem geschenkt wird. Daß Du die Mutter pflegst, möchte ich Dir gern aufs herzlichste vergelten, – von dorther kam mir der Zugwind, und jetzt, weil ich Dich mit ihr zusammen weiß, fühl' ich mich gesichert und warm.

Ich sage Dir nicht: »Komm!« Ich will nicht den kleinen Vogel aus dem Neste gestört haben; aber der Zufall würde mir nicht unwillkommen sein, der Sturm und Gewitter benützte, um ihn glücklich unter mein Dach zu bringen. Auf jeden Fall, liebste Bettine, bedenke, daß Du auf dem Weg bist, mich zu verwöhnen.

Goethe.


An Goethe.

Wartburg, den 1. August in der Nacht.

Freund, ich bin allein; alles schläft, und mich hält's wach, daß es kaum ist, wie ich noch mit Dir zusammen war. Vielleicht, Goethe, war dies das höchste Ereignis meines Lebens; vielleicht war es der reichste, der seligste Augenblick; schönere Tage sollen mir nicht kommen, ich würde sie abweisen.

Es war freilich ein letzter Kuß, mit dem ich scheiden mußte, da ich glaubte, ich müsse ewig an Deinen Lippen hängen, und wie ich so dahin fuhr durch die Gänge unter den Bäumen, unter denen wir zusammen gegangen waren, da glaubte ich, an jedem Stamme müsse ich mich festhalten – aber sie verschwanden, die grünen, wohlbekannten Räume, sie wichen in die Ferne, die geliebten Auen, und Deine Wohnung war längst hinabgesunken, und die blaue Ferne schien allein mir meines Lebens Rätsel zu bewachen; – doch die mußt' auch noch scheiden, und nun hatt' ich nichts mehr als mein heiß Verlangen, und meine Tränen flossen diesem Scheiden; ach, da besann ich mich auf alles, wie Du mit mir gewandelt bist in nächtlichen Stunden und hast mir gelächelt, daß ich Dir die Wolkengebilde auslegte und meine Liebe, meine schönen Träume, und hast mit mir gelauscht dem Geflüster der Blätter im Nachtwind; der Stille der fernen weit verbreiteten Nacht. – Und hast mich geliebt, das weiß ich; wie Du mich an der Hand führtest durch die Straßen, da hab' ich's an Deinem Atem empfunden, am Ton deiner Stimme, an etwas, wie soll ich's Dir bezeichnen, das mich umwehte, daß Du mich aufnahmst in ein inneres geheimes Leben und hattest Dich in diesem Augenblick mir allein zugewendet und begehrtest nichts, als mit mir zu sein; und dies alles, wer wird mir's rauben? – Was ist mir verloren? – Mein Freund, ich habe alles, was ich je genossen. Und wo ich auch hingehe – mein Glück ist meine Heimat.

Wie die Regentropfen rasseln an den kleinen runden Fensterscheiben und der Wind furchtbar tobt! Ich habe schon im Bett gelegen und hatte mich nach der Seite gewendet und wollte einschlafen in Dir, im Denken an Dich. – Was heißt das: im Herrn entschlafen? Oft fällt mir dieser Spruch ein, wenn ich so zwischen Schlaf und Wachen fühle, daß ich mit Dir beschäftigt bin; – ich weiß genau, wie das ist: der ganze irdische Tag vergeht dem Liebenden, wie das irdische Leben der Seele vergeht; sie ist hier und da in Anspruch genommen, und ob sie sich's schon verspricht, sich selber nicht zu umgehen; so hat sie sich am End' durch das Gewebe der Zeiten durchgearbeitet, immer unter der heimlichen Bedingung, einmal nur Rücksprache zu nehmen mit dem Geliebten, aber die Stunden legen im Vorüberschreiten jede ihre Bitten und Befehle dar; und da ist ein übermächtiger Wille im Menschen, der heißt ihn allem sich fügen; den läßt er über sich walten, wie das Opfer über sich walten läßt, das da weiß, es wird zum Altar geführt. – Und so entschläft die Seele im Herrn, ermüdet von der ganzen Lebenszeit, die ihr Tyrann war und jetzt den Zepter sinken läßt. Da steigen göttliche Träume herauf und nehmen sie in ihren Schoß und hüllen sie ein, und ihr magischer Duft wird immer stärker und umnebelt die Seele, daß sie nichts mehr von sich weiß; das ist die Ruhe im Grabe; so steigen Träume herauf jede Nacht, wenn ich mich besinnen will auf Dich; und ich lasse mich ohne Widerstand einwiegen; denn ich fühle, daß mein Wolkenbett aufwärts mit mir steigt! –

