Zweites Kapitel.

Der weitere Wartburgaufenthalt und die Rückkehr nach Wittenberg. 1522.

Heimlich, wie er gekommen, kehrte Luther nach der Wartburg zurück, und hier verfaßte er nun »Eine treue Vermahnung für alle Christen sich zu verhüten vor Aufruhr und Empörung«. Vor seinen Augen stand die Gefahr eines Aufstandes, der dem ganzen, der Besserung widerstrebenden Klerus und Mönchthum an's Leben greifen und worin der gemeine Mann um der vielen Beschwerung willen, die auf ihm laste, mit Flegeln und Kolben dreinschlagen möchte, wie der Karsthans drohe. An die Fürsten, die Magistrate und den Adel hat er früher seine Aufforderung gerichtet, der kirchlichen Verderbniß und päpstlichen Tyrannei zu steuern. Von der weltlichen Obrigkeit und dem Adel sagt er auch jetzt, daß sie »dazu thun sollten aus Pflicht ihrer ordentlichen Gewalt, ein jeglicher Fürst und Herr in seinem Land; denn was durch ordentliche Gewalt geschieht, ist nicht für Aufruhr zu halten«. Der großen Menge aber und den Einzelnen verbietet er schlechtweg eine gewaltsame Erhebung. Aufruhr heiße: selbstrichten und rächen; das könne Gott nicht leiden, der da spreche »die Rache ist mein«. Jeder Aufruhr sei unrecht, wie rechte Sache er immer haben möge, und mache aus Uebel Aergeres. Auch von der Obrigkeit ferner meint Luther nicht, daß sie die Pfaffen todtschlagen sollte, wie einst Moses und Elias den Götzendienern gethan; sie sollen nur dem wehren, was jene wider das Evangelium treiben. Man könne mit Worten gegen sie mehr denn genug thun, daß man des Hauens und Stechens nicht bedürfe. Aehnlich haben wir ja Luther auch schon vor der Fahrt nach Worms sich nachdrücklich aussprechen hören. Jenes Wort des Apostels, daß der Herr mit dem Geist seines Mundes den Antichrist tödten werde, soll nach ihm schon jetzt im Worte der evangelischen Predigt sich erfüllen. Auf Grund der eigenen bisherigen Erfahrung setzt er so großartiges Vertrauen auf dies einfache Wort: habe doch er selbst damit allein dem Papst und den Pfaffen und Mönchen schon mehr Abbruch gethan, als bis dahin alle Kaiser und Fürsten mit aller ihrer Gewalt. Dazu sieht er stets dem nahen jüngsten Tag entgegen, wo Christus den Papst, dessen Büberei jetzt durch's Wort aufgedeckt werde, durch sein Kommen vollends zerstöre. – Zugleich mahnt Luther, wie er auch schon in seiner Schrift von der christlichen Freiheit gethan und jetzt namentlich den Wittenbergern gegenüber zu thun Grund hatte, zu liebreicher, schonender Rücksicht auf Schwache, deren Gewissen noch durch die bisherigen Satzungen über Fasten, Messe halten u.s.w. umstrickt sei. Man solle sie nicht überpoltern und überrumpeln, sondern freundlich unterweisen und, wenn sie's nicht gleich fassen, noch mit ihnen Geduld haben. »Den Wölfen,« sagt er, »kannst du nicht zu hart, den schwachen Schafen nicht zu weich sein.«

