Sechstes Kapitel.

Verbindung mit Humanisten und Adel.

Wir haben früher gehört, wie schon Miltitz über die Theilnahme für Luther erstaunt war, die er unter allen Classen der deutschen Bevölkerung vorfand. Von ihrem Wachsthum giebt besonders auch die zunehmende Menge der Drucke Kunde, in denen seine Schriften verbreitet wurden; die volle Freiheit, welche damals der Nachdruck genoß, kam derselben in weitem Umfang zu Hilfe. Aus dem Jahre 1520 zählt man über hundert Drucke deutscher Schriften aus Luthers Hand. Fehlte der ordentliche Betrieb, der in unserem heutigen Buchhandel statthat, so waren um so mehr Colporteure thätig, die mit Büchern von Haus zu Haus gingen, theils blos im eigenen Handelsinteresse, theils auch ausgesandt von Freunden der Sache, die befördert werden sollte. Wurde das Lesen den Leuten aus dem Volk und auch Manchen aus den höheren Classen schwer, so boten hiefür oft fahrende Schüler, die damals nach verschiedenen Bildungsstätten hin und her zu ziehen pflegten, ihre Hilfe an. Der warme, tief erbauliche Inhalt jener kleinen volksthümlichen Schriften kam, wie keine andere religiöse Nahrung jener Zeit, dem Bedürfniß Gebildeter und Ungebildeter entgegen und rief weiteres Bedürfniß wach. Unmittelbar damit drangen die mit dem bisherigen Kirchenthum unverträglichen und ihm entgegengesetzten Elemente seiner Lehre, welche die Gegner Gift nannten, ein und der ganze von diesen verdammte Mann wurde dem Volke theuer.

Namentlich aber traten dem Theologen Luther jetzt Vorkämpfer jenes Humanismus zur Seite, auf dessen Bedeutung für die geistige Bildung und religiöse und kirchliche Entwickelung jener Zeit wir schon bei Luthers Aufenthalt auf der Universität Erfurt hinzuweisen hatten. In ihm war wesentlich die allgemeine höhere wissenschaftliche Bildung jener Zeit überhaupt vertreten. Um ein Verhältniß dieser Bildung überhaupt zur evangelischen Reformation handelte es sich bei der Beziehung zwischen Luther und dem Humanismus.

Luther war damals, ehe er in's Kloster ging, schon wenigstens mit einzelnen strebsamen Jüngern der neuen Wissenschaft oder jungen Poeten befreundet geworden. Nachher, als ihm nach den inneren Kämpfen und Anfechtungen jener dunkeln Mönchsjahre das Licht seiner evangelischen Heilserkenntniß aufgegangen war, hörten wir ihn seine Theilnahme und Verehrung für die beiden Meister, den von dunkeln Männern bedrohten Reuchlin und den hochverdienten Erasmus aussprechen, obgleich er mit den Waffen, mit welchen jener von seinen Anhängern vertheidigt wurde, nicht einverstanden war und gegen den theologischen und religiösen Standpunkt des Erasmus ernste Bedenken nicht verschweigen konnte.

Indessen hatten auch solche Humanisten, die für ihr eigenes wissenschaftliches Treiben und Leben möglichste Freiheit genießen wollten, um einen Reuchlin gegen die Finsterlinge sich schaarten und nach den kirchlichen Autoritäten ihrerseits wenig mehr fragten, darum keineswegs schon für Luther Partei ergriffen oder überhaupt um den kühnen Mönch sich bekümmert. Ihrer Viele dachten, als er schon im heißen Ablaßkampfe stand, ohne Zweifel von ihm nur so, wie Ulrich von Hutten, der einem Freunde schrieb: in Wittenberg sei ein Krieg zwischen hitzigen Mönchen ausgebrochen, die gegen einander schreien und klagen; es sei zu hoffen, daß sie sich gegenseitig auffressen werden. Die theologischen Fragen, um die es hier sich handelte, schienen solchen frei Gesinnten ihrer Beachtung nicht werth. Zugleich wurde von ihnen auf Kirchenfürsten, die ihrer Wissenschaft und Person Gunst erwiesen, die nöthige Rücksicht genommen und ihnen gehuldigt trotz vielen Anstoßes, den ihr kirchliches Wirken geben mußte. So nahm damals Hutten keinen Anstand, in den Dienst desselben Erzbischofs Albrecht sich zu stellen, der den großen Ablaßkram in Deutschland eröffnet hatte, daneben aber den Patron der Wissenschaften und Künste machte und glücklich war, wenn ein Erasmus ihn öffentlich mit Anerkennung nannte. Wir hören auch nichts von Vorstellungen, die etwa Erasmus selbst Jenem damals gemacht hätte. Von demselben Standpunkt aus, auf welchem Hutten die erwähnte Aeußerung that, schrieb auch Mosellanus, der die Leipziger Disputation mit einer Rede eröffnet hat, noch unter den Vorbereitungen derselben an Erasmus: es werde einen seltsamen Streit und ein blutiges Gezänke zwischen ein paar Scholastikern geben; zehn Demokrite werden genug bekommen, um sich satt zu lachen. Zeigte doch auch die religiöse Grundanschauung Luthers mit seiner Lehre von der menschlichen Sünde und Erlösungsbedürftigkeit keine Beziehungen, ja vielmehr einen geraden Gegensatz zu derjenigen humanen Lebensanschauung, welche aus der Pflege des classischen Alterthums hervorzugehen und in welcher gar ein stolzes, sattes, freies Heidenthum neu aufzuleben schien. Eben einen Mangel an rechtem Verständniß für jene Lehren hatte Luther auch bei einem Erasmus wahrzunehmen geglaubt.