Wenn Du diese Nacht auch wachgehalten bist, so mußt Du doch einen Begriff haben von dem ungeheuren Sturm. Eben wollte ich noch ganz stark sein und mich gar nicht fürchten; da nahm aber der Wind einen so gewaltigen Anlauf und klirrte an den Fensterscheiben und heulte so jammernd, daß ich Mitleid spürte, und nun riß er so tückisch die schwere Türe auf, er wollte mir das Licht auslöschen; ich sprang auf den Tisch und schützte es, und ich sah durch die offne Tür nach dem dunkeln Gang, um doch gleich bereit zu sein, wenn Geister eintreten sollten; ich zitterte vor herzklopfender Angst; da sah ich was sich bilden, draußen im Gang; und es war wirklich, als wollten zwei Männer eintreten, die sich bei der Hand hielten; einer weiß und breitschultrig und der andre schwarz und freundlich; und ich dachte: das ist Goethe! Da sprang ich vom Tisch Dir entgegen und lief zur Tür hinaus auf den dunkeln Gang, vor dem ich mich gefürchtet hatte und ging bis ans Ende Dir entgegen, und meine ganze Angst hatte sich in Sehnsucht verwandelt; und ich war traurig, daß die Geister nicht kamen, Du und der Herzog. Ihr seid ja oft hier gewesen zusammen, Ihr zwei freundlichen Brüder.

Gute Nacht ich bin begierig auf morgen früh; da muß sich's ausweisen, was der Sturm wird angerichtet haben; das Krachen der Bäume, das Rieseln der Wasser wird doch was durchgesetzt haben.

*

Am 2. August.

Heute morgen hat mich die Sonne schon halb fünf Uhr geweckt; ich glaub', ich hab' keine zwei Stund' geschlafen; sie mußte mir grade in die Augen scheinen. Eben hatte es aufgehört mit Wolkenbrechen und Windwirbeln, die goldne Ruhe breitete sich aus am blauen Morgenhimmel; ich sah die Wasser sich sammeln und ihren Weg zwischen den Felskanten suchen hinab in die Flut; gestürzte Tannen brachen den brausenden Wassersturz, und Felssteine spalteten seinen Lauf; er war unaufhaltsam; er riß mit sich, was nicht widerstehen konnte. Da überkam mich eine so gewaltige Lust – ich konnte auch nicht widerstehen: ich schürzte mich hoch, der Morgenwind hielt mich bei den Haaren im Zaum; ich stützte beide Hände in die Seite, um mich im Gleichgewicht zu halten, und sprang hinab in kühnen Sätzen von einem Felsstück zum andern, bald hüben, bald drüben, das brausende Wasser mit mir, kam ich unten an; da lag, als wenn ein Keil sie gespalten hätte bis an die Wurzel der halbe Stamm einer hohlen Linde quer über den sich sammelnden Wassern.

O liebster Freund! Der Mensch, wenn er Morgennebel trinkt und die frischen Winde sich mit ihm jagen und der Duft der jungen Kräuter in die Brust eindringt und in den Kopf steigt; und wenn die Schläfe pochen und die Wangen glühen und wenn er die Regentropfen aus den Haaren schüttelt, was ist das für eine Lust!