Jene Schriften Luthers über die Messe und über die Gelübde kamen jetzt richtig in die Presse. Der Cardinal Albrecht aber gab wirklich die von Luther geforderte Antwort in einem kurzen Brief vom 21. Dezember. Da erklärte derselbe: die Ursache zu Luthers Schreiben sei abgestellt; er selbst läugne nicht, ein armer sündiger Mensch zu sein, ja ein stinkender Koth, so sehr als irgend ein Anderer; christliche Strafe könne er wohl leiden, von Gott hoffe er Gnade und Stärke, um nach seinem Willen zu leben. So sehr scheute sich dieser hohe Herr vor dem Wort, mit dem Luther drohte; freilich mußte er seines Ablaßhandels auch vor allen seinen humanistischen Freunden und besonders vor Erasmus sich schämen, und von der anderen Schande, die Luther ihm vorhielt, mußte er erwarten, daß derselbe sie ohne Schonung und Rücksicht aufdecken werde. Zugleich sehen wir hier auch, wie völlig vorwurfsfrei in dieser sittlichen Beziehung Luther nicht blos vor seinem eigenen Bewußtsein, sondern auch vor Albrechts Augen dagestanden sein muß. Als Luther diesen Brief in Händen hatte, traute er zwar seinem Inhalt sehr wenig, beantwortete ihn auch nicht, stand jedoch von jener beabsichtigten, durch den Kurfürsten verhinderten Veröffentlichung jetzt vollends ab.

Das Wichtigste aber, was Luther jetzt in seinem weiteren Aufenthalt auf der Wartburg unternahm und in steter Hingabe weiter führte, war wieder ein Werk friedlicher Art, die schönste Frucht, die dieser Aufenthalt überhaupt getragen, die edelste Gabe, die Luther seinem Volk hinterlassen hat. Es ist seine Uebersetzung der Bibel, zunächst des Neuen Testamentes. »Die Unsrigen fordern es von mir,« schrieb er an Lange kurz nach seiner Rückkehr aus Wittenberg. Eben hier war ihm jetzt wohl der Wunsch ausgesprochen oder auf's Neue an's Herz gelegt worden. Wohl war die Bibel auch schon vor Luther verdeutscht, aber in einem schwerfälligen, dem Volk fremd klingenden, theilweise ganz unverständlichen Deutsch, und nicht aus dem Grundtext wie jetzt durch Luther, sondern aus der in der Kirche gebrauchten lateinischen Uebersetzung, deren Latein überdies theilweise nicht verstanden war. Luther erklärt, man dürfe nicht nach dem Buchstaben der fremden Sprache das Deutsche reden; »sondern,« sagt er, »man muß die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen, so verstehen sie es dann: deß ich mich beflissen und leider nicht allwege erreicht noch troffen habe.« Nicht minder wollte er treu und streng an den Sinn der Schrift und, wo dieser es forderte, auch an die Worte sich halten. Zu solchem Dolmetschen sagt er »gehöret ein recht fromm, treu, fleißig, furchtsam, christlich, gelehret, erfahren, geübet Herz«. Vom Inhalt und Geist der Schrift durchdrungen, hat er auch überall in seiner Sprache edle Haltung und Volksthümlichkeit wie von selbst zu verbinden gewußt. Er arbeitete so angestrengt, daß er noch auf der Wartburg, also in wenigen Monaten, das Neue Testament zu Ende brachte; mit Melanchthons Hilfe wollte er es dann noch verbessern.

Inzwischen nahmen in Wittenberg die Dinge einen Verlauf, der Luthers Befürchtungen immer mehr steigerte.

Die Frage der Mönchgelübde zwar wurde für die Augustiner auf einem Convent der Klöster, welchen der Ordensvicar Link in Wittenberg abhielt, friedlich und ganz nach Luthers Sinn, soweit es durch Beschlüsse geschehen konnte, erledigt. Beschlossen wurde nämlich, daß der Austritt aus dem Kloster frei gegeben werden, diejenigen aber, welche das klösterliche Leben auch fernerhin vorzögen, dort in freiem Gehorsam gegen die Obern und die hergebrachten Ordnungen verbleiben und theils zur Predigt des göttlichen Wortes verwendet werden, theils durch Handarbeit dem Kloster den Unterhalt verschaffen sollten.