Von größtem Werth war nun in dieser Beziehung Melanchthons Eintritt in Wittenberg. Der hochbegabte junge Mann, der die wissenschaftliche Bildung seiner Zeit nach allen Seiten hin in sich aufgenommen, den eigenen menschlichen Geist so reich und schön entfaltet, auch durch persönliche Urbanität überall, wohin er kam, bei den Gebildeten sich beliebt gemacht hatte, fand jetzt seine wahre Seligkeit doch erst in jenem Evangelium und auf dem Weg der Gnade, den Luther verkündigte. Und während er mit wärmster Zustimmung Luther die Hand bot, arbeitete er nicht minder rüstig auf dem bisher von ihm gepflegten Gebiete weiter, hielt seine Verbindung mit seinen Mitarbeitern auf diesem aufrecht und behauptete sich in ihrer Anerkennung und Bewunderung. Bedeutsam mußte es dann doch auch ferner stehenden Humanisten erscheinen, daß besonders heftige Angriffe gegen Luther gerade von solchen Punkten ausgingen, von welchen Reuchlin am erbittertsten befeindet worden war: so erst von Hoogstraten, nachher von der Kölner theologischen Fakultät. Endlich öffnete der wirkliche Verlauf jener Disputation zwischen Luther und Eck weit hin die Augen für die Größe des Kampfes, der hier für die höchsten Interessen des christlichen Lebens und wahrer christlicher Wissenschaft geführt wurde, und die Größe des Mannes, der so selbständig ihn zu führen gewagt hatte.

In Erfurt hatte Luther schon im Frühjahr 1518, als er von jenem Ordensconvent von Heidelberg zurückkehrte, im Gegensatz gegen das Mißfallen, das er bei seinen alten Lehrern dort gegen sich erweckt hatte, bei der akademischen Jugend einen Geist gefunden, der ihn hoffen ließ, die wahre Theologie werde zur Jugend übergehen wie einst das von den Juden verworfene Christenthum zu den Heiden. Freunde der humanistischen Wissenschaft waren jene Gönner und Rathgeber, die sich seiner in Augsburg annahmen, als er jenen Gang zu Cajetan thun mußte. Am frühesten sehen wir die hnmanistisch-wissenschaftliche und die neue religiöse Richtung außerhalb Wittenbergs bei hervorragenden Bürgern der blühenden Reichsstadt Nürnberg vereinigt, wo, wie wir schon früher erwähnten, auch Luthers alter Freund Link thätig war. Schon vor dem Ausbruch des Ablaßstreites hatte dort der gelehrte Jurist Scheurl mit Luther Freundschaft geschlossen, den er schon im folgenden Jahr Deutschlands berühmtesten Mann nennt. Der bedeutendste unter den dortigen Humanisten, Willibald Pirkheimer, zugleich stattlicher, hoch angesehener Patricier und gewichtiger Rathsherr, auch einmal Anführer einer städtischen Kriegerschaar, erhielt briefliche Mittheilungen Luthers über den Fortgang seiner auf die Papstgewalt bezüglichen Studien und Tendenzen und machte dann seinen Leipziger Gegner zum Gegenstand einer anonymen argen Satyre »der gehobelte Eck«. In tiefer christlicher Gemeinschaft war der gleichfalls wissenschaftlich gebildete Nürnberger Rathsschreiber Lazarus Spengler mit Luther verbunden, er gab 1519 eine »Schutzrede und christliche Antwort« heraus, welche Luthers eigenen volksthümlichen Schriften kräftig und würdig zur Seite trat. – Auch Albrecht Dürer, der Maler, vertiefte sich in Luthers evangelische Lehren und verehrte in ihm einen vom heiligen Geist erleuchteten Mann. – Aus der Zahl der dem Erasmus am nächsten stehenden Theologen trat der mit Luther beinah gleichaltrige Johann Oekolampad, damals Prediger in Augsburg, gegen Ende des Jahrs 1519, durch Eck gereizt, gegen diesen für Luthers Sache mit einer kleinen Schrift ein. – Erasmus selbst endlich erklärte schon 1518 wenigstens in einem privaten Brief an Luthers Freund Lange in Erfurt, den dieser sicher Luthern nicht unbekannt bleiben ließ: die Sätze Luthers müßten fast ausnahmslos allen Guten gefallen; die gegenwärtige Herrschaft des Papstthums sei eine Pest für die Christenheit; nur sei freilich fraglich, ob das Aufreißen der Wunde Nutzen bringen werde, und nicht absehbar, wie die Sache ohne Spaltung durchgeführt werden sollte.

