Kriegskunst und Theorie

Mit dem Bestreben, Grundsätze, Regeln oder gar Systeme für die Kriegführung anzugeben, setzt man sich einen positiven Zweck, ohne die unendlichen Schwierigkeiten gehörig ins Auge zu fassen, die sie in dieser Beziehung hat.


Die Kriegführung verläuft fast nach allen Seiten hin in unbestimmte Grenzen. Jedes System, jedes Lehrgebäude aber hat die beschränkende Natur einer Synthesis, und damit ist ein nie auszugleichender Widerspruch zwischen einer solchen Theorie und der Praxis gegeben.


Unstreitig gehören die der Kriegskunst zugrunde liegenden Kenntnisse zu den Erfahrungswissenschaften. Denn wenn sie auch größtenteils aus der Natur der Dinge hervorgehen, so muß man doch diese Natur selbst meistens erst durch die Erfahrung kennen lernen. Außerdem aber wird die Anwendung durch so viele Umstände modifiziert, daß die Wirkungen nie aus der bloßen Natur des Mittels vollständig erkannt werden können.


Bei der Ungewißheit aller Daten im Kriege müssen wir uns sagen, daß es eine reine Unmöglichkeit wäre, die Kriegskunst durch ein positives Lehrgebäude wie mit einem Gerüste versehen zu wollen, das dem Handelnden überall einen äußeren Anhalt gewähren könnte. Der Handelnde würde sich in allen jenen Fällen, wo er auf sein Talent angewiesen ist, außer diesem Lehrgebäude und mit ihm in Widerspruch befinden, und es würde, wie vielseitig dasselbe auch aufgefaßt sein möchte, immer dieselbe Folge wieder eintreten, von der wir schon gesprochen haben: daß das Talent und Genie außer dem Gesetze handelt und die Theorie ein Gegensatz zur Wirklichkeit wird.


Historische Beispiele machen alles klar und haben nebenher in Erfahrungswissenschaften die beste Beweiskraft.


Wenn ein Sachverständiger sein halbes Leben darauf verwendet, einen dunklen Gegenstand überall aufzuklären, so wird er wohl weiter kommen als einer, der in kurzer Zeit damit vertraut sein will. Daß also nicht jeder von neuem aufzuräumen und sich durchzuarbeiten brauche, sondern die Sache geordnet und gelichtet finde, dazu ist die Theorie vorhanden. Sie soll den Geist des künftigen Führers im Kriege erziehen, oder vielmehr ihn bei seiner Selbsterziehung leiten, nicht aber ihn auf das Schlachtfeld begleiten.


Im Kriege sind die Ideen meist so einfach und naheliegend, daß das Verdienst der Erfindung gar nicht das Talent des Feldherrn ausmachen kann. Die Hauptsache ist die Schwierigkeit der Ausführung. Im Kriege ist alles einfach, aber das Einfache höchst schwierig. Das Kriegsinstrument gleicht einer Maschine mit ungeheurer Friktion, die nicht wie in der Mechanik auf ein paar Punkte zurückgeführt werden kann, sondern überall mit einem Heere von Zufällen im Kontakt ist. Außerdem ist der Krieg eine Tätigkeit im erschwerenden Mittel. Eine Bewegung, die man in der Luft mit Leichtigkeit macht, wird im Wasser sehr schwer. Gefahr und Anstrengung sind die Elemente, in denen sich der Geist im Kriege bewegt. So kommt es denn, daß man immer hinter der Linie zurückbleibt, die man sich gezogen hat, und daß schon keine gewöhnliche Kraft dazu gehört, um nur nicht unter dem Niveau des Mittelmäßigen zu bleiben.


Beim Handeln folgen die meisten einem bloßen Takt des Urteils, der mehr oder weniger gut trifft, je nachdem mehr oder weniger Genie in ihnen ist. So haben alle großen Feldherren gehandelt, und darin liegt zum Teil ihre Größe, daß sie mit diesem Takt immer das Rechte trafen. So wird es für das Handeln auch immer bleiben. Dieser Takt reicht dazu vollkommen hin. Aber wenn es darauf ankommt, nicht selbst zu handeln, sondern in einer Beratung andere zu überzeugen, dann kommt es auf klare Vorstellungen, auf das Nachweisen des inneren Zusammenhanges an.


Alles Handeln im Kriege ist nur auf wahrscheinliche, nicht auf gewisse Erfolge gerichtet. Was an der Gewißheit fehlt, muß überall dem Schicksal oder dem Glück – wie man es nennen will – überlassen bleiben. Es gibt Fälle, wo das höchste Wagen die höchste Weisheit ist.