Bei der Wittenberger Gemeinde aber drängte Carlstadt, der hinsichtlich der Messe kurz zuvor selbst noch seine Genossen zurückgehalten hatte und dem innerhalb der städtischen Gemeinde kein Predigtamt noch anderes Amt zukam, jetzt in Predigten und Schriften heftig nach allen Seiten hin vorwärts, ging auch in seinen reformatorischen Ideen hastig und unklar weiter und weiter. Einem kurfürstlichen Verbote zuvorkommend, ließ er an Weihnachten das Abendmahl in der neuen Weise feiern. Auch die kirchlichen Gewänder wurden als Bestandtheile des bisherigen Götzendienstes abgethan; Zwilling hielt Gottesdienst in einem Rock, wie ihn die Studenten trugen. Das Volk wurde aufgefordert, an den bisherigen Fasttagen Fleisch und Eier zu essen. Beichte wurde auch vor dem Abendmahl nicht mehr gehalten. Ferner eiferte Carlstadt namentlich jetzt auch gegen die Bilder in den Kirchen: es genüge nicht, von der Anbetung derselben abzulassen, und man dürfe nicht etwa sagen, daß sie wie Bücher zur Unterweisung der Laien dienen können; denn Gott habe sie schlechthin verboten; sie gehören in die Feueröfen und nicht in die Gotteshäuser. Während der Rath durch ihn sich zu einem Beschluß bestimmen ließ, daß die Bilder aus der Pfarrkirche entfernt werden sollten, stürmten Andere aus dem Volk schon los, rissen dieselben ab, zerhieben und verbrannten sie.

Luther wollte selbst mit Bezug auf diejenigen Ordnungen, die er an sich schlechthin verwarf, doch immer noch jene Rücksicht auf die Schwachen geübt haben; er konnte nicht glauben, daß die große Menge seiner Wittenberger Gemeinde schon reif genug und nicht eine Menge gewissenhafter schwacher Glieder noch der Rücksicht bedürftig sei. Man mochte sagen, es sei ja doch nur eine Frage der Zeit, auf immer wollte ja doch auch er die wirklichen Reformen nicht der Minderzahl wegen hinhalten. Aber eben das, daß jenen Gliedern wirklich Zeit gelassen und alles Mögliche zu freundlicher Belehrung und Erbauung derselben gethan werde, war ihm selbst Gewissenssache. In äußeren Dingen, auf welche jene Reformer so viel hielten wie im Essen an Fasttagen, im eigenhändigen Hinnehmen des Brodes und Weines bei der Kommunion u.s.w., sah er ohnedies nur Kleinigkeiten, deren Thun oder Lassen der wahren Freiheit des Gläubigen keinen Eintrag thue, während die Seele der Schwachen schweren Schaden leide, wenn sie darin etwas wider ihr Gewissen zu thun veranlaßt werden. Da, sagt er, habt ihr viel elende Gewissen hineingeführt; wenn sie nun in ihrem Sterben oder in einer Anfechtung Rechnung drüber geben sollten, so wüßten sie kein Haar breit darum. Ja das Verderbniß der Seelen giebt er dem schuld, der bei Jenen so unvorsichtig »hineinplumpe«: »Du willst,« sagt er, »Gott damit dienen, weißt nicht, daß du des Teufels Vorläufer bist; er hat's darum angefangen, daß er das angegangene Wort schänden wollte; er hat dich auf das kleine Narrenwerk geführt, daß du dieweil des Glaubens und der Liebe vergessest;« so in einem für die Wittenberger bestimmten Schreiben. Auch die Neuerung in Betreff der Bilder zählte Luther zu den »liederlichen Dingen, daran nichts gelegen ist, Glaube und Liebe fahren zu lassen«. Bilder echt christlichen Inhaltes hat er auch jeder Zeit erhalten wollen und hochgeschätzt.

