Neunzehntes Kapitel.
Innerlich Lachen an einer Berliner Börse.

An der Berliner Börse war ein Plakat angeschlagen. Der Freiherr von Hardenberg hatte der Kaufmannschaft eröffnet, daß Preußens Lage von der Art sei, daß nun alle Besorgnisse für Handel und Verkehr gehoben wären, indem es Seiner Majestät dem Könige gelungen, »den Frieden auf genügende Art zu behaupten.« Jeder möge daher, im vollen Vertrauen auf die Fürsicht einer Regierung, die kein ander Ziel habe als das Wohl ihrer Untertanen, seinen Geschäften und Unternehmungen nachgehen. Außer dieser amtlichen Bekanntmachung mehrere Avertissements von seiten des Börsenvorstandes: Der Graf von Haugwitz sei als außerordentlicher preußischer Gesandter in Paris mit vieler Freundlichkeit empfangen worden. Ferner: Der König berufe den größten Teil seiner Truppen in ihre Kantonierungen zurück und danke ihnen für ihre bewiesene Treue.

Man sah vergnügte Gesichter. Sie sprachen sich ins Ohr. Vielleicht hatten sie Rücksichten, daß sie nicht laut sprachen. Einige riefen auch Bekannte aus dem Publikum, die über den Lustgarten gingen, heran, und mit ihnen ward noch stiller, vertraulicher konversiert. Von diesen ging dann auch mancher, nach einem herzlichen Händeschütteln, mit erheitertem Gesicht von dannen. Andere aber gingen, die Hände auf dem Rücken, den Kopf gesenkt, schweigend fort. Der und jener schüttelte wohl den Kopf und wandte dem andern hastig den Rücken, um sich aus dem Getümmel zu verlieren. Wie viele froh waren und wie viele betrübt, ist nie gezählt worden.

Einer saß auf einem der Steinpfeiler nach dem Lustgarten hinaus. Es war ein sonniger Tag, und in seinem Kalmuckrock mochte er wohl den Winter vergessen. Sein Gesicht sah aber nicht aus, als ob ein lauer Maienwind darüberstreife, es glich den blätterlosen Zweigen der Platane, die weiß angelaufen vom Morgenreif sich über ihm leise wiegten.

»Na Sie, hören Sie mal, Sie können doch nur lachen«, sagte ein Herantretender. »Warum denn wie ein Eisbär, Herr van Asten?«

»Ich lache auch, Herr Baron. Sie sehen's nur nicht, ich lache innerlich.«

Des Barons beide Hände klimperten in den Seitentaschen mit Geld: »Ich glaube, Sie wären kaputt gewesen mit allen Ihren Forderungen ans Militär.«

»Kaputt werden heißt ja wohl den Kopf verlieren?«

»Halten Sie Ihren fest.«

»Mancher hält's für ein groß Unglück, Herr Baron.«

»Das will ich meinen!«

»Mancher aber meint, man könnte auch ohne Kopf leben.«

»Sie Bonmotiseur, Sie! Warum lachen Sie denn aber nur innerlich? Meine Frau sagt, man kann äußerlich lachen und weint innerlich. Das begreife ich. Ein ästhetisches Gemüt ist immer sentimental. Das bin ich nicht, Sie sind's auch nicht, van Asten. Aber wissen Sie, was mir entgangen ist?«

»Ihre Operntänzerin? Davongelaufen?«

»Nein, keine Pläsanterie! Haben Sie nichts davon gehört? Sie haben's im Kriegsministerium ausspintisiert, daß der Infanterist im Winter auch friert. Mäntel sollten sie kriegen – wenn's zum Krieg gekommen wäre, nämlich. – Nanu, was sagen Sie? Ich hatte schon ein Dutzend neue Stühle eingerichtet. Soll ich nun für die Kalmücken weben lassen?«

