Viertes Buch.

Vom Wormser Reichstag bis zum Bauernkrieg und Luthers Eintritt in den Ehestand.

Erstes Kapitel.

Luther auf der Wartburg bis zu seinem Besuch in Wittenberg 1521.

Nachdem Luther auf die Feste gebracht war, mußte er dort als ein ritterlicher Gefangener leben. Er hieß Junker Georg, ließ sich einen stattlichen Bart wachsen, trug statt der Mönchskutte ritterliche Kleider und ein Schwert an seiner Seite. Der Schloßhauptmann Herr von Berlepsch, beherbergte ihn in allen Ehren; namentlich wurde er mit Speise und Trank gastlich bewirthet. In den Räumen der Burg bewegte er sich frei. In Begleitung eines vertrauten Dieners durfte er auch Ritte und Gänge außerhalb derselben machen. So saß er, wie er einem Freund schreibt, dort oben, in der Region der Vögel als ein wunderlicher Gefangener, nolens volens, willig und widerwillig, willig, weil Gott es so wolle, widerwillig, weil er viel lieber öffentlich für's Wort Gottes einstehen möchte, hiezu aber von Gott noch nicht würdig erfunden sei.

Martin Luther
Abb. 28: Luther als Junker Georg nach einem Cranach'schen Holzschnitt.

Auch dafür aber, daß er wenigstens brieflich mit seinen Freunden und namentlich mit den Wittenberger Genossen verkehren konnte, wurde sogleich Fürsorge getroffen. Die Briefe liefen mittelst fürstlicher Boten durch Spalatins Hand. – Als Luther späterhin vernahm, daß sein Aufenthaltsort ruchbar geworden war, schickte er dem Spalatin einen Brief, worin stand: »Es ist, wie ich höre, ein Gerücht verbreitet, daß Luther auf der Wartburg bei Eisenach sich aufhalte; die Leute vermuthen es deßwegen, weil ich dort im Walde gefangen genommen worden sei; während sie aber so meinen, sitze ich hier sicher im Verborgenen; – wenn mich Bücher, die ich herausgebe, verrathen, so werde ich meinen Ort verändern; es ist wunderbar, daß niemand an Böhmen denkt.« Diesen Brief, meinte Luther, könne Spalatin irgendwie den lauernden Widersachern in die Hände fallen lassen, um sie in ihren Vermuthungen irre zu leiten. Spalatin machte von diesem naiven Versuch, schlau zu sein, keinen Gebrauch. Derselbe hätte schwerlich viel ausgerichtet und diejenigen, welche die Absicht merkten, erst vollends recht auf die Wartburg hingewiesen. Es gelang übrigens merkwürdig gut, das Geheimniß des Ortes zu wahren, auch nachdem die Vermuthung und Kenntniß davon, daß er irgendwo in den sächsischen Landen zu suchen sei, sich verbreitet hatte. Ja noch im Jahr 1528 bemerkt Luthers Freund Agricola, daß derselbe bis dahin verheimlicht geblieben sei, während einige ihn sogar durch ein Befragen des Teufels haben erfahren wollen, und noch mehr als zwanzig Jahre später berichtet Luthers Gegner Cochläus, es solle Alstedt in Thüringen gewesen sein.

Es war keine Reichsgewalt da, die es für nöthig oder angemessen gehalten hätte, dem durch's Wormser Edict Verurtheilten eigens nachzuspüren. Der Kaiser hatte Deutschland wieder verlassen und war mit Frankreich in Krieg gerathen.

In seiner stillen Einsamkeit warf Luther sich auch sogleich wieder in die Arbeiten seines Berufes, so weit er ihnen dort nachkommen konnte: es war das Studium der heiligen Schrift und die eigene schriftstellerische Thätigkeit im Dienste des göttlichen Wortes. Er hatte jetzt mehr Zeit als je zuvor, die Bibel in ihren Grundsprachen durchzuarbeiten: »Ich sitze,« so schreibt er schon zehn Tage nach seiner Ankunft dem Spalatin, »hier den ganzen Tag müßig und lese die griechische und hebräische Bibel.«

In der Festzeit zwischen Ostern und Pfingsten begann sein Aufenthalt auf der Burg. Da schrieb er denn sogleich eine Auslegung des 68. Psalms, dem er besondere Beziehung auf die Himmelfahrts- und Pfingstthatsachen gab.