W. Pirkheimer
Abb. 19: W. Pirkheimer nach A. Dürer.

Luther seinerseits nahte sich mit Briefen dem Reuchlin und Erasmus: an jenen schrieb er auf besonderes Andringen Melanchthons schon im Dezember 1518, an diesen im folgenden März. Beide Briefe sind ganz in der feinen Sprache abgefaßt, welche diesen Gelehrten und namentlich dem Erasmus gegenüber am Platze war, mit warmen Ausdrücken der Verehrung und Ergebenheit und doch in durchaus würdiger Haltung, ohne die Ueberschwenglichkeiten, welche Erasmus von seinen gewöhnlichen Verehrern im Uebermaß zu hören bekam. Aber freilich, jene ganze andere Seite seines Urtheils über Erasmus, wie er es in seinem Innern sich gebildet und schon früher gegen Freunde geäußert hatte, hat Luther bei dem Schreiben verborgen gehalten. Man sieht, wie sehr ihm jetzt trotzdem an einer näheren Gemeinschaft mit Erasmus gelegen war.

Reuchlin, damals schon gealtert, blieb Luthern und den durch ihn angeregten Fragen ganz fern. Ja er wünschte wohl gar auch seinen Neffen Melanchthon durch eine Wegberufung aus den gefährlichen Händeln herauszuziehen.

Erasmus antwortete in eigenthümlichen Wendungen: er habe Luthers Schriften noch nicht selbst gelesen, ermahne aber, daß Niemand, ohne sie gelesen zu haben, sie beim Volk verschreien dürfe. Er selbst glaube mit gebildetem, maßvollem Auftreten mehr als durch Ungestüm erreichen zu können und meine im Geiste Christi vor jedem anmaßenden und leidenschaftlichen Reden warnen zu müssen: doch wolle er Luther hiemit nicht dazu vermahnen, was er thun solle, sondern dazu, daß er, wie er schon thue, beständig thun möge. Der Hauptgedanke, den er ausspricht, ist die Besorgniß, daß die durch Luthers Schriften angefachte Bewegung den Widersachern Anlaß geben möchte, »die edeln Wissenschaften« zu beschuldigen und zu unterdrücken. Die Rücksicht auf diese, die ja allerdings auch der Gegenstand seines eigentlichen großen Berufes waren, ist ihm immer über alles Andere gegangen. Auch über die Schäden der Kirche hat Erasmus nicht blos gespottet, sondern eine Besserung der kirchlichen Zustände, eine Reinigung und Hebung des sittlich-religiösen Lebens wie der theologischen Wissenschaft lag ihm wirklich am Herzen, und das große Ansehen, das er genoß, machte ihn auch unter den hohen Geistlichen und Kirchenfürsten zu einem einflußreichen Mann. Aber von Anfang an erkannte er, wie er in jenem Brief an Lange es ausspricht, auch schon die Schwierigkeiten und Gefahren eines Angriffs auf die von Luther berührten Punkte wohl weit mehr als dieser selbst. Und wenn Luther dann keck den Unruhen, die das Wort in der Welt anrichten müsse, entgegensah und auf den Ausspruch Jesu, daß er das Schwert zu bringen gekommen sei, sich berief, so schrak Erasmus vor nichts mehr zurück, als vor Tumult und Umsturz. Vermöge seines ganzen Naturells und mit der ganzen Richtung seines Charakters hielt er ängstlich am ruhigen Gang seiner Arbeiten und Fortbestand seiner geistigen Genüsse fest. Die einschneidenden prinzipiellen Fragen, wie die über das göttliche Recht der päpstlichen Gewalt, die unbedingte Geltung kirchlicher Autorität überhaupt, oder die Freiheit eines biblisch-christlichen Urtheils, suchte er ferne zu halten, während, nachdem die Prinzipien einmal öffentlich in Frage gestellt waren, ein Schweigen oder Verdecken jedem der beiden kämpfenden Theile für Verläugnung der Wahrheit gelten mußte.

Wir werden sehen, wie von diesem Standpunkt aus, auf welchem der große Gelehrte bei seiner inneren Theilnahme für die kirchlichen Dinge verblieb, weiterhin seine Stellung zu Luther und zur Reformation sich gestaltete. Für jetzt hatte Luther den Urtheilen des Erasmus über ihn, so vorsichtig sie waren, doch große Förderung zu verdanken. Wichtig war in dieser Beziehung für Fernerstehende schon das sehr entschiedene Zeugniß desselben dafür, daß sein Charakter und Wandel durchaus unbescholten sei. Seinen Einfluß erkennen wir deutlich auch in jener Antwort des Erzbischofs Albrecht an Luther, in ihrer noch immerhin gnädigen Zurückhaltung, wie ihren Bemerkungen über unnöthiges Streiten. Der Erzbischof selbst hatte schon früher von ihm briefliche Aeußerungen über Luther empfangen, worin er den Ausschreitungen, welche man diesem vorzuwerfen habe, die Ausschreitungen der päpstlichen Partei gegenüberstellte und die kirchlichen Verderbnisse, namentlich den Mangel an evangelischer Predigt rügte. Zu Erasmus Verdruß kam dieser Brief in die Oeffentlichkeit und wirkte mehr, als ihm erwünscht war, zu Luthers Gunsten.