»Für die Franzosen, Herr Baron, die nehmen das Tuch auch ungeschoren.«

»Ohne Spaß, Herr van Asten; ich hätte 'nen guten Schnitt bei gemacht.«

»Liebster Baron, Sie sind ein exzellenter Fabrikant und guter Kaufmann, aber erlauben Sie mir, Sie huldigen zu sehr den Phantasien. Ich meine, Sie sind zu leicht exaltiert von Ideen. Mäntel für die Infanterie! Ich bitte sie, hatten Friedrichs Musketiere Mäntel? Man hat Ihnen was aufgebunden. Erfindungen eines neuerungssüchtigen Kopfes! Hohle Theorien! Und unsere Regierung! Liebster Baron!«

»Die Franzosen haben ja schon Mäntel!«

»Desto schlimmer! Wer wird denn denen was nachmachen wollen!«

»Pfiffikus, Sie!« sagte der Baron und spielte mit seinen großen Berlocken. Die Sonne schien ebenso wohlgefällig mit seinen Brillantringen zu spielen. »Na, nu sagen Sie aber mal, warum lachen Sie denn innerlich?«

»Daß wir so 'nen schönen Frieden haben und sogar auf genügende Art

»Wer Sie nicht verstände! Was geht's uns an, sage ich.«

»Das sage ich auch, Herr Baron.«

»Ihre Forderungen in Hannover kann Ihnen nun Schulenburg-Kehnert eintreiben. Mit dreiundzwanzig Bataillonen und fünfundzwanzig Schwadronen rückt er ein. Wollen Sie noch mehr Exekutoren?«

Ein Dritter, der hinzutrat, sagte: »Wir haben doch nun eine zusammenhängende Grenze gewonnen. Ansbach konnten wir nicht schützen, um Hannover brauchen wir nur den Arm auszuspannen.«

»Nicht zu weit«, fiel van Asten ein. »Das Tuch des Herrn Baron reißt sonst an der Achsel.«

Das Gespräch war allgemein geworden. Ein Vierter sagte: »Was hilft alles Umarmen, wenn kein Herz uns entgegenschlägt! Der Hannoveraner liebt uns nicht, und die Ansbacher ringen die Arme, daß wir sie aufgeben. Sie haben ein Schreiben geschickt, daß man sie, die treuesten Söhne des Vaterlandes, nicht vom Vaterherzen reißen solle.«

»Sehr schön gesagt«, sagte Baron Eitelbach im Abgehen zu seinem Begleiter. »›Sehr rührend‹, würde meine Frau sagen. – Was gehn mich die Ansbacher an! – Der alte van Asten könnte mich dauern, wenn er nicht solchen heillosen Schnitt gemacht. Hat auf den Frieden spekuliert. Glauben Sie mir, Dreißigtausend gebe ich für seinen Abschluß. Pfiffig ist er, aber warum hat er seinen Sohn so erzogen! – Ein Zivil muß das Militär gehnlassen. Wofür ist des Königs Rock! Ist nun in der Bredouille. Kann sehn, wie er ihn rauszieht. Tut mir wahrhaftig leid, der Mann. Ja, warum hat er ihn nicht besser erzogen! Das kommt davon.«

»Was ist Ihre Meinung, Herr Mendelssohn?« fragte ein jüngerer einen älteren Kaufmann von sehr klugem Gesicht.

»Wir sind weder dreist genug, das trügerische Geschenk zu behalten, noch stark genug, es von uns zu weisen, darum ergreifen wir den beliebten Mittelweg, wir suchen den Schein zu retten und den Gewinn auch.«

»Aber wir haben den Schönbrunner Vertrag ratifiziert.«

»Wir ratifizieren nichts, wir statuieren nur Provisorien, um uns eine Hintertür zu lassen. Und indem wir den Vertrag modifizieren, heben wir ihn eigentlich auf. Bis zum allgemeinen Frieden soll alles zwischen Preußen und Frankreich bleiben, wir sollen keins der versprochenen Länder räumen, Hannover nur besetzen und hoffen, daß die Engländer bis dahin ein Einsehen bekommen und uns um Gottes willen bitten, doch Hannover zu nehmen.«