Auf dem umgestürzten Stamm ruhte ich aus, und da entdeckte ich unter den dickbelaubten Ästen unzählige Vogelnester, kleine Meisen mit schwarzen Köpfchen und weißen Kehlen, sieben in einem Neste, Finken und Distelfinken; die alten Vögel flatterten über meinem Kopf und wollten die jungen ätzen; ach, wenn's ihnen nur gelingt, sie groß zu ziehen in so schwieriger Lage; denk' nur, aus dem blauen Himmel herabgestürzt an die Erde, quer über einen reißenden Bach, wenn so ein Vögelchen herausfällt, muß es gleich ersaufen, und noch dazu hängen alle Nester schief. – Aber die hunderttausend Bienen und Mücken, die mich umschwirrten, die all in der Linde Nahrung suchten; – wenn Du doch das Leben mit angesehen hättest! Da ist kein Markt so reich an Verkehr, und alles war so bekannt, jedes sucht sein kleines Wirtshaus unter den Blüten, wo es einkehrte; und emsig flog es wieder hinweg und begegnete dem Nachbar, und da summten sie aneinander vorbei, als ob sie sich's sagten, wo gut Bier feil ist. – Was schwätze ich Dir alles von der Linde! – Und doch ist's noch nicht genug; an der Wurzel hängt der Stamm noch zusammen; ich sah hinauf zu dem Gipfel des stehenden Baumes, der nun sein halbes Leben am Boden hinschleifen muß, und im Herbst stirbt er ihm ab. Lieber Goethe, hätte ich meine Hütte dort in der einsamen Talschlucht, und ich wär' gewöhnt, auf Dich zu warten, welch großes Ereignis wär' dieses; wie würd' ich Dir entgegenspringen und von weitem schon zurufen: »Denk' nur unsere Linde!« – Und so ist es auch: ich bin eingeschlossen in meiner Liebe wie in einsamer Hütte, und mein Leben ist ein Harren auf Dich unter der Linde; wo Erinnerung und Gegenwart duftet und die Sehnsucht die Zukunft herbeilockt. Ach, lieber Wolfgang, wenn der grausame Sturm die Linde spaltet und die üppigere, stärkere Hälfte mit allem innewohnenden Leben zu Boden stürzt und ihr grünes Laub über bösem Geschick wie über stürzenden Bergwassern trauernd welkt und die junge Brut in ihren Ästen verdirbt; oh, dann denk', daß die eine Hälfte noch steht und in ihr alle Erinnerung und alles Leben, was dieser entsprießt, zum Himmel getragen wird.

Adieu! Jetzt geht's weiter; morgen bin ich Dir nicht so nah, daß ein Brief, den ich früh geschrieben, Dir spät die Zeit vertreibt. Ach, lasse sie Dir vertreiben, als wenn ich selbst bei Dir wär': zärtlich!

In Kassel bleib' ich vierzehn Tage, dort werd' ich der Mutter schreiben; sie weiß noch nicht, daß ich bei Dir war.

Bettine.


An Bettine.

        War unersättlich nach viel tausend Küssen,
Und mußt' mit Einem Kuß am Ende scheiden.
Bei solcher Trennung herb empfundnem Leiden
War mir das Ufer, dem ich mich entrissen,

Mit Wohnungen, mit Bergen, Hügeln, Flüssen,
So lang' ich's deutlich sah, ein Schatz der Freuden.
Zuletzt im Blauen blieb ein Augenweiden
An fern entwichnen lichten Finsternissen.

Und endlich, als das Meer den Blick umgrenzte,
Fiel mir's zurück ins Herz, mein heiß Verlangen,
Ich suchte mein Verlornes gar verdrossen.

Da war es gleich, als ob der Himmel glänzte,
Mir schien, als wäre nichts mir, nichts entgangen,
Als hätt' ich alles, was ich je genossen –

Ein Strom entrauscht umwölktem Felsensaale,
Dem Ozean sich eilig zu verbinden;
Was auch sich spiegeln mag von Grund zu Gründen,
Er wandelt unaufhaltsam fort zu Tale.

Doch stürzt sich Oreas mit einem Male,
Ihr folgen Berg und Wald in Wirbelwinden
Herab zur Flut, Behagen dort zu finden,
Und hemmt den Lauf, begrenzt die weite Schale.

Die Welle sprüht und staunt zurück und weichet,
Und schwillt bergan, sich immer selbst zu trinken.
Gehemmt ist nun zum Vater hin das Streben,

Sie schwankt und ruht zum See zurück gedeichet.
Gestirne spiegelnd sich, beschaun das Blinken
Des Wellenschlags am Fels, ein neues Leben.