Den höheren geistigen Charakter evangelischen Christenthums wollten jene Männer in Wittenberg zur Geltung bringen, während sie nun mit ihrem Geist gerade selbst wieder an Aeußerlichkeiten des Cultus und, was die Bilder anbelangt, am alttestamentlichen Gesetzesbuchstaben hängen blieben. Und noch andere Früchte brachte dann ihre Auffassung des christlichen Geistes und der christlichen Offenbarung zu Tage. Sie wollten nicht blos von Titeln und Würden, wie die Universität sie verlieh, Nichts mehr wissen, weil man nach Jesu Wort nicht sich dürfe Rabbi oder Meister heißen lassen, sondern Carlstadt und Zwilling sprachen jetzt auch Verachtung menschlicher, theologischer Wissenschaft und gelehrter Bibelstudien aus: denn Gott habe es, wie Jesus sage, den Weisen und Klugen verborgen und den Unmündigen geoffenbart; der Geist von oben müsse einen erleuchten. Carlstadt ging zu einfachen Bürgern in ihre Häuser, um sich von ihnen biblische Sprüche erklären zu lassen. Er und Zwilling gewannen namentlich auch den Rector der städtischen Knabenschule für sich, und diese löste sich auf. Zugleich wollte eine Gemeindeordnung, welche der Magistrat annahm, auch eigenthümliche Versuche auf dem bürgerlichen, socialen Gebiete machen: ein gemeiner Kasten, in welchem die kirchlichen Einkünfte zusammenfließen sollten, wurde auch dazu bestimmt, bedürftigen Handwerkern Geld ohne Zinsen vorzuschießen und anderen Bürgern Darleihen zu niederem Zinsfuß zu machen. Dagegen wurde die Seelsorge vernachlässigt, namentlich in den Spitälern und Gefängnissen nicht mehr ausgeübt.

Auf dieser Bahn bewegte sich hier die Reform weiter, zu der Luthers Wort den Grund gelegt hatte. Und zu derselben Zeit, gleich nach Weihnachten, kamen nun nach Wittenberg von Zwickau her drei Männer, die erst recht des göttlichen Geistes theilhaftig und Gottes Werk auszuführen berufen sein wollten, nämlich der Tuchmacher Nicolaus Storch, der vormalige Wittenberger Student Marcus Stübner und noch ein Tuchmacher, denen sich jetzt mit großem Eifer noch der Theologe Martin Cellarius zugesellte. Auf unmittelbare Offenbarungen Gottes pochten sie, auf prophetische Gesichter, Träume, Gespräche mit Gott u.s.w. Dem gegenüber war ihnen auch die Schrift etwas Geringes. Die Kindertaufe verwarfen sie, da diese ja den Geist nicht mittheile, noch schon mittheilen könne. Zur Gemeinschaft mit Gott und ihrem Verkehr mit ihm wollten sie nicht in jenem Glauben gelangen, der, wie Luther lehrte, hingebend eingreift, was Gottes Wort unserem bewußten Geist und Herzen darbietet, sondern in einem mystischen Prozeß der Abkehr von allem Aeußeren, Sinnlichen, Endlichen und Eigenen, bis die Seele in dem Einen göttlichen Sein unbeweglich werde. Eben dieser scheinbar so hohe und reine Geist aber brach fanatisch los in der Ankündigung und Forderung einer allgemeinen äußeren Umwälzung, wo alle Pfaffen erschlagen, alle Gottlosen vertilgt werden und die Heiligen Gottes ihr Reich aufrichten sollten.

Begonnen hatten diese Offenbarungen in Zwickau, ohne Zweifel unter Einflüssen aus Böhmen, die mit mittelalterlichen Schwärmereien zusammenhingen. Dort stand Thomas Münzer aus Stolberg am Harz, der bei einer der Kirchen als Prediger angestellt war, an der Spitze, überhaupt die bedeutendste und gefährlichste Persönlichkeit in dieser Genossenschaft. Er wollte für Christen ebensowenig die gegenwärtige weltliche Obrigkeit mit ihren Rechten, als den Klerus und die Hierarchie mehr gelten lassen; er sprach schon von allgemeiner Gleichheit, von Gütergemeinschaft. Schnell gewann die neue, aufregende Predigt Anhänger und breitete jenen Offenbarungsgeist weiter aus. Schon drohten auch Unruhen. Aber der Magistrat schritt rechtzeitig und kräftig ein. So zogen die zuerst genannten Männer nach Wittenberg ab, während Münzer anderswo in Deutschland herumschweifte.

