Viertes Kapitel.

Miltitz und die Leipziger Disputation mit ihren Folgen.

Jene Gerüchte von Gefahren, durch welche Luther neuerdings von Rom aus bedroht sei, hatten guten Grund. Schon war in Deutschland ein neuer von dort aus entsandter Agent, der päpstliche Kammerherr Karl v. Miltitz.

Seine Sendung war darauf berechnet, das größte Hemmniß, das der Citation des Wittenberger Ketzers nach Rom oder seiner Gefangenführung dorthin entgegen stand, nämlich den Schutz, mit welchem sein Landesherr ihn deckte, zu beseitigen. Miltitz war aus einem adeligen sächsischen Geschlechte, selbst geborener sächsischer Unterthan und dem kurfürstlichen Hofe befreundet. Er erschien mit einer hohen päpstlichen Gnadenbezeugung für Kurfürst Friedrich. Dieser hatte schon früher den Wunsch geäußert, die goldene Rose zu empfangen, mit welcher der Papst (auch heutzutage noch) fürstliche, um die Kirche oder um seinen Stuhl verdiente Persönlichkeiten auszuzeichnen beliebt (derselbe pflegt sie in der Fastenzeit am Sonntag Lätare feierlich in einer Kapelle zu weihen und nicht minder feierlich durch Gesandte überreichen zu lassen). Sie ihm zu überbringen war Miltitz beauftragt. Dazu wurde er bereits unter dem Datum des 24. Oktober 1518 mit einer ganzen Reihe päpstlicher Erlasse ausgerüstet.

Vor Allem gehörte hiezu ein zweifaches Breve Leos X. an Friedrich. Dieser, sein geliebter Sohn, soll, wie Leo hier sagt, die heiligste Rose empfangen, die mit heiligem Chrisma berührt, mit wohlriechendem Moschus besprengt, mit apostolischem Segen geweiht sei, eine allerwürdigste Gabe und Ausdruck eines hohen Mysteriums, zum Denkmal und Pfande der väterlichen Liebe und des sonderlichen Wohlwollens des Papstes, durch einen vom Papst eigens für ihn erlesenen und hiermit auf's beste empfohlenen Gesandten u.s.w. Solche köstlichste Gabe, welche die Kirche durch die Hand ihres Pontifex ihm überreichen lasse, solle die höchste Freude anzeigen über die Erlösung des menschlichen Geschlechtes durch das kostbare Blut Jesu Christi und der kostbare uns erquickende und labende Leib unseres Erlösers werde füglich der Rose verglichen u.s.w. Recht bezeichnend für die päpstliche Redeweise reiht sich an solche hochklingende und weitschweifige Sätze der eigentliche Zweck: so möge nun der göttliche Duft dieser Blume das Herz Friedrichs, des lieben Sohnes, im Innersten durchdringen, damit derselbe, hiervon erfüllt, dasjenige, was Karl (Miltitz) ihm auseinandersetzen werde und wovon das andere päpstliche Schreiben an ihn handle, mit seinem frommen Sinn um so besser aufnehmen und in seiner edlen Brust hegen und des Papstes heiliges und frommes Begehren um so glühender der auf ihn gesetzten Hoffnung gemäß erfassen möge. Das andere Breve aber spricht, nachdem es zuerst vom Aufgebot gegen die Türken geredet, über Luther aus: vom Satan komme dieser Sohn des Verderbens her, der vornehmlich in Friedrichs Landen notorische Ketzerei predige; weil man das reudige Schaf nicht dürfe die Heerde des Himmels anstecken lassen und weil solches auch des Fürsten Ehre und Gewissen beflecken müßte, sei Miltitz mit Maßregeln gegen jenen und seine Anhänger beauftragt und werde Friedrich im Herrn ermahnt, demselben darin mit seiner Autorität und Gunst beizustehen.

Päpstliche Schreiben ganz im selben Sinn bekam Miltitz an Spalatin, als Friedrichs Geheimschreiber, und an den kurfürstlichen Rath Degenhard Pfeffinger mit. Namentlich wurde darin dem Spalatin, dem vertrautesten Rathgeber Friedrichs in religiösen Dingen, zu Gemüthe geführt, wie abscheulich die ketzerische Frechheit jenes »Einen Sohnes des Satans« und wie gefährlich sie für den edlen Namen des Kurfürsten sei. Wie der Fürst, so wurden ferner auch der Stadthauptmann und Magistrat von Wittenberg in einem Breve aufgefordert, dem Miltitz Beistand zu leisten, damit er die päpstlichen Befehle gegen den vom Teufel angestifteten Ketzer Luther frei und ungehindert vollziehen möge. Dem entsprechende Erlasse soll Miltitz für eine Menge deutscher Städte bei sich geführt haben, damit sie ihm, wenn er dort Luther festgenommen hätte, sicheren Durchzug mit dem Gefangenen nach Rom gewährten. Er war, wie es hieß, im Ganzen mit mehr als siebzig Breve bewaffnet.

Was die Rose betrifft, so hatte Miltitz strengsten Befehl, ihre wirkliche Uebergabe an Friedrich nur in Uebereinstimmung mit Cajetans Rath und Willen zu vollziehen. Sie wurde in Deutschland zunächst beim Fuggerschen Kaufhaus zu Augsburg deponirt. Offenbar sollte vorgebeugt werden, daß er nicht voreilig und aus Begier nach dem für ihn selbst in Aussicht stehenden Dank und Lohn die hohe Gabe aus seinen Händen lasse, ehe man hoffen dürfte, daß sie ihrem Zweck wirklich dienen werde.

Gegen Mitte Dezembers wurde in Deutschland durch Cajetan auch eine päpstliche, am 9. November erlassene Bulle veröffentlicht, welche die Lehre vom Ablaß gemäß der von Luther bekämpften Theorie endgiltig feststellte und, wiewohl ohne diesen zu nennen, vor den Irrthümern, die von gewisser Seite her neuerdings darüber verbreitet worden seien, mit Banndrohung verwarnte.

So sehr schien hiernach der Papst Luthern gegenüber jeden versöhnlichen oder vermittelnden Gedanken ausgeschlossen zu haben. Und dennoch muß daneben, wie der Verlauf zeigte, in seinen geheimen Instructionen für Miltitz diesem Gesandten Raum gelassen worden sein, nach Umständen auch noch andere Wege zu versuchen.

Nachdem Miltitz über die Alpen gereist war, wollte er zuerst in Süddeutschland Cajetan sprechen und besuchte nun hier, da dieser zum Kaiser nach Oesterreich verreist war, den ihm längst befreundeten Pfeffinger auf dessen Familiengütern in Baiern. Mit ihm weiter reisend, langte er erst am 25. Dezember zu Gera im Vogtlande an und meldete sich von dort aus dem in Altenburg befindlichen Spalatin. Unterwegs hatte er fortwährend Gelegenheit gehabt, unter Gebildeten und Leuten des gemeinen Volkes eine Theilnahme für den Mann, gegen den er ausgesandt war, und eine Stimmung gegen Rom wahrzunehmen, von der man in Rom nichts wußte und wissen wollte. Er war ein junger, gewandter Lebemann, der mit Leuten aller Art sich einließ und zu sprechen wußte, auch selbst wohl hin und wieder über römische Zustände und Vorgänge Aeußerungen that, welche freie Gegenäußerungen hervorriefen. Auch schrieb Tetzel, den er zu sich laden wollte, kläglich: die deutsche Bevölkerung sei gegen ihn durch Luther so sehr erregt, daß er bei einer Reise seines Lebens nicht sicher wäre. So entschloß sich Miltitz rasch mit der ihm eigenen Leichtigkeit des Sinnes zu einem Versuch, Luther auf andere Weise unschädlich zu machen. Nachdem er dem Kurfürsten in Altenburg seinen Besuch abgestattet, verstand er sich dazu, mit jenem dort freundlich zu verhandeln.

