Siebzehntes Kapitel.
Eine Entführung.

Soviel wußte man bis in die entferntesten Winkel, aber in der Masse verschwand das Persönliche vor dem sturmbewegten Gefühl. Man begnügte sich nicht mehr mit einem Händedruck, auch Leute, die sich nicht leiden mochten, stürzten sich in die Arme: »Das Vaterland ist gerettet!« – »Zugeschlagen. Nun ihm den Garaus gemacht!« – »Drauflos! – Tod allen Franzosen!«

»Davon werden sie auch nicht sterben!« brummte der Offizier, welcher vorhin Yorck genannt wurde, der sich jetzt Luft nach dem Ausgang machte, während die Tücher der Damen ihm fast um die Ohren schlugen: »Wenn überhaupt die Geschichte wahr ist.«

»Sie stießen«, sagte sein Begleiter, »den armen Merkel beinahe um, der die Nachricht frisch aufnotiert, um sie noch warm in seinen ›Freimütigen‹ zu setzen.«

»Hol sie alle –« entfuhr es dem Oberst, als seine Aufmerksamkeit durch eine andere Szene in Anspruch genommen wurde.

Walter van Asten führte seine Cousine durch das Gedränge. Einer der jüngeren Offiziere, deren Geschwätz der Oberst vorhin durch seinen zornfunkelnden Blick zum Schweigen gebracht, benutzte den Augenblick, wo Walter sich bückte, um den Pompadour aufzuheben, der dem jungen Mädchen aus der Hand gefallen war.

Er drängte sich zwischen beide und wußte den Arm der Dame in seinen zu schieben: »Mein schönstes Fräulein, Sie hatten einen Führer, der den Weg nicht kennt. Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen den nächsten zeige.«

Minchen Schlarbaums Arm hing wirklich am Arm des Offiziers, als ob es so sein müsse, aber ihr Mund öffnete sich so weit, als ihr Auge groß ward. »Mein Gott, verzeihen Sie, das ist ja mein –«

»Ihr Pompadour«, fiel der Kornett ein. »Da – nehmen Sie ihn rasch. Ich hoffe, daß der – Herr da ihn für Sie aufgelangt hat.«

»Und ich, Herr Kornett von Wolfskehl, hoffe«, sagte Walter, »daß Sie nur in der Trunkenheit der Freude meine Cousine mit – jemand Ihrer Bekanntschaft verwechselt haben. Für eine andre Trunkenheit würde ich Rechenschaft fordern.«

»Was! – Spricht da einer von Rechenschaft – ich habe mich wohl verhört«, näselte der Kornett zu den Kameraden, die still lächelnd in der Nähe standen, als er schon Walters Hand an seinem Arm fühlte. Es war noch eine sanfte Berührung.

»Ich, Kornett Wolfskehl«, sagte Walter in einem Tone, der noch dem Druck seiner Hand entsprach. »Auf der Stelle ersuche ich Sie so höflichst als dringend, Ihrer Wege zu gehen, da ich meinen vollkommen kenne, den ich gehen muß und werde, wenn Sie den Platz nicht augenblicklich verlassen.«

»Herr« – fuhr der Kornett auf – »wer sind Sie in drei« – und hatte doch den Arm der Dame fahrenlassen. Walters Blick hatte etwas herrisch Durchdringendes. Auch auf den übermütigen Jüngling hatte er unwillkürlich einen Eindruck gemacht.

»Jemand, dem es leid täte, sich an dem Rock des Königs vergreifen zu müssen, der aber keinen Augenblick zaudern würde, wenn – jemand, der nicht der Ehre wert ist, ihn zu tragen, daruntersteckte.«

»Was! – Unterfängt sich die Ka–«

»Halt!« donnerte die Stimme des älteren Offiziers dazwischen. »Meine Herren Offiziere, wenn der Zivilist da zu dem Frauenzimmer gehört, ist er im Rechte.«

Dulden wir das! schien der zu den Kameraden gewandte Blick des Kornetts zu sprechen.

»Herr Obrist, er hat unsre Uniform berührt.«

»So wird er Ihnen Rede zu stehen haben, warum«, entgegnete der Obrist.

»Herr Jesus, um Gottes willen keinen Skandal!« schrie Minchen Schlarbaum. »Da ist ja Herr Professor Catel, der kennt meinen Cousin.«

In dem Augenblick ward aber die Aufmerksamkeit wieder auf den allgemeinen Gegenstand der Teilnahme gelenkt. Wie wenn ein Vorhang zu beiden Seiten aufrollte, hatten sich die Personen, welche um den Kurier gestanden, nach beiden Seiten verteilt, um der stürmischen Forderung des übrigen Publikums zu genügen. Bovillard lag auf dem Boden, das umkränzte Haupt vom Theaterarzt gestützt, während seine ausgestreckte Rechte die Hand des jungen Mädchens noch immer gefaßt hielt, welche den Kranz ihm aufgedrückt. Diese kniete, entweder durch ihre Lage dazu genötigt oder aus eigener Bewegung, daneben. Von der Fieberröte flutete nichts mehr auf ihrem Gesicht; es war totenblaß, nur die großen schönen Augen starrten auf den Jüngling zu ihren Füßen. Sie selbst schien der Hilfe zu bedürfen, denn die Fürstin hielt sie umfaßt. Die Wallensteinschen Krieger, auf ihre langen Degen gestützt, standen im Halbkreis wie eine Wache. Es war nicht Arrangement, es hatte sich von selbst so gemacht. Wer den Rest Spiritus auf dem Altar entzündet, dessen blaue Flammen spärlich durch das Halbdunkel der verlöschenden Öllampen in die Höhe leckten, ist nie ermittelt.

Der Anblick war überraschend, das erste Schweigen des Publikums verriet, daß es den Sinn und Zusammenhang nicht begriff. Es wußte nicht, ob es noch jubeln dürfe, ob trauern sollte. Eigentlich wußte es niemand; was seit letzt geschehen, ging über alles Arrangement hinaus, bis die Gefühle der einzelnen wie kleine Blutadern in einem großen erstarrten Körper pulsierten. Die Teilnahme war verschieden. Eine Stimme rief aus der Mitte heraus: »Ah, c'est pittoresque! C'est vraiment antique et classique!«

»Aber er stirbt ja wirklich!« schrien andere.

Der Klassizismus mußte in dieser Versammlung noch eingewurzelt sein, denn es fand sich jemand, der seine Zuhörer an das erhabene Beispiel aus dem Altertum erinnerte, wo der Bote einer Siegesnachricht im Augenblick, wo er sie überbrachte, aus Erschöpfung zu den Füßen seiner Mutter tot niederstürzte, und die Mutter ward um deshalb als die glücklichste Frau im ganzen Hellas gepriesen.

Herr Herklotz, der Theaterdichter, man vermutet, daß er es gewesen, hatte mit Iffland einige Worte geflüstert, und dieser, heute in andauernder Aufregung, hatte schon den breitkrempigen Hut gezogen und war an die Rampen getreten zu einer neuen patriotischen Ansprache, mutmaßlich aus jener Vergleichung geschöpft, als Major Eisenhauch ihn sanft am Arm faßte:

»Um Gottes willen, Herr Direktor, bedenken Sie, das ist der Vater des Sterbenden.«

Der Geheimrat Bovillard, in einem Gespräch mit St. Real begriffen, hatte erst spät seinen Sohn erkannt. »Mais enfin, grand Dieu, c'est donc mon fils!« rief er händeringend zu denen, die ihn abhalten wollten, sich auf die Bühne zu stürzen, und arbeitete sich durch das Gedränge.

»Mais, mon cher conseiller«, rief der Geheimrat Lupinus, der, seinen Arm unterfassend, ihm nacheilte, »il ne mourira pas. Nous admirons ce ravissement d'amour paternel suprême. Oh! c'est touchant. Mais considérez, mon ami, votre état et surtout votre caractère. Vous êtes philosophe! – Et il ne mourira pas, assurément, ce n'est qu'un échauffement passager. C'est, jeune homme, un épanchement patriotique, l'amour paternel le guérira![1]«

Es arbeitete sich noch jemand währenddessen durch das Gedränge, doch mit einem andern Ungestüm. Auch nach ihm streckten sich unwillkürlich Arme aus, als wollten sie ihn zurückhalten. Weshalb Walter van Asten plötzlich dem Offizier, dem er noch eben die Zähne zu weisen so große Lust gezeigt, den Rücken gekehrt, weshalb er seine Cousine, zu deren Schutz er aus sich selbst heraus geschritten schien, stehenließ, weshalb er unbekümmert um beide ins dichteste Gewühl sich gestürzt, daß er im nächsten Augenblick ihnen allen verschwunden war, daß wußten die freilich am wenigsten, welche sich am lautesten darüber verwundenen. Ein Hohngelächter der Offiziere brach plötzlich aus. Der Obrist drückte verächtlich den Hut auf die Locken: »Ist's ein solcher, so lassen Sie den Patron nur laufen.«

»Er hat vielleicht jemand gesehen, der seiner Hilfe noch mehr bedarf«, antwortete Professor Catel auf Minchen Schlarbaums erstaunten Blick und bot ihr rasch seinen Arm, während die Offiziere zu einer Art Kriegsrat zusammengetreten waren.

»Rede stehen!« – »Nimmermehr.« – »Die Peitsche dem Poltron!«

»Meine Herren«, sagte der Obrist im Abgehen, »wenn er den Rock des Königs angefaßt und sich salviert hat, ehe er Rede stand, ob er nicht nur einen Fleck drauf abklopfen wollte, so schickt sich's weder, Satisfaktion von ihm zu fordern, noch für Sie, den Bütteldienst zu übernehmen. Das ist nun meines Erachtens allein Sache der Polizei und der Justiz, und vorderhand können Sie's ruhig einem Wachtmeister und Sergeanten lassen. Empfehle mich Ihnen.«

Der Geheimrat Bovillard hatte sich über seinen kranken Sohn werfen wollen, aber vernünftige Freunde ihn zurückgehalten, weil es sich mit seiner Würde nicht vertrage, weil das vor dem Theaterpublikum eine Szene aufführen hieße, weil sein Sohn in keiner Lebensgefahr sei, weil jeder Affekt die Lage desselben verschlimmern könne. Der Geheimrat Bovillard war den vernünftigen Vorstellungen zugänglich, und für den öffentlichen Anstand hatte er immer das feinste Gefühl.

Um so besser, als man seinen Sohn bereits auf demselben Ruhebett, auf welchem bei der Darstellung des »Puls« der kranke, junge Graf gelegen, fortgetragen hatte. Dabei mußte sich noch einiges ereignet haben, was die Umstehenden beschäftigte. Man hatte seine Hand aus der des jungen Mädchens losreißen müssen, so fest hielt er sie gefaßt. Sie war darauf – von der Anstrengung und dem physischen Schmerz, sagten die Verständigen – zu Boden gesunken. Ob in einer Ohnmacht oder einem Starrkrampf, darüber stritt man; die zum letzteren hinneigten, behaupteten, sie sei schon vorhin, als sie noch aufrecht saß, in einem Starrkrampf gewesen. Andere vermuteten noch anderes, und Iffland flüsterte zu Bethmann: »Ich besorge, daß man uns auf unserem Grund und Boden eine Komödie aufgeführt hat, während wir hier dem Publikum einen Ernst vorspielen wollten.«

Während er, lauter als nötig, Anordnungen gab, den Vorhang fallen zu lassen, und deutliche Winkel daß es Zeit wäre, das Schauspielhaus zu räumen, erhob sich ein neuer Lärm im Orchester.

»Als hätte sich heut alles gegen unsere Ordnung verschworen!« rief Iffland, von daher zurückkehrend.

»Gönnen Sie der Freude etwas Tumult, Herr Direktor.«

»Ein Zivilist hat sich gegen einen Offizier vergangen. Sie arretieren ihn eben. Als ob ein Tag, der in allen nur einen Gedanken hervorrufen sollte, zur Aufwärmung dieser leidigen Streitigkeiten zwischen den Ständen geeignet wäre.«

»Es soll sonst ein ganz anständiger Mensch sein.«

»Desto schlimmer«, rief Iffland. »Wenn die Vernünftigen nicht einmal ihre Affekte am Altar des Vaterlandes zügeln! Was erwarten wir dann vom Pöbel!«

»Die Affekte werden immer ihr Recht behalten«, erwiderte Herr von Fuchsius. »Und wenn ihr eine Staatsordnung auf Menschen ohne Leidenschaften und Schwächen bauet, so habt ihr auf Sand gebaut. In einer Zeit wie unsre, Herr Direktor, hilft uns nur, wenn wir den Affekten alle Schleusen öffnen. Der Organismus ist zu systematisch verschlammt. Die Künste der Ordnung reichen nicht aus. Nur ein Überfluten des Stroms kann uns aus der Lethargie erretten.«

»Wenn sie sich zanken, ist's doch ein Beweis, daß sie noch leben!« setzte Major Eisenhauch hinzu.

»Sie lebt!« sagte der Arzt, welcher für Adelheid herbeigerufen war und noch immer ihren Puls hielt. »Ihr Leiden scheint mir nur psychisch; eine Folge von zu lange verhaltenen Gemütserschütterungen. Nach dem Zwange rächt sich die Natur. Die äußerste Ruhe tut ihr zunächst not. Auf die Bretter aber, dünkt mich, gehört die Kranke nicht.«

Damit war von allen Herr Iffland einverstanden. Der hatte bereits eine Portechaise kommen lassen. Zwei Soldaten, noch in Wallensteinschen Waffenröcken, versprachen, rüstige Träger zu sein.

»Aber wohin?« fragte der Direktor, nachdem Adelheid unter Beihilfe des Arztes und der Fürstin in die Portechaise gehoben war.

»Gleichviel! In das erste befreundete Haus!« sagte der Arzt.

»Das ist mein Hotel.« Die Fürstin gab, nachdem sie einen schnellen Blick nach der Geheimrätin geworfen, die nötigen Anweisungen: »Leise aufgetreten, keine Erschütterung. Für einen guten Lohn verpflichte ich meinen Kammerdiener.«

Die Lupinus sah weder den Blick noch die Abführung der Portechaise. Eine Reihe riesiger Pappenheimer hatte eine Wand dazwischen gebildet. Aber auch ohne diese Kürassiere würde sie in dem eifrigen Gespräche mit dem Legationsrat es schwerlich gesehen haben. Er hatte sie schon vorhin fast mit unziemlicher Heftigkeit bei der Hand ergriffen und in die Kulissen gezogen. »Ich verstehe Sie nicht. Sie selbst drangen darauf, daß ich kündigen sollte.«

»Und heut bietet Moldenhauer fünf Prozent, wenn Sie die Kündigung zurücknehmen. Schlagen Sie ein! wiederhole ich. Jede Hypothek zwanzigtausend Taler! Bedenken Sie! Einen so unerwarteten Gewinn! Sie wären rasend, ihn von der Hand zu weisen.«

»Aber wenn die Kapitale selbst darüber verlorengehen! Noch gestern schrieben Sie mir: ›Kündigen Sie.‹«

»Noch vor einer Stunde hätte ich es getan.«

»Und jetzt, wo Preußen losschlagen muß –«

»Es schlägt nicht los.«

»Napoleon vernichtet ist –«

»Er ist nicht vernichtet.«

»Trägt ein Ariel Ihnen Botschaften durch die Luft?«

»Ja, in Gestalt einer Taube, die zu Herrn von Marvilliers auf Laforests Hinterdach niederflog.«

»Die Schlacht –«

»Ist geliefert«, flüsterte er, näher an sie tretend, ihr ins Ohr. »Das Blut floß in Strömen. Die Russen total geschlagen, Österreich verloren, dem Sieger auf Gnade und Ungnade überliefert –«

»Entsetzlich! Wo? – Wie?«

»Wenn man den Namen in dem rasch gekritzelten Zettel richtig liest, heißt es Austerlitz, wo Europas Schicksal entschieden ward. – Die Schlußfolge überlaß ich Ihnen.«

»Und diese Menschen in ihrem Siegesrausch!«

»Was gehen diese Menschen Sie an! Denken Sie an sich und ergreifen, was der Moment Ihnen bietet. Es wäre möglich, daß Moldenhauer schon morgen mittag den wahren Verlauf erfährt. Deshalb beschied ich ihn auf morgen früh zu Ihnen. Ein Notar ist avertiert, daß wir ihn auf der Stelle rufen. Moldenhauer wird Sie als Engel segnen, denn er hält sich als Kaufmann ruiniert, wenn Sie auf die Kündigung bestehen. Sie zaudern natürlich etwas, bis –«

»Und wenn wir uns doch verrechneten!«

»Das Einmaleins ist nicht unerschütterlicher als der moralische Egoismus der Staatskunst. Stürzt sich das Lamm in den Rachen des Löwen, der vom Blute der Hunde träuft?«

»Aber –«

»Wird, kann, darf Preußen jetzt losgehen? Das frage ich Sie, und es bedarf nicht Ihres Scharfblicks, um ein entschiedenes Nein zu antworten. Selbst wenn diese Mannequins nicht am Ruder säßen, ein entschlossener, zornsprühender König auf dem Throne – jetzt wäre es Torheit – Torheit ist alles – aber es wäre mehr als das – Verbrechen, Wahnsinn – es ist eine Unmöglichkeit.«

»Doch Napoleon könnte –«

»Aber wird nicht. Er ist zu vorsichtig, um die Verzweiflung herauszufordern, und zu geschwächt durch solchen Sieg, um auf einen gerüsteten Staat sich zu werfen; zu klug, um nicht andre Vorteile von einem Feinde zu erpressen, der die Dummheit hat, an einem politischen Gewissen zu laborieren, und das Unglück, daß es ihn drückt. Wenn der Löwe satt vom Blut ist, läßt er die Lämmer weiden und spielt auch mit ihnen, daß sie zutraulich werden, bis er wieder Hunger bekommt. So weit dürfen wir nicht rechnen.«

»Es wird dunkel!« rief die Geheimrätin; man fing an, die Lampen auszulöschen. – »Mein Gott, wo ist Adelheid?«

Der Wachtmeister aus »Wallensteins Lager« war ihr entgegengetreten: »Beruhigen sie sich, Madame. Die Demoiselle ist in sichrer Obhut fortgebracht, die Frau Fürstin Gargazin –«

»Hat sie Ihnen am Ende entführt«, lachte Wandel.

