Drittes Kapitel.

Luther nach Rom citirt; vor Cajetan; appellirt an ein Conzil.

Schwer lag Luthern das Werk, das er gewagt, auf der Seele; ernstlich war er besorgt, im Kampfe für die Wahrheit mit seiner Kirche im Frieden zu bleiben, ihr selbst damit zu dienen. Dagegen nahm Papst Leo, wie es seinem ganzen Charakter gemäß war, die Angelegenheit Anfangs leicht und war, als sie gefährlich zu werden drohte, nur einfach darauf bedacht, mit den Mitteln der päpstlichen Gewalt den unruhigen deutschen Mönch unschädlich zu machen. Aus der ersten Zeit werden zwei Aeußerungen von ihm erzählt: Bruder Martin sei wohl ein schönes Ingenium, der Streit nur ein Gezänke neidischer Mönche; und: ein betrunkener Deutscher habe die Thesen geschrieben, er werde, wenn er wieder nüchtern sei, anders gesinnt sein.

Als der unbedingteste und dreisteste Vertreter der päpstlichen Machtvollkommenheit aber erhob sich aus Leo's nächster Umgebung der Dominikaner und Thomist Silvester Mazolini von Prierio (Prierias) mit einer Schrift gegen Luther. Der Papst, erklärte er hier, müsse für die römische Kirche selbst gelten, die römische Kirche für die allgemeine christliche Kirche; diese ist ihm kurzweg und schlechthin im Papste repräsentirt. Dabei behandelte er mit welschem, römischem Hochmuth den obscuren Deutschen so verächtlich wie möglich: er wollte nur in aller Kürze die »hündisch bissigen« Sätze desselben abthun.

Ein Vierteljahr nach dem Erscheinen von Luthers Thesen wies dann Leo den General des Augustinerordens an, »den Menschen zu besänftigen«; die Flamme, meinte er, werde noch leicht sich ersticken lassen. Weiter aber schritt er zur Einsetzung eines Ketzergerichts für Luther, und wie dieses entscheiden sollte, war schon daraus zu ersehen, daß der einzige gelehrte Theologe in demselben Silvester Prierias war. Von diesem Gericht erhielt Luther am 7. August eine Citation: binnen sechzig Tagen sollte er vor ihm in Rom erscheinen. Feind und Freund konnten dessen gewiß sein, daß keine Wiederkehr von dort für ihn zu erwarten wäre.

Zugleich wurde päpstlicherseits bei Kurfürst Friedrich darauf hingearbeitet, daß er Luthers sich nicht annehmen möge, und namentlich sollte der päpstliche Legat, Cardinal Thomas Vio von Gaëta (Cajetan genannt), der in Deutschland erschienen war, in dieser Sache beim Kurfürsten und bei Kaiser Maximilian wirken. – Die Universität Wittenberg dagegen trat für ihr Mitglied ein, dessen Theologie jetzt dort herrschte, und dessen biblische Vorlesungen Schaaren von Zuhörern begeisterten. Eben damals trat ihm der erst einundzwanzigjährige Philipp Melanchthon, einer der größten Kenner der griechischen Sprache, als Lehrer zur Seite, und schon wurde auch der Freundschaftsbund geknüpft, in welchem dann die beiden Meister Wittenbergs zeitlebens zusammen gewirkt haben. Die Universität erbat sich für Luther, daß er wenigstens in Deutschland möge gerichtet werden.

Luther bekam das Buch des Prierias erst kurz vor seiner Citation zu Gesicht. Er erschrak erst, daß die Sache jetzt vor den Papst komme und die ganze Kirche in den Papst gesetzt sein sollte; er fragte sich: »was soll's werden?« Aber den Inhalt der hochmüthigen Schrift seines hochgestellten Gegners fand er zum Lachen schwach und ärmlich. Gleich nach dem Empfang der Citation erklärte er in einer Gegenschrift gegen Jenen nicht blos, daß die Kirche nur in einem Conzil vertreten sei, sondern ging jetzt zu dem Satze weiter, daß auch ein Conzilbeschluß irren könnte und daß ein Thun der Kirche überhaupt noch kein endgiltiger Beweis für eine Glaubenswahrheit sei. Der Citation gegenüber sprach auch er durch Spalatin seinem Fürsten den Wunsch aus, auf deutschem Boden gerichtet zu werden. Gerade jetzt ferner, wo er mit der Excommunication bedroht war, veröffentlichte er eine Predigt über den Bann, wonach ein Christ auch unter dem kirchlichen Bann oder Ausschluß aus der äußeren Kirchengemeinschaft in der wahren Gemeinschaft Christi und seiner Gläubigen bleiben kann und dann im Excommunicirtwerden das edelste Verdienst für sich sehen darf.