Die merkwürdige Zusammenkunft fand in der ersten Woche des neuen Jahres zu Altenburg bei Spalatin statt.

Miltitz trug alle mögliche Offenheit und Freundlichkeit, ja Herzlichkeit zur Schau. Er selbst äußerte gegen Luther: seit hundert Jahren habe in Rom kein Handel so viel Noth gemacht, als dieser gegenwärtige; gern würde man dort zehntausend Dukaten geben, um einen weiteren Fortgang desselben abzuschneiden. Er selbst erzählte: er habe auf seiner ganzen Reise die Gesinnungen erforscht und gefunden, daß, wo Einer auf des Papstes Seite stehe, allemal drei für Luther gegen den Papst seien; er würde, auch wenn er 25 000 Mann zur Verfügung hätte, sich mit ihnen nicht getrauen Luther durch Deutschland nach Rom zu entführen. Dazu bemerkte er über seine Person: »o Martinus, ich glaubte, Ihr wärt so ein alter Theolog, der hinterm Ofen bei sich selbst disputirt hätte; jetzt sehe ich, wie Ihr noch jung, frisch und kräftig seid.« Indem er an Luther Ermahnungen und Vorwürfe über den der römischen Kirche zugefügten Schaden richtete, begleitete er sie mit Thränen. So meinte er diesen zutraulich und für seine Pläne biegsam zu machen.

Luther zeigte dem gegenüber, wie auch er klug sein könne: er ließ, wie er selbst erzählt, jenen nicht merken, daß er in solchen Thränen Krokodilsthränen erkenne. In der Sache war er bereit, wie vorher unter den Drohungen eines päpstlichen Gesandten, so jetzt unter dem Zureden und Anerbieten des anderen alles seinem Gewissen Mögliche, aber auch nichts darüber, zuzugestehen und dann die Sache getrost ihren Gang weiter gehen zu lassen.

Während Miltitz auf die Forderung eines Widerrufs verzichtete, verstand sich Luther dazu, einen Brief an den Papst zu richten, worin er bekenne, zu scharf gewesen zu sein, und eine Erklärung für die deutsche Christenheit ausgehen zu lassen, welche Ehrerbietung gegen die römische Kirche ausspreche und anbefehle. Luthers Sache mit den gegen ihn erhobenen Anklagen sollte vor das Gericht eines deutschen Bischofs kommen, wobei er jedoch, falls er dem Urtheil sich nicht unterwerfen könnte, sich eine Wiederaufnahme seiner Appellation vorbehielt. Er selbst wollte von weiterem Streit abstehen, ebenso aber sollte auch dem Widerpart Stillschweigen auferlegt werden.

Als sie so weit sich verständigt hatten, hielten sie noch ein heiteres Abendessen mit einander. Zum Abschied erhielt Luther einen Kuß von Miltitz.

In einem Bericht über die Conferenz, welche Luther dem Kurfürsten erstattete, sprach er die Hoffnung aus, die Sache möge bei beiderseitigem Schweigen »sich selbst zu Tode bluten«, und zugleich die Besorgniß, daß, wenn weiter gefochten werde, »das Ding allererst recht werde herausfahren und aus dem Schimpf ein Ernst werden.«

Er schrieb jetzt wirklich das versprochene Blatt für's Volk. Seinem eigenen Standpunkt vergab er darin nichts, so daß es, auch wenn er den Streit fernerhin ruhen ließ, nicht scheinen konnte, als hätte er etwas zurückgenommen. Den Ablaß ließ er gelten, aber doch immer nur als Ersatz für jene Genugthuung und mit der Erklärung, daß Gutes thun viel besser sei als Ablaßkauf. Er drang darauf, daß man in christlicher Liebe und Eintracht zur römischen Kirche, in welcher Petrus und Paulus und hundert Märtyrer ihr Blut vergossen, auch trotz der ihr anhaftenden Sünden und Schäden sich halten und ihrer Gewalt sich fügen solle, wolle jedoch diese nur auf äußerliche Dinge bezogen haben. Sätze, welche über das hier Zugestandene hinausgingen, wollte er für etwas angesehen haben, was keinesfalls vor's Volk oder den gemeinen Mann gehöre: man möge es, sagte er, den theologischen Schulen überlassen, die Gelehrten mögen es unter sich ausfechten. Seine Gegner freilich hätten hiemit ihre Grundprinzipien aufgeben müssen: denn ihnen war dies, daß Ablaß und Kirchengewalt mehr zu bedeuten habe, eine für die Seligkeit unerläßliche Glaubenswahrheit.

An den Papst schrieb Luther unter dem 3. März 1519. Der Brief begann wieder mit Ausdrücken tiefster persönlicher Demuth, unterschied sich aber mit seiner ruhigen festen Haltung schon bedeutsam von jenem Schreiben des vorigen Jahres an Leo. Ebenso gewichtig wie ruhig wies er dem Gedanken gegenüber, daß Luther seine Sätze widerrufen sollte, jetzt namentlich auch darauf hin, daß diese unter dem Andringen der Gegner wider sie schon über alles Erwarten weit verbreitet und in die Herzen eingedrungen seien, bei den Deutschen jetzt auch Wissenschaft und Urtheil in hoher Blüthe stehe: er würde so, wenn er sich zum Widerruf nöthigen ließe, erst recht zu Anklagen und Schmähungen der römischen Kirche Anlaß geben; um ihrer eigenen Ehre willen müsse er es verweigern. Uebrigens habe er bei seinem Streit gegen den Ablaß nur darum sich bemüht, daß diese Mutterkirche nicht durch fremde Habsucht besteckt werde und daß man das Volk nicht irre führe und es die Liebe dem Ablaß hintansetzen lehre.

Kaiser Maximilian
Abb. 13: Kaiser Maximilian nach A. Dürer.

Inzwischen war schon am 12. Januar Maximilian gestorben. Er war der letzte volksthümliche Kaiser, dessen Deutschland sich erfreute, in seiner Eigenthümlichkeit ein echter Sohn seiner Nation, an Seele und Leib mit reichen Gaben ausgestattet, ein Herr von hohem Muth und warmem Gemüth, geschickt, mit Hohen und Niedrigen umzugehen, sich in Achtung zu setzen und Liebe zu gewinnen. Auch Luther hören wir später oft noch in anhänglicher Erinnerung von ihm reden, von seiner Güte und Artigkeit gegen Jedermann, seinem Bemühen, treue, geschickte Diener aus allen Ständen heranzuziehen, seinen treffenden Aussprüchen, seiner Geschicklichkeit in Scherz und Ernst, ferner von den Nöthen, die er in seinem Regiment und mit seinen Fürsten hatte, von dem Hohn, den er durch Welsche erleiden mußte, auch von dem Humor, mit dem er über sich selbst und seine kaiserliche Herrschaft sich äußerte; Gott, sagte er einmal nach Luthers Erzählung, habe das weltliche und geistliche Regiment gut bestellt, jenes mit einem Gemsensteiger, dieses mit einem trunkenen Pfaffen (Papst Julius); er nannte sich einen König der Könige, weil seine deutschen Fürsten immer nur königlich das, was ihnen selbst gefalle, thun. Mit den hohen Ideen und Entwürfen, die er als Herrscher hegte, stand er vor dem Volk als würdiger Vertreter des Kaiserthums da, wenngleich sein Auge in Wahrheit mehr auf sein eigenes Haus und seine Hausmacht, als auf allgemeine Reichsinteressen gerichtet war. Jene kirchlichen Beschwerden der deutschen Nation, die wir beim Reichstag des Jahres 1518 vernahmen, hatte er längst lebhaft mitgefühlt, wenn er auch dort klüger fand, sich nicht bei ihnen zu betheiligen. Er ließ sich darüber und über die zu erstrebenden Reformen ein Gutachten von dem Humanisten Wimpheling aufsetzen. Ja er hatte einst im Kampf gegen Papst Julius auf ein reformatorisches allgemeines Conzil hingewirkt. Es wird sich, so eitel ein solches Fragen in der geschichtlichen Betrachtung ist, doch immer wieder die Frage aufdrängen, welch eine Wendung die Wirksamkeit Luthers und die Geschicke unserer Nation und Kirche genommen hätten, wenn Maximilian seine kaiserlichen Pläne mit den Interessen, für die Luther kämpfte, geeinigt und so als Führer einer großen nationalen Bewegung sich erhoben hätte. Jetzt war er dahin gegangen, ohne die Bedeutung dieses Mönchs mehr, als seine oben erwähnte Aeußerung über ihn in Augsburg andeutete, begriffen zu haben.