Deine fliegenden Blätter, liebste Bettine, kamen grade zu rechter Zeit, um dem Verdruß über Dein Verschwinden in etwas zu steuern. Beiliegend gebe ich Dir einen Teil derselben zurück; Du siehst, wie man versucht, sich an der Zeit, die uns des Liebsten beraubt, zu rächen und schöne Minuten zu verewigen. Möge sich Dir der Wert darin spiegeln, den Du für den Dichter haben mußt.

Sollte Dein Vagabondenleben noch länger dauern, so versäume nicht von allem Nachricht zu geben; ich folge Dir gerne, wo Dich auch Dein dämonischer Geist hinführt.

Ich lege diese Blätter an die Mutter bei, die Dir sie zu freundlicher Stunde senden mag, da ich Deine Adresse nicht genau weiß. – Lebe wohl und komme Deinen Verheißungen nach.

Weimar, den 7. August 1807.Goethe.


An Goethe.

Kassel, den 13. August 1807

Wer kann's deuten und ermessen, was in mir vorgeht? – Ich bin glücklich jetzt im Andenken der Vergangenheit, als ich kaum damals in der Gegenwart war; mein erregtes Herz, die Überraschung bei Dir zu sein, dies Kommen und Gehen und Wiederkehren in den paar Tagen, das war alles wie eindringende Wolken an meinem Himmel; er mußte durch meine zu große Nähe zugleich meinen Schatten aufnehmen, so wie er auch immer dunkler ist, wo er an die Erde grenzt; jetzt in der Ferne wird er mild, hoch und ganz hell.

Ich möchte Deine liebe Hand mit meinen beiden an mein Herz drücken und Dir sagen: wie Friede und Fülle über mich gekommen ist, seitdem ich Dich weiß.

Ich weiß, daß es nicht der Abend ist, der mir jetzt ins Leben hereindämmert; o, wenn er's doch wäre! Wenn sie doch schon verlebt wären die Tage und meine Wünsche und meine Freuden, möchten sie sich alle an Dir hinauf bilden, daß Du mit überdeckt wärst und bekränzt, wie mit immergrünem Laub.

Aber so warst Du, wie ich am Abend allein bei Dir war, daß ich Dich gar nicht begreifen konnte; Du hast über mich gelacht, weil ich bewegt war, und laut gelacht, weil ich weinte, aber warum? Und doch war es Dein Lachen, der Ton Deines Lachens, was mich zu Tränen rührte, so wie es meine Tränen waren, die Dich lachen machten, und ich bin zufrieden und sehe unter der Hülle dieses Rätsels Rosen hervorbrechen, die der Wehmut und der Freude zugleich entsprießen. – Ja, Du hast recht, Prophet: ich werde noch oft mit leichtem Herzen Scherz und Lust durchwühlen, ich werde mich müde tummeln, so wie ich in meiner Kindheit (ach, ich glaub' es war gestern!) mich aus Übermut auf den blühenden Feldern herumwälzte und alles zusammendrückte und die Blumen mit den Wurzeln ausriß, um sie ins Wasser zu werfen – aber auf süßem, warmem, festem Ernst will ich ausruhen, und der bist Du, lachender Prophet. –

Ich sag' Dir's noch einmal: wer versteht's auf der weiten Erde, was in mir vorgeht, wie ich so ruhig in Dir bin, so still, so ohne Wanken in meinem Gefühl; ich könnte wie die Berge Nächte und Tage in die Vergangenheit tragen, ohne nur zu zucken in Deinem Andenken. Und doch, wenn der Wind zuweilen von der ganzen blühenden Welt den Duft und Samen zusammen auf der Berge Wipfel trägt, so werden sie auch berauscht so wie ich gestern; da hab' ich die Welt geliebt, da war ich selig wie eine aufsprudelnde Quelle, in die die Sonne zum erstenmal scheint.

Leb' wohl, Herrlicher, der mich blendet und mich verschüchtert. – Von diesem steilen Fels, auf den sich meine Liebe mit Lebensgefahr gewagt hat, ist nicht mehr herunterzuklettern, daran ist gar nicht zu denken, da bräch' ich auf allen Fall den Hals.