An der Befreiung der Gemeinde vom päpstlichen Joch wollte er sogleich weiter arbeiten durch eine Schrift »von der Beichte, ob die der Papst Macht habe zu gebieten«: er preist die Beichte, in der man sich selbst demüthige und von Gott durch den Mund eines christlichen Bruders Vergebung empfange, aber jeden Zwang zum Beichten verwirft er, und warnt vor Priestern, welche daraus ein Mittel ihrer Gewalt machen. Dem Ritter Sickingen stattete er jetzt öffentlich Dank ab, indem er die Schrift ihn. widmete. – »Dem gestrengen und festen Francisco von Sickingen, meinem besondern Herrn und Patron.« In der Zuschrift an ihn wiederholte er die Befürchtungen, die er längst in Betreff des Unheils ausgesprochen, das der Klerus durch die eigene Unverbesserlichkeit und Hartnäckigkeit über sich herbeiziehen werde. »Ich habe,« sagt er, »oft Friede angeboten, zur Antwort mich erboten, disputirt; es hat mich nichts geholfen, da hat kein Recht, sondern eitel Frevel und Gewalt mir begegnet, nit mehr, denn widerrufen aufgelegt und alles Unglück gedräuet.« Dann sagt er von der Bedeutung des gegenwärtigen Augenblicks, wo er sich habe zurückziehen müssen. »Ich kann nit mehr thun, ich bin nun von dem Plan geschupft; sie haben nun Zeit zu wandeln (anders zu machen) was man von ihnen nit leiden kann, noch soll, noch will; wandeln sie nit, so wird ein Anderer ohn' ihren Dank wandeln, der nit, wie Luther, mit Brief und Worten, sondern mit der That sie lehren wird; es ist, Gott Lob und Dank, des Hanfpotzens zu Rom Furcht und Scheu einmal weniger worden.« Und weiter über ihr Trotzen: »Sie mit dem Kopf hindurch – da ist kein Hören noch Bedenken; wohlan, ich hab auch mehr Wasserblasen gesehen und einmal so einen so freveln Rauch, der sich unterstund, die Sonne zu dämpfen, aber der Rauch ist nimmer, die Sonne leucht' noch; ich will fortfahren, die Wahrheit auszuputzen und herfür machen, und meine ungnädigen Herrn also wenig fürchten, als viel sie mich verachten.«

Zugleich brachte Luther jene Auslegung des Lobgesanges der Maria, die er dem Prinzen Johann Friedrich zugedacht, mit liebevoller Hingabe an seinen Gegenstand jetzt vollends zum Abschluß. Auch die Arbeit an den sonntäglichen Evangelien und Episteln, von der er den ersten Theil in lateinischer Sprache schon herausgegeben hatte, nahm er jetzt wieder auf. Ihr aber gab er jetzt eine neue, für das christliche deutsche Volk sehr wichtige Wendung: deutsch nämlich wollte er jetzt diese Predigttexte behandeln und zwar auch diejenigen, welche er dort schon lateinisch bearbeitet hatte. So entstand seine erste Predigtsammlung, die Kirchenpostille. Schon im November konnte er einen ersten Theil derselben zum Drucke geben, der jedoch nur langsam voran ging. In einfacher Auslegung des biblischen Wortes, ohne jeden kunstvollen rednerischen Aufbau oder Schmuck, aber in stetem frischem Hinblick auf das Leben, mit fortwährender Beziehung auf die Grundfragen des Heiles, in kerniger, anschaulicher durch und durch volksthümlicher Sprache begann er hier die gesammte christliche Wahrheit vorzutragen und an's Herz zu legen. Das Werk diente sowohl anderen Predigern des neu verkündigten Evangeliums zu ihrer eigenen Ausbildung und Unterstützung, als unmittelbar den Gemeindegliedern zur Erbauung und Belehrung. Es schritt übrigens weiterhin nur allmählich fort, und Luther hat es erst nach langen Jahren durch Freunde, welche gedruckte oder nachgeschriebene einzelne Predigten von ihm sammelten, zum Schlusse führen lassen. – Speziell für seine Wittenberger Gemeinde, zu ihrem Trost und ihrer Berathung, schrieb Luther eine Auslegung des 37. Psalms. – Nicht minder rüstig und kräftig aber führt er während des Juni's die Feder auch wieder in streng gelehrter lateinischer Polemik – gegen einen der Löwener Theologen, Latomus.

Und doch klagte er immer wieder, daß er so müßig dasitzen müsse: er würde lieber im Dienst des göttlichen Wortes sich verbrennen lassen als einsam verfaulen. Die leibliche Ruhe, die bei ihm an die Stelle der fortgesetzten rührigsten Thätigkeit auf Katheder und Kanzel, und die reiche ritterliche Kost, welche an die Stelle einfacher Klosternahrung getreten war, brachte ohne Zweifel auch die körperlichen Leiden mit sich, die ihn jetzt lange Zeit schmerzlich quälten, seine Geduld auf die Probe stellten und seine Stimmung niederdrücken mußten. Er litt bis in den October hinein namentlich an der peinlichsten Verstopfung und andern damit zusammenhängenden Uebeln. In seiner Noth hatte er einmal schon im Sinne, nach Erfurt zu gehen und an dortige Aerzte sich zu wenden. Kräftig wirkende Pillen, wohl Aloepillen, die Spalatin ihm verschaffte, brachten ihm damals wenigstens zeitweise Abhilfe.