Man hat früher behauptet, der Krieg sei ein Handwerk. Damit war aber mehr verloren als gewonnen, denn ein Handwerk ist nur eine niedrige Kunst und unterliegt als solche auch bestimmteren und engeren Gesetzen. In der Tat hat sich die Kriegskunst eine Zeitlang im Geiste des Handwerks bewegt, nämlich zur Zeit der Condottieri. Aber diese Richtung hatte sie nicht nach inneren, sondern nach äußeren Gründen, und wie wenig sie in dieser Zeit naturgemäß und befriedigend war, zeigt die Kriegsgeschichte.


Wenn man auf der einen Seite sieht, wie das kriegerische Handeln so höchst einfach erscheint; wenn man hört und sieht, wie die größten Feldherren sich darüber gerade am einfachsten und schlichtesten ausdrücken, wie das Regieren und Bewegen der aus hunderttausend Gliedern zusammengesetzten schwerfälligen Maschine in ihrem Munde sich nicht anders ausnimmt, als ob von ihrer Person allein die Rede sei, so daß der ganze ungeheuere Akt des Krieges zu einer Art von Zweikampf individualisiert wird; wenn man dabei die Motive ihres Handelns bald mit ein paar einfachen Vorstellungen, bald mit irgendeiner Regung des Gemütes in Verbindung gebracht findet; wenn man diese leichte, sichere, man möchte sagen leichtfertige Weise sieht, wie sie den Gegenstand auffassen, – und nun von der anderen Seite die große Anzahl von Verhältnissen, die für den untersuchenden Verstand in Anregung kommen; die großen, oft unbestimmten Entfernungen, in die die einzelnen Fäden auslaufen, und die Menge von Kombinationen, die vor uns liegen; wenn man dabei an die Verpflichtung denkt, die die Theorie hat, dies alles systematisch, d. h. mit Klarheit und Vollständigkeit, aufzufassen und das Handeln immer auf die Notwendigkeit des zureichenden Grundes zurückzuführen, so überfällt uns die Besorgnis mit unwiderstehlicher Gewalt, zu einem pedantischen Schulmeistertum hinabgerissen zu werden, in den untersten Räumen schwerfälliger Begriffe herumzukriechen und dem großen Feldherrn in seinem leichten Überblick also niemals zu begegnen. Wenn das Resultat theoretischer Bemühungen von dieser Art sein sollte, so wäre es ebensogut, oder vielmehr besser, sie gar nicht angestellt zu haben. Sie ziehen der Theorie die Geringschätzung des Talentes zu und fallen bald in Vergessenheit. Und von der andern Seite ist dieser leichte Überblick des Feldherrn, diese einfache Vorstellungsart, diese Personifizierung des ganzen kriegerischen Handelns so ganz und gar der Kern jeder guten Kriegführung, daß sich nur bei dieser großartigen Weise die Freiheit der Seele denken läßt, die nötig ist, wenn sie über die Ereignisse herrschen und nicht von ihnen überwältigt werden soll.


Die Kriegskunst im eigentlichen Sinne ist die Kunst, sich der gegebenen Mittel im Kampfe zu bedienen. Wir können sie nicht besser als mit dem Namen der Kriegführung bezeichnen. Dagegen werden allerdings zur Kriegskunst im weiteren Sinne auch alle Tätigkeiten gehören, die um des Krieges willen da sind, also die ganze Schöpfung der Streitkräfte, d. i. Aushebung, Bewaffnung, Ausrüstung und Übung.

Es ist für die Realität einer Theorie höchst wesentlich, diese beiden Tätigkeiten zu trennen, denn es ist leicht einzusehen, daß, wenn jede Kriegskunst mit der Einrichtung der Streitkräfte anfangen und diese für die Kriegführung, sowie sie dieselben angegeben, bedingen wollte, sie nur auf die wenigen Fälle anwendbar sein könnte, wo die vorhandenen Streitkräfte dem gerade entsprächen. Will man dagegen eine Theorie haben, die für die große Mehrzahl der Fälle geeignet, für keinen aber ganz unbrauchbar sei: so muß sie auf die große Mehrheit der gewöhnlichen Streitmittel, und bei diesen auch nur auf die wesentlichsten Resultate gebaut sein.

Die Kriegführung ist also die Anordnung und Führung des Kampfes. Wäre dieser Kampf ein einzelner Akt, so würde kein Grund zu einer weiteren Einteilung sein. Allein der Kampf besteht aus einer mehr oder weniger großen Zahl einzelner in sich geschlossener Akte, die wir Gefechte nennen und die neue Einheiten bilden. Daraus entspringt nun die ganz verschiedene Tätigkeit, diese einzelnen Gefechte in sich anzuordnen und zu führen, und sie unter sich zum Zweck des Krieges zu verbinden. Das eine ist die Taktik, das andere die Strategie genannt worden.

Es ist also nach unserer Einteilung die Taktik die Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht, die Strategie die Lehre vom Gebrauch der Gefechte zum Zweck des Krieges.

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