Carlstadt betrieb seine Neuerungen ohne ein äußeres Zusammenhalten mit ihnen. Die Verwandtschaft seiner Richtung aber mit der ihrigen ist nicht zu verkennen und trat im weiteren Verlauf noch mehr hervor. Melanchthon besaß bei aller Feinheit und Lauterkeit seines Geistes doch nicht genug männliche Selbständigkeit und Energie, um die durch Carlstadt wachgerufenen Kräfte und Leidenschaften zu zügeln. Die Zwickauer Propheten mit ihren Offenbarungen waren ihm unheimlich; er vermochte sich kein sicheres Urtheil über die plötzliche neue Erscheinung zu bilden.

Ganz ruhig und kühl vernahm dagegen Luther die Kunde von diesen. Er wunderte sich über die Aengstlichkeit seines Freundes, der ihm doch an Geist und Gelehrsamkeit überlegen sei. Er fand es nicht schwer, jene Geister nach den Normen. welche das Wort des Neuen Testaments an die Hand gebe, zu prüfen. Soweit er bisher von ihrem Reden und Thun vernommen habe, enthalte es nichts, was nicht der Teufel leisten oder nachäffen könnte. Auf das, was sie von lieblichen, andächtigen Vorgängen in ihrem eigenen Innern zu sagen wissen, sei nichts zu geben, ob sie auch bis in den dritten Himmel entzückt sein wollten; Gottes Majestät rede mit dem alten Menschen nicht so familiär, sondern dieser müsse vor ihr erst vergehen, wie vor einem verzehrenden Feuer; wo Gott rede, müsse man erfahren das Wort: »wie ein Löwe zerbrach er mir alle meine Gebeine« (Jes. 38, 13). Er wollte auch nicht, daß man mit Gefängniß und äußerer Gewalt gegen jene vorgehe: man werde ohne Blut und Schwert mit ihnen fertig werden und sie verlachen.

Aber die Sorgen um die Wittenberger Gemeinde und das Aergerniß, welches ihm Carlstadts Treiben dort gab, ließen ihm keine Ruhe mehr: es sei vor Gott und Welt nicht zu verantworten, wie dort gehandelt werde; ihm liege es auf dem Hals, und vor Allem bringe es Schmach über das Evangelium. Schon im Januar trieb es ihn wieder nach Wittenberg. Jetzt wurde er auch von Seiten des Magistrats darum gebeten. Vergebens suchte ihn der Kurfürst zurückzuhalten, daß nicht er, der Geächtete, sich an die Oeffentlichkeit wage. Zudem hatte eben jetzt das Reichsregiment in Nürnberg, das den abwesenden Kaiser vertrat, strenge Unterdrückung der Wittenberger Neuerungen von Friedrich gefordert.

Ohne eine Erlaubniß brach Luther am 1. März von der Wartburg auf. Wir wissen von seinem Wege nur noch, daß er über Jena und die südlich von Leipzig gelegene Stadt Borna führte. Ein junger Schweizer, Johann Keßler aus Sanct Gallen, der mit einem andern damals nach der Universität Wittenberg reiste, hat uns eine gar ansprechende Erzählung von ihrem Zusammentreffen mit Luther in dem vor Jena liegenden Gasthaus zum Bären hinterlassen. Sie fanden dort einen einzelnen Reitersmann, am Tisch sitzend, »nach Landesgewohnheit in einem rothen Schlepli (d. h. herabhängendem Hütlein), in bloßen Hosen und Wammes (den Waffenrock hatte er abgelegt), ein Schwert an der Seite, mit der rechten Hand auf des Schwertes Knopf, mit der andern das Heft umfangen«; vor sich hatte er ein Büchlein liegen. Er ließ sie, die Schüchternen, freundlich zu sich her sitzen und sprach mit ihnen von Wittenberger Studien, von Melanchthon und andern Gelehrten, auch davon, was man im Schweizerland von dem Luther halte. Unter solchem Gespräch ward er ihnen »gar heimlich«, so daß der andere Schweizer das Büchlein vor ihm aufhob und aufschlug, da war es ein hebräischer Psalter. Beim Abendessen, an dem auch zwei Kaufleute theilnahmen, hielt er jene frei und fesselte alle durch »viel gottselige freundliche Reden«. Darnach trank er mit den Schweizern »noch einen freundlichen Trunk zum Segen«, bot ihnen die Hand zum Abschied und gab ihnen auf, in Wittenberg den Juristen Schurf, der von Geburt ihr Landsmann war, von ihm zu grüßen mit den Worten: »Der kommen soll, lässet Euch grüßen«. Der Wirth hatte Luther erkannt und sagte es den Gästen. In der Frühe des andern Morgens trafen die Kaufleute ihn im Stall, er stieg auf und ritt weiter.

In Borna, wo er bei einem Angestellten seines Kurfürsten einkehren konnte, schrieb er an diesen eilends noch eine lange Antwort auf ein abmahnendes fürstliches Schreiben, das ihm am letzten Abend vor seiner Abreise zugekommen war. Nicht entschuldigen will er sich oder Verzeihung erbitten, sondern seinen »gnädigsten Herrn« beruhigen und im Glauben stärken. Nie hat er selbst mit größerer Gewißheit über das, was er zu thun habe und mit einer ruhigeren und freudigeren, kühneren und stolzeren Zuversicht im Blick auf das ihm Bevorstehende geredet, als jetzt, wo er nach zwei entgegengesetzten Seiten hin Kampf und Gefahr zu bestehen hatte und dabei in seinen Entschlüssen und Hoffnungen ganz nur auf sich und seinen Gott angewiesen war. »Ich,« schreibt er an Friedrich, »komme gen Wittenberg in gar viel einem höheren Schutz, denn des Kurfürsten; ja, ich halt, ich wolle Ew. Kurf. Gnaden mehr schützen, denn sie mich schützen könnte; – Gott muß hie allein schaffen ohn alles menschliche Sorgen und Zuthun; darum, wer am meisten gläubt, der wird hie am meisten schützen.« Auf die Frage, was der Kurfürst in seiner Sache thun solle, antwortete er: »gar nichts«. Die Kaiserliche Obrigkeit müsse derselbe in seinen Landen ohne Widerstand und Hinderniß walten lassen, wenn man ihn fahen oder tödten wolle; das werde man dem Fürsten doch nicht zumuthen, daß er selbst Stockmeister über ihm werden sollte; wenn er für die, welche ihn holen wollen, die Thore offen lasse und freies Geleit gebe, so habe er dem Gehorsam genug gethan.

Ohne Scheu ritt Luther weiter, auch durch das Gebiet des über ihn und die Wittenberger jetzt auf's Heftigste erbitterten Herzogs Georg. Wohl noch am Abend des 6. März langte er unversehrt, muthig und froh bei seinen Freunden in Wittenberg an.

Am Morgen des folgenden Sonnabends fanden ihn die beiden Schweizer, als sie Schurf ihren Besuch machten, bei diesem mit Melanchthon, Jonas und Amsdorf zusammensitzend und ihnen erzählend. – Seine äußere Erscheinung in jener Zeit wird uns von Keßler also beschrieben: »Wie ich Martinum anno 1522 gesehen hab, war er einer natürlich ziemlichen Feiste, eines aufrechten Gangs, da er sich mehr hinter sich denn fürder sich neiget, mit aufgehebtem Angesicht gegen den Himmel, mit tiefen, schwarzen Augen und Brauen blinzend und zwitzerlend wie ein Stern, daß die nit wohl mögen angesehen werden.«

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