Jene Hoffnungen, die Luther auf die jüngeren Erfurter setzte, erfüllten sich zunächst darin, daß die sogenannten Poeten jetzt auch das Neue Testament zu lesen und auszulegen begannen. Die Theologie, welche in ihrer scholastischen und mönchischen Form unter ihnen verachtet wurde, zog als Wissenschaft des göttlichen Wortes auch sie an. Justus Jonas, zehn Jahre jünger als Luther, Freund des Eoban Heß und eines der talentvollsten Glieder des Poetenkreises, ging jetzt von der Rechtswissenschaft, der er obgelegen und in welcher er schon zu dociren begonnen hatte, zur Theologie über. Zu der Verehrung gegen Erasmus gesellte sich dann Begeisterung für Luther, den aus Erfurt hervorgegangenen kühnen Vorkämpfer für jenes Wort. Besonders nahe wurde schon jetzt Jonas, wie mit Luthers Freund Lange, so auch mit ihm selbst befreundet. Erasmus hatte ihm bei seinem Uebertritt zur Theologie zugeredet; Luther wünschte ihm auf die Nachricht davon i. J. 1520 Glück, daß er aus dem stürmischen Meer der Juristen in's Asyl der heiligen Schrift sich geflüchtet habe.

Eifriger aber als alle die andern Erfurter hatte schon vorher Crotus, Luthers ehemaliger Erfurter Studiengenosse, seine Gemeinschaft gesucht, und zwar von Italien aus, wo er schon seit dem Herbst 1518 durch die Nachrichten aus Deutschland zur Theilnahme für ihn fortgerissen war und zugleich die von Luther bekämpften Aergernisse und Gräuel aus eigener Anschauung, wie er sagte, in noch viel größerem Umfang kennen lernte. Er, der einst in den Briefen der »dunkeln Männer« nach Luthers Urtheil und Geschmack den heiligen Ernst bei seiner Satyre hatte vermissen lassen, drückte jetzt auch seine Hingabe an Luthers religiöse und theologische Grundideen, die Hochschätzung der heiligen Schrift und die evangelische Heilslehre aus. Er schrieb wiederholt an ihn, indem er an ihr Zusammensein in Erfurt erinnerte, berichtete über »den Stuhl der Pestilenz« in Rom und die Umtriebe Ecks daselbst, und ermunterte ihn, weiter fortzuschreiten. Dabei vermengen sich in seinen Briefen eigenthümlich die Ausdrücke, wie sie unter den Poeten üblich waren, mit den christlich-religiösen: als einen Vater des Vaterlandes, der einer goldenen Statue und jährlicher Festfeier würdig sei, möchte er seinen Martinus verherrlichen, der zuerst das Volk Gottes zu befreien und zur rechten Frömmigkeit anzuweisen gewagt habe. Wohl schon von Italien aus und ebenso nach seiner Rückkehr ist er mit der ihm eigenen schriftstellerischen Rührigkeit auch durch anonyme Flugschriften für Luther thätig gewesen. Von seiner Seite her kam gegen Ende des Jahrs 1519 der humanistisch gebildete Theologe Johann Heß (später Reformator der Breslauer Kirche) aus Italien nach Wittenberg zu Luther und Melanchthon. Crotus selbst traf mit Anbruch des Frühjahrs 1520 wieder in Deutschland ein.

Ulrich von Hutten
Abb. 20: U. v. Hutten nach einem alten Holzschnitt.