Er machte sich Bewegung in den schönen Wäldern bei der Burg. Da suchte er, wie er noch später erzählte, Erdbeeren. Im August hat er dem Spalatin auch von einer Jagd zu berichten, der er an zwei Tagen beigewohnt habe: er habe »dieses bittersüße Vergnügen der Heroen« sich ansehen wollen; »wir haben,« sagt er, »zwei Hasen und etliche elende Rebhühnchen erjagt, wahrlich eine würdige Beschäftigung müßiger Leute!« Auch unter den Netzen und Hunden aber hat er, wie er sagt, Theologie getrieben. Er sah dort ein Bild des Teufels, der durch List und gottlose Lehre unschuldige Thierlein jage. Noch schwerere Gedanken machte ihm das Schicksal eines Häschens, das mit seiner Hilfe vor der Gefahr gerettet und von ihm in den langen Aermel seines Mantels gewickelt, dann aber, als er denselben daliegen ließ und ein wenig sich entfernte, von den Hunden dort todtgebissen ward: »so,« sagt er, »wüthet Papst und Satan, auch schon gerettete Seelen trotz meines Bemühens zu verderben.«

Damals meinte er auch allerhand Teufelspuk zu hören und zu sehen, von dem er noch lange nachher hin und wieder Freunden erzählte, den er aber schon damals mit großer Ruhe aufnahm: wunderliches Gerumpel in einem Kasten, in welchem er sich Haselnüsse aufbewahrte, nächtliches Gepolter auf der Treppe, die unerklärliche Erscheinung eines schwarzen Hundes in seinem Bett. Von dem bekannten Tintenklecks auf der Wartburg jedoch hören wir aus jener und den nächstfolgenden Zeiten noch nichts; auch hat man einen solchen noch im vorigen Jahrhundert vielmehr auf Schloß Koburg, wo Luther 1530 sich aufhielt, vorgezeigt.

Draußen währte indessen die von Luther ausgegangene Bewegung fort und wuchs an trotz seines Verschwindens. Man mußte einsehen, wie wenig man sie damit, daß man ihn wegräumte, schon erdrücken könnte. Bald sollte sich auch zeigen, wie viel andererseits an ihm dafür liege, daß sie nicht wirklich Gefahr und Verderben bringe.

In Wittenberg arbeiteten die Freunde getreulich und ungestört weiter. So sehr Melanchthon um Luther sich kümmerte und nach ihm sich sehnte, so ruhig vertraute Luther auf ihn und seine Leistungen, neben denen man seiner eigenen Anwesenheit nicht bedürfe. Mit freudigem Glückwunsch empfing er auf der Wartburg die einzelnen Druckbogen einer Schrift, in welcher Melanchthon, indem er zunächst nur die Grundbegriffe und Lehren der Bibel und namentlich des Römerbriefs erklären wollte, das Fundament zur Dogmatik der evangelischen Kirche gelegt hat (die sogenannten Loci Melanchthons). Eben jetzt waren dort auch neue Kräfte in die Arbeit und den Kampf eingetreten. Schon kurz vor Luthers Abgang nach Worms war in Wittenberg Johann Bugenhagen aus Pommern erschienen, nur zwei Jahre jünger als Luther, in theologischer und humanistischer Wissenschaft gut vorgebildet, für Luthers Lehre bereits durch seine Schriften und zwar besonders durch die von der babylonischen Gefangenschaft gewonnen. Schon war er auch persönlich mit Luther und Melanchthon befreundet worden, und bald begann er auch an der Universität zu lehren. An den biblischen Vorlesungen der Universität, welche dort der eigentliche Ort für den Vortrag der evangelischen Lehre waren, betheiligte sich schon vorher Johann Agricola aus Eisleben. Dieser, 1494 geboren, hielt sich schon seit dem Jahr 1516 in Wittenberg auf. Er hatte sich von Anfang an an Luther angeschlossen und sein, wie auch Melanchthons Vertrauen erworben. Jetzt docirte er an der Hochschule und war zugleich seit Frühjahr 1521 von der Stadt als Katechet, der den Kindern Religionsunterricht zu ertheilen hatte, bei der Pfarrkirche angestellt. Für Wittenberg wurde jetzt ferner der wegen seiner gelehrten Bildung angesehene und schon so entschieden als Freund Luthers aufgetretene Justus Jonas gewonnen. Kurz nachdem er diesen von Erfurt aus auf dem Wormser Reichstag begleitet hatte, erhielt er durch Verleihung des Kurfürsten die Stelle des Propstes an der Wittenberger Allerheiligenkirche und wurde dann auch Mitglied der theologischen Fakultät. Der Bannfluch, dem mit Luther namentlich auch Melanchthon verfallen war, schreckte die Menge der Studirenden nicht zurück. Die akademische Jugend, welche aus ganz Deutschland, der Schweiz, Polen und andern Ländern hier sich zusammengefunden hatte, wird wegen der schönen Eintracht gerühmt, in der sie, anders als damals auf den meisten Universitäten der Fall war, mit einander gelebt und sich den besten Studien gewidmet habe; überall habe man Studirende mit Bibeln in der Hand gesehen; die jungen Adeligen und Bürgerssöhne haben guter Zucht sich befleißigt; namentlich habe man die anderswo üblichen, für die Musen so verderblichen Trinkgelage nicht gekannt.