Bettine.

 

Und so weit hatte ich gestern geschrieben, saß heute morgen auf dem Sessel und las still und andächtig in einer Chronik, ohne mich zu bewegen; denn ich wurde dabei gemalt, so wie Du mich bald sehen sollst, – da brachte man mir das blaue Kuvert, ich brach auf und fand mich darin in göttlichem Glanz wiedergeboren, und zum erstenmal glaubte ich an meine Seligkeit.

Was will ich denn? Ich begreif's nicht; Du betäubst mich, jeder kleine Lärm ist mir zuwider; wär's nur ganz still in der Welt, und ich brauchte nichts mehr zu erfahren nach diesem einen Augenblick, der mich schmerzt und nach dem ich mich immer zurücksehnen werde. – Ach! Und was will ich denn mit Dir? – Nicht viel; Dich ansehen oft und warm, Dich begleiten in Dein stilles Haus, Dich ausfragen in müßigen Stunden über Dein früheres und jetziges Leben, so wie ich Dein Angesicht ausgefragt habe über seine frühere und jetzige Schönheit. Auf der Bibliothek, da konnte ich nicht umhin, mich zu Deiner jungen Büste aufzuschwingen und meinen Schnabel wie eine Nachtigall dran zu wetzen; Du breiter voller Strom, wie Du damals die üppigen Gegenden der Jugend durchbraustest und jetzt eben ganz still durch Deine Wiesen zogst; ach, und ich stürzte Dir Felssteine vor; und wie Du wieder Dich auftürmtest; wahrlich, es war nicht zu verwundern; denn ich hatte mich tief eingewühlt.

O Goethe! Der Gott da oben ist ein großer Dichter, der bildet Geschicke, frei im Äther schwebend, glanzvoller Gestalt. Unser armes Herz, das ist der Mutterschoß, aus dem er sie mit großen Schmerzen geboren werden lässet; das Herz verzweifelt, aber jene Geschicke schwingen sich aufwärts, freudig hallen sie wider in den himmlischen Räumen. – Deine Lieder sind der Samen, er fällt ins wohlvorbereitete Herz ich fühl's, mag sich's wenden, wie es auch will, frei von irdischer Schwere wird es als himmlisches Gedicht einst aufwärts sich schwingen, und dem Gott da oben werden diese Schmerzen und diese Sehnsucht und diese begeisterten Schwingungen Sprossen des jungen Lorbeers weihen, und selig wird das Herz sein, das solche Schmerzen getragen hat.

Siehst Du, wie ich heute ernsthaft mit Dir zu sprechen versteh'? – Ernster als je: und weil Du jung bist und herrlich und herrlicher wie alle, so wirst Du mich auch verstehen. – Ich bin ganz sanft geworden durch Dich; am Tage treib' ich mich mit Menschen, mit Musik und Büchern herum, und abends, wenn ich müde bin und will schlafen, da rauscht die Flut meiner Liebe mir gewaltsam ins Herz. Da seh' ich Bilder, alles, was die Natur Sinnliches bietet, das umgibt Dich und spricht für Dich; auf Höhen erscheinst Du; zwischen Bergwänden in verschlungnen Wegen ereile ich Dich, und Dein Gesicht malt Rätsel, lieblich zu lösen. – Den Tag, als ich Abschied nahm von Dir, mit dem einen Kuß, mit dem ich nicht schied, da war ich morgens beinah' eine ganze Stunde allein im Zimmer, wo das Klavier steht; da saß ich auf der Erde im Eck und dachte: »Es geht nicht anders, Du mußt noch einmal weinen«, und Du warst ganz nah und wußtest es nicht; und ich weinte mit lachendem Mund; denn mir schaute das feste grüne Land durch den trübsinnigen Nebel durch. – Du kamst, und ich sagte Dir recht kurz (und ich schränkte mich recht ein dabei), wie Du mir wert seist.

Morgen reise ich nach Frankfurt, da will ich der Mutter alle Liebe antun und alle Ehre; denn selig ist der Leib, der Dich getragen hat.

Bettine.

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