Beim Papst war inzwischen die anfängliche hochmüthige Sicherheit ganz in leidenschaftliche Hast umgeschlagen. Schon am 23. August, also lange ehe jener Termin für Luther abgelaufen war, forderte er den Kurfürsten auf, dieses »Kind der Bosheit«, das auf seinen Schutz poche, dem Legaten zur Abführung auszuliefern. Und hiermit stimmen ganz überein zwei damals geheim gehaltene Erlasse vom gleichen Tage und vom 25. August, der eine an den Legaten selbst, der andere an den für Sachsen bestellten Provinzial oder Ordensvorstand der dortigen Augustinerklöster (zu unterscheiden vom Vicar jener Congregationen, was der in Rom selbst schon verdächtig gewordene Staupitz war). Darin wurde jeder der beiden angewiesen, schleunig mit allen Mitteln die Verhaftung des Ketzers zu bewirken; seine Anhänger sollten mit ihm festgenommen, jeder Ort, wo man ihn dulde, mit dem Interdict belegt werden. Das Verfahren des Papstes erscheint so unerhört, daß protestantische Geschichtsschreiber an die Echtheit der Erlasse nicht glauben wollten; bald aber werden wir Cajetan selbst auf ein solches in seinen Händen befindliches Breve hindeuten sehen.

Da beginnen nun in der Geschichte Luthers und in der Entwickelung des reformatorischen Kampfes anderweitige allgemeine Verhältnisse, Interessen und Bewegungen des kirchlichen und politischen Lebens der deutschen Nation einen indirecten und directen Einfluß zu üben, nach welchem vor allem auch der Papst seine Schritte zu bemessen hatte.

Während die tiefsten Fragen über den Weg des Heiles und über die Gründe und Normen christlicher Wahrheit, in welche der Ablaßstreit immer weiter hineinführte, erst durch Luther angeregt worden waren, hatten Mißbräuche, Uebergriffe und Gewaltthaten des Papstes auf dem äußerlich kirchlichen Gebiete, mit welchem das politische und volkswirthschaftliche überall zusammenhing, längst den Gegenstand bitterer Klagen und heftiger Beschwerden in Deutschland gebildet. Diese wurden von Fürsten und Reichsständen erhoben, welche durch keine Theorien oder Dogmen von göttlicher Autorität und Unfehlbarkeit des Papstes zum Schweigen gebracht, noch durch einfachen Bannfluch zu Boden geworfen werden konnten. Sie wurden vorgetragen, ohne daß man damit Erörterungen über das göttliche Recht des Papstthums überhaupt verbunden hätte. Mußten aber nicht die Glieder der Nation und Kirche, welche in dieser Hinsicht erregt waren, zu dem Manne sich hinwenden, der dem ganzen Baum, auf welchem jene Früchte wuchsen, die Axt an die Wurzel legte, und mindestens die Möglichkeit sich offen halten, sein Wirken irgendwie sich dienlich zu machen? Luther zeigte seinerseits anfangs merkwürdig geringe Bekanntschaft mit solchen Zuständen und mit den lauten Stimmen, welche in dieser Hinsicht längst namentlich auf Reichstagen erschollen waren; indessen war er ja eben mit dem Ablaß schon auf dieses Gebiet hinübergetreten. Die Sorge, die er bei jenem Handel für das Wohl der Seelen und die wahre christliche Sittlichkeit hegte, machte ihn zum Verbündeten Derer, welche vor dem massenhaften Abfluß des Geldes nach Rom erschraken, und davon, daß man hier den christlichen Schafen ihr Fell abziehe, hatten auch seine Thesen geredet.