Sein Tod vermehrte übrigens die Rücksichten, die päpstlicherseits auf Kurfürst Friedrich genommen werden mußten. Denn bis zur neuen Kaiserwahl war dieser jetzt Reichsverweser für Norddeutschland, und für die Wahl war an seinem Einfluß besonders viel gelegen. Am 28. Juni wurde dann Maximilians Enkel, der neunzehnjährige König Karl von Spanien gewählt. Er war dem deutschen Leben und Wesen fremd, was hernach das deutsche Volk und sein Reformator stets hat fühlen müssen. Für den Papst jedoch bestanden jene Rücksichten auch fernerhin fort, denn dem neuen Herrscher gegenüber mußte er mindestens alle Vorsicht üben, da dieser wußte, daß er seine Wahl möglichst zu hintertreiben bemüht war. Andererseits war dieser dem Kurfürsten verpflichtet, dem er seine Erwählung vorzugsweise zu danken hatte, konnte auch für die nächste Zeit noch nicht persönlich in Deutschland als Regent erscheinen.

Miltitz hatte während dieser Zeit seinen Plan weiter verfolgt, ohne daß wir doch ersehen könnten, was seine eigentlichen letzten Absichten waren. Zum Richter in Luthers Sache ersah er sich mit seiner Zustimmung unter den deutschen Erzbischöfen den von Trier, bewog diesen auch, darauf einzugehen. Er traf zu Anfang Mai's in der erzbischöflich Trierschen Stadt Coblenz mit dem Legaten Cajetan zusammen und lud jetzt auch Luther ein, dort vor dem Erzbischof zu erscheinen.

Aber noch wußte Miltitz davon, wie man seine Verhandlungen mit Luther in Rom aufgenommen habe, durchaus nichts zu sagen. Sollte Luther aus dem sicheren Wittenberg weg ohne den Willen seines treuen Landesherrn, welcher selbst hierbei nur Mißtrauen zeigte, auf's Ungewisse hin die weite Reise zu den zwei päpstlichen Gesandten wagen? man müßte, schrieb er an Miltitz, ihn ja für einen Thoren halten, wenn er es thäte; überdies wüßte er nicht einmal, woher das Geld zur Reise nehmen. Was damals in dieser Sache zwischen Rom und Miltitz verhandelt worden ist, lag überhaupt für Luther und liegt auch für uns noch im Dunkeln.

Während dieser Versuch einer Vermittelung (wenn wir ihn anders dafür gelten lassen) so in der Schwebe blieb, hatte sich nun ein ernstes Kampfspiel vorbereitet, das den scheinbar gedämpften Sturm erst vollends zum Ausbruch brachte.

Luthers College Carlstadt, der beim Erscheinen von Luthers Thesen anfangs selbst ängstlich geworden, dann aber auf den Bahnen der neuen Wittenberger Theologie ausgehalten und vorwärts gestrebt hatte, lag wegen des Angriffs auf Luther, den Eck sich erlaubt, schon seit dem Frühjahr 1518 mit diesem in einer schriftstellerischen Fehde. In seinem Auftrag verhandelte Luther in Augsburg, wo er im Oktober auch Eck traf, mit diesem über eine öffentliche Disputation, in der die Beiden die Sache mit einander ausfechten wollten. Er hoffte, wie er gegen Eck und gegen Freunde sich äußerte, es werde einen würdigen Kampf um die Wahrheit geben, und man werde sehen, daß Theologen nicht blos streiten, sondern auch mit einander sich verständigen können. So schien zunächst wenigstens zwischen ihm und Eck ein friedliches Verhältniß wieder hergestellt. Als Ort für die Disputation wurde die Universität Leipzig verabredet. Herzog Georg von Sachsen, unter welchem Leipzig stand, gab seine Zustimmung und wies den Widerspruch der dortigen theologischen Fakultät, der die Sache bedenklich vorkam, ab.

Als aber gegen Ende des Jahres Eck Sätze, die er dort vertheidigen wollte, veröffentlichte, las Luther mit Befremden, daß sie hauptsächlich Punkte betrafen. die viel mehr er selbst als Carlstadt behauptet hatte; auch bezeichnete Eck hiebei diesen ausdrücklich als »Vorfechter« Luthers. Nur einer der Sätze bezog sich auf eine speziell auch von Carlstadt vertretene Lehre, nämlich die von der Knechtung des Willens im sündhaften Menschen. Zu jenen Punkten aber gehörte besonders die Behauptung, daß die römische Kirche ihre Oberhoheit über die ganze Christenheit in den ersten Jahrhunderten nicht besessen haben sollte. Sie hatte Eck aus den oben erwähnten neueren Publikationen Luthers herausgesucht; bei Carlstadt hatte er nichts davon lesen oder hören können.

Luther wallte auf. In einem öffentlichen an Carlstadt gerichteten Schreiben bemerkte er, daß Eck die dem Carlstadt angekündigten Frösche oder Fliegen vielmehr gegen ihn los lasse, und rief dem Eck selbst zu: er wolle ihn nicht anklagen, daß er so heimtückisch, unfein und untheologisch dem Carlstadt Fremdes zum Vorwurf gemacht, wolle nicht darüber klagen, daß er ihn selbst aus schnöder Speichelleckerei gegen den Papst wieder in's Spiel hereingezogen habe; er wolle nur zeigen, daß man seine verschlagenen Wendungen wohl verstehe, und ihn freundlich ermahnen, künftig um seines eigenen Ruhmes willen in seinen Kniffen ein wenig anständiger zu sein; Eck möge denn seine Lenden mit dem Schwert umgürten und den Triumphen, deren er von andern Orten her sich rühme, auch einen aus Sachsen hinzufügen, um endlich ruhen zu können auf seinen Lorbeeren; er möge das, womit er gegen ihn schwanger gehe, zur Welt bringen, möge das, was ihn längst im Magen drücke, von sich geben und seine ruhmrednerischen Drohungen endlich zum Schlusse führen.

Luther hegte ja ohnedies den Wunsch, die Wahrheit, wegen der er verketzert werde, in einer öffentlichen Disputation verfechten zu dürfen: vergebens hatte er ihn dem Legaten in Augsburg vorgetragen. Jetzt forderte er, in Leipzig selbst mit als Kämpfer zugelassen zu werden. Und namentlich eben über den päpstlichen Primat wollte er dort offen und einschneidend den Streit aufnehmen.

