Erstes Buch.

Erstes Kapitel.

Drei Soldaten des römischen Stadtpräfekten schleppten einen Gefangenen durch die cyprische Gasse.

Der kaum vierundzwanzigjährige Mensch war zum Tode verurteilt. Er sollte durch die Klinge des Henkers enthauptet und dann auf dem Anger der Missethäter vergraben werden.

Ueberall, wo die Bewaffneten mit dem jungen Manne vorüberkamen, blieb man einen Augenblick stehen. Das bleiche und doch so gefaßte Antlitz des Unglücklichen erregte selbst bei den leichtlebigen Römern eine gewisse Teilnahme. Dies Volk, das jährlich Tausende von Gladiatoren und Tierkämpfern bluten und sterben ließ, dem das Röcheln der Todesopfer die wonnevollste Musik war, schien von plötzlichem Mitleid ergriffen. Insbesondere die Frauen: denn Artemidorus war schön. Die ebenmäßigen Züge, klar, wie in Marmor gemeißelt, das schwärmerisch-dunkle Auge mit den tiefschwarzen Wimpern, die edle Stirn und das prächtige Haupthaar – dies alles gemahnte fast an die würdevolle Erscheinung des Phthapriesters Necho, der die vornehme Damenwelt Roms gleichermaßen durch die Kunst seiner Weissagung wie durch den Zauber seiner Persönlichkeit fesselte.

Auch Artemidorus war Orientale.

Er entstammte dem fernen Damaskus, war zu Jerusalem von dem Senator Flavius Scevinus käuflich erworben und mit nach den sieben Hügeln gebracht worden. Bald danach mit der Freiheit beschenkt, diente er seinem ehemaligen Eigentümer als Schatzmeister, Vorleser und Bibliothekar, ja beinahe als Vertrauter, bis ein plötzlicher Umschwung der Dinge dies friedliche und behagliche Dasein zerstörte und den einst so Beneideten in die Arme der Häscher warf.

Je mehr man dem entsetzlichen Ziele sich näherte, um so schwerer und zögernder schritt Artemidorus einher. Der Obersoldat, der die kleine Geleitschaft befehligte, mußte ihn wiederholt durch ernsthafte Mahnworte aufrütteln.

Es war ein wundervoller Oktobertag. Ganz Rom schien wie in flüssigem Golde zu schwimmen. Rotglühendes Weinlaub, mit dunkelbeerigen Trauben durchsättigt, hing über die Mauern der Gärten oder schmiegte sich an den weithinschattenden Ulmen hinauf. Ein unbeschreiblicher Hauch von Frische und Lebenslust wehte durch alle Straßen. Die Männer hielten sich stattlicher, die Frauengesichter leuchteten schöner und lockender.

Ihm wenigstens dünkte es so, dem armen Verurteilten, der in kurzer Frist Abschied nehmen sollte von dieser Welt des glänzenden Scheins.

Wo war jetzt der vertrauende Todesmut, der noch vor kurzem seine Adern geschwellt hatte wie vom Odem eines besseren übermenschlichen Daseins?

Wie er die purpurfarbigen Reben so wogen und wuchern sah, gedachte er einer zierlichen Rhodierin, deren schamhaft gerötete Stirne er einst mit solchem Blattwerk geschmückt hatte, – in glücklicher Einsamkeit, tief in der lauschigen Parkwildnis seines Gebieters.

»Chloris, Chloris!« seufzte er qualdurchschauert.

Welch ein Verhängnis, daß ihm das Bild der Geliebten gerade jetzt vor die Seele trat, wo er all seiner Kraft und all seiner Lebensverachtung benötigte, um zu zeigen, daß ein Jünger des Zimmermannssohnes von Nazareth freudig und hoffnungsklar dem Beispiele seines Heilands folgt!

So sehr er dagegen ankämpfte, seine Erinnerung malte ihm die ganze glückberauschte Vergangenheit in brennender Farbenpracht.