Auch sonst war die kirchliche Politik des päpstlichen Stuhles mit den politischen Zuständen und Vorgängen Deutschlands aufs Engste verflochten. Machte er doch in der Theorie Anspruch darauf, auch die staatlichen Ordnungen zu überwachen und zu bestimmen. In der Praxis versuchte er wenigstens überall sich Einfluß zu verschaffen und zu wahren. Mit Bezug auf Deutschland handelte es sich für ihn vor allem darum, daß das Kaiserthum nicht wieder zu einer Macht gelange, die seiner Gewalt im Allgemeinen und seinem italienischen Landbesitz gefährlich werden könnte.

So hoch die Päpste von ihren unwandelbaren göttlichen Rechten und Vollmachten in ihren Erlassen sprachen und ihre Theologen und Juristen darüber predigen ließen, so kluge politische und diplomatische Rücksicht wußten sie doch bei ihrem praktischen Vorgehen auf die Verhältnisse zu nehmen.

Während des Sommers 1518 tagte nun in Anwesenheit des Legaten ein Reichstag zu Augsburg. Der Papst wünschte von ihm die Bewilligung einer großen Reichssteuer, die zum Kriege gegen die Türken dienen sollte, von der es aber hieß, er wolle sie für ganz andere Zwecke verbrauchen. Zugleich arbeitete der bejahrte und seinem Ende entgegengehende Kaiser Maximilian daran, die Nachfolge im Kaiserthum seinem Enkel Karl zu sichern, auf dessen Haupte dann die damals mächtig erstarkte spanische Krone mit der deutsch-römischen Kaiserkrone sich vereinigte. Daneben blieb es dort Hauptaufgabe für Cajetan, bei Maximilian und Friedrich seinen Einfluß zu Ungunsten Luthers auszuüben. Den Erzbischof Albrecht, der durch Luthers Angriff auf den Ablaßhandel so schwer mitgetroffen war, ernannte er dort im Auftrage des Papstes feierlich zum Cardinal.

Von Maximilian hätte man nach mancherlei Erfahrungen und Kämpfen, die er mit Päpsten gehabt, erwarten können, er werde Luther mindestens vor dem Aeußersten schützen, wenn ihm auch ein Gedanke daran nicht zuzutrauen war, daß er wohl selbst mit Hilfe dieses Mannes eine große national-kirchliche Reform in's Leben rufen könnte. Er sprach auch gegen den kursächsischen Rath Pfeffinger den Wunsch aus, sein Fürst möge den Mönch bewahren, weil man seiner vielleicht einmal bedürfe. Aber er einigte sich mit dem Papst über die Steuer und hoffte ihn für seine eigenen politischen Absichten zu gewinnen. Ihm gegenüber äußerte er sich dann in Betreff des Ablaßstreites dahin, daß hier allerdings der Kirche Gefahr drohe und er die darauf zu richtenden päpstlichen Maßregeln unterstützen wolle.

Die Steuerforderung aber stieß im Reichstag und Reich auf die ungünstigste Stimmung; eine längst genährte Erbitterung wurde ihr gegenüber laut. Es wurde damals eine anonyme Flugschrift aus der Feder eines Würzburger Domherrn Fischer verbreitet, welche ungestüm erklärte, daß die habsüchtigen Herren in Rom nur Betrug an den »trunkenen Deutschen« üben wollen und die wahren Türken in Italien zu suchen seien. Sie kam auch nach Wittenberg und in die Hände Luthers; zum ersten Male hören wir jetzt auch ihn über solche »römische Schlauheit« sich äußern; dem Papst warf er indessen hiebei nur vor, daß er sich durch seine habgierigen Florentiner Verwandten mißbrauchen lasse. Der Reichstag benützte die Steuervorlage zum Anlaß, eine ganze Liste alter Beschwerden aufzustellen: über die großen Summen, die der päpstliche Stuhl unter dem Titel von Annaten von den deutschen Pfründen einziehe und unter anderen Vorwänden erpresse, über rechtswidrige Eingriffe in die Besetzung deutscher Kirchenstellen, über stete Verletzung der mit ihm abgeschlossenen Concordate u.s.w. Die Vorlage wurde abgelehnt und darauf kam noch eine Eingabe des Bischofs und Klerus von Lüttich zum Vortrag, die über das lügnerische, räuberische, geizige Treiben der römischen Kurtisanen in einem so scharfen und heftigen Tone loszog, daß Luther, als er sie später gedruckt zu lesen bekam, sie für ein nur fingirtes bischöfliches Schreiben hielt.