Seinen Freunden wurde gerade bei diesem Punkt bange um ihn. Er aber rüstete mit großem Fleiß seine Waffen, indem er die kirchlichen Rechtsbücher und die Geschichte der kirchlichen Rechte durchstudirte, mit denen er bisher noch nie so sich beschäftigt hatte. Was er behauptete, bestätigte sich ihm hier vollends. Ja er fand, daß die tyrannischen päpstlichen Ansprüche, wenngleich schon über ein Jahrtausend alt, doch erst durch die päpstlichen Rechtsbücher der letzten vier Jahrhunderte zur Herrschaft gelangt seien und nur auf sie ihre Geltung stützen können. Dagegen zeuge wider jenen Primat die Geschichte der vorangegangenen Jahrhunderte, das nicänische Conzil (v. J. 325) und die heilige Schrift. So sprach er jetzt in einer These aus, ließ auch eine Erläuterung dazu im Druck erscheinen.

Auf die hohe Bedeutung dieser historischen Aussage für den Glauben und die ganze Auffassung des christlichen Heiles und der wahren Gemeinde oder Kirche Christi ist schon oben aufmerksam gemacht worden. Zum Wesen dieser Kirche gehört hienach die Stellung unter einem Papste nicht mehr. Hat doch auch der Verlauf der Geschichte, in welcher Gott die abendländischen Christen ähnlich unter eine äußere Gewalt des Papstes kommen ließ, wie Völker unter verschiedene fürstliche Gewalten zu stehen kommen, keineswegs die gesammte Christenheit unter sie gestellt, oder stellen sollen. Die Millionen morgenländischer Christen, die nicht unter ihr stehen und deshalb vom Papst als Schismatiker verdammt werden, sind, wie Luther jetzt besonders betont, darum doch Glieder der Christenheit, der Kirche, des Leibes Christi. Gemeinschaft des Heiles ist nicht blos in der Gemeinschaft der römischen Kirche. Für die Gesammtchristenheit oder jene allgemeine Kirche giebt es kein anderes Haupt als Christus. Zugleich fand jetzt Luther auch schon und sprach es aus, daß die Bischöfe ihre Stellung über den einzelnen Gemeinden und ihren Hirten erst nach der apostolischen Zeit erhalten haben: auch der Episkopat hört hiermit auf, ein wesentlicher, nothwendiger Bestandttheil der Kirche zu sein. Was ist denn das Wesentliche für den Bestand der Kirche und wie weit dehnt sie sich aus? Luther antwortet schon jetzt mit dem Grundsatz des evangelischen Protestantismus: sie ist nicht blos bei Rom, sondern nur da und überall da, wo Gottes Wort gepredigt und geglaubt wird, wo christlicher Glaube, Hoffnung und Liebe lebt, wo eine innerlich Christo als ihrem Bräutigam verbundene Christenheit besteht. Diese allgemeine Kirche, sagt Luther, ist auch im Glaubensbekenntniß gemeint, wenn es sagt: »Ich glaube eine heilige katholische Kirche, die Gemeinde der Heiligen.«

Die äußere Gewalt nun, welche das Papstthum im kirchlichen Regiment, im Auflegen äußerlicher Leistungen und Strafen ausübte, erschien Luthern insoweit als etwas religiös Indifferentes, für das Seelenheil Gleichgiltiges. Anders aber verhielt es sich mit dem Anspruch auf göttliches Recht, den das Papstthum hiebei erhob, und auf die Ausdehnung seiner Gewalt und Willkür über die Seelen und Gewissen, über die Gemeinschaft der Gläubigen, ja gar über das Loos der abgeschiedenen Seelen. Hier erkannte Luther einen Eingriff in die Rechte, die Gott sich selbst vorbehalten, und eine Verkehrung der wahren, durch Christus gestifteten, in der Schrift bezeugten Heilsordnung. Hier sah er einen menschlichen Machthaber und Tyrannen, der sich selbst an Christi und Gottes Stelle setzte. Es graute ihm, wie er Freunden schrieb, beim Lesen der päpstlichen Decrete immer weiter hineinzublicken in das Treiben der Päpste mit ihren Forderungen und Satzungen, in dieses Schmieden menschlicher Gesetze, in diese neue Kreuzigung Christi, in diese Mißhandlung und Verhöhnung seines Volkes. Wie er früher schon äußerte, daß bei der gegenwärtigen päpstlichen Curie wohl der Antichrist herrsche, so flüsterte er jetzt (in einem Brief vom 13. März 1519) dem Spalatin ins Ohr: ich weiß nicht, ob der Papst der Antichrist selbst, oder ein Apostel von ihm ist; widerchristlich erschien ihm nunmehr so das Institut des Papstthums selbst mit seinen Prinzipien und Früchten. Ueber jene Rechtsbücher sagt er in einem andern Brief: »Wenn dem römischen Stuhl das Dahinsterben seiner Ablässe schon so geschmerzt hat, was wird er erst thun, wenn seine Decrete nach Gottes Willen ihr Leben aushauchen müssen? nicht als ob ich im Vertrauen auf eigene Kraft vor dem Sieg prahlte, wohl aber vertraue ich der göttlichen Barmherzigkeit, die den menschlichen Satzungen zürnt.«

Um Zulassung zur Disputation lag Luther dem Herzog Georg dringend an. Sein Kurfürst, dem wohl selbst eine öffentliche, freie, wissenschaftliche Verhandlung der Streitfragen erwünscht war, gab ihm die Erlaubniß dazu. Seine Verabredungen mit Miltitz konnten ihn nicht zurückhalten, da ja das von ihm ausbedungene Stillschweigen auf Seiten seiner Gegner nicht eingehalten und ihnen auch weder von Miltitz noch von einer anderen kirchlichen Behörde anempfohlen worden war. Bei jener Bitte jedoch mußte er es sich gefallen lassen, daß Georg ihn an Eck verwies, mit dem er sich erst geeinigt haben müsse, und dieser ihn vergeblich auf Antwort warten ließ. Endlich stellte der Herzog einen Geleitsbrief aus für Carlstadt und Diejenigen, die er mit sich bringen werde: unter diesem Titel kam auch Luther mit; auf Georgs Manneswort und Fürstenwort durfte er hiebei sicher trauen.

Herzog Georg von Sachsen
Abb. 14: Herzog Georg von Sachsen, nach einem alten Holzschnitt

Gegen die ganze Disputation wirkte und protestirte von Anfang an der Bischof von Merseburg, welcher Kanzler der Leipziger Universität und der geistliche Obere der dortigen Fakultät war. Sie mußte für ihn schon deswegen unzulässig sein, weil Ecks Thesen auch den Streit über den Ablaß wieder vornahmen, der durch die päpstliche Bulle für immer entschieden und abgethan sein sollte. Er berief sich gegen sie auf die päpstlichen Befehle. Sie wurde nun, indem sie trotz dieser Einsprache mit der herzoglichen Genehmigung stattfand, zu einem um so wichtigeren Ereignisse.