In allen deutschen Landen hatte Luther besonders vollends durch sein Auftreten in Worms die Augen auf sich gezogen. Die Verhandlungen vor dem Reichstag wurden, wie es heutzutage durch Zeitungen geschieht, so damals durch kürzere und längere Flugblätter alsbald nach allen Seiten hin berichtet. Namentlich wurden Luthers Reden vor dem Reichstag nach Aufzeichnungen, die theils von seiner eigenen Hand herstammten, theils von Andern gemacht waren, veröffentlicht. Fortwährend und besonders eben während des Reichstags beschäftigten sich andere kurze Druckschriften mit volksthümlicher Darstellung und Erörterung seiner Sache, wobei die Gesprächsform die beliebteste blieb. Was ihm in Worms widerfahren war, wurde sogleich auch in einer »Passion Dr. Martin Luthers« dargestellt, nämlich, wie schon der Titel andeuten sollte, entsprechend der biblischen Erzählung vom Leiden Jesu. Dann kam die aufregende und spannende Kunde von seinem plötzlichen Verschwinden durch dunkle Gewaltthat, und um so mehr wirkten wiederum die ersten Kundgebungen von ihm selbst, dem Geretteten, der aus seiner Verborgenheit heraus mit ungebeugtem Muth und Trotz zu sprechen und zu streiten fortfuhr.

Als Schriftsteller, welche in jenem Sinn und jener volksthümlichen Weise zu wirken begannen, haben wir jetzt vorzüglich Eberlin von Günzburg, zuvor Franziskanermönch in Tübingen, zu nennen; ferner den Augustinermönch Michael Stifel aus Eßlingen, der auch selbst nach Wittenberg kam und in den dortigen Freundeskreis eintrat; weiterhin den Franziskaner Heinrich von Kettenbach in Ulm. Von andern einflußreichen Schriften, wie von dem Gesprächsbüchlein »Neu Karsthans« (Karsthans – Name für den Bauern), sind die Verfasser noch heute nicht mit Sicherheit ermittelt. In solchen Männern und Schriften erhoben sich bereits Gedanken und Ideen, welche über Luthers Absichten hinausgingen, auf Gebiete hinübergriffen, die er von seinem religiösen Gebiete vielmehr immer bestimmter geschieden haben wollte, auch auf Waffen hinwiesen, die er geradezu verwarf. So enthält jener »Karsthans« den Rath, nach dem Beispiel der böhmischen Hussiten den meisten Theil der Kirchen abzubrechen, weil an ihnen der pfäffische Geiz und Aberglauben hänge; dabei wird an eine Erhebung gegen den Klerus gedacht, in der Adelige und Bauern zusammenhalten möchten. Der ungemein regsame Eberlin ging, indem er die umfassendsten kirchlichen Reformvorschläge machte, zugleich auf bürgerliche, soziale, volkswirthschaftliche Fragen und Bedürfnisse ein, die Luther nur kurz in seiner Schrift an den deutschen Adel berührt hatte, von seiner eigenen Aufgabe aber immer wohl zu unterscheiden wußte; er zeigte sich dabei noch weit mehr als Luther dem großen kaufmännischen Treiben abgeneigt; er sprach von einer Festsetzung billiger Lebensmittelpreise durch die Obrigkeit, von einer Besetzung der obrigkeitlichen Stellen durch Wahl und einer Betheiligung auch der Bauern dabei, von einer Freiheit der Jagd, des Fischfangs u.s.w.