Grund genug für Cajetan, die Aufregung nicht noch dadurch zu steigern, daß er an den Wittenberger Vorkämpfer gegen den römischen Ablaß die Hand anzulegen versuchte. Dazu stattete ihm jetzt Kurfürst Friedrich selbst in dieser Angelegenheit einen Besuch ab. Er, aus dessen Händen Cajetan den Luther hätte fordern müssen, war einer der mächtigsten und der persönlich geachtetste unter den Reichsfürsten, sein Einfluß namentlich auch wichtig für eine bevorstehende Kaiserwahl. So versprach ihm denn Cajetan, während eben jetzt jenes Breve aus Rom an ihn abgegangen war, er wolle Luther in Augsburg vernehmen, mit väterlichem Wohlwollen behandeln und wieder von sich lassen.

Demgemäß wurde Luther nach Augsburg beschieden.

Es war seinen Freunden und ihm selbst doch bange, als er nach dem entfernten Orte aufbrechen mußte, wo dem Kurfürsten bei aller Fürsorge doch keinerlei äußere Macht zu seinem Schutze zur Verfügung stand, und zu dem päpstlichen Legaten, vor dem er als Ketzer verklagt war und der ihn vom eigenen theologischen Standpunkte aus nur verurtheilen konnte: denn Cajetan war eifriger Thomist so gut wie Prierias, hatte auch zuvor schon als Vertheidiger des Ablasses und des päpstlichen Absolutismus sich bekannt gemacht. Luther erzählt später von sich: »Mein Gedanke unterwegs war: nun muß ich sterben, und oft sagte ich: ach wie eine Schande werde ich meinen lieben Eltern sein.«

Im bescheidensten Aufzuge ging er hin. Er machte den Weg zu Fuße bis in die Nähe von Augsburg, wo ihn Unwohlsein und Schwäche befiel und er deshalb einen Wagen nahm. Ein anderer, jüngerer Wittenberger Mönch, sein Schüler Leonhard Baier, begleitete ihn. In Nürnberg schloß sich ihm auch sein jetzt dort angestellter Freund Link an. Er entlehnte von diesem eine Kutte, weil die seinige für Augsburg zu schlecht war.

Am 7. October langte er hier an.

Die Umgebung, in die er kam, und die Art der Verhandlungen, die ihm bevorstanden, waren ihm völlig neu und fremd. Doch traf er Männer, die freundlich und umsichtig seiner sich annahmen: mehrere ihm günstige Augsburger Herren, namentlich den angesehenen Patrizier Dr. Konrad Peutinger, und zwei Räthe seines Kurfürsten. Sie wiesen ihn an, vorsichtig und mit Beobachtung aller der nöthigen Formen, in denen er nicht bewandert war, sich zu benehmen.

Seine Ankunft zeigte Luther sogleich dem Legaten an, der ihn auch gleich empfangen wollte. Jene aber hielten ihn zurück, bis sie zu seiner Sicherheit vom Kaiser, der in der Nähe auf der Jagd sich befand, ein Geleitsschreiben für ihn erlangt hatten. In leichtfertiger und, wie Luther meinte, echt italienischer Weise wollte ihn inzwischen ein vornehmer Freund Cajetans, Urbanus von Serralonga, bereden, daß er sich stellen und einfach den sechs Buchstaben »Revoca (revocire)« Folge geben möge. Lachend fragte ihn derselbe, ob er denn meine, daß sein Landesherr seinetwegen das Land auf's Spiel setzen werde. Luther erwiderte: »Das will ich nicht.« Jener fuhr fort: »Wo wollt Ihr dann bleiben?« Luther: »Unter dem Himmel.«

Dem Melanchthon schrieb Luther in jenen Tagen: »Hier giebt es nichts neues, als daß die Stadt des Geredes von mir voll ist und alle den Menschen sehen wollen, der wie ein Herostratus einen solchen Brand angestiftet habe. Du sei ein Mann, wie Du es bist, und unterweise die Jünglinge richtig; ich gehe dahin, für sie und für Euch geopfert zu werden, wenn es Gott so gefällt. Denn lieber will ich umkommen und, was mir das schwerste ist, des süßen Verkehrs mit Euch für immer verlustig gehen, als daß ich gut Gesagtes widerrufen sollte.«

Am 11. October empfing Luther den Geleitsbrief und gleich Tags darauf erschien er vor Cajetan. Demüthig, wie man ihn vorher angewiesen hatte, legte er sich vor dem Vertreter des Papstes ganz auf sein Angesicht nieder, erhob sich, als dieser ihn aufstehen hieß, zuerst nur auf die Kniee und richtete endlich sich vollends auf.

