Drittes Kapitel.

Luthers Auftreten und neue Thätigkeit in Wittenberg. 1522.

An einem Donnerstag war Luther wieder in Wittenberg eingetroffen. Gleich am folgenden Sonntag erschien er wieder auf seiner alten Kanzel in seiner städtischen Gemeinde. Mit klarem und schlichtem, ernstem und freundlichem evangelischem Worte wollte er sie von den Irrwegen belehren, auf die sie gerathen seien und sie wieder auf die rechte Bahn leiten. Acht Tage nach einander predigte er so.

Die Wahrheiten und Grundsätze, die er vortrug, sind dieselben, die wir ihn schon von der Wartburg aus und schon seit den Anfängen seines reformatorischen Zeugnisses aussprechen hörten. Vor Allem waren es Mahnungen zur Liebe, mit der gläubige Christen einander thun sollten, wie Gott ihnen gethan in seiner Liebe, die sie im Glauben genießen. »Allhie, lieben Freunde,« sprach er, »ist es fast gefehlt und spür' in Keinem die Liebe und merk' fast wohl, daß ihr Gott nit seid dankbar gewesen; – ich sehe wohl, daß ihr viel wißt von Lehre zu reden, die euch gepredigt ist von dem Glauben und der Liebe, und ist nicht Wunder: kann doch schier ein Esel Lection singen, solltet ihr dann nit die Lehre und die Wörtlein reden und lehren? aber das Reich Gottes stehet nicht in Reden oder in Worten, sondern in der That, in den Werken und Uebungen.« Er lehrt sie unterscheiden zwischen dem was nöthig sei und dem, was frei sei und gehalten oder nicht gehalten werden könne. Liebe solle man sogar auch im Nöthigen üben, indem man Niemand mit Gewalt dazu zwinge, sondern das Wort an den Herzen der Irrenden und Schwachen handeln lasse und für sie bete. Dinge, die frei seien, müsse man frei lassen, Schwachen kein Aergerniß darin geben, aber gegen unchristliche Tyrannen auf der Freiheit bestehen.

Mit der Kraft und Wärme dieses seines Wortes drang Luther sofort bei der Gemeinde durch und hatte die Leitung der kirchlichen Bewegung wieder in seinen Händen. Zwilling ließ sich zurechtweisen, Carlstadt trat zunächst schweigend, wenn auch grollend zurück; Luther bat ihn inständig, nicht etwas Feindseliges zu veröffentlichen und ihn hiemit zum Kampf zu nöthigen. In seinen Predigten enthielt er sich jeder persönlichen Beziehung. Von den Neuerungen blieb nun zunächst nur die bestehen, daß im Meßgottesdienst diejenigen Worte weggelassen wurden, welche auf die Opferung des Leibes Christi durch den Priester sich bezogen: sie galten ja auch Luthern für schlechthin verwerflich und widerchristlich und, so wichtig sie an sich waren, so wenig wurden von Schwachen und Einfältigen gerade sie beachtet, da sie lateinisch und nur leise vorgetragen wurden. Das Abendmahl wurde der großen Menge wieder unter Einer Gestalt dargeboten, das Abendmahl mit dem Laienkelch nur denen, welche selbst es so begehrten, an einem besonderen Altar; bald kam es dann dahin, daß diese Feier von selbst zur allgemeinen Ordnung wurde, jene dagegen einging. Hinsichtlich der gottesdienstlichen Gewänder, des eigenhändigen Hinnehmens der Abendmahlselemente und ähnlicher Dinge blieb Luther dabei, daß sie zu gering seien, als daß man mit ihnen viel Wesen machen und mit Bezug auf sie den schwachen Anhängern des Alten Anstoß geben dürfte. Luther selbst nahm seine Wohnung wieder im Kloster, legte die Kutte wieder an, hielt auch wieder die herkömmliche Fastenordnung ein. Erst zwei Jahre nachher legte er ganz die Mönchstracht ab, als seine Kutte völlig abgenützt war und er aus gutem Tuch, das ihm der Kurfürst geschenkt, sich eine neue Kleidung machen lassen sollte.

Jene Zwickauer Propheten waren im Augenblick, als Luther zurückkam, von Wittenberg abwesend. Ein paar Wochen nachher erschienen Stübner und Cellarius bei Luther. Weß Geistes sie seien, dafür war ihm jetzt vollends der Hochmuth und das Ungestüm ein Beweis, mit dem sie Glauben an ihre höhere Autorität forderten und die Wuth, in der sie aufschäumten, als er ihnen zu widersprechen sich erlaubte. Er berichtet weiter darüber an Spalatin: »ich habe sie auch in offenbaren Lügen ertappt; als sie mit elenden glatten Worten ausweichen wollten, habe ich sie endlich geheißen mit Wundern ihre Lehre zu bewähren, deren sie wider die Schrift sich rühmten; sie wiesen es zurück, drohten mir aber, ich werde ihnen noch einmal glauben müssen; da bedrohte ich ihren Gott, daß er kein Wunder thue gegen den Willen meines Gottes; so sind wir auseinandergegangen.« Sie verließen dann auf immer die Stadt, ohne Boden in ihr gefunden zu haben.

So hat Luther, der nach dem Vorwurf seiner Gegner die Grundlagen aller kirchlichen Ordnungen umstürzte, seine praktische reformatorische Thätigkeit damit begonnen, daß er vermöge der eigenen festen und klaren Grundsätze dem Ungestüm Anderer Einhalt that und ganz nur auf wahrhafte Erbauung der Gemeinde bedacht war. Der Prediger des frei und seligmachenden Glaubens hat im praktisch-kirchlichen Verhalten vor Allem auf die Nächstenliebe gedrungen, die im Gebrauch der Freiheit sich bethätigen müsse. Der große Volksmann hat ohne Rücksicht auf Volksgunst oder Ungunst der volksthümlich gewordenen Strömung sich entgegengestemmt. Unter dem Einfluß seines Wortes durfte sein Kurfürst jetzt ruhig die Dinge in Wittenberg und der Umgebung sich weiter entwickeln lassen. Nicht minder überließ es Friedrich den benachbarten Bischöfen, ihrerseits durch Visitationen innerhalb seiner Lande der neuen Lehre entgegenzuarbeiten, versagte ihnen nur die Beihilfe obrigkeitlichen Zwanges und weltlicher Strafgewalt. Die Wahrheit selbst sollte sich so Bahn brechen.

Zugleich aber drängte es Luther nach seiner Rückkehr, sofort auch über seine ganze Stellung, ungehemmt durch die Schranken, die seinem Wort während des Wartburgaufenthalts aufgelegt waren, vor der deutschen Christenheit sich zu erklären. Er hat es gethan in einem für die Oeffentlichkeit bestimmten Sendschreiben an den Ritter Hartmuth von Kronberg bei Frankfurt a. M. Dieser, ein Schwiegersohn Sickingens, ein Mann von treuer, ehrlicher, christlicher Gesinnung, hatte ein paar kleine Schriften in Luthers Sinne veröffentlicht. Luther wollte ihn mit seinem Sendschreiben »im Geist besuchen und seine Freude ihm kundthun«. Dabei nahm er Anlaß, theils über den Kampf, den er in Wittenberg zu führen hatte, theils über die Feindschaft der römisch Gesinnten, welche das Evangelium bei der deutschen Nation erdulde, sich auszusprechen. Noch härter für den Glauben als die Nachstellungen solcher Feinde dünkt ihn »das feine Spiel«, das dort, in Wittenberg, der Satan angerichtet habe, um über das Evangelium Schmach zu bringen: »Alle meine Feinde,« sagt er, »haben mich nicht troffen, wie ich jetzt troffen bin von den Unsern, und muß bekennen, daß mich der Rauch übel in die Augen beißet und kitzelt mich fast im Herzen; hie will ich, dacht' der Teufel, dem Luther das Herz nehmen und den steifen Geist matt machen, den Griff wird er nicht verstehn noch überwinden.« Ungescheut, wie es ihm auf der Wartburg wohl nicht gestattet worden wäre, redet er andererseits von der schweren »Sünde zu Worms, da die göttliche Wahrheit so kindisch verschmäht, so öffentlich, muthwillig, wissentlich, unverhört verdammt ward«; es sei eine Sünde der ganzen deutschen Nation, weil die Häupter solches gethan und Niemand auf dem unseligen Reichstag ihnen eingeredet habe. Sich selbst warf er vor, daß er dort guten Freunden zu Dienst, um nicht zu steifsinnig zu scheinen, seinen Geist gedämpft und nicht härter und strenger sein Bekenntniß vor den Tyrannen gethan habe, wiewohl er von den ungläubigen Heiden dennoch für hochmüthig im Antworten gescholten worden sei. Ueber einen der »elenden Feinde« ließ er so sich aus: »Der einer ist fürnehmlich die Wasserblase N., trotzt dem Himmel mit ihrem hohen Bauch und hat dem Evangelium entsagt; hat's auch im Sinn, er woll' Christum fressen, wie der Wolf eine Mücke« u.s.w. Unverkennbar war hiemit Herzog Georg gemeint, dessen streng kirchliches Bewußtsein durch die gefährlichen Einflüsse, welche seinem Land von dem nahen Wittenberg her drohten, besonders erregt war und der kurz zuvor auch bei Kurfürst Friedrich deshalb heftige Beschwerden erhoben hatte; in einem Abdruck des Sendschreibens war auch geradezu sein Name gesetzt. Georg forderte nachher dafür Genugthuung, der Handel zog sich jedoch erfolglos in die Länge. – Ueber sich selbst berichtete Luther an Hartmuth, daß er wieder in Wittenberg sei, aber nicht wisse, wie lang er da bleiben werde. Er kündigte ihm das Stück seiner Kirchenpostille an, das eben jetzt ausgegeben werde. Insbesondere meldet er ihm, daß er sich vorgenommen habe, die Bibel zu verdeutschen. Das, sagt er, sei ihm Noth gewesen, denn es habe ihm damit der Irrthum vergehen müssen, als wäre er gelehrt.

Nach allen Richtungen seines Berufes hin warf sich Luther wieder in die Arbeit hinein. Er nahm sowohl seine akademischen Vorlesungen wieder auf als die regelmäßigen Predigten in der Stadtkirche, und zwar auch Predigten an den Wochentagen über ganze biblische Bücher. Mit solchen Predigten blieb er auch nachher stets sehr beschäftigt, als nach dem Tode des Pfarrers Heinz, für den er bisher das Amt versehen hatte, im folgenden Jahr sein Freund Bugenhagen zum ordentlichen Pastor ernannt wurde. Er und Bugenhagen stehen von nun an bis zu seinem Tod, wie in persönlicher Freundschaft und gleicher theologischer Richtung, so auch im Dienste der städtischen Gemeinde einander treulich zur Seite. Bugenhagen ist jetzt als Stadtpfarrer eine Hauptperson im geschichtlichen Bilde des damaligen Wittenbergs. Luther leistet der Gemeinde und ihm in uneigennütziger Liebe und Freundschaft Beihilfe und macht zugleich selbst vertrauensvoll von seinem seelsorgerlichen und beichtväterlichen Dienste Gebrauch.

In der arbeitsreichen Fasten- und Osterzeit 1522 hatte Luther den Dienst bei der Wittenberger Gemeinde wieder übernommen, und gleich nach Ostern reiste er auch hinaus nach Borna, Altenburg, Zwickau, Eilenburg, wo man nach seiner Predigt begehrte und er auch für die Bestellung eines evangelischen Predigtamtes thätig wurde. Sein Hauptziel war wohl Zwickau, wo sein Wort den Nachwirkungen der Schwärmerei vollends steuern mußte: jetzt sollen dort laut eines Berichts, den ein kurfürstlicher Beamter erstattete, gar 25 000 Menschen zu den Predigten Luthers zusammengeströmt sein, der vom Rathhaus aus zur unten versammelten Menge sprach. In Borna predigte er unmittelbar, ehe der Bischof von Merseburg dort eine Visitation hielt, und dann gleich wieder am Tag nach dieser. Im folgenden Herbst hielt er auch mehrere Predigten in Weimar, wohin er durch Friedrichs des Weisen Bruder Johann gerufen worden war, und vor der Erfurter Gemeinde, an die er während des Sommers auch ein belehrendes und mahnendes Schreiben mit Bezug auf die Neuerungen gerichtet hatte.

Bugenhagen
Abb. 29: Bugenhagen nach dem Gemälde Cranachs in dessen sogenanntem Stammbuch (in Berlin) v. J. 1543.

Seine schriftstellerische Thätigkeit blieb auch in Wittenberg, wie wir schon aus dem Schreiben an Kronberg vernommen haben, vor Allem der Bibel zugewandt. Gemeinsam mit Melanchthon und auch durch anderer Freunde Rath unterstützt, nahm er eine Durchsicht seiner Uebersetzung des Neuen Testamentes vor. Die ersten gedruckten Bogen derselben schickte er als »Vorschmack unsrer neuen Bibel« am 10. Mai Spalatin zu. Mit Hilfe von drei Pressen schritt der Druck so schnell vorwärts, daß das Werk noch im September ausgegeben werden konnte: der 21. September, Gedächtnißtag des Apostel Matthäus, wird als Geburtstag unseres deutschen Neuen Testamentes bezeichnet. Schon im Dezember mußte eine zweite Auflage erscheinen, obgleich der Kaufpreis des Buches, nämlich 1½ Gulden, ein für die damaligen Verhältnisse hoher war.

Bugenhagen
Bugenhagen
Abb. 30: Titel und Eingang in's Matthäusevangelium in der ersten Ausgabe des Neuen Testaments 1522 (nach dem auf der Königl. öffentl. Bibliothek in Stuttgart befindlichen Exemplar).

Viele Tausende über ganz Deutschland hin, die schon bisher durch Luther gelernt hatten, das »reine Gotteswort« im Unterschied von den kirchlichen Satzungen und im Gegensatz gegen sie zu verehren, griffen begierig und dankbar darnach, und kein Mittel war kräftiger, die auf dieses Wort sich stützende Lehre weiter auszubreiten und zum wahren Eigenthum der Hörer und Leser zu machen. Um so größer war auch die Gefahr, welche darin die Anhänger der kirchlichen Autoritäten und Ueberlieferungen erkannten. Nach beiden Seiten hin ist recht bezeichnend, was einer der heftigsten gleichzeitigen Gegner Luthers, der Theologe Cochläus, sagt: »In wunderbarem Maße wurde Luthers Neues Testament durch die Buchdrucker vervielfältigt, also daß auch Schuster und Weiber und jedwede mit der deutschen Schrift irgend bekannte Laien dasselbige als Quelle aller Wahrheit auf's Gierigste lasen und durch oftmaliges Lesen ihrem Gedächtniß einprägten; dadurch wollten sie innerhalb weniger Monate soviel Wissen sich angeeignet haben, daß sie sich erdreisteten, nicht allein mit katholischen Laien, sondern auch mit Magistern und Doctoren der heiligen Theologie über den Glauben und das Evangelium zu disputiren; – Luther selbst hatte ja schon längst gelehrt, daß auch die christlichen Weiber in Wahrheit Priester seien und Jeder, der aus der Taufe gekrochen, soviel wie Papst, Bischof und Priester; – der Haufe der Lutheraner verwandte weit mehr Mühe darauf, die also übersetzte heilige Schrift zu lernen, als das katholische Volk, wo die Laien dafür vornehmlich die Priester und Mönche sorgen lassen.« Katholische Obrigkeiten erließen sogleich Verbote gegen das Buch und befahlen, es auszuliefern und zu confisciren. Auch beeilte man sich, der Uebersetzung eine Menge angeblicher Fehler und Fälschungen vorzuwerfen: es waren meist Abweichungen von der falschen hergebrachten lateinischen Uebersetzung nach den Worten des griechischen Grundtextes. Jener Cochläus erhebt auch die besondere Anklage gegen sie, daß sie sogar den Eingang des Vaterunsers im Widerspruch gegen die allgemeine und die gesammte deutsche Kirche und zugleich gegen den Grundtext zu ändern sich erlaubt habe, nämlich in »Unser Vater in dem Himmel« anstatt »Vater unser, der du bist im Himmel«. Als einige Jahre nachher auch Emser im Gegensatz gegen Luther eine Uebersetzung des Neuen Testaments herausgab, erfand sich, daß er jene großentheils abgeschrieben und nur nach der alten lateinischen corrigirt hatte.

Noch während das Neue Testament in der Presse war, nahm Luther auch schon eifrig das Alte in Arbeit. Dieses bot der Sprache wegen noch mehr Schwierigkeiten dar; doch hatte Luther ja längst mit Eifer und Liebe Hebräisch getrieben und dafür konnte jetzt ein neuer College Luthers, der eigens für den Unterricht im Hebräisch berufene Aurogallus, Beistand leisten. Schon vor Weihnachten wurden die fünf Bücher Mose zum Drucke fertig, die nun zunächst für sich herausgegeben wurden. Im Jahre 1524 folgten zwei weitere Theile, worin die biblischen Bücher (nach unserer gegenwärtigen Ordnung) bis zum Hohenlied enthalten waren, während die Bearbeitung der Propheten, durch anderes unterbrochen, noch eine Reihe von Jahren sich verzog.

Daß Luther daneben auch Rom gegenüber seine scharfe Feder nicht ruhen lassen werde, ließ gleichfalls schon das vorhin erwähnte Sendschreiben erwarten. Besonderen Anlaß gaben neuere Erlasse und andere Maßregeln deutscher Bischöfe gegen die Neuerungen, die Aufhebung des Cölibats, die Uebertretung der Fastengebote u.s.w. Zu diesem Zwecke wurden durch die Bischöfe von Meißen und Merseburg namentlich auch kirchliche Visitationen vorgenommen, dergleichen eine schon oben bei Luthers Reise nach Zwickau zu erwähnen war.

Auf Luthers Predigten gegen jenen falschen Gebrauch der Freiheit folgte nach jener andern Seite hin ein Schriftchen von ihm mit dem Titel »Von Menschen-Lehren zu meiden«: jenen »frechen unzüchtigen Köpfen wollte er, wie er sagt, auch jetzt damit nicht gedient haben; aber den armen, unter Mönchsgelübden und Satzungen gefangenen demüthigen Gewissen wollte er die christliche Freiheit predigen, daß sie ihr Gewissen berichten mögen, wie sie mit Gott und ohne Fahr herauskommen und solcher Freiheit züchtiglich brauchen können.« Dem gegenwärtigen, römischen Episkopat kündigte er in einer Schrift »Wider den falsch genannten geistlichen Stand des Papstes und der Bischöfe« unversöhnlichen Krieg an; er, der durch päpstliche und kaiserliche Ungnade seiner Titel beraubt und von welchem durch die päpstlichen Bullen der »Bestiencharakter«, d. h. das »Malzeichen des Thieres« (Off. Joh. 13, 16) abgewaschen sei, tritt hier den »päpstischen Bischöfen« gegenüber als »von Gottes Gnaden Ecclesiastes (Prediger) zu Wittenberg«.

Luthers fernere Schriften gegen das römische Kirchenthum und Dogma haben für uns nicht mehr die Bedeutung der früheren, sofern in ihnen nicht mehr wie in diesen seine eigene kirchliche Anschauung zu weiterer Entwicklung getrieben wird und fortschreitet. – In der Heftigkeit, womit er redet, entlädt sich jetzt besonders der Zorn darüber, daß man ihn und die von ihm vertretene Wahrheit so »unverhöret, unerkannter Sache, unüberwunden, mit dem Kopf hindurch, freventlich verdammt habe.«

Ueber den Angriff, welchen er in der vorgenannten Schrift auf die »bischöflichen Larven« gemacht, bemerkte Luther am 26. Juli dem Spalatin: er sei darin absichtlich so scharf gewesen, weil er sehe, wie vergeblich er sich gedemüthigt, nachgegeben, gebeten und beschworen habe. Und er fügte bei: er werde jetzt eben so wenig dem König von England schmeicheln.

König Heinrich VIII. nämlich, der später aus andern Gründen so gewaltthätig mit der römischen Kirche brach und Reformen nach eigenem Sinn vornahm, hatte damals durch eine scholastisch gelehrte Schrift gegen Luthers Buch von der babylonischen Gefangenschaft sich beim Papst den Titel »Vertheidiger des Glaubens« erworben. Sie machte so viel Aufsehen, daß Luther es angemessen fand, in einer eigenen Schrift ihr zu entgegnen. Diese, ursprünglich in lateinischer Sprache verfaßt, geht in wohl durchdachter Ausführung auf die Lehrgegensätze ein und begründet weiter, was Luther in jenem Buch vorgetragen. Den allgemeinen Gegensatz der Standpunkte, der dann freilich keine weitere Verständigung zuließ, bezeichnet sie damit, daß er, Luther, für die Freiheit streite und sie begründe, der König dagegen für die Gefangenschaft kämpfe, Gründe dafür aber nicht angebe, sondern nur immer von dem rede, worin sie bestehe und davon, daß man in ihr verbleiben müsse: d. h. derselbe wiederhole in seinem ganzen Buch nur immer wieder die Sätze der kirchlichen Autoritäten, der Conzilien, der Ueberlieferung u.s.w. mit der Voraussetzung, daß man von ihnen nicht weichen dürfe. Um das zu wissen, sagt Luther, habe er nicht erst den König zum Lehrer nöthig gehabt. Der persönliche Ton aber, den Luther hiebei gegen den König annahm, geht auch über das hinaus, was man nach jener Aeußerung gegen Spalatin erwarten mochte; und dies gilt noch mehr von einer deutschen Ausgabe seiner Schrift, welche er folgen ließ, nachdem die königliche verdeutscht worden war. Der König war ihm übrigens in eben so plumpem, wie hochmüthigem Schimpfen vorangegangen. Nebenbei scheute Luther auch eine Bezugnahme auf andere Fürsten nicht; er sagt: »König Heinz muß das Sprichwort helfen wahr behalten, daß keine größere Narren sind, denn Könige und Fürsten.«

Die ihrem Inhalt nach wichtigste aber unter den Arbeiten, auf welche Luther jetzt durch den Gegensatz gegen die römische Kirche, ihre Lehre und ihre ihm feindlichen Schritte geführt worden ist, war eine Schrift über die weltliche Obrigkeit, an welche er im Dezember, sobald er mit der Uebersetzung der fünf Bücher Mose fertig war, die Hand legte. Sie erschien dann unter dem Titel: »Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei.«

Wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei? Das fragte sich den Geboten und Strafdrohungen gegenüber, mit welchen katholische Fürsten jetzt der geistlichen Gewalt zur Unterdrückung des Evangeliums, der reformatorischen Schriften und namentlich der neuen Bibelübersetzung die Hand boten. Es fragte sich, wie weit überhaupt für einen Christen ihr Recht und Gebiet reiche.

Aber nicht minder hatte Luther zugleich für ihr wirkliches Recht, ihren göttlichen Beruf und ihre Würde gegen katholische Auffassungen einzutreten. Es lagen Worte Jesu vor wie die: »Ihr sollt dem Uebel nicht widerstreben, sondern so dir Jemand einen Streich giebt auf den rechten Backen, dem biete den andern auch dar.« Wie vertrug sich damit, daß die Obrigkeit mit Gewalt gegen das Unrecht vorging und das Schwert gegen die Frevler führte? Die mittelalterliche Kirche und Schultheologie behauptete mit Bezug hierauf, diese Worte seien nicht allgemeine sittliche Gebote für die Christen, sondern bloße Rathschläge für diejenigen unter ihnen, welche zu einer höheren Vollkommenheit gelangen wollten; und damit wurde die ganze bürgerliche Ordnung mit ihren Obrigkeiten einer niedrigeren Stufe gemeiner Sittlichkeit zugewiesen, während die höhere Sittlichkeit oder wahre Vollkommenheit im geistlichen Amt und Mönchthum repräsentirt sein sollte. Andererseits waren schon vorher Freunde Luthers, weil Jesus dort seine Worte doch schlechthin an alle seine Jünger, also alle Christen gerichtet habe, darüber unruhig geworden, wie das Recht und die Pflicht der weltlichen Gewalt auch für Christen noch zu begründen sei.

Vor Allem über diesen zweiten Punkt hat Luther jetzt seine Erklärungen gegeben. Jene Aussprüche des Herrn seien allerdings Gebote für alle Christen. Von jedem Christen nämlich fordern sie, niemals um seiner selbst willen zur Gewalt zu greifen und des Schwertes zu gebrauchen; und wenn die Welt nur voll rechter Christen wäre, so bedürfte man auch des obrigkeitlichen Schwertes überhaupt nicht. Aber dazu bedürfe man dieses, daß des gemeinen Besten wegen den Bösen gewehrt, Sünde gestraft und Friede erhalten werde, und darum müsse auch der rechte Christ, um dem Nächsten zu dienen, sich willig unter des Schwertes Regiment geben und selbst, wenn Gott ihm ein Amt zugetheilt, dies Schwert führen. So bestehen mit jenen Geboten der Schrift die anderen Worte derselben zusammen, wie das apostolische: »Jedermann sei unterthan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat; wo Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet; sie ist Gottes Dienerin dir zu gut, sie trägt das Schwert nicht umsonst« (Röm. 13). Luther stellt so den obrigkeitlichen Beruf mit den anderen Berufen des sittlichen Lebens in der Welt zusammen. Sie alle, sagt er, seien von Gott eingesetzt und sollen und können Gott und dem Nächsten dienen, so gut als das sogenannte geistliche Amt. Es waren das grundlegende Ausführungen für eine neue christliche Würdigung des staatlichen, bürgerlichen und weltlichen Lebens überhaupt. So hat nachher die Augsburger Confession jene Lehre verworfen, nach welcher die evangelische Vollkommenheit darin bestehen sollte, daß man vom weltlichen Beruf sich zurückziehe, und ebenso die wiedertäuferischen Lehren, welche keinem Christen ein obrigkeitliches Amt und Führen des Schwertes gestatten wollten.

Aber eben indem Luther so die Aufgabe der weltlichen Obrigkeit bestimmte, grenzte er dann auch ihr Gebiet ab und wehrte ihren Uebergriffen. Das wahrhaft geistliche Regiment, welches Christus eingesetzt, soll die Menschen fromm machen, indem es durch's Wort in Kraft des Geistes auf die Seelen wirkt. Das weltliche Regiment, das äußeren Frieden schaffen und den bösen Werken wehren soll, erstreckt sich nur auf das, »was äußerlich ist auf Erden«, über Leib und Gut. »Denn über die Seele kann und will Gott Niemand lassen regieren, denn sich selbst allein.« »Zum Glauben kann und soll man Niemand zwingen.« »Wahr ist das Sprichwort: Gedanken sind zollfrei.« Man muß Gott mehr gehorchen denn den Menschen, wie Petrus sagt; damit ist der weltlichen Gewalt ein Ziel gesteckt. Luther kennt die Einwendung, daß die weltliche Gewalt nicht zum Glauben zwingen, sondern nur äußerlich den Ketzern wehren wolle, damit sie nicht die Leute mit falscher Lehre verführen. Er antwortet aber: »Solch Amt ist den Bischöfen befohlen und nicht den Fürsten; Gottes Wort soll hie streiten; Ketzerei ist ein geistlich Ding, das kann man mit keinem Eisen hauen, mit keinem Feuer verbrennen.« Und zu den Eingriffen in das Gebiet und Amt des Wortes rechnet nun Luther auch jenes Gebot, die Bücher auszuliefern. Hier sollen die Unterthanen Gott mehr gehorchen, als solchen tyrannischen Fürsten. Die Gewalt über das, was äußerlich ist, sollen sie auch hier der Obrigkeit lassen; nimmermehr dürfen sie Gewalt dagegen setzen; sie sollen leiden, wenn man ihnen durch die Häuser laufe und Bücher oder Güter wegnehme. Aber sie selbst sollen von der Bibel, die man ihnen nehmen wolle, nicht ein Blättlein noch einen Buchstaben überantworten.

Es sind das die kräftigsten und umfassendsten Aussagen über die Scheidung jener Gebiete, über das Wirken allein durch Wort und Geist, über Gewissensfreiheit u.s.w., die wir aus dem Mund unseres Reformators besitzen. Fraglich erscheiut freilich. wie weit hiezu diejenigen Maßregeln stimmen, die hernach doch auch er zur Sicherung der evangelischen Gemeinden und evangelischen Wahrheit gegen Verführer zulässig fand und empfahl.

Unter solcher Thätigkeit ist für Luther das Jahr seiner Wiederkehr nach Wittenberg verflossen.

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