Vor einigen Wochen erst hatte er Chloris gesehen, als sie im Hause des Cajus Calpurnius Piso die neunsaitige Kithara spielte und dazu ein fröhliches Liebeslied des Alcäus vortrug. Es war dies ihr erstes Auftreten auf dem gefährlichen Boden der Siebenhügelstadt, – und gleichzeitig ihr erster Triumph. Alles jubelte ihrer köstlichen Meisterschaft, ihrer herrlichen Stimme zu.

Artemidorus, der sich in der Gefolgschaft seines Gebieters Flavius Scevinus befand, war wie verzaubert. Von dieser Minute an hatte er keinen andern Gedanken als ihren Besitz.

Doch – einen andern, einen höheren Gedanken: ihr Seelenheil! Nach jener unvergeßlichen Stunde, da er zum erstenmal ihre Lippen geküßt, war ihm der leidenschaftliche Wunsch erwacht, die Verlorene zu retten. Verloren war sie, der Anschauung des gläubigen Nazareners zufolge, wenn es ihm nicht gelang, sie von der himmlischen Wahrheit zu überzeugen, die Jesus Christus geoffenbart hatte.

Artemidorus warb daher, wie er erst um ihr Herz geworben, voll Inbrunst um ihre Seele.

Leider vergeblich.

Chloris kannte das Leben nur von seiner rosenfarbensten Seite her. Die Erde schien ihr ein duftiger Lustgarten, recht geschaffen zum Glück und zum kampflosen Frohgenuß. Als Griechin schreckte sie vor allem Herben und Düstern zurück; die Kreuzeslehre mit ihrem schwermutsvollen Entsagen wollte nicht Eingang finden in diesem Gemüt, das ganz durchtränkt war von der Sonnenhelle der althellenischen Götterwelt. Die schöne Kitharaspielerin zuckte die Achseln; sie lächelte; sie erklärte ihrem Artemidorus, daß er sie langweile, und schloß nach langem unerquicklichem Widerstreit mit einem spöttischen »Niemals!«

In hellem Ingrimm hatte er die Geliebte nach diesem »Niemals!« verlassen. Nicht auf sie zürnte er, – denn es war ja nicht ihre Schuld, wenn die bösen Geister ihr thörichtes Herz so umklammert hielten, – sondern auf die Tücke der alten Götter, die trotz der Geburt des Erlösers noch so viel Macht besaßen über die Reinsten selbst und die Edelsten.

So geschah denn, was ihm die Anklage wegen Beschimpfung der Staatsreligion und die Verurteilung zum ehrlosen Tode zuziehen sollte. . . .

War sein Elend vielleicht nur eine Strafe der einen und wahrhaftigen Gottheit? Wollte sie ihn zu Boden schmettern für die Hartnäckigkeit, mit der seine Liebe an Chloris, der Spötterin, festgehalten?

Er übersann dies alles in wirrer Gedankenfolge. Keuchend kämpfte er wider die seltsamen Regungen, die ihn fast zu ersticken drohten. Er versuchte zu beten. »Selig sind, die um der Lehre des Heilands willen den Tod erleiden,« murmelte er mit zuckender Lippe. Weiter kam er nicht. Das goldene Sonnenlicht strömte jetzt so voll über den Weg; ein balsamischer Lufthauch quoll ihm entgegen – und alle Heilslehren übertäubend, schrie es laut in seinem geängstigten Herzen auf: »Wehe deiner blühenden Jugend!«

Er fühlte die warmbeglänzte Herrlichkeit, die ihn um gab, wie eine grausame Verschärfung seines Geschicks. »So sterben zu müssen, – fern von ihr . . .!« klang es ihm unaufhörlich durch das brennende Hirn; – »fern von ihr, fern von ihr!«

Ja, die unerbittliche Gottheit hatte ihn auserlesen zur Höchsten irdischen Marter, zur tiefsten Verzweiflung. Wäre sein scheidender Blick nur noch einmal dem der Geliebten begegnet, – welch ein Labsal in der letzten fürchterlichen Minute! So aber – das war der Tod noch während des Lebens!

»Fern von ihr!« brauste es um ihn her. »Fern von ihr!« Die Kniee wankten ihm. Es ward ihm schwarz vor den Augen.