Das Wormser Edict, wonach die ketzerische Predigt und Literatur überall verfolgt und unterdrückt werden sollte, wurde in den einzelnen Ländern und Städten von den Fürsten und Magistraten publizirt, aber es fehlte an der Kraft und theilweise auch am Willen, es nachdrücklich zu vollziehen.

In Erfurt gab schon kurz nach jener Durchreise Luthers auf der Fahrt nach Worms das Einschreiten des Klerus gegen ein Mitglied eines geistlichen Stiftes, das damals bei der Huldigung für ihn sich betheiligt hatte, den ersten Anlaß zu heftigen und wiederholten Tumulten. Studenten und Leute aus dem Volk und Pöbel fielen über mehr als sechzig »Pfaffenhäuser« her und verwüsteten sie. Aber Luther erklärte sofort seinen Freunden, daß er hierin den Satan erkenne, der dem Evangelium Schande und gerechte Vorwürfe bereiten wolle.

Anderswo, und zwar vor Allem in Wittenberg, machte man sich in seiner Abwesenheit daran, das, wofür er mit seinem Worte gestritten, jetzt auch positiv durchzuführen. Mit reifer, ruhiger Ueberlegung und Zusprache nahm er in seiner Einsamkeit wie von einer Warte aus daran Theil. Er hatte ein sehr lebendiges und, wie er selbst bekennt, oft peinliches Bewußtsein der eigenen Verantwortlichkeit als derjenige, der das ganze Feuer zuerst angezündet habe und besonders der Gemeinde Wittenberg als Lehrer und Hirte verpflichtet sei.

Bald nach seiner Ankunft auf der Wartburg erhielt er die Nachricht, daß Bartholomäus Bernhardi aus Feldkirchen, Propst in dem nahe bei Wittenberg gelegenen Städtchen Kemberg, offen und unter Zustimmung seiner Gemeinde ein Weib zur Ehe genommen habe. Derselbe war nicht der erste Geistliche, welcher das unchristliche kirchliche Eheverbot zu durchbrechen wagte, aber unter den Ersten der Angesehenste, dazu ein spezieller Schüler Luthers, ferner eine durchaus unbescholtene Persönlichkeit. Luther schrieb darüber in Melanchthon: »Den neuen Ehemann bewundere ich, der in dieser stürmischen Zeit nichts fürchtet und dazu so sich beeilt hat; Gott wolle ihn leiten.«

In Wittenberg ging man nicht ohne Ungestüm zu der Forderung weiter, daß jetzt auch das Mönchthum abgethan, ferner daß Messe und Abendmahl der Einsetzung Christi gemäß umgeändert werde. Es schien, als ob hier an die Stelle Luthers, der mit dem einfachen Zeugniß des Wortes und der Lehre vorangegangen war, jetzt zwei andere Männer als praktische energische Reformatoren treten sollten. Der eine war Luthers alter College Carlstadt. Er kam im Juli von einem kurzen Aufenthalt in Kopenhagen, wo der dänische König ihn zu einer Thätigkeit im Sinn der neuen evangelischen Theologie an die Universität berufen, aber bald wieder entlassen hatte, nach Wittenberg zurück und griff hier mit leidenschaftlichem, ehrgeizigem und unklarem Eifer nach der ersten Rolle. Der andere war der Augustinermönch Gabriel Zwilling, der in der Kirche des Klosters als feuriger Prediger auftrat und trotz seiner unansehnlichen Erscheinung und schwachen Stimme auch eine Menge Zuhörer aus der Stadt und Universität um sich sammelte und fortriß. Ein junger Schlesier berichtete damals von der Universität Wittenberg aus nach Hause über ihn: »Gott hat uns einen andern Propheten erweckt, viele nennen ihn einen zweiten Luther; Melanchthon versäumt keine seiner Predigten.«

Für die Geistlichkeit wollte Carlstadt in verkehrter Schriftauslegung den Ehestand gar zum Gesetz erheben. Man dürfe nur Verheirathete zu geistlichen Stellen berufen. Für die Mönche und Nonnen nahm er Freiheit in Anspruch, das klösterliche und ehelose Leben, wenn sie die sittlichen Forderungen desselben unerträglich fänden, aufzugeben, brachte aber auch hiefür unglückliche biblische Begründungen vor und erklärte dabei das Abgehen von dem Gelübde doch immer noch für eine Sünde, die indessen dadurch gerechtfertigt werde, daß man die noch größere Sünde einer Unkeuschheit im Mönchsstand fern halte. Hatte Luther gefordert, daß der Kelch beim Abendmahl gemäß der ursprünglichen Einsetzung Christi auch den Laien wieder gewährt werde, so wollten jetzt Carlstadt und Zwilling die Theilnahme an einem Abendmahl ohne Laienkelch den Einzelnen zur Sünde machen. Noch weiter sollten dann auch die äußerlichen Formen bei der Ausspendung nach jenem Mahle, das Jesus selbst einst mit seinen zwölf Jüngern hielt, eingerichtet werden. So wollte Zwilling, daß je zwölf Communikanten mit einander das Brod und den Wein genießen sollten. Auch darauf wurde gedrungen, daß, wie es bei jenem Mahl geschehen sei, die Elemente den Einzelnen zu ihrem Genuß in die eigene Hand gegeben und nicht vom Geistlichen in den Mund geschoben werden müßten. Das Meßopfer wollte Zwilling von jetzt an nicht mehr geduldet haben, während Carlstadt mit Bezug auf dieses Hauptstück des bisherigen Kultus doch vorsichtiger vorangehen zu müssen meinte.

Ueber diese Fragen und Bestrebungen äußerte sich nun Luther zu Anfang Augusts dem Melanchthon gegenüber, der selbst lebhaft von ihnen erregt war, sich aber in manchen Beziehungen unsicher fühlte. Daß man das Abendmahl nach der ursprünglichen Einsetzung mit dem Kelch in Wittenberg wieder herstelle, hatte auch Luthers Beifall: denn die Tyrannei, welche die christliche Gemeinde bisher in dieser Hinsicht erlitten, habe man dort erkannt und vermöge ihr zu widerstehen. Er erklärte ferner in Betreff der Privatmessen (ohne Gemeindecommunion), daß er selbst in Ewigkeit keine mehr zu halten entschlossen sei. Aber drängen und zwingen wolle er nicht; wenn Einer, der noch unter der Tyrannei stehe, an einer Communion ohne Kelch theilnehme, dürfe man ihm es doch nicht zur Sünde anrechnen. Für die Noth der Mönche und Nonnen unter dem von ihnen übernommenen Gelübde hegte er fortwährend kein geringeres Mitgefühl, als die Wittenberger Genossen; aber die Argumente, mit denen diese ihnen zur Freiheit verhelfen wollten, fand er nicht stichhaltig. Schärfer und tiefer dachte er selbst jetzt diesem Gegenstand weiter nach und schickte bald eine Reihe von Sätzen darüber nach Wittenberg. Die Gelübde selbst griff er an, und zwar in ihrer Wurzel. Denn gemeiniglich seien jene Keuschheit und die anderen Mönchsleistungen Gott angelobt in der Meinung und Absicht, daß man dadurch als durch eigene Werke und eigene Gerechtigkeit sich die Seligkeit erwerbe: das sei nicht ein Gelübde nach Gottes Willen, sondern eine Verläugnung des Glaubens. Und wenn auch Einer in frömmerem Sinn gelobt habe, so habe er sich wenigstens eigenmächtig unter einen Zwang und ein Joch gestellt, das dem Evangelium und der Freiheit, die der Glaube in Christo habe, widerstreite. Noch weiter führte dann Luther aus, daß die Keuschheit, die der Mönch leisten sollte, ja nur möglich sei, durch die besondere Gabe, von der der Apostel 1. Korinth. 7 rede: wie dürfe man Gott eine Leistung angeloben, zu der er selbst erst die Möglichkeit einem schenken müßte? und so gelobe dann einer eine Keuschheit, die ihm in Wahrheit nicht möglich sei, während ihm eine wahre Keuschheit in dem von ihm verachteten Ehestand von Gott möglich gemacht wäre. So sind ihm diese Gelübde von vorn herein verwerflich, Gott mißfällig, haben für einen Christen, der im Glauben frei geworden ist und den wahren Gotteswillen erkannt hat, keine Giltigkeit mehr.

Während übrigens diese Frage speziell auch ihn selbst, den Augustinermönch, anging, verhielt er sich persönlich zu einem Gebrauch der Freiheit, deren er sich innerlich theilhaftig wußte, so kühl wie möglich. Als er jene Nachrichten aus Wittenberg erhielt, schrieb er an Spalatin: »Guter Gott, unsere Wittenberger werden auch noch den Mönchen Eheweiber geben, aber mir sollen sie keines aufdrängen.« Und den Melanchthon fragt er scherzend, ob derselbe an ihm etwa dafür, daß er ihm zu einer Frau verholfen habe, sich rächen wolle; er werde sich davor schön zu hüten wissen.