Der Cardinal redete ihn gnädig und mit einer Höflichkeit, die Luther bei seinen Gegnern nicht gewohnt war, an, forderte aber im Namen und Auftrage des Papstes ohne Weiteres von ihm, daß er seine Irrthümer widerrufe und verspreche, künftig ihrer und alles dessen, was die Kirche verwirren könnte, sich zu enthalten. Als Hauptirrthümer bezeichnete er ihm die zwei Sätze, daß der Ablaßschatz der Kirche nicht die Verdienste Christi seien und daß zum heilsamen Empfang des Sakraments Glauben für den Empfänger nöthig sei. In Betreff des zweiten Punktes waren die religiösen Gesichtspunkte und Interessen, von denen Luther ausging, seinem scholastischen Standpunkte ganz fremd und unverständlich: seine Umgebung kicherte und lachte über Luthers Ausführungen; auch hierin jedoch forderte er unbedingten Widerruf. Der erste Punkt war entscheidend für die Anerkennung der päpstlichen Autorität. Auf's Gewichtigste hielt der Cardinal-Legat Luthern jene ausdrückliche Erklärung des Papstes Clemens entgegen; er wollte nicht glauben, daß er einer päpstlichen Bulle zu widersprechen wage, und meinte, er habe sie wohl gar nicht gelesen. Er selbst lehrte ihn in den stärksten Ausdrücken eine über Conzil, Kirche und Schrift stehende päpstliche Autorität. – Auf einen Disput über die zu widerrufenden Sätze erklärte der Legat von vorn herein sich nicht einlassen zu können, und er wollte ohne Zweifel anfangs auch nicht so viel sich darauf einlassen, als er dann doch that. Er wollte nur väterliche Zurechtweisung geben, mit väterlicher Freundlichkeit, wie er sagte, die Sache beilegen. Aber in Wahrheit, sagt Luther, habe er die bloße, reine, unbeugsame Gewalt geltend gemacht. Nur Zeit zu weiterer Ueberlegung konnte Luther sich noch von ihm erbitten.

Von Seiten Luthers, den hierbei die vorhin genannten Männer und der soeben in Augsburg angelangte Staupitz beriethen, wurde jetzt noch der Versuch gemacht, dem Gang seiner Sache eine andere Wendung zu geben, andere gewichtige Urtheile für dieselbe beizuziehen, ihm selbst zu einer öffentlichen Vertheidigung Raum zu verschaffen. Begleitet von mehreren der ihm befreundeten Juristen, einem Notar und Staupitz, trug er am folgenden Tage dem Legaten eine kurz und förmlich abgefaßte Verwahrung vor: er könne nicht widerrufen, ohne überführt zu sein, und müsse alles, was er gesagt, noch immer für wahr und katholisch halten; nichts desto weniger sei er ein irrthumsfähiger Mensch und unterwerfe sich einer legitimen Entscheidung der Kirche; er erbiete sich hiemit, öffentlich seine Sätze zu verantworten, sei auch bereit, über sie das Urtheil der Doctoren von Basel, Freiburg, Löwen oder auch Paris zu vernehmen.

Lächelnd wies der Legat Luther mit solchen Anträgen ab, gestattete jedoch, daß er ihm selbst noch eine längere schriftliche Erwiderung in Betreff der gestern ausgehobenen Hauptpunkte übergebe.

Schon Tags darauf, am 14. October, brachte sie ihm Luther. Aber eben in ihr beharrte er erst recht klar und bestimmt auf den Grundsätzen, in welchen seine Gegner den Umsturz aller kirchlichen Autorität und der Fundamente des christlichen Glaubens sahen. Denn wiewohl er sich hier noch Mühe gab, sogar jene Worte des Papstes Clemens in einem schriftgemäßen Sinne zu deuten, erklärte er doch grundsätzlich mit Entschiedenheit: die päpstlichen Decrete können irren und gegen die heilige Schrift streiten; sogar der Apostel Petrus habe einst (Galat. 2, 11 ff.) wegen einer Abweichung von der Wahrheit sich zurechtweisen lassen müssen, geschweige denn seine Nachfolger; ein jeder gläubige Christ stehe über dem Papst, wenn er bessere Beweisstellen und Gründe als dieser für sich habe. Er bat Cajetan noch um Fürsprache bei Leo X., daß dieser seine nach Licht suchende Seele nicht durch Ungnade in die Finsterniß hinausstoßen möge, wiederholte aber: er könne Nichts gegen sein Gewissen thun; man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen; er hege die vollste Gewißheit, die heilige Schrift für sich zu haben. Cajetan, dem er diese Schrift persönlich überreichte, wollte ihn noch einmal eines Besseren belehren. Sie geriethen in lebhaften, heftigen Wortwechsel. Cajetan aber schnitt denselben ab mit dem Rufe: »Revocire«. Falls Luther nicht widerrufe oder dem Gericht in Rom sich stelle, bedrohte er ihn und alle seine Anhänger mit dem Banne und die Orte, wohin er sich wenden möchte, mit dem Interdict: er habe hierfür bereits ein Mandat des päpstlichen Stuhls in den Händen. So entließ er ihn mit den Worten: Widerrufe oder komm mir nicht wieder vor die Augen.

Gleich nachher redete derselbe doch noch recht freundlich mit Staupitz, um Luther, dem er gar wohl wolle, durch ihn noch umzustimmen. Luther aber schrieb noch am nämlichen Tage seinem beim Kurfürsten befindlichen Freunde Spalatin und seinen Freunden in Wittenberg, daß er nicht weichen werde. Der Legat habe sich dem Staupitz freundlich in seiner Sache erboten, aber sie beide trauen dem Welschen nicht weiter als sie sähen; wolle derselbe Gewalt gegen ihn brauchen, so werde er jene schriftliche Antwort, die er ihm gegeben, veröffentlichen; Cajetan möge ein namhafter Thomist sein, sei aber ein unklarer, unverständiger Theolog und Christ und deshalb zu einem Urtheil in dieser Sache ebenso ungeschickt, als ein Esel zur Harfe. Er berichtete auch schon, daß für ihn eine Appellation in möglichst guter Form aufgesetzt werde. Ferner deutete er den Wittenbergern an, er werde vielleicht an einen andern Ort, in die Verbannung, gehen: in der That dachten seine Freunde daran, ihn nach Paris zu bringen, wo die Universität die Lehre von der päpstlichen Allgewalt noch von sich wies. Schließlich sagt er in diesem Briefe: er wolle nicht dadurch zum Ketzer werden, daß er das widerrufe, wodurch er Christ geworden sei; eher wolle er sich verbrennen, vertreiben und verfluchen lassen.

Die Appellation, von der er hier sprach, wandte sich »von dem nicht wohl unterrichteten Papste an den besser zu unterrichtenden«. Am 16. October legte er sie in aller dafür erforderlichen Förmlichkeit vor einem öffentlichen Notar nieder. Während Staupitz und Link, ihrer eigenen Sicherheit wegen verwarnt und nichts Gutes mehr hoffend, jetzt Augsburg verließen, hielt Luther noch länger dort aus. Ja er wandte sich am 17. October noch mit einem Schreiben an Cajetan, um ihm auch das äußerste, was ihm möglich schien, zuzugestehen. Veranlaßt, wie er sagt, durch das Andrängen seines lieben Vaters Staupitz und Bruders Link erbot er sich, fernerhin die ganze Ablaßsache ruhen zu lassen, falls auch denjenigen Einhalt gethan würde, durch deren Treiben er zu dieser Tragödie erregt worden sei; auch bekannte er, im Streite zu heftig und unbescheiden geworden zu sein. Mit Bezug auf jenes Zugeständniß äußerte er in späteren Zeiten unter Freunden, daß ihn Gott nie tiefer habe sinken lassen, als da er so viel nachgegeben habe. Schon Tags darauf aber zeigte er dem Legaten seine Appellation an und daß er seine Zeit nicht länger unnütz in Augsburg zubringen wolle. Von jenem erhielt er darauf keine Antwort mehr.