»Taumele nicht!« sagte der Obersoldat. »Wenn du denn sterben mußt, so stirb wie ein Mann!«

Artemidorus raffte sich auf. Die Anwandlung war vorüber. Er holte Atem und schritt dann ruhig und gleichmäßig weiter.

Jetzt, da die Geleitschaft mit dem Verurteilten links in südöstlicher Richtung von der cyprischen Gasse abbog, drängten sich Männer und Frauen, meist in ärmlicher Kleidung, so dicht und zahlreich heran, daß die Eskorte für einige Augenblicke nicht weiter konnte.

»Artemidorus!« erklang es in allen Tonarten. »Sei standhaft, Artemidorus! Fahr wohl, Artemidorus! Vergiß deine Freunde nicht! Bitte für uns vor dem Thron des Allmächtigen!«

Einzelne ergriffen die gefesselten Hände des jungen Mannes und küßten sie; andre stimmten nach feierlich klagenden Melodien Gesänge an, in denen der Name »Jesus« durch besonders eigenartige Tonverbindungen gekennzeichnet war.

Ein hochgewachsener, hagerer Fünfziger, dessen breitschimmernder Goldring verriet, daß er dem Ritterstand angehörte, bahnte sich jetzt den Weg durchs Gedränge.

»Gestattest du,« sagte er zu dem Obersoldaten, »daß ich euren Verurteilten, eh' sich sein Schicksal erfüllt, noch einmal umarme?«

Der Soldat krauste die Stirne. Die Anzahl derer, die hier von allen Seiten mit Artemidorus sympathisierten, flößte ihm augenscheinlich Bedenken ein. Er durfte den finsterblickenden Mann, der die Toga so stolz und bedrohlich über der Schulter trug, nicht schroff zurückweisen wie einen schäbigen Kornspenden-Empfänger.

»Mach's kurz!« sagte er zögernd. »Ich bin sonst nicht von Eisen und Stein: aber hört's der Präfekt, so komm' ich in Ungelegenheiten.«

»Nicodemus!« flüsterte Artemidorus, während der Freund ihm wie segnend einen Kuß auf die Stirn drückte, – »welch ein Schicksal! Welch ein trauervolles Verhängnis!«

»Mut, mein Sohn! Harre aus bis zuletzt! War es unklug, daß du so voreilig wider den Wall gestürmt, so war es doch immerhin hochherzig. Glückliche Jugend, die da nicht ahnt, wieviel sicherer der ruhige Bedacht zum Ziele führt, als der Zorn und das Ungestüm!«

»Du hast recht,« murmelte Artemidorus. »Da ihr doch alle so hoffnungsfreudig der Zukunft entgegensaht, kam es mir, einem der Jüngsten, vielleicht nicht zu. . . . Aber Chloris, die hassenswerte, geliebte Chloris war daran schuld mit ihrem entsetzlichen Unglauben. Ich war wie von Sinnen. Alles, alles hatte ich aufgeboten: umsonst! Und wie ich nun heimkehre und erblicke im Atrium die abscheulichen Götzenbilder mit ihrem höhnischen Grinsen . . .«

»Schweig! Du hast die römische Gesellschaft gereizt, – und das war zwecklos. Niemand wird hier seines Glaubens wegen gekränkt. Wir können und werden in aller Ruhe und Vorsicht den Pfad verfolgen, der den Bekennern des Evangeliums klar vor der Seele steht. Nur keine Stürme, keine Gewalttaten! Auch du, mein teurer Artemidorus, wärest bei dem, was ich so mühsam geplant habe, vielleicht ein Bundesgenosse gewesen. Ich bin trostlos, dich verloren zu haben!«

Der junge Mann richtete sich hoch auf.

»Wie? Du beklagst mich? Aber ist es denn nicht das Höchste, was Gottes Huld uns bescheren kann: siegreich dahin zu sterben als Blutzeuge für die Lehre von Nazareth?«

»Dein Zeugnis, Artemidorus, wird nicht verloren sein,« flüsterte Nicodemus beschwichtigend. »Aber du hättest leben können, leben . . .«

Mitten in seiner Rede ward Nicodemus durch eine plötzliche Unruhe in den Reihen des Volks unterbrochen. »Der Kaiser!« klang es von hundert Lippen zugleich, und aller Augen wandten sich in der Richtung der Porta Querquetulana, von wo eine prachtvolle Sänfte mit purpurnem Baldachin langsam näher kam. Acht stämmige, flachsblonde Sigambrer in scharlachroter Gewandung trugen das verschwenderisch ausgestattete Prunkbett auf Tragbalken von vergoldetem Zedernholz.

Die faltenreichen Gardinen waren zurückgeschlagen.

In den Kissen lehnte ein stolzes, majestätisches Weib – Agrippina, die Kaiserin-Mutter – und ihr zur Seite ein Jüngling von gewinnender Schönheit, beinahe mädchenhaft in dem Ausdruck seiner großen, forschenden Augen, den üppigen Mund von einer Fülle liebenswürdiger Gedanken umspielt, halb Küsse atmend, halb Melodien träumend.

Der Führer der kleinen Eskorte zuckte bei diesem Anblick zusammen. Er wußte, wie ungern der Imperator an Dinge gemahnt wurde, die mit der ruhig-klaren Stimmung seines Gemüts im Widerspruch standen; wie insbesondere die Rechtsprechung und der Eindruck ihrer grausamen Konsequenzen ihn aufregte.

»Pharax, du bist zum Unheil erkoren!« sagte der Soldat zu sich selbst. »Wenn der Stadtpräfekt das erfährt, wird der Rebstock des Centurio dir mit gaditanischer Grazie über den Rücken tanzen! Freilich, die Sache ist nur ein Zufall; aber ein Knecht des Präfekten büßt sogar für die Launen des Fatums . . .«

»Der Kaiser!« hatte auch Nicodemus gerufen. »Er kömmt auf zwei Schritte an dir vorbei. Fleh' seine Gnade an, Artemidorus!«

Alles machte jetzt Platz. Nicodemus ergriff die Hand einer jungen Blondine, deren Auge bis dahin voll heiligen Mitleids auf dem Gefangenen geruht hatte. Fragend sah sie empor. Eine bedeutsame Gedankenverbindung mußte sich hinter der Stirne des Mannes vollzogen haben: denn ein Leuchten unverhoffter Befriedigung ging über sein Antlitz und der fast triumphierende Zug um die Lippen schien zu besagen: Das bedeutet Erfolg!

Er beugte sich zu dem Mädchen hernieder und flüsterte hastig: »Acte, du siehst es! Der Himmel selber zeigt uns die Pfade! Wenn du noch irgend gezweifelt hast, ob mein Plan dem Gott Jesu Christi wohlgefällig und lieb sei, so wird dies wunderbare Zusammentreffen dir Klarheit gewähren. Höre nun, was ich heische! Sobald ich dir zunicke, trittst du vor, wirfst dich dem Kaiser zu Füßen und suchst den mutigen Artemidorus zu retten!«

»Das will ich!« gab ihm Acte zurück. »Bete du, daß mich der Cäsar erhören möge!«

»Ich hoffe, er wird . . .« murmelte Nicodemus. »Sprich nur so warm und so innig, wie dir's ums Herz ist! Oder jammert's dich nicht dieser blühenden Jugend, die unter dem Beilhieb des Henkers hilflos verbluten soll?«

Acte seufzte und schwieg. Starr und zaghaft blickte sie in das bunte Getümmel.

»Wie schön sie ist und wie kindlich!« dachte Nicodemus erregt. »Keine zweite gleicht ihr in Rom . . . Es muß gelingen, es muß! . . .«

»Heil dem Kaiser!« klang es immer näher und näher. Und nun stimmten die Wachsoldaten weithallenden Rufes mit ein und das gaffende Volk und die meisten der Nazarener. »Ruhm und Ehre dem Imperator! Heil dem Claudius Nero, der Wonne des Menschengeschlechts!«

Der Kaiser hatte seinen Sigambrern ein Zeichen gegeben. Die Sänfte hielt an. Auf den Sturm der Begrüßungsrufe, die Nero mit einer liebenswürdigen Handbewegung erwidert hatte, folgte lautlose Stille.