Herzog Georg hegte auch selbst lebhafte Theilnahme für sie. Er war ein kräftiger, gerader und derber Charakter. An den kirchlichen Ueberlieferungen, in denen er aufgewachsen war, hielt er treu und zäh fest; es wurde ihm schwer, seinen Blick zu erweitern. Aber es war ihm ehrlich um die Wahrheit zu thun. Er wünschte, daß im Kampf um sie auch seine eigenen Gelehrten rüstig sich tummelten. Als er von den Bedenken der Leipziger Theologen gegen die Disputation hörte, äußerte er: sie fürchten wohl, in ihrem Müßiggang und Saufen gestört zu werden, und meinen, wenn sie einen Schuß hören, gleich, er treffe sie. Weil eine außerordentliche Menge von Zuhörern für die Disputation zu erwarten war, ließ er für sie den großen Saal seines Schlosses, der Pleissenburg, einräumen und schmücken. Zwei seiner Räthe beauftragte er, ihr vorzustehen. Er wollte auch selbst bei ihr erscheinen. Wie viel lag an dem Eindruck, den sie und bei ihr namentlich Luther auf ihn machen mochte.

Am 24. Juni zogen die Wittenberger in Leipzig ein, Carlstadt an der Spitze. Ein Augenzeuge hat es später so beschrieben: »Sie fuhren zum Grimmischen Thor ein, und ihre Studenten, 200 an Zahl, liefen neben den Wagen daher mit Spießen und Hellebarden und geleiteten also ihre Herren, und Dr. Carlstadts Fuhr voran, darnach Dr. Martinus und Philippus (Melanchthon) auch, in einem Rollwagen (leichten Korbwagen), und hatten alle keinen behangenen oder bedeckten Wagen; und wie sie also zum Grimmischen Thor einzogen, und kamen vor die Thür am Kirchhof der Pauler Kirche, da zerbricht dem Dr. Carlstadt sein Wagen, daß der Dr. herab in den Koth fiel; aber Dr. Martinus und sein Achates (treuer Gefährte) Philippus fuhren vorüber.« – Während sie so hereinfuhren, wurde ein bischöflicher Erlaß, der die Disputation bei Strafe des Bannes verbot, an den Kirchthüren angeschlagen, aber nicht respectirt. Ja der Magistrat ließ den Mann, der den Anschlag anheftete, gefangen setzen, weil er es ohne seine Erlaubniß gethan.

Vor dem Beginn der Disputation wurden noch gewisse Bedingungen, unter welchen sie gehalten werden sollte, festgesetzt. Ihre Verhandlungen sollten durch Notare niedergeschrieben werden: Eck hatte dem widerstrebt, da er hierdurch in seiner freien mündlichen Rede behindert zu werden fürchtete, und nicht Alles, was er im Gefecht vorbrachte, so genau aufgezeichnet zu sehen wünschte. Die Protokolle aber sollten Schiedsrichtern, die für das Ergebniß der Disputation noch zu erwählen seien, vorgelegt und erst nach ihrem Urtheil veröffentlicht werden. Vergebens hatten Luther und Carlstadt, die einem solchen Urtheil gegenüber sich nicht verpflichten wollten, dem widersprochen, während dem Herzog eben daran gelegen war, eine Entscheidung für den Streit herbeizuführen.

Am frühen Morgen des 27. Juni begann die Eröffnung der Disputation mit aller der weltlichen und geistlichen Feierlichkeit, die einem hochwichtigen akademischen Akte gegeben werden konnte: mit einer Begrüßung in der Aula durch die Rede des Leipziger Professors Simon Pistoris, mit einer Messe in der Thomaskirche, wohin die Versammlung in stattlichem Aufzug sich verfügte, mit einem noch reicheren Zug nach der Pleissenburg, wo eine Abtheilung der bewaffneten Bürgerschaft als Wache aufgestellt war, mit einer langen Rede, welche dort im Saale der Disputation der berühmte Leipziger Lehrer Petrus Schade Mosellanus, ein Meister in lateinischer Sprache und Eloquenz, über die rechte Art des Disputirens hielt, und mit dreimaligem musikalischem Vortrag des lateinischen Gesanges: »Komm, heiliger Geist«, während dessen die Versammlung auf den Knien lag. Um zwei Uhr nahm dann die Disputation selbst zwischen Eck und Carlstadt ihren Anfang. Sie standen sich auf Kathedern gegenüber.

Eine Menge von Theologen und auch gelehrten Laien waren zu dem Schauspiele zusammengeströmt. Von Wittenberg war der Pommernherzog Barnim, damals Rektor der Universität, mit herübergekommen. Als noch sehr junger Leipziger Student war Fürst Georg von Anhalt, der spätere Freund Luthers, zugegen. Herzog Georg von Sachsen wohnte den Verhandlungen oft bei und hörte fleißig zu. Auch sein Hofnarr übrigens soll mit ihm erschienen sein und einmal mit Eck, gegen den er durch Spaßmacher angereizt worden sei, eine komische Szene zur Erheiterung der Versammlung gehabt haben. Von Seiten Friedrich des Weisen war einer seiner Räthe, Hans von Planitz, anwesend.

Eck und Carlstadt stritten mit einander vier Tage lang zwischen dem 27. Juni und 3. Juli über die theologische Frage vom freien Willen des Menschen und seinem Verhältniß zur göttlichen Gnadenwirksamkeit. Es war ein ermüdendes Streiten mit vereinzelten Schriftstellen und Stellen alter Kirchenlehrer, ohne die lebendige und freie Erregung des sittlichen und religiösen Geistes welche bei Luthers Behandlung solcher Fragen zur Theilnahme fortriß. In Hinsicht auf Gedächtniß, wie auf Sprachgewandtheit zeigte sich Eck seinem Gegner überlegen. Er setzte durch, daß, als Carlstadt Bücher zum Nachschlagen mitbrachte, ihm dies niedergelegt wurde, und hatte nun auch den Vortheil, daß ihm selbst seine Citate Niemand controliren konnte. So erfüllte ihn schon hohes Siegesgefühl, als er zum Kampf mit Luther überging.

Dieser hatte inzwischen am Peter- und Paulstage, dem 29. Juni, auf Herzog Barnims Wunsch in der Pleissenburg eine Predigt gehalten, worin er mit Anschluß an das Evangelium des Tages den Hauptpunkt der Carlstadt'schen Disputation und zugleich den der ihm selbst bevorstehenden, nämlich die Bedeutung der dem Petrus verliehenen Schlüsselgewalt, einfach, praktisch und erbaulich besprach. Im Gegensatz zu ihm hielt dann aber Eck vier Predigten auf den Kanzeln städtischer Kirchen, deren keine ein Luther hätte betreten dürfen, und berichtete nachher selbst darüber: »Ich habe pur das Volk erregt, an den lutherischen Irrthümern einen Ekel zu haben.« Die Mitglieder der Leipziger Universität hielten sich während der ganzen Zeit der Disputation von den Wittenbergern unfreundlich zurück, während sie Eck in jeder Weise feierten. Als Luther einmal in eine Kirche kam, wo Mönche Gottesdienst hielten, flüchteten diese eilig die Monstranz mit dem heiligen Sakrament hinweg, damit es durch seine Gegenwart nicht entweiht würde; und doch warf man ihm dann nachher Versäumniß des Kirchenbesuchs in Leipzig vor. In den Herbergen, wo die Wittenberger Studenten lagen, kam es zwischen ihnen und Leipziger Komilitonen zu so heftigen Ausbrüchen, daß die Wirthe Hellebardenträger an die Tische stellen mußten.