Und hier war nun den humanistischen Freunden der lutherischen Bewegung bereits auch Crotus' persönlicher Freund Ulrich von Hutten beigetreten, der nicht blos scharf und feurig, wie kaum ein anderer unter jenen die Feder führte, sondern sich bereit darstellte, für die von ihm verfochtene Sache auch das Schwert zu ergreifen und mächtige Genossen seines Standes zum Schwert zu rufen. Er stammte aus einem alten fränkischen Geschlechte, in welchem nicht viel Besitz und Vermögen, aber altes ritterliches Selbstgefühl sich vererbte. Groll gegen das Mönchthum und was damit zusammenhing, mußte er schon von früher Jugend an in sich tragen. Denn er war schon als Knabe von seinem Vater in ein Kloster gegeben worden und daraus als 16jähriger Jüngling mit Crotus' Hilfe entflohen. Indem er das wissenschaftliche Streben dieses Freundes theilte, lernte er das poetische und rhetorische Latein der damaligen Humanisten mit aller Gewandtheit schreiben. Bei allen Verirrungen, Abenteuern und unstätem Hin- und Herziehen bewahrte er sich doch einen elastischen höheren Schwung des Geistes, womit er der freien edlen Wissenschaft dienen wollte, und einen ritterlichen Muth, der ihn mit einer den humanistischen Genossen nicht eben häufigen Offenheit und Geradheit in den Streit trieb. Während er über Luthers Sache noch wie über eine klägliche, mönchische Zänkerei lachte, versetzte er selbst schon den überlieferten päpstlichen Ansprüchen einen Schlag durch die neue Herausgabe einer Schrift des berühmten, längst verstorbenen italienischen Humanisten Laurentius Valla über die sogenannte Schenkung Constantins: die Unechtheit des Edicts, wodurch dieser Kaiser dem päpstlichen Stuhl den Besitz Roms, Italiens, ja des ganzen Abendlandes abgetreten haben sollte, war darin unwiderleglich aufgedeckt; Hutten dedicirte übrigens die Schrift dem Papst Leo selbst. Ausgezeichnet aber hat sich dieser Ritter und Humanist vor allen Andern, welche für die Wissenschaft und gegen kirchliche und mönchische Bedrückungen und Anmaßungen stritten, durch deutsche Gesinnung, durch Eifer für die Ehre und Unabhängigkeit seiner Nation. Sie sah er geknechtet in der kirchlichen Abhängigkeit vom päpstlichen Stuhl und unter der Willkür und den Erpressungen, die dieser sich erlaube. Mit Empörung hörte er, wie verächtlich in Italien von den einfältigen und rohen Deutschen geredet wurde, wie selbst auf deutschem Boden die römischen Sendlinge solchen Hochmuth zur Schau trugen, wie auch schlechte Deutsche durch Kriecherei und Knechtsdienst, wozu sie im Trachten nach Gunst und Aemtern vor dem päpstlichen Stuhl sich erniedrigten, zu Hohn und Geringschätzung Anlaß gaben. Er warnte vor gewaltsamem Ausbruch der von Rom schon fast erdrosselten deutschen Freiheit. Zugleich rügte er die Laster, an welchen die Deutschen selbst leiden, namentlich die Trunksucht, von der wir auch Luther schon reden hörten, ferner die der Gegenwart eigenen Uebel, die Neigung zur Ueppigkeit und das wucherische Treiben im Handel und Verkehr, wogegen Luther gleichfalls sich wandte. Wie die Würde Deutschlands, so war ihm die Ehre und Macht seines Kaiserthums angelegen. Bei dem allen bestimmten ihn freilich unwillkürlich immer speziell die Gesichtspunkte und Interessen des Ritterstandes. Dieser mußte eben auch im Kaiserthum eine Hauptstütze für sich erkennen, sowie die kaiserliche Machtstellung zugleich mit seiner eigenen besonders durch die zunehmende Macht der einzelnen Landesfürsten gesunken war. Im aufblühenden Bürgerthum Deutschlands sah er überwiegend nur Krämergeist mit den vorhin genannten Uebeln. In die festen Ordnungen des Rechtes und Friedens, die mit Mühe am Ende des Mittelalters in Deutschland hergestellt worden waren, wußte er am wenigsten sich zu finden; er griff, wenn er sich oder das Recht überhaupt gekränkt sah, vielmehr gern zu den alten Gewaltmitteln. Auch Hutten hat das Ritterthum hierin nicht verläugnet.

Eine materielle Macht, um reformatorische Gedanken auf dem politischen und dem damit zusammenhängenden äußerlich kirchlichen Gebiet in's Werk zu setzen, fehlte Hutten vollständig. Ueberdies finden wir bei ihm auch nie bestimmte und klare positive Pläne oder Ideen für Reformen, noch auch einen gründlichen und ruhigen Einblick in die vorliegenden Verhältnisse und Aufgaben, aus welchem solche allein hervorgehen konnten. Sein Ruf, so aufrüttelnd und aufregend er wirken mochte, verhallte in's Weite und Unbestimmte hinein.

Aber er bekam nun einen thatkräftigen und mit Macht ausgestatteten, kriegsgeübten und der politischen Verhältnisse kundigen Genossen in Franz von Sickingen, dem Ritter von »männlichem, ehrlichem und trutzigem Gemüth«, wie er in einer alten Chronik bezeichnet wird.. Derselbe hatte schöne Besitzungen, darunter die festen Burgen Landstuhl bei Kaiserslautern und Ebernburg bei Kreuznach, und hatte bereits in einer Reihe von Kämpfen, die er in seinen eigenen Angelegenheiten und für die verletzten Rechte Anderer führte, die Energie und das Geschick gezeigt, womit er Schaaren von Landsknechten aufzubringen und mit ihnen in rücksichtsloser Kriegführung seine Absichten zu verfolgen wußte. Jetzt gewann ihn Hutten für die Sache Reuchlins, der mit seinen alten verketzernden Anklägern, Hoogstraten und den Kölner Dominicanermönchen, noch immer in einen Prozeß verwickelt war. Ein richterliches Urtheil, wodurch diese mit ihren Beschuldigungen zurückgewiesen und zur Bezahlung der hohen Prozeßkosten verurtheilt wurden, war auf ihr Betreiben vom Papst nicht bestätigt worden. Ihnen und überhaupt dem deutschen Dominicanerorden kündigte Sickingen Fehde an zu Gunsten des »alten, frommen Doctor Reuchlin«. Trotz Säumens und Widerstrebens mußten sie sich zum Zahlen jener Summe entschließen. Inzwischen gingen Hutten, wohl unter dem Einfluß seines Freundes Crotus, auch die Augen auf über den Mönch Luther. Indem er im Januar 1520 bei Sickingen auf der Burg Landstuhl verweilte, besprachen sie sich über die Hilfe, die dem mit dem Bannfluch Bedrohten gewährt werden müsse, und Sickingen bot ihm Schutz bei sich an. Zugleich machte Hutten sich daran, selbst die heftigsten Streitschriften und Satiren gegen Rom ausgehen zu lassen: so verfaßte er vor Allem eine, die er die römische Dreifaltigkeit nannte, indem er in ihr die lange Reihe römischer Anmaßungen und Kniffe, Sünden und Aergernisse so vorführte, daß er je drei derselben zusammenstellte. Zu Ostern besprach er sich auch mit dem heimkehrenden Crotus persönlich in Bamberg.