»Ein Unglücklicher!« wandte der junge Fürst sich zu Agrippina. »Du erlaubst, teure Mutter, daß ich die Stadtsoldaten befrage, was er verbrochen hat?«

»Ganz, wie du willst,« versetzte die Kaiserin-Mutter. »Dem Herrscher des Weltreichs steht es unzweifelhaft wohl an, sich um alles, auch um das Kleinste zu kümmern, was ihm den Weg kreuzt.«

»Um das Kleinste?« lächelte Nero, der Mutter ins Auge blickend. »Ein kettenbeladener Mensch, dem das Weh und der Jammer im Antlitz geschrieben steht . . . Nein, teure Mutter, das redest du neben dem Herzen her! Oder verlangt es die Würde des Imperators, das Unglück der Staatsangehörigen leicht zu nehmen, – leicht wie das Mißgeschick dieser pästischen Rose, die deinem schönen Gelock zu entgleiten droht?«

Mit anmutsvoller Gebärde schob er den Stengel der sinkenden Blume unter das strahlende Diadem, das Agrippinas flammfarbigen Schleier hielt.

Dann, zu dem Obersoldaten gekehrt, fragte er wohlwollend: »Wen haltet ihr da und worin besteht sein Verbrechen?«

»Herr,« sprach der Soldat, »es ist ein Freigelassener des Flavius Scevinus . . .«

»Wie? Unsres Freundes, des ewig jungen Senators?«

»Des nämlichen.«

Nero warf einen prüfenden Blick auf den jungen Mann, der unbeweglich die Augen zu Boden senkte.

»In der That, ich erkenne ihn . . . Artemidorus, der uns damals im Parke die Schriften des Ennius entrollte . . . Flavius Scevinus war deines Lobes so voll. Er pries deine Zuverlässigkeit, deine Klugheit. Und jetzt? Ich begreife das nicht!«

»Herr,« hub der Obersoldat wiederum an, »der Verurteilte leidet nach dem Gesetz. Ein Sklave hat ihn dabei überrascht, wie er die Hausgötter grimmig verhöhnte und zuletzt von den Sockeln warf.«

»Artemidorus,« wandte sich Nero an den Gefesselten, »ist das wahr?«

Blitzenden Auges hob der Gefragte sein schönes, bleiches Gesicht.

»Ja, Herr,« sprach er mit fester Stimme.

»Wußtest du,« fuhr der Kaiser mit ruhiger Strenge fort, »wußtest du, daß du mit diesem Angriff auf die Heiligtümer des Hauses ein todwürdiges Verbrechen begingst?«

»Todwürdig, im Sinn des Gesetzes, – ja!«

»Und was bewog dich, dieses Gesetz unter die Füße zu treten?«

»Die Liebe zur Wahrheit.«

»Wieso?«

»Eure Penaten und Laren sind falsche Götter: ich aber glaube an den wahrhaftigen Gott, den Jesus Christus gelehrt hat.«

»Du bist Nazarener?«

»Ja, Herr!«

»Ist das deinem erhabenen Schutzherrn Flavius Scevinus bekannt gewesen?«

»Ja, Herr!«

»Hat er dich jemals darum belästigt?«

»Nein, Herr!«

»Nun also! Glaub', was du willst, und laß die andern glauben, was sie wollen. Siehst du nicht ein, daß diese Forderung schlicht und gerecht ist?«

»Jesus Christus hat uns geboten, die Lehre des Heils weiter zu tragen und wider die feindlichen Truggötter anzukämpfen.«

»Sei's darum! Kämpfe, – aber kämpfe im Geist! Ueberzeugt man etwa mit der geballten Faust? Sind Schmähworte ein philosophisches Argument? In der That, du hast deine Strafe verdient, Artemidorus . . .«

Der Obersoldat machte ein sehr beklommenes Gesicht. Er hatte fast mit Bestimmtheit darauf gerechnet, Claudius Nero würde den Gang der Ereignisse durch einen Akt seiner kaiserlichen Machtvollkommenheit unterbrechen. Geschah dies, so mußte der Stadtpräfekt den Rebstock des Centurionen natürlich im Schrank lassen. Jetzt mit einemmal und gegen jedes Erwarten erklärte der Cäsar die Strafe, die selbst er, Pharax, und seine Mitsoldaten barbarisch und überlebt fanden, für billig und sachgemäß! Verdrießlicher Umschwung!