Herzog Georg lud den Verketzerten mit Eck und Carlstadt zur Tafel ein und außerdem zu einer Privataudienz. So frei war doch er und so darauf bedacht, selbst mit Luther und seiner Sache sich bekannt zu machen. Luther nannte ihn damals auch einen guten, frommen Fürsten, der fürstlich zu reden wisse. Zugleich aber hielt ihm Georg in jener Audienz namentlich auch das vor, daß von ihm die Böhmen große Erwartungen hegen, und gerade Georg, mütterlicherseits Enkel des Böhmenkönigs Podiebrad, wollte jede Verunreinigung durch die verhaßte böhmische Ketzerei auf's Sorgsamste gemieden haben. Mit Bezug auf solche Aeußerungen des Herzogs bemerkte damals Luther von sich: er wisse zwischen der Pfeife und denen, welche in sie hineinblasen, wohl zu unterscheiden und bedaure nur die Zugänglichkeit der Fürsten für den Einfluß fremder Leidenschaften. – Es mußte für Luther eine unbehagliche und unheimliche Luft sein, in der er dort zu Leipzig sich bewegte.

Am Montag dem 4. Juli beschritt endlich er mit Eck den Kampfplatz. Erst am Morgen dieses Tages unterzeichnete auch er noch die Bedingungen, die trotz seines Widerspruchs festgestellt worden waren, erklärte aber, daß er auch einem etwaigen Urtheilsspruch jener Richter gegenüber seine Appellation an ein Conzil aufrecht halte und die päpstliche Curie nicht als Richter annehme. Das Protokoll hierüber lautet: »doch so hat Dr. Martinus seine Appellation, die er zuvor vorgewandt, als viel er deß Recht hat, vorbehalten und nicht wollen fallen lassen, auch daß die Akte dieser Disputation nicht in päpstlichen Hof, aus Ursachen ihn beregend, darüber zu erkennen sollen geschickt werden.«

Martin Luther
Abb. 15: Luther nach einem Kupferstiche Cranachs v. J. 1520.

Das Auftreten Luthers in dieser Disputation hat zu der ersten Schilderung seiner Persönlichkeit Anlaß gegeben, die wir aus der Feder eines Zeitgenossen besitzen. Der vorgenannte Mosellanus nämlich berichtet in einem Brief: »Er ist von mittlerer Statur, sein Leib mager, durch Sorgen und Studien abgezehrt, so daß man fast alle Knochen an ihm zählen kann. Er steht im besten Alter. Seine Stimme ist hell und klar. Außerordentlich ist die Gelehrsamkeit und Schriftkenntniß, die er besitzt, so daß er fast Alles im Griffe hat. Griechisch und hebräisch versteht er hinlänglich, um über die Auslegungen der Schrift zu urtheilen. Für die Rede steht ihm ein reiches Material von Sachen und Worten zu Gebote, dabei ist er im Leben und Sitten fein und umgänglich, hat nichts stoisch herbes und stolzes an sich, weiß sich in die verschiedenen Personen und Zeiten zu schicken. In Gesellschaft verkehrt er heiter und witzig. Er ist jederzeit frisch, froh und sicher und hat ein fröhliches Angesicht, wie hart ihm auch die Widersacher drohen, so daß man glauben muß, der Mann unternehme so Schweres nicht ohne den Beistand der Götter. Zum Vorwurf aber machen ihm die Meisten, daß er in der Polemik weniger Maß halte und bissiger sei, als es für einen Theologen und einen, der in göttlichen Dingen Neues aufstelle, gezieme.« Seine Tüchtigkeit zum Disputiren wurde auch später noch von Eck anerkannt, der mit Bezug auf ihre Disputation äußerte: Aristoteles sage, daß, wenn Zwei mit einander disputiren, die beide der Kunst gelehrt seien, es eine feine Disputation gebe.

Abb. 1

Martin Luther
Abb. 16: Dr. Joh. Eck, nach einem alten Holzschnitt.

Den Eck schildert Mosellan als einen Mann von großer vierschrötiger Gestalt mit einer Stimme, die auf's Theater, ja für einen Herold taugte, jedoch mehr grob, als deutlich sei und nichts Anmuthendes habe, mit dem Mund, den Augen und dem ganzen Gesicht eines Fleischers oder Soldaten, aber mit ausgezeichnetem Gedächtniß. An Gedächtniß und Redefertigkeit that er es auch Luthern zuvor; an gediegener und wahrhaft ausgebreiteter Gelehrsamkeit aber gaben diesem auch unpartheiische, wie der oben genannte Pistoris, den Vorzug. Eine große Lebhaftigkeit im Reden und Schreien und Gestikulationen mit den Armen und dem ganzen Leib soll Eck bei italienischen Vorbildern sich abgesehen haben. Auch Melanchthon übrigens erkannte nach der Disputation in einem Briefe an: »Die Meisten von uns mußten Eck wegen mannigfacher und ausgezeichneter Geistesgaben bewundern.« Später nennt er ihn: »Eckeckeck, die Dohlenstimme.« – Eine seltene Kraft und Ausdauer hat Eck jedenfalls in diesen Leipziger Tagen bewiesen. Und geschickt wußte er vor Allem das eigentliche Ziel, das er Luthern gegenüber im Auge hatte, zu verfolgen.

Die Beiden begannen gleich mit demjenigen Punkte, auf welchen Eck sein Hauptaugenmerk gerichtet und über welchen Luther seinen kühnsten Satz aufgestellt hatte, mit der Frage über die päpstliche Gewalt.

Nach längeren Verhandlungen über Beweisstellen der heiligen Schrift, über die alten Kirchenväter, die jene päpstliche Oberhoheit noch nicht kennen, über die abendländische Kirche des Mittelalters, bei der dieselbe doch früher als Luther zugeben wollte, zu ihrer Geltung gelangt ist, über die nicht unter Rom stehende morgenländische Christenheit, auf die Luther hinwies und der dagegen Eck mit leichtem Herzen die Seligkeit absprach, ging dieser am zweiten Tag der Disputation in wohl berechneter Weise von den kirchlichen Autoritäten, die er für das göttliche Recht des päpstlichen Primates anführte, auf einmal zu Sätzen des englischen Ketzers Wiclif und des Böhmen Hus über, welche dieses Recht geläugnet haben und deshalb mit gutem Grund verdammt worden seien. Er müsse, sagte er, ihrer hier gedenken, weil nach seinem eigenen und bescheidenen schwachen Urtheil Luthers These den Irrthümern der Böhmen auf's Höchste günstig sei und diese, wie es heiße, auf's Beste dazu Glück wünschen. Luther erklärte dem gegenüber auch jetzt, wie er bisher jederzeit gethan: er mißbillige die Lostrennung der Böhmen von der katholischen Kirche, weil das höchste göttliche Recht das der Liebe und des Geistes sei, und verbat sich die Schmach, die Eck ihm anthun wolle; aber er erklärte: widerlegt seien die Böhmen in jenem Punkte nicht worden. Und mit aller Bestimmtheit und ruhigen Ueberlegung fuhr er nach einer Pause, die über Mittag in der Disputation gemacht worden war, fort: unter den Artikeln des Hus seien viele ganz christlich und evangelisch, wie die Sätze, daß es nur Eine allgemeine Kirche gebe (zu der eben auch die griechische Christenheit gehört habe und gehöre) und daß der Glaube an die Oberhoheit der römischen Kirche nicht zur Seligkeit nöthig sei. Er fügte bei: man dürfe keinem Christen einen Glaubenssatz aufdrängen, der der heiligen Schrift fremd sei, und das Urtheil eines einzelnen Christen müsse mehr gelten, als der Papst oder auch ein Conzil, wenn jenes bessern Grund für sich habe.

Der Augenblick, da Luther so von den Sätzen des durch ein Conzil verdammten und in Deutschland verrufenen Hus sprach, war der eindruckvollste und wichtigste in der ganzen Disputation. Ein Zeuge, der seinen Sitz unter dem der Herzoge Georg und Barnim hatte, erzählt: »darauf sprach Herzog Georg mit lauter Stimme, laut, daß man's über das ganze Auditorium hörte: das walt die Sucht, und schüttelt den Kopf und setzet beide Arme in die beiden Seiten.« Aehnlich mußte die übrige Zuhörerschaft, je von ihren verschiedenen Standpunkten aus, sich erregt fühlen. Wohl hatte Luther das, daß ein Conzil irren könne, schon vordem in Schriften geäußert. Jetzt aber erklärte er sich für Sätze, die ein bestimmtes, von der ganzen abendländischen Christenheit einmüthig anerkanntes Conzil, nämlich das zu Constanz verdammt hatte, warf also diesem Irrthum in einer der wichtigsten Entscheidungen vor. Dazu hatten bei den Entscheidungen dieses Conzils vorzugsweise gerade solche Männer mitgewirkt, welche bei ihrer Anerkennung jenes Primats doch dem päpstlichen Despotismus gegenüber noch die Rechte der Conzilien, der durch sie repräsentirten allgemeinen Kirche und der Nationen und Staaten verfochten. Die Eine abendländische katholische Kirche hegte, wie wir schon früher bemerkten, in ihrer Mitte jene Verschiedenheit der Ansichten über die Autorität, welche dem von Christus eingesetzten Papstthum, und diejenige, welche Conzilien zukomme. Jetzt schien Luther in seinem Widerspruch gegen jene Einsetzung und Autorität des Papstthums zum Bruch mit jeder in der Kirche bestehenden Autorität und jeder in ihr noch möglichen Richtung gebracht.

Luther selbst scheint indessen diese Tragweite seiner Worte, mit denen er zu den »christlichen« Artikeln eines Hus sich bekannte, im Augenblick noch nicht übersehen, den directen Gegensatz, in welchen er hiemit zu jenem Conzil sich stellte, noch nicht genügend bedacht zu haben. Als nämlich Eck es für »schrecklich« erklärte, daß der »ehrwürdige Vater« sich nicht gescheut habe, hiemit dem heiligen, löblichen, unter Zustimmung der ganzen Christenheit versammelten Constanzer Conzil zu widersprechen, fiel er ihm in die Rede mit dem Wort: »Es ist nicht wahr, daß ich gegen das Constanzer Conzil gesprochen.« Jener folgerte dann weiter, daß die Autorität des Conzils, wenn es in solchen Artikeln geirrt, auch im Uebrigen hinfällig werde.

Aber Tags darauf, also nach weiterer Ueberlegung, führte Luther vier Sätze von Hus auf, welche echt christlich seien, obgleich sie in den Akten des Conzils verworfen waren. Er suchte Auswege, dem Conzil seine Ehre dennoch zu wahren: das Conzil habe die von ihm verworfenen Sätze nur zum Theil für ketzerisch und theilweis blos für unbesonnen erklärt und jene müßten wenigstens nicht zu den ketzerischen gerechnet werden; ja er erlaubte sich die Annahme, daß jene erst durch einen Fälscher in den Text der Conzilbeschlüsse gekommen seien. Weiterhin wollte er zugeben, daß man Beschlüsse eines Conzils in dem, was zum Glauben gehöre, allwege annehmen müsse. Und um bei Jedermann gegen Mißverständiß und Mißdeutung sich zu verwahren, unterbrach er einmal das in der ganzen Disputation gebrauchte Latein und erklärte mit deutschen Worten, daß er keineswegs der römischen Kirche den Gehorsam versagt haben wolle, sondern daß der Streit nur darauf sich beziehe, ob ihre Oberhoheit auf göttlichem Recht, nämlich unmittelbarer göttlicher Einsetzung im Neuen Testament, beruhe, oder nur solchen Ursprung und Charakter habe, wie etwa das Kaiserthum bei der deutschen Nation. Er war sich bewußt, wie die Anklage wegen Ketzerei und Abfall gegen ihn anschwoll und Eck sie weiter zu treiben beflissen war. Dem Constanzer Conzil und einer solchen allgemeinen Vertretung der abendländischen Christenheit überhaupt stellte er nur mit Schmerz und innerem Kampf sich mit seiner heiligen Schrift entgegen. Aber keinen Schritt weit näherte er sich wieder einer Anerkennung des Papstthums, für die er keinen Grund in der Schrift fand. Er beharrte darauf, daß auch kein Conzil hiezu nöthigen oder überhaupt etwas, was dort keinen Grund habe, zu einem wirklichen Bestandtheil des christlichen Glaubens machen könne. Immer wieder erklärte er, daß auch ein Conzil irren könne.

Fünf Tage lang ist so über diesen Hauptgegenstand der Disputation ohne weiteres Ergebniß gestritten worden.

Die ferneren Verhandlungen, die noch um Fegfeuer, Ablaß und Buße sich bewegten, hatten hienach wenig Bedeutung mehr. Hinsichtlich des Ablasses zeigte jetzt auch Eck auffallende Mäßigung. Der Streit über eine richtige Auffassung des Fegfeuers führte nebenbei auch zu einer neuen wichtigen Erklärung Luthers über die Gewalt der Kirche im Verhältniß zur heiligen Schrift. Eck führte nämlich als biblische Beweisstelle ein Wort aus den alttestamentlichen sogenannten Apokryphen an, d. h. aus denjenigen alttestamentlichen Schriften, welche nicht ursprünglich zu den Glaubensurkunden des alten Bundes gehörten, bei der mittelalterlichen Kirche aber gleiches Ansehen mit den übrigen biblischen Schriften erhalten hatten. Zum ersten Mal sprach Luther dort dem Eck gegenüber sich gegen jene Gleichstellung aus und überhaupt dagegen, daß die Kirche einem Buch eine Autorität verleihen könnte, die ihm an sich nicht zukomme.

Zwischen Eck und Luther wurde so noch bis zum 13. Juli disputirt. Luther schloß seinerseits mit den Worten. »Ich bedaure, daß der Herr Doctor so tief in die Schrift eindringt, wie eine Wasserspinne in's Wasser, ja vor ihr zu fliehen scheint, wie der Teufel vor dem Kreuz; ich ziehe, unbeschadet der Ehrfurcht vor den Vätern die Autorität der Schrift vor, was ich hiemit den künftigen Richtern empfehle.«

Nur kurz traten dann noch einmal Carlstadt und Eck einander gegenüber. Die Disputation mußte vollends rasch am 15. abgeschlossen werden, weil Herzog Georg in der Pleissenburg einen Besuch des Kurfürsten von Brandenburg empfangen wollte. In Betreff der Universitäten, welchen die Akten vorgelegt werden sollten, einigte man sich noch für Paris und Erfurt: keine von beiden aber hat dann der verantwortungsvollen Aufgabe, die ihr hiemit gestellt wurde, sich unterzogen.

Triumphirend, von seinen Freunden gefeiert und von Herzog Georg mit Gunst und Ehre belohnt, zog Eck von der Disputation ab. Er verfolgte den Sieg, den er gewonnen zu haben meinte, indem er weiter gegen Luther aufhetzte und namentlich immer wieder auf die Gemeinschaft zwischen ihm und den Böhmen hinwies. Noch von Leipzig aus beantragte er sogar bei Kurfürst Friedrich, Luthers Bücher verbrennen zu lassen. Die beiden Männer standen fortan und für immer einander unversöhnlich gegenüber, nur noch in hitzigen Streitschriften mit einander verkehrend. Eck arbeitete namentlich bei der römischen Curie darauf hin, daß Luther endlich förmlich und öffentlich verurtheilt werde.

