Tod und Begräbniß.

Wahrheit hat die Kunde
Vom tiefen Lebensgrunde
Als winzigen Zettel
In eine Nuß gethan
Und warf den Bettel
In den Ocean.
Das Meer ist groß, die Nuß ist klein:
Hat wohl am steinen Wunderschrein
Schon ein Pilot vorbeigeflucht?

Sucht! Sucht         

Wahrheit schrieb die Kunde
Vom tiefen Lebensgrunde
Einem Vöglein auf den Kopf
Untern Schopf
Auf des Hirnes glatte Schale;
Das Vöglein flog durch alle Welt,
Ihm ward durch Berg und Thale
Vergeblich nachgestellt!

Nur zugeforscht, wer weiß denn auch,
Ob nicht der Vogel euern Strauch
Zu feinem Sitze auserkiest:
Und froh gelaunt bei Frühlingswettern
Aus seinen schopfgeborg'nen Lettern
Euch singend was herunterliest!
Ist auch das Vöglein auf der Flucht,

Sucht! Sucht!          

Anton Passy.

 

In solcher Stimmung traf der Tod unsern Dichter. Wie er ihn empfangen, wie er seinen Abschied von der großen Schaubühne genommen, in wessen Namen er den letzten Kampf gekämpft, das hat außer den verschwornen Augenzeugen kein Sterblicher je erfahren. Aber Ungewöhnliches ist an diesem Sterbelager ohne Frage vorgegangen, das verstörte Benehmen der Betheiligten setzt es außer Zweifel. Jene geheimnißvollen Vorgänge werden seitdem durch ein stillschweigendes Compromