Fünftes Buch.

Luther und der kirchliche Neubau bis zum ersten Religionsfrieden. 1525–1532.

Erstes Kapitel.

Ueberblick.

In Luthers Leben und in der Geschichte der Reformation bezeichnet das Jahr, bei welchem wir stehen, nach vielen Seiten hin einen bedeutsamen Abschnitt. Mit einer Kraft, von der die Gegner keine Ahnung gehabt hatten, war Luthers Wort ursprünglich im deutschen Volk und seinen verschiedenen Ständen vorwärts gedrungen. Es erschien unberechenbar, wie weit die Gährung sich noch ausdehnen und wohin sie führen werde. Der Gedanke, daß man das evangelische Wort nur einfach ungehindert sich entfalten und wirken lassen sollte und daß dann die Wahrheit bei der Christenheit im Großen oder wenigstens der Christenheit des deutschen Reichs zu einem friedlichen Sieg durchdringen möge, hatte den jetzt entschlafenen weisen sächsischen Kurfürsten in seinem Verhalten zu Luther und Luthers Sache geleitet, und Niemand konnte damit mehr einverstanden sein, als dieser selbst es damals war. Jetzt aber hatten, wie wir sahen, die dem alten Kirchenthum ergebenen deutschen Fürsten sich fest zusammenzuschließen und auf Mittel, womit sie gewissen kirchlichen Nothständen auf ihre Weise abhelfen könnten, zu sinnen begonnen. Erasmus, immer noch der Vertreter einer mächtigen modernen Geistesrichtung, hatte endlich entschieden mit Luther gebrochen und jenem Kirchenthum neue Treue zugesagt. Der deutsche Adel, den Luther einst so kühn und hoffnungsvoll zur Theilnahme am kirchlichen Kampf und zur Mitarbeitung aufgerufen hatte, ließ nach dem unseligen Unternehmen Sickingens, das Luther selbst verurtheilen mußte, ein großartiges Mitwirken für die Zwecke des evangelischen Bekenntnisses und Kirchenthums nirgend mehr hoffen. Großartig war die Erhebung jenes anderen Standes, der gleichfalls sich auf's Evangelium berufenden Bauern. Aber treue Anhänger des Evangeliums mußten mit Schrecken hier wahrnehmen, wie eine verkehrte Auffassung desselben zu Verirrungen und Freveln führte, die Luther selbst in Blut erstickt haben wollte. Und jene katholischen Herrschaften nahmen jetzt davon Anlaß, jede evangelische Predigt um so schärfer zu verfolgen und das Gericht über die Aufständigen ohne Weiteres auch über evangelisch Gesinnte, die dem Aufstand fern geblieben waren, auszudehnen. Unter den Erfahrungen, die Luther besonders unter dem Adel und den Bauern machte, erhielt sich bei ihm auch nicht jener kühne und zuversichtliche Schwung seines Geistes und Wortes, womit er früher an sein deutsches Volk sich gewandt hatte. Daß seine Sache die Sache Gottes sei, bleibt ihm unerschütterlich gewiß; aber in trüberer Stimmung, als vordem, giebt er Gott anheim, wie viele offenbare Erfolge sie schon in der gegenwärtigen argen Welt erreichen, oder wie viel erst durch die letzten großen Gerichte Gottes entschieden werden solle.


Abb. 36: Facsimile einer Unterschrift Friedrichs.

Schon vor dem Bauernaufstand hatte auf dem Boden der Reformation selbst das Treiben der Schwärmgeister sein Wirken zu hemmen und zu stören begonnen und seinem Innern Schmerz und Anfechtung bereitet. Er mußte gegen so Viele, die er für Brüder angesehen hatte, und gegen die freie Verkündigung des göttlichen Wortes, der sie zu dienen vorgaben, mißtrauisch werden. Schon hörte er jetzt auch von Männern dieser Richtung, welche nicht blos die Kindertaufe verwarfen und seiner Abendmahlslehre so gut wie der katholischen widersprachen, sondern ihre Zweifel und Angriffe auch gegen den allgemeinen Glauben der Christenheit an den dreieinigen Gott und das göttliche Wesen des Erlösers richteten. Zu Anfang des Jahres 1525 vernahm er Solches über den Rector Johann Denk in Nürnberg, den deshalb die städtische Obrigkeit auswies. Gegen seine Lehre von der Gegenwart des Leibes Christi im Abendmahl, die er damals besonders gegen seinen vormaligen Kollegen und Mitkämpfer Carlstadt zu vertheidigen hatte, erhob sich jetzt ein weit gefährlicherer Gegner in dem Züricher Reformator Ulrich Zwingli. Dieser hatte schon in einem Brief an den Prediger Alber in Reutlingen vom 16. November 1524 jene Gegenwart bestritten, indem er das »ist« der Einsetzungsworte (»das ist mein Leib« u.s.w.) nur im Sinn von »bedeutet« nehmen wollte; im März 1525 trat er mit dieser Auffassung durch Publikation dieses Briefs und in einer Schrift »Von der wahren und falschen Religion« vor die Oeffentlichkeit. Ihm schloß sich Oekolampad in Basel, in welchem Luther zuvor freudig einen geistvollen Mitarbeiter begrüßt hatte, mit einer eigenen Erklärung der Worte Jesu an. Die evangelischen Prediger Butzer und Capito in Straßburg neigten sich derselben Ansicht zu. Sie drohte sich schnell noch weiter in Oberdeutschland zu verbreiten. Der Widerspruch, der hier Luther begegnete, war weit gefährlicher für seine Lehre, als die Theorien und Agitationen eines Carlstadt, weil er, wie man auch über die Sache urtheilen mag, jedenfalls durch Männer von weit besonnenerem Geiste, gediegener theologischer Bildung und aufrichtiger Ehrfurcht vor dem göttlichen Wort ausging. Es begann hiemit derjenige Gegensatz innerhalb der evangelischen Reformation selbst, der mehr als irgend etwas Anderes dem frischen und kräftigen Fortschreiten des reformatorischen Wortes Eintrag that und Luthers eigenen Geist mit Bitterkeit des Streits erfüllte.


Abb. 37: Die sächsischen Kurfürsten Friedrich der Weise, Johann und Johann Friedrich, nach einem Gemälde Cranachs (in Nürnberg).