Bis zum 20. wartete er noch. Ihm und auch seinen Augsburger Gönnern war fraglich, ob nicht schon Maßregeln getroffen seien, ihn festzuhalten. Diese ließen ihm daher des Nachts ein Pförtlein der Stadtmauer öffnen und gaben ihm einen alten, mit den Wegen bekannten Ausreiter mit. So eilte er hinweg, wie er selbst später beschrieben hat, auf harttrabendem Klepper, in der einfachen Mönchskutte, ohne Beinkleider; nur mit Kniehosen, ohne Sporen, ohne Messer und Wehr. Am ersten Tage ritt er 8 Meilen weit, bis zum Städtchen Monheim. Als er Abends in die Herberge kam und im Stall abstieg, konnte er nicht mehr stehen und fiel stracks in die Streu. Er reiste so zu Pferd bis Wittenberg, wo er am Jahrestag seiner 95 Thesen gesund und freudig wieder eintraf. Unterwegs hatte er Kenntniß von jenem Breve des Papstes an Cajetan erhalten: er wollte es nicht für echt gelten lassen. Seine Appellation war inzwischen in Augsburg dem Cardinal übergeben, auch durch seinen Notar an der Thüre des Domes angeschlagen worden.

Aus Augsburg folgte ihm ein Schreiben Cajetans an den Kurfürsten mit bitteren Klagen über ihn nach; in der besten Hoffnung auf seine geistige Genesung sei er auf's Aergste von ihm getäuscht worden; der Kurfürst solle um seiner Ehre und seines Gewissens willen ihn jetzt entweder nach Rom schicken oder wenigstens aus seinen Ländern wegjagen, da er sich nicht wolle auf väterliche Weise zur Erkenntniß seines Irrthums bringen lassen. Friedrich gab erst nach vier Wochen eine ruhige Antwort, welche zeigt, wie jene Verwahrung Luthers in Augsburg ganz seinem eigenen Sinne entsprach: er hätte erwartet, daß Luthern kein Widerruf zugemuthet würde, ehe seine Sache genügend untersucht und erörtert worden wäre; es gebe eine Menge Gelehrter, auch auf fremden Universitäten, von denen er bisher noch keine Gewißheit darüber habe erhalten können, daß Luthers Lehre unchristlich sei, während allerdings Leute, deren persönliches und finanzielles Interesse darunter gelitten, seine Gegner geworden seien; man möge doch gemäß seinem Erbieten das Urtheil einiger Universitäten einholen und ihn an einem sicheren Orte disputiren lassen. Luther selbst aber, dem sein Fürst jenes Schreiben mittheilen ließ, erklärte sich sogleich bereit, in die Verbannung zu gehen, ließ auch von neuen Kundgebungen und weiteren Schritten sich nicht zurückhalten.

Er ließ einen Bericht über seine Verhandlungen mit Cajetan drucken sammt einer Rechtfertigung an die Leser. Und in diese nahm er Sätze gegen das Papstthum auf, die vollends das ganze Fundament desselben erschütterten. Schon in jenen Resolutionen zu seinen Thesen hatte er nebenbei und ohne daß es weiter beachtet worden wäre, von einer Zeit geredet, in welcher dasselbe noch nicht die Oberhoheit über die gesammte Kirche besessen habe; damit war verneint, daß es, wie in der römischen Kirche behauptet und zum Dogma gemacht wurde, diesen Primat kraft einer ursprünglichen Einsetzung durch Christus und vermöge unwandelbaren göttlichen Rechtes besitze. Jetzt sprach er dies mit aller Bestimmtheit aus: nur in dem Sinne sei die päpstliche Monarchie eine göttliche Stiftung, in welchem auch jede in der geschichtlichen Entwickelung emporgekommene weltliche Gewalt so heißen könne; zum Wesen der Kirche Christi gehöre sie nicht; nicht mit äußeren Geberden komme ja das Reich Gottes (Lucas 17, 20).