Fr. v. Sickingen
Abb. 21: Fr. v. Sickingen nach einem alten Kupferstich.

Bei ihren Wünschen und Absichten in Sachen Deutschlands und der Kirche setzten die beiden Ritter frohe Hoffnungen auf den jungen neuen Kaiser, der jetzt aus Spanien ausbrach und am 1. Juni an der niederländischen Küste landete. Sickingen hatte sich um seine Wahl Verdienste erworben. Einen wahrhaft deutschen Kaiser hatte er in ihm zu bekommen gehofft, im Gegensatz zu dem damals nach der Kaiserkrone strebenden König Franz von Frankreich. Und ein Gegner seiner Wahl war ja der Papst gewesen, Hauptförderer derselben Luthers Gönner Friedrich. Von Karls Bruder Ferdinand wurde auch darum Günstiges erwartet, weil er ein Freund der edeln Wissenschaften sei. Hutten hoffte sogar eine Stelle an seinem Hof bekommen zu können.

Von dieser Seite also wurde Luthern jetzt die Hand geboten.

Aus Luthers Munde hören wir Huttens Namen überhaupt zum erstenmal im Februar 1520, und zwar aus Anlaß der durch ihn herausgegebenen Schrift des Valla. Diese obgleich schon zwei Jahre vorher veröffentlicht, war ihm damals erst durch einen Freund bekannt geworden. Sie hatte ihn aber gewaltig erregt: die Lügen, die darin aufgedeckt seien, bestätigten ihm auf's Neue, daß der Papst der rechte Antichrist sei.

Kurz darauf langte bei Melanchthon ein Brief Huttens an, der jenes Anerbieten Sickingens enthielt (ein Schreiben, das Hutten schon mehrere Wochen vorher abgesandt, hatte seinen Bestimmungsort nicht erreicht). Sickingen hatte ihn beauftragt, an Luther zu schreiben; vorsichtig ließ er selbst, um seinen Verkehr mit Luther nicht kund werden zu lassen, die Sache durch Melanchthon gehen. Sickingen, schrieb er, lade Luther, falls ihm Widriges drohe, zu sich ein und wolle für ihn thun, was er vermöge. Er selbst fügte bei: Jener vermöge so viel, als er für Reuchlin ausgerichtet habe; könnte doch, sagte er, Melanchthon sehen, was Sickingen dort an die Mönche geschrieben! Geheimnißvoll sprach er auch von gar wichtigen Verhandlungen, die er mit Sickingen habe; er hoffe, es werde den Barbaren (d. h. Feinden der Wissenschaft) und denen, welche einen unter das römische Joch bringen wollen, übel ergehen. Bei solchen Absichten übrigens hofft er, wie er sagt, eben auf Ferdinand. – Nach der Zusammenkunft mit Crotus in Bamberg ermahnte auch Crotus Luther, die Güte Sickingens, dieses großen Führers des deutschen Adels, nicht gering zu achten. Man hörte damals davon reden, daß Luther, wenn er in Wittenberg nicht mehr bleiben könne, zu den Böhmen fliehen werde: dringend warnt ihn Crotus davor; eben hierzu, sagt er, möchten die Gegner ihn nöthigen, weil sie wissen, wie verhaßt der Name Böhmen in Deutschland sei. Auch Hutten selbst schrieb dann noch an Luther, indem er ihn in frommer biblischer Sprache ermunterte, Stand zu halten und mit ihm an der Befreiung des Vaterlandes weiter zu arbeiten, ihm die Einladung des »N.« (er nannte ihn nicht) wiederholte und ihn versicherte, daß dieser ihn gegen Feinde aller Art rüstig vertheidigen werde.

Zugleich kam an Luther eine Einladung desselben Inhalts von dem Ritter Silvester von Schauenburg. Auch er hatte vernommen, daß Luther zu den Böhmen gehen wolle. Er aber wollte mit noch hundert andern Adeligen, die er mit Gottes Hilfe aufbringen werde, ihn vor seinen Widersachern beschirmen, bis über seine Sache in rechter christlicher Weise entschieden sei.