Zugleich aber hatte Luther auf bestimmten ausgedehnten Gebieten jetzt festen Boden für's evangelische Wort und Bekenntniß gewonnen. Innerhalb dieser engeren Grenzen konnte ein auch äußerlich fest gegründetes, geordnetes, neues evangelisches Kirchenwesen sich aufbauen. Der neue sächsische Kurfürst Johann genoß zwar im Reich nicht das hohe Ansehen wie sein Bruder Friedrich, Luthers bisheriger Beschützer, stand ihm auch an staatsmännischer Begabung nach; mit Luther aber war er und namentlich auch sein Sohn Johann Friedrich schon bisher in einem freundlichen persönlichen Verkehr getreten, den sein Vorgänger noch vermieden hatte, und in seiner Gesinnung nahm er keine solche Rücksicht auf die möglichste Wahrung der kirchlichen Einheit im deutschen Reich und der abendländischen Christenheit, zeigte sich vielmehr bald bereit, zur Herstellung neuer kirchlicher Ordnungen nach den Grundsätzen des Evangeliums als Landesherr selbständig die Hand an's Werk zu legen. Preußen war, freilich weit abgelegen, soeben unter dem vormaligen Deutschmeister und jetzigen Herzog in einer das ganze Land umfassenden Reform vorangegangen. Eben jetzt trat ferner dem Kurfürsten in jenen Gesinnungen der thatkräftigste und politisch bedeutendste Genosse, Landgraf Philipp von Hessen, zur Seite. Er, der beim Beginn des Jahrs 1525 erst zwanzigjährige Jüngling, hatte schon bei der Ueberwindung Sickingens und ebenso jetzt den aufständischen Bauern gegenüber durch seine Energie, Entschlossenheit und kriegerisches Geschick das Wichtigste geleistet. Schon vor dem Bauernkrieg aber war er, und zwar hauptsächlich durch Melanchthon, mit dem er auf einer Reise zusammentraf, mit der evangelischen Lehre vertraut und befreundet worden. Vergebens suchte Herzog Georg von Sachsen, dessen Tochter er zur Frau hatte, ihn nach dem gemeinsam erkämpften Sieg von der Sache des verhaßten Luther, der so viel Böses angestiftet habe, abwendig zu machen. Er verständigte sich vielmehr den Drohungen gegenüber, welche jetzt von Seiten der katholischen Reichsstände gegen diese Sache ausgingen, mit Johann und Johann Friedrich über ein treues Zusammenhalten, und im folgenden Frühjahr ging daraus das Bündniß von Torgau hervor, dem auch Fürsten von Braunschweig-Lüneburg, Anhalt, Mecklenburg und die Stadt Magdeburg beitraten. – Durch die Theilnahme der Landesherren wurde für die Reformation und ihre kirchliche Gestaltung eine feste Stellung im deutschen Reich dem Kaiser und den feindlichen Reichsständen gegenüber möglich. Sie bot zugleich die Mittel dazu dar, um auf dem Gebiete der Reformation selbst feste und allgemein giltige Ordnungen herzustellen und den Störungen derselben durch schwärmerische Umtriebe zu steuern.

Philipp von Hessen
Abb. 38: Philipp von Hessen, nach einem Holzschnitt Brosamers.

Unter diesen Verhältnissen wurde Luthers Wirken jetzt ein beschränkteres und trug nicht mehr denselben Charakter der Kühnheit und Freiheit, wie bei seinem ursprünglichen Kampf gegen Rom. Um so mehr forderte die fernere Arbeit an diesem kirchlichen Neubau nun auch ausdauernde Geduld, Treue und Umsicht im Kleinen und eine genügsame Rücksicht auf das, was in der Wirklichkeit gegeben und möglich war, beim Festhalten der höchsten Ziele und Aussichten.

Mit dem Bilde des Reformators ist ferner von nun an das des Ehemanns und Hausvaters verbunden, der einfach die diesem Lebensstand obliegenden Pflichten als Mensch und Christ erfüllen will und ebenso der Gaben Gottes darin froh wird. In seinen Briefen an vertraute Freunde wechseln jetzt gemüthliche Mittheilungen aus seinem Hause mit den gewichtigsten Besprechungen kirchlicher Vorgänge und Aufgaben und theologischer Fragen. Mit seinem reformatorischen Worte griff er nicht mehr so, wie früher und namentlich in seiner Schrift an den Adel, auf die Interessen und Fragen des bürgerlichen und sozialen Lebens seiner Nation hinüber: nur auf die religiösen, geistlichen Dinge und auf die ihnen dienenden kirchlichen Ordnungen und Thätigkeiten erstreckte sich ja sein besonderer Beruf. Aber persönlich ist er erst jetzt in diesem neuen Lebensstande dem deutschen Volke vollends recht nahe gekommen, und das, worin anfangs auch manche seiner Genossen eine Erniedrigung des großen Mannes sahen, wird zu einem eben so werthvollen als wesentlichen Bestandtheil des geschichtlichen Bildes, in welchem er jetzt vor uns steht.

An einzelnen dramatischen Augenblicken und Wendungen ist, wie es jener Stand der Dinge mit sich brachte, Luthers Geschichte fortan weit nicht mehr so reich, wie in den vorangegangenen Jahren der Entwicklung und des Kampfes. Solche Wendungen, vermöge deren wir in ihrer Betrachtung und Darstellung große Hauptabschnitte zu machen hätten, werden uns fernerhin nicht mehr begegnen.

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