Acte inzwischen, dem Zeichen des Nicodemus gehorchend, hatte sich aus den Reihen des Volkes stürmisch hervorgedrängt. Dicht vor der Sänfte des Imperators warf sie sich knieend aufs Straßenpflaster. Voll unsäglichen Liebreizes hob sie ihr rosig blühendes Antlitz zu dem Herrscher des Weltreichs empor und hauchte mit einer Stimme, in welcher die ganze bestrickende Allgewalt mitfühlender Weiblichkeit zitterte: »Gnade, Herr! Gnade für meinen Bruder!«

Das Auge des jungen Kaisers weilte mit staunendem Wohlgefallen auf der schlanken Gestalt, die so inbrünstig zu ihm aufschaute. Selbst die Kaiserin-Mutter konnte sich einer flüchtigen Regung von Sympathie nicht erwehren, und milder als sonst glitt ihr ein Lächeln über das ernste, stolze Gesicht.

»Ich dachte es wohl,« sagte der Kaiser bewegt. »Wer eine Schwester von so holdseliger Art und Gebärde besitzt, der mag aus Irrtum und Uebereilung gefehlt haben, aber kann nicht schlecht sein.«

Einige Augenblicke schien er völlig versunken in diese zauberhafte Erscheinung. Dann ergriff er die Hand Agrippinas und hub mit deklamatorischem Pathos wiederum an: »Eh'vorgestern war dein Geburtstag! Bei allen Schmuckverkäufern und Juwelieren der Zweimillionenstadt habe ich Umschau gehalten, um etwas bilden zu lassen, was deiner würdig wäre: aber ich fand nur dieses klägliche Diadem. Kostbar an sich, drückt es dennoch dein ambrosisches Haupt wie ein Reif aus Korinthermetall. Jetzt vergönnt mir das Schicksal etwas Erlauchteres! Zur Ehre deines vielteuren Namens, geliebte Mutter, übe ich hier das Recht, zu lösen und zu entsühnen.«

Er befahl den Soldaten, ihren Gefangenen dicht vor die Sänfte zu führen, während sich Acte mit einem leuchtenden Dankesblicke zurückzog.

»Du hast es gehört,« sprach Nero. »Ich begnadige dich! Bringt ihn zurück nach dem Hause des Flavius Scevinus und meldet meinem vortrefflichen Freunde, was vorgefallen! Ich lasse ihn bitten, den Missethäter acht Tage lang einzusperren. Dir aber, junger Mann, empfehle ich Klugheit und Vorbedacht! Nochmals: Hältst du die Götter des Römerreiches für Traumgestalten, so opfere meinetwegen der Isis oder dem Horus, aber mäßige deine vorlaute Zunge und beleidige nicht das Feingefühl der Quiriten!«

Dem Begnadigten zuckte es um die Lippen, als wolle er, trotz aller Huld, die er erfahren, dem Kaiser etwas erwidern. Er unterdrückte jedoch seine Entgegnung, kreuzte die Hände über der Brust und stammelte ein fast unvernehmliches »Dank, Herr!«

Die Leute des Stadtpräfekten, voran der fröhliche Pharax, entledigten ihn sofort seiner Ketten. Man behandelte ihn von dieser Minute ab mit höflicher Auszeichnung. Pharax beglückwünschte ihn mit kraftvollem Händedruck.

Im Hause des Flavius Scevinus fand der Zurückgekehrte eine begeisterte Aufnahme. Die Kunde von dem Gnadenakte des Kaisers war ihm vorangeeilt. Scevinus in eigener Person empfing ihn am Ostium. Der Sklave, der die unbedachte Handlung des Artemidorus mit so großer Beflissenheit angezeigt hatte, war von dem tiefbetrübten Senator bereits vor mehreren Tagen verschenkt worden.

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