Ob Luther wirklich schon mit dem Gedanken an eine Flucht nach Böhmen sich trug, können wir nicht mehr feststellen. Aber wir wissen, wie ernstlich er schon im Herbst 1518, nachdem er dem Legaten den Widerruf verweigert hatte, eine Pflicht und Nothwendigkeit, Wittenberg zu verlassen, vor sich sah. Wie viel mehr mußte die ihm jetzt vor Augen stehen, da die Nachrichten über die bevorstehende Entscheidung aus Rom kamen, sein Kurfürst selbst von dort her verwarnt, und schon auch in Deutschland von einem Fürsten, wie Herzog Georg von Sachsen, gegen eine weitere Duldung seiner Thätigkeit bei Friedrich protestirt wurde. Auf eine Zuflucht aber, die Luther, wie er früher meinte, etwa in Paris suchen könnte, war nicht mehr zu hoffen: er war seit der Leipziger Disputation im Fortschritt seiner Lehren und besonders in seiner Erklärung für Hus weit über das, was die dortige Universität wollte oder duldete, hinausgegangen.

In dieser Lage erhielt er jene Einladung. Wie eine klare Fügung von Oben mußte sie ihn berühren. Die Briefe, in denen er antwortete, sind uns nicht erhalten. Wir hören jedoch, daß er an Hutten schrieb: er setze auf Sickingen größere Hoffnungen, als auf irgend einen Fürsten unter dem Himmel. Schauenburg und Sickingen haben ihn, wie er sagt, von Menschenfurcht frei gemacht; er werde jetzt wohl die Wuth der Dämonen bestehen müssen. Er wünschte, auch der Papst möchte darauf aufmerksam gemacht werden, daß er jetzt vor allen seinen Blitzen nicht etwa in Böhmen, sondern mitten in Deutschland Schutz finden und unter diesem noch ganz anders, als in seiner jetzigen amtlichen Stellung, gegen die Romanisten losbrechen könne.

Im Verlauf des Streites, im Hinblick auf das Treiben seiner Gegner und unter den Nachrichten, die er über das Verhalten des päpstlichen Stuhles erhielt, hatte auch das Bild tiefer Verderbtheit und Nichtswürdigkeit, ja antichristlichen Wesens, das dort vor seinen Augen stand, sich noch immer ärger, voller und umfassender gestaltet. Die reichsten Beiträge dazu fand er jetzt in den Flugschriften der vorhin genannten Männer und den Schilderungen Gleichgesinnter, die, wie Heß und verschiedene Andere, von Italien her zu ihm kamen.

Zugleich war auch in ihm mehr und mehr das Gefühl des Deutschen rege geworden und der Gedanke an das, was speziell die deutsche Christenheit von dort her zu erdulden habe. Ein lebhaftes Bewußtsein davon erwachte in ihm schon seit jenem Augsburger Reichstag v. J. 1518 mit seinem Protest gegen die päpstlichen Forderungen, seinen Beschwerden der deutschen Nation und den hierauf bezüglichen scharfen Schriften, die damals in Umlauf kamen. Er berief sich i. J. 1519 darauf, daß dort auch die deutschen Reichsstände zwischen der römischen Kirche und der römischen Curie unterschieden und diese mit ihren Forderungen abgewiesen haben; den Romanisten aber, welche beides identifiziren, gelte der Deutsche für einen bloßen Tölpel, Dummkopf, Einfaltspinsel, einen Barbaren, eine Bestie, und sie verlachen ihn noch, daß er sich so an der Nase herumführen und ausplündern lasse. Jetzt vereinigte sich sein Wort mit der lauten Stimme Huttens, der eigens eben sein Volk als solches zur Erhebung und zum Kampf antreiben wollte.

Es waren Laien, welche schon bisher jene Beschwerden auch in Betreff kirchlicher Dinge auf Reichstagen vorgebracht hatten und welche jetzt in Flugschriften gegen kirchliche Verderbnisse und Bedrückungen loszogen. Eben Luther aber wollte ja das Urtheil eines Laienchristen, der die heilige Schrift für sich habe, so hoch und höher als das eines Geistlichen und Kirchenfürsten geschätzt haben, und legte den wahrhaft priesterlichen Charakter den Christen insgemein bei; jene Stände des Augsburger Reichstages nennt er dort »Laientheologen«. Jetzt also boten sich ihm Laien in der hervorragenden Stellung jener Adeligen zu einem Wirken für die deutsche Kirche dar. Froh theilten er und Melanchthon auch ihr Vertrauen auf das neue Oberhaupt der Nation.

In mehreren unmittelbar aufeinanderfolgenden Schriften Luthers kam jetzt die höchste Kampfeserregung zugleich mit dem Gedanken an eine vom Laienstand ausgehende Reformation zum Ausdruck; und zwar dachte er sich hiebei diesen Laienstand immer in seiner geordneten staatlichen und nationalen Gliederung, vertreten in den Obrigkeiten und Ständen.

Wir erhalten darin gewaltige Ergüsse heiligen Eifers und Worte inhaltsreicher, christlicher Belehrung zugleich mit den heftigsten Entladungen jener in Luther kochenden natürlichen Leidenschaft. Verglichen mit ihnen klingen die gelungensten Streitschriften der Humanisten und auch die ungestümsten Schriften eines Hutten doch vielmehr nur wie Rhetorik, Reflexion und kunstvoll ausgeführter Witz.