In Wittenberg war große Erregung und Spannung, besonders der Messe wegen. Im Augustinerkloster hielt es die große Mehrheit der Mönche mit Zwilling; sie wollten nur noch jenen Abendmahlsgottesdienst nach Christi Einsetzung halten. Dagegen widerstrebte der Prior Held. Nicht minder eifrig als jene erklärte sich an der zur Universität gehörigen Stiftskirche der Propst Jonas und fand heftigen Widerstand bei anderen Mitgliedern des Stifts. Ein Ausschluß von Männern der Universität und des Stifts, von dem der Kurfürst im October ein Gutachten forderte, sprach seiner Mehrheit nach sich gleichfalls in jenem Sinne aus, ja bat den Fürsten selbst, den Mißbrauch der Messe abzuthun. Aber den Gedanken, aus eigener Vollmacht Neuerungen zu verordnen, mit welchen man von der großen christlichen Gesammtkirche abweichen würde, wies Friedrich weit von sich ab, zumal man ja nicht einmal in Wittenberg darüber einig werden könne; er wollte nur immer darauf sich beschränken, dem neuen Zeugniß von der biblischen Wahrheit Raum und Schutz zu gewähren, bis es ordentlich von der Kirche geprüft sei. In der Kirche des Angustinerklosters wurde jetzt Messe und Abendmahl überhaupt eingestellt.

Dann begann man auch mit jenen Grundsätzen hinsichtlich des Mönchthums Ernst zu machen. Dreizehn Augustiner, etwa der dritte Theil derer, die damals im Kloster zu Wittenberg waren, verließen dieses in den ersten Tagen des Novembers und warfen die Kutte weg. Sie griffen theilweis sogleich zu einem bürgerlichen Gewerbe oder Handwerk. Eine dem Mönchthum feindliche Gährung aber wurde hiedurch unter Bürgern und Studenten nur noch mehr angeregt. Es kam zu allerhand Unfug: Mönche wurden auf den Straßen verspottet, Drohungen gegen die Klöster gerichtet, dann auch Meßgottesdienste durch tumultuirende Eindringlinge gestört.

Inzwischen arbeitete Luther auf seinem ruhigen Sitze daran weiter, durch sein christliches Wort über Gelübde und Messe zu belehren, die neu gewonnenen Erkenntnisse und Ueberzeugungen zu klären und zu befestigen und daraufhin gleichfalls zu endlichen Reformen aufzufordern. Er verfaßte eine Schrift »vom Mißbrauch der Messen«, lateinisch und deutsch und zu gleicher Zeit eine lateinische über die Gelübde. Dieser gab er eine an seinen Vater gerichtete Widmung bei, worin er der Einsprache des Vaters gegen sein Mönchsgelübde gedachte und sich ihm nun freudig als einen Freien vorstellte, der Mönch sei und doch nicht mehr Mönch. Was er aber über die Art jenes Austritts seiner Ordensbrüder hörte, mißbilligte er: friedlich und freundlich hätten sie von einander scheiden können und sollen, nicht, wie dort geschehen sei, im Tumult. Die genannten Schriften machte er im November fertig und schickte sie dann an Spalatin, damit sie in Wittenberg gedruckt würden.

So war Luther vom Sommer bis in den Winter hinein mit diesen Angelegenheiten beschäftigt, während er daneben seine biblischen Studien und seine Arbeit an der Kirchenpostille fortsetzte.

Und zugleich bereitete er damals auch einen schweren Schlag gegen den Cardinal Albrecht vor.

Vorsichtig hatte dieser sich scharfer Maßregeln gegen die Verbreitung lutherischer Predigt auf seinem Gebiet enthalten. Aber er bedurfte Geld. Zu diesem Zweck veröffentlichte er eine Schrift, worin er von einem großen Heiligthum, das er in seiner Stadt Halle an der Saale aufgestellt, Kunde gab und zur Fahrt dahin einlud. Da waren nämlich gar reiche, wundersame Reliquien zusammengebracht, nicht blos eine Menge Knochen und ganze Leichen von Heiligen, ja ein Stück vom Leibe des Erzvaters Isaak, sondern auch z. B. Reste vom Manna, das einst in der Wüste vom Himmel fiel, Stückchen vom brennenden Busche Moses, Krüge von der Hochzeit zu Kana und ein Rest des Weins, in den Jesus dort das Wasser verwandelt hat, Dornen aus Jesu Dornenkrone, einen der Steine, mit denen Stephanus gesteinigt wurde u.s.w., – im Ganzen beinah 9000 Stück. Wer der Vorzeigung dieser heiligen Schätze in der Stiftskirche zu Halle andächtig beiwohne und dem Stift ein frommes Almosen gebe, dem wurde »übertrefflicher« Ablaß zugesagt. Die erste derartige Ausstellung fand wohl zu Anfang Septembers statt. Auch hatte Albrecht doch nicht umhin gekonnt, einen der Priester, die in den Ehestand treten wollten, festnehmen zu lassen; dabei wußte man recht wohl, wie reichlich er selbst für seinen Cölibat durch buhlerischen Umgang sich schadlos hielt.