»Was die Nachwelt dazu sagen wird! Die treuen fränkischen Lande fortzuschleudern ohne Besinnen und Reukauf, und die Gegengabe dafür nur mit Vorbehalt anzunehmen!«

»Die Nachwelt hat kein Konto in unserm Buche.«

»Aber was schreiben wir auf unseres?«

»Das angenehme Gefühl, daß wir edel gehandelt haben.«

»Und was Napoleon dazu sagen wird!«

»Sie hören's ja. Er hat Haugwitz ›mit einer Freundlichkeit empfangen, die eine günstige Deutung erlaubt.‹«

»Ob sie nicht erröten, indem sie es bekanntmachen?«

»Schamröte ist eine Illusion der Vergangenheit.«

»Aber Napoleon!«

»Er lacht auch innerlich, wie unser Herr van Asten. Aber was ist mit ihm da!«

»Ein Kavallerieoffizier auf der Börse! Geht die Welt unter!«

Der Offizier war der Rittmeister Stier von Dohleneck. Es war eine kleine Aufregung. Der Rittmeister schüttelte in einer Art Ekstase dem Kaufmann die Hand, fast schien es, er fühle sich in Versuchung, ihm um den Hals zu fallen, aber das schickte sich nicht. Der Kaufmann war aufgestanden, er hatte die Hand des Offiziers noch einmal ergriffen, sie gedrückt, dann fahrenlassen und war auf den Stein zurückgesunken. Der Rittmeister war wieder fortgeeilt.

»Ein braver Mann, der Herr von Dohleneck.«

Es waren frohe Gesichter. Wie sollte es auch nicht; seine Botschaft war eine frohe und van Asten ein geachteter Mann auf der Börse. Bald wußten Juden und Christen den Inhalt: Das Ehrengericht der Offiziere hatte sich endlich dahin geeinigt, daß der junge Walter van Asten an jenem Abende nur in einer entschuldbaren Affektion mit dem Kornett in Konflikt geraten, ohne seinen Stand kränkende Intention, daß er seinen Arm nur berühren wollen, um ihn auf etwas aufmerksam zu machen, und allein durch den Stoß eines Nachbars habe er sich an dem Arm festgehalten und damit durchaus nicht den Rock des Königs attentieren wollen. Die Sache wäre also eine reine Privatsache zwischen dem Kornett und dem Kaufmannssohne, letzterer aber, angesehen, daß in niederländischen Familien unter dem vorgesetzten van nicht selten alte adlige Abkunft sich kaschiere, auch der junge Walter nicht erweislich hinter einem Ladentisch stehend gesehen worden, eine Person, von der ein Kavalier, in Anbetracht der Umstände und der Meriten seines Vaters, ohne sich etwas zu vergeben, Satisfaktion fordern möge. Das Zeugnis des Kornetts selbst hatte diesen Spruch, an den niemand vorhin geglaubt, veranlaßt. Wer anders als sein Oheim, der Rittmeister, war das bewegende Motiv gewesen!

»So belohnt sich eine gute Tat«, raunte ein Freund dem Vater zu.

»Ein braver Mann, der Rittmeister«, wiederholte der Chor.

»Na, nu können Sie auch äußerlich lachen, Herr van Asten«, sagte der wieder hinzugetretene Baron – »der Friede, der Schnitt und der Herr Sohn ohne Kriminal und Prison davongekommen. Was wollen Sie mehr!«

»Lache ich denn nicht!« rief der Alte und lachte, so laut, daß die Davongehenden noch auf dem Lustgarten sich verwundert umblickten. »Es ist des Glücks nur zu viel! Das Zahlbrett voll zum Einstreichen, ein Friede, der uns genügt, und soviel Patriotismus an der Börse und alles in Ruhe und lauter Ordnung im Lande, und mein Sohn – mein Sohn kriegt die Erlaubnis, von den Herren Offizieren sich 'ne Kugel durch den Kopf jagen zu lassen! – Verzeihn Sie, meine Herren, wenn ich genug gelacht habe, daß ich auch ein bißchen weine, denn das große, unverdiente Glück habe ich alter Esel mir selbst angerichtet.«

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