Schon der oben erwähnte, erbauliche, an Lehre und Ermahnung überaus reiche Sermon von guten Werken bricht in die Klage aus, daß alle guten Stiftungen für Gottesdienst, Predigt u.s.w. jetzt dazu dienen müssen, dem Papst sein Volk, seine Knechte, ja seine Buben und Huren zu nähren, und nennt als das beste und einzig übrig bleibende Mittel, daß Könige, Fürsten, Adel, Städte und Gemeinde selbst anfingen und »der Sache einen Einbruch machten«, damit die bisher eingeschüchterten Geistlichen ihnen folgen möchten. Das Bannen und Drohen dürfe man sich nicht anfechten lassen: daran liege so wenig, wie wenn ein toller Vater seinem Sohn drohe, der ihm wehre.

Die schärfsten Entgegnungen riefen dann bei Luther zwei Schriften hervor, welche ihm gegenüber jene göttliche Autorität und Macht des Papstthums rechtfertigten und verherrlichten: die eines Franziscanermönchs Augustin von Alveld und die schon oben erwähnte des Silvester Prierias, die hierin das Größte leistete.

Er zog gegen »den Alvelder Esel« (wie er in einem Brief an Spalatin sich ausdrückt) in einer längeren Widerlegung, der Schrift »Von dem Papstthum zu Rom«, los, weil man endlich einmal die Geheimnisse des Widerchrists aufdecken müsse. »Aus Rom,« sagt er da, »fließen alle bösen Exempel geistlicher und weltlicher Bufferei als aus einem Meer aller Bosheit in alle Welt«; wer darüber trauere, der heiße bei den Römern »ein bon Christian, das ist ein Narr«. Namentlich sei bei ihnen ein Sprichwort, daß man den deutschen Narren das Geld ableckern solle, wie man könne; wenn da die deutschen Fürsten und der Adel nicht »mit tapferm Ernst in der Kürze dazu thun«, werde Deutschland noch wüst werden oder sich selbst fressen müssen.

Des Prierias Schrift veranlaßte ihn in jenem Brief zu dem Ausruf: »Ich mein', sie sind zu Rom alle toll, thöricht, wüthend, unsinnig, Narren, Stock, Stein, Hölle und Teufel worden.« Er versah sie mit kurzen Anmerkungen und einem Vor- und Nachwort. Die paar (lateinisch geschriebenen) Blätter enthalten das Stärkste, was wir hinsichtlich der zuletzt noch »übrig bleibenden Mittel« und hinsichtlich jenes tapferen »Dazuthuns« oder Einschreitens je aus seinem Munde hören: nämlich Kaiser, Könige und Fürsten werden gegen die Wuth und Pest der Romanisten noch zum Schwert greifen müssen. »Wenn wir«, sagt er, »Diebe hängen und Mörder köpfen und Ketzer verbrennen, warum greifen wir nicht diese Cardinäle und Päpste und den ganzen Unrath des römischen Sodom mit allen Waffen an und baden unsere Hände in ihrem Blut?« Was er übrigens in Wirklichkeit jetzt fordern will, ist, wie er fortfährt, das, daß man auch gegen den Papst nach Jesu Vorschrift Matth. 18, 15 ff. Zucht übe und, wenn er darauf nicht höre, ihn wie einen Zöllner und Heiden ansehe.

Während diese Blätter unter der Presse waren, gegen Mitte Juni's, reiste Hutten voll Hoffnung und auch von Luthers und Melanchthons Hoffnungen begleitet zum Bruder des Kaisers nach den Niederlanden und machte unterwegs in Köln dem gelehrten Agrippa von Nettesheim, wie dieser selbst berichtet, mit »etlichen Anhängern der lutherischen Partei« einen Besuch. Da ließen sie, wie Agrippa mit Schrecken sagt, ihre Gedanken laut werden: »Was haben wir zu schaffen mit den Römern und ihrem Bischof? haben wir nicht Erzbischöfe und Bischöfe in Deutschland, daß wir Jenem den Fuß küssen müßten? Deutschland kehre um, und es wird umkehren, zu seinen eigenen Bischöfen und Hirten.« Die Kosten dieser Reise bestritt Hutten aus Geldern, die er vom Erzbischof Albrecht bezogen hatte. Zwischen den Beiden war also das Band auch jetzt nicht zerrissen. Albrecht war unter jenen Bischöfen Deutschlands der erste: Hutten und wohl auch er selbst mochte daran denken, daß eine von Kaiser und Reich ausgehende Reform ihn an die Spitze einer deutschen Nationalkirche stellen könnte.

Luther aber hatte jetzt auch schon die Hand an eine Schrift gelegt, welche jenen deutschen Laienstand laut zum großen Werk aufrufen, die christlichen Fundamente feststellen, die schreiendsten Bedürfnisse und die Ziele in weitem Umfang darlegen sollte.

Es drängte ihn, der Wahrheit, für die er stritt, überhaupt noch den stärksten und vollsten Ausdruck zu geben.

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