Ohne zu warten, bis aus Rom selbst eine Antwort käme, gab er dann jeden Gedanken an einen Erfolg, den er noch bei dem Papste mit ihr haben könnte, auf. Schon am 28. November appellirte er in einer förmlich und feierlich aufgesetzten Urkunde vom Papst an ein zu berufendes allgemeines christliches Conzil. Er war hiemit dem Bannfluch, den er täglich erwartete, zuvorgekommen. Mit Rom hatte er, wenn dieses nicht selbst seine ein Jahrtausend alten Ansprüche und Errungenschaften aufgab, hiedurch für immer gebrochen.

Nachdem die Schranken der Scheu, die Luther vor dem hinter dem Ablaß stehenden Papstthum hegte, für ihn gesunken waren, nachdem er den Vertreter des Papstes in Augsburg kennen gelernt, seinen Forderungen und Drohungen Stand gehalten und seinen gefährlichen Händen sich entzogen hatte, beseligte ihn nun ein kühnes Gefühl der Freiheit. Sein Blick erweiterte sich und die feindlichen Mächte wurden ihm in ihrer ganzen tiefen Verwerflichkeit und Ungöttlichkeit offenbar. Ein gährender Kampfesmuth trieb seinen Geist desto energischer voran. Auch der Gedanke, daß er irgend wohin flüchten müßte, und die Ungewißheit, wohin, hemmte ihn nicht. Er gedachte, nur um so freier vollends sich in den Kampf zu werfen, wenn er auch durch keine Verpflichtungen gegen seinen Fürsten und seine Universität mehr gebunden wäre. Indem er damals seinem Freunde Link von seinen neuen Publikationen und seiner Appellation Mittheilungen machte, forderte er diesen auf, daraus zu ersehen, ob er wohl richtig ahne, daß der Antichrist, von welchem Paulus (2. Thess. 2) rede, in der römischen Curie regiere, und kündigte ihm an: »Weit größeres gebärt schon meine Feder; ich weiß nicht, woher mir diese Gedanken kommen; diese Sache hat meines Erachtens noch nicht recht angefangen, statt daß die hohen Herren in Rom schon auf ihr Ende hoffen dürften.« Und indem er von neuen päpstlichen Erlassen und Maßregeln, die gegen ihn ergangen sein sollten, dem Spalatin, durch den ihn der Kurfürst immer zur Mäßigung mahnen ließ, Nachricht gab, erklärte er: »Je mehr jene wüthen und auf Gewaltthat sinnen, desto weniger erschrecke ich; nur um so freier noch werde ich gegen die römischen Schlangen werden; – ich habe mich zu Allem bereit gemacht und harre auf Gottes Rath.«

Auf Verbannung oder Flucht war er wirklich in jedem Augenblick gefaßt. In Wittenberg ängstigte man sich mit Gerüchten von Anschlägen, die päpstlicherseits gegen seine Freiheit und sein Leben gemacht seien. Seine Freunde drangen darauf, daß er in Sicherheit gebracht werden müsse. Fortwährend war von einer Flucht nach Frankreich die Rede: war er doch eben jetzt in seiner Appellation dem Vorgange der Pariser Universität gefolgt. Wir sehen freilich nicht, wie sie ihn sicher dorthin hätten bringen oder anderswo eine sichere Stelle für ihn hätten finden sollen. Einige riethen auch dringend, der Kurfürst selbst möge ihn in Haft und Verwahrung nehmen und dem Legaten schreiben, daß er ihn zu künftiger Verantwortung an sicherem Orte bereit halte; Luther trug dies dem Spalatin vor mit dem Beifügen: »Das Urtheil über diesen Rath gebe ich Deiner Klugheit anheim; ich stehe in den Händen Gottes und der Freunde.« In der gleichen Besorgniß veranlaßte Friedrich selbst zu Anfang Dezembers eine vertrauliche Besprechung zwischen ihm und Spalatin auf Schloß Lichtenberg. Auch er wünschte, daß Luther, wie dieser darüber an Staupitz berichtete, »lieber anderswo eine Stätte hätte«, widerrieth ihm jedoch, so schnell nach Frankreich wegzugehen. Seinen eigenen Rath und Willen gab er noch nicht kund. Luther erklärte, daß er jedenfalls, wenn der Bannfluch gekommen sei, nicht mehr in Wittenberg bleiben werde. Bis dahin behielt sich auch der Fürst seinen Entschluß vor.

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