Da konnte Luther, wie er am 7. October 1521 dem Spalatin ankündigte, sich nicht mehr enthalten, privatim und öffentlich gegen Jenen, seinen »Ablaßgötzen« und sein schändliches »Buhlhaus« loszubrechen. Es macht ihm auch hiebei kein Bedenken, daß sein eigener frommer Kurfürst noch vor wenigen Jahren gleichartige, nur weniger glänzende Ausstellungen in seiner Wittenberger Stiftskirche veranstaltet hatte und so durch die Vorwürfe, die er jetzt nicht mehr verdiente, nachträglich noch mit getroffen wurde. Schon zu Ende des Monats hatte er eine Schrift zur Veröffentlichung fertig. Aber gegen einen solchen Angriff auf Albrecht, den hohen deutschen Reichsfürsten, Kurfürsten von Mainz, Bruder des Kurfürsten von Brandenburg, legte Friedrich durch Spalatin ein Verbot ein; er wollte, wie er Luthern sagen ließ, überhaupt Nichts zulassen, was den öffentlichen Frieden störe. Kaum hat Luther, wie er selbst dem Spalatin erwidert, jemals einen ihm unangenehmeren Brief gelesen, als den, worin ihm dies mitgetheilt wurde. Er brach in die Antwort aus: »Ich lasse es mir nicht gefallen; lieber magst Du und der Fürst und die ganze Welt mir verloren gehen; habe ich dem Papst widerstanden, warum soll ich seiner Kreatur weichen?« Er wollte nur seinem Melanchthon die Schrift noch vorlegen und etwaige Aenderungen in ihr seinem Urtheil anheimgeben. Zu diesem Zweck schickte er sie dem Spalatin zu. Dann, unter dem 1. Dezember, richtete er an Albrecht selbst einen Brief. Der Inhalt und Ton desselben läßt auf das, was in jener Schrift gestanden haben wird, schließen. Ohne Umschweif, in klarem, scharfem Deutsch trägt er Jenem die »unterthänige Bitte« vor, das arme Volk unverführt zu lassen und sich als Bischof, nicht als Wolf zu erzeigen; müsse er doch jetzt wissen, daß der Ablaß Büberei und Trügerei sei. Er solle nur nicht denken, der Luther sei todt: der werde auf Gott fröhlich pochen und ein Spiel mit dem Cardinal von Mainz anfahen, deß sich nicht Viele versehen. Hinsichtlich jener Priester wies der Brief den Erzbischof auf ein Geschrei hin, das aus dem Evangelio sich erheben werde darüber, »wie fein es den Bischöfen anstünde, daß sie die Balken zuvor aus ihren Augen rissen, und billig wäre, daß die Bischöfe zuvor ihre H . . . . von sich trieben.« Schließlich gab Luther demselben vierzehn Tage Zeit zu einer »richtigen« Antwort; sonst werde er nach Ablauf derselben sein »Büchlein wider den Abgott zu Halle« ausgehen lassen.

In die größte Spannung aber versetzten ihn fortwährend die Nachrichten aus Wittenberg. Jetzt war ihm die weite Entfernung und die Umständlichkeit des Briefwechsels vollends unerträglich geworden. Einige Tage nach jenem 1. Dezember trat er plötzlich bei seinen Freunden dort ein. Insgeheim, nur von einem Knecht begleitet, war er zu Pferd in seiner Reiterkleidung hergereist. Drei Tage lang hielt er sich da bei Amsdorf auf. Nur die nächsten Freunde durften davon wissen. Das Zusammensein mit ihnen bereitete ihm, wie er an Spalatin schrieb, die süßesten Genüsse. Aber bitterer Wermuth war ihm die Kunde, daß Spalatin jene weder von seiner Schrift gegen Albrecht, noch von der über die Messe und der über die Gelübde etwas hatte sehen oder hören lassen, sondern dieselben zurückbehalten hatte. Was die Freunde von ihrem Streben und Wirken sagten, hatte seinen Beifall, und er wünschte ihnen dazu Stärkung von oben. Aber schon unterwegs hatte er auch von neuem Unfug gehört, den Leute aus dem Volk und der Studentenschaft gegen Priester und Mönche sich erlaubt hatten, und sofort erachtete er es für seine nächste Aufgabe, vor solchen Verirrungen öffentlich zu warnen.

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