Ein Kammerdiener der Fürstin stand in der Kulisse, um der Geheimrätin die Tatsache, nur mit andern, schöneren Worten zu melden, und, wenn sie es für nötig fände, die Kranke zu besuchen, das ganze Hotel zu ihrer Disposition zu stellen. Ein Zusatz lautete indes, daß die Ärzte jeden Besuch für lebensgefährlich beim Zustande der Kranken erklärt.

Als die letzte Spiritusflamme auf dem Altar aufzuckte, ging die Geheimrätin an Wandels Arm rasch fort. Sie standen am Ausgang. Links führte der Weg zur Fürstin, rechts nach der Jägerstraße.

»Sie ist Ihnen entführt. Wollen Sie ihr nachlaufen? Mich dünkt, es ist heute genug Komödie gespielt. Überlassen Sie das solchen, die zu nichts Besserem taugen. Wozu einen Schmerz heucheln, den Sie nicht empfinden. Mich dünkt, Sie könnten dem Himmel danken, wenn Sie das Mädchen auf die Weise wirklich loswerden.«

»Aber was wird die Welt sagen?«

»Die hat fürs erste anderes Spielzeug. Nachher findet sich leicht eine plausible Fabel.«

Die Geheimrätin ging nicht in das Hotel der Fürstin.

Das Publikum drängte hinaus. »Herr Professor Catel«, sagte Merkel triumphierend, »werden Sie uns übermorgen wieder eine neue spanische Fabel von Yriarte in der ›Vossischen‹ bringen?«

»Herr Doktor Merkel«, erwiderte Catel, »wenn nur nicht Ihre deutsche Wahrheit, die aus Ihrer Brieftasche heraus will, bis sie in den ›Freimütigen‹ kommt, zur Fabel wird!«

»Halt! Halt!« rief eine Stimme am Ausgange. »Das Wichtigste« – »Was denn?« – »In der romantischen Unruhe vergaß man die Ankündigung, was morgen gegeben wird.«

Es war ein Häuflein Mutwilliger, das überall die Gelegenheit zur Unruhe willig ergreift. »Ordnung muß sein, trotz der Politik!« – »Theater muß hier sein, wenn auch draußen Schlachten sind.« Man pochte und schrie: »Die morgende Vorstellung! Rasch, fix raus.« Ein Unterbeamter des Theaters blickte scheu durch die Kulissen und erklärte demütig einem hochverehrten Publikum: Herr Direktor Iffland und alle Regisseure hätten sich schon entfernt, ohne eine Anweisung hinterlassen zu haben. Das vermehrte erst den Lärm, das Publikum wollte sein Recht. Plötzlich sprang ein junger, elegant gekleideter Mann vom Parterre auf die Bühne, verneigte sich und sprach:

»Morgen: ›Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, Originallustspiel aus dem Französischen in drei Akten.‹ Hierauf: ›Heute rot, morgen tot, politische Burleske in einem Akt.‹ Zum Schluß: ›Ende gut, alles gut, Schauspiel aus dem Englischen des Shakespeare.‹«

Applaus begleitete das Impromptu. Es war ein Kammergerichtsreferendarius, man nannte seinen Namen. Seine Freunde jubelten über den Geniestreich. Es gab viel Gerede darüber in allen Zirkeln der Stadt. Ältere Männer, die Räte des Gerichtes, schüttelten den Kopf: In diesem politischen Treiben ginge Sitte und Ordnung zugrunde.

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Anmerkungen:
  1. Aber, mein lieber Rat ... er wird nicht sterben. Wir bewundern diese Erregung höchster Vaterliebe. Oh!, das ist anrührend. Aber bedenken Sie, Freund, Ihren Stand und vor allem Ihre Würde. Sie sind Philosoph! – Und er wird sicher nicht sterben, das ist nur eine vorübergehende Wallung. Das ist, junger Mann, ein patriotischer Herzenserguß, die Vaterliebe wird ihn heilen.
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