In Leipzig war Luther auf's Argwöhnischste beobachtet worden. Man hatte unter dem Volke gar gegen ihn aufgebracht, daß er an einem silbernen Ringlein seines Fingers etwas Geheimnißvolles bei sich habe, nämlich wohl gar ein Büchschen mit dem Teufel drin. Auch das fand man auffallend und befremdlich, daß er einen Blumenstrauß in der Hand trug und ihn ansah und an ihm roch. Aus derselben Zeit stammt wohl auch das von einem seiner theologischen Gegner veröffentlichte Gerede eines frommen alten Weibes in Leipzig, welche einst in Eisleben mit Luthers Mutter zusammen gelebt haben und von daher wissen wollte, daß ihr Sohn Martin die Frucht teuflischen Umganges gewesen sei.

Für die Kunde von Luther aber und für den Eindruck, den er mit seinen Ueberzeugungen machte, wirkte sein öffentliches Auftreten in diesen Leipziger Tagen mehr als eine Reihe von Druckschriften: so namentlich auch bei gebildeten Laien und Männern der Wissenschaft, und so auch beim Volk im Großen, welchem die durch diesen Kampf hervorgebrachte Erregung sich mittheilte. Wenige Monate nachher hören wir einen Gegner klagen: »Luthers Lehr hat so viel Gezänk, Zwietracht und Aufruhr unter dem Volk erweckt, daß schier kein Land, keine Stadt, Dorf oder Haus ist, darin man sich nicht von seinetwegen entzweiet bis auf das Raufen.«

Luther selbst kehrte voll Unmuths nach Wittenberg zurück. Man habe in Leipzig nur die Zeit verschwendet; es sei unwürdig disputirt worden; dem Eck und seinen Leipzigern sei es nicht um die Wahrheit zu thun gewesen. Jener, sagte er, habe in einer Stunde ärger geschrieen, als er und Carlstadt es in zwei Jahren vermöchten; und doch handle es sich hier um eine friedsame und in stiller geheimnißvoller Tiefe verborgene Theologie. Seine Unzufriedenheit aber bezog sich nicht, wie man etwa denken möchte, auf die Behandlung, welche seinem Satz über den päpstlichen Primat zu Theil geworden, und auf eine Verlegenheit, in die er selbst dadurch gesetzt war. Im Gegentheil – indem er über die unwürdige Art des Disputirens klagte, nahm er eben jene These hievon aus. Er meinte vielmehr die Oberflächlichkeit und den Mangel an Interesse, womit dort über so wichtige, tiefe Gegenstände, wie über die Rechtfertigung durch den Glauben oder über die auch dem besten Menschenwerk anhaftende Sünde hinweggegangen wurde. Ueber alle die Punkte, die er in Leipzig zu verfechten und auseinanderzusetzen gewünscht hatte, gab er dann Erläuterungen heraus. Und in Betreff der Conzilien erklärte er nun hier mit noch stärkeren Worten als in Leipzig, daß sie allerdings, und zwar auch in den wichtigsten Dingen, irren können und geirrt haben; mit der Kirche dürfe man weder sie noch den Papst identifiziren.

Daraus zog er jetzt auch selbst die richtige Folgerung für sein Verhältniß zu den Böhmen. Ein Genosse Ecks, der Theologe Hieronymus Emser, ein Günstling Herzog Georgs, wirkte in seiner Art hierauf vollends ein. Dieser hatte in Leipzig vor der Disputation ein hitziges Zwiegespräch mit ihm gehabt, worin er ihm vorwarf, Aergerniß zu geben. Jetzt richtete derselbe einen eigenthümlichen offenen Brief an einen hohen Geistlichen der katholischen Kirche zu Prag Namens Zack. Indem er darin sagte, die vom Katholizismus abgefallenen Böhmen berufen sich wohl auf Luther und haben gar Gebete und Gottesdienste während der Disputation für ihn veranstaltet, berichtete er mit scheinbarem Wohlwollen für Luther, daß dieser vielmehr die Gemeinschaft mit ihnen dort eifrig von sich abgewiesen und ihren Abfall von Rom verurtheilt habe. Luther sah hierin eitel Tücke und Bosheit, und auch wir können darin nur einen arglistigen Kunstgriff erkennen, mit welchem er Luthers Stellung nach allen Seiten hin verderben wollte. Nehme er, sagt Luther, das ihm hier ertheilte Lob stillschweigend an, so werde der Schein entstehen, als habe er seine ganze Lehre widerrufen und habe vor Eck die Waffen gestreckt; weise er es ab, so werde er erst recht als Patron der Böhmen verschrieen und zugleich schnöden Undanks gegen Emser beschuldigt werden. So brach er jetzt in einer kleinen Schrift voll Zorns und Bitterkeit gegen Emser los, der sie dann in gleichem Ton erwiderte. Sehr klar aber legte er darin die Sache dar: wenn den Böhmen seine Lehren gefallen haben, so nehme er diese darum nicht zurück; bei den Böhmen nehme er ihre Irrthümer nicht in Schutz, finde aber bei ihnen Christum, die heilige Schrift und die Sacramente der Kirche und dazu christlichen Haß gegen die Verweltlichung, die Sittenlosigkeit und den Hochmuth des römischen Klerus; ja er wünsche und freue sich, daß seine Lehre ihnen gefalle, und möchte, daß sie auch Juden und Türken und dem in gottlosen Irrthümern befangenen Emser und Eck gefiele.

Schon waren damals auch Briefe an ihn unterwegs von den zwei Prager Geistlichen Poduschka und Rosdalowsky, Mitgliedern der hussitischen, utraquistischen Kirche (welche Rom gegenüber namentlich auf der Forderung des Abendmahlskelchs für die Laien bestand). Sie versicherten Luther ihrer freudigen, betenden Theilnahme an seinen Kämpfen. Dazu schickte der eine ein Geschenk an Messern böhmischen Fabrikats, der andere eine Schrift von Hus über die Kirche. Luther nahm die Sendung freundlich an und erwiderte sie durch Uebersendung seiner Schriften. Was die Lostrennung von der römischen Kirche betrifft, so stand ja damals ihm selbst schon deutlich genug die Erfahrung davon bevor, wie diese auch einem, dem die Trennung herzlich schwer wurde, doch das Verbleiben in ihrer Gemeinschaft unmöglich machen konnte.

So war jener Kampf in Leipzig verlaufen, während in denselben Tagen zu Frankfurt a. Main nach der dort stattgehabten Kaiserwahl Kurfürst Friedrich und der Erzbischof von Trier über eine Vernehmung Luthers durch diesen nach Miltitz' Plan sich besprachen, dieselbe jedoch noch auf einen bevorstehenden Reichstag verschieben wollten. Und auch trotz des Ergebnisses der Disputation und trotz der weiteren Kundgebungen Luthers meinte nun Miltitz auf seine Pläne noch nicht verzichten zu müssen. Er erreichte noch einmal eine Zusammenkunft mit Luther am 9. October in Liebenwerda, wo dieser sein Versprechen, vor dem Erzbischof zu erscheinen, wiederholte, konnte aber den Kurfürsten nicht dazu bringen, daß er Luther mit ihm selbst zum Erzbischof hätte reisen lassen. Für die Ueberbringung der goldenen Rose wurde er, nachdem diese endlich eingehändigt worden war, reichlich mit Geld belohnt. Die Aussichtslosigkeit seiner Versuche mit Luther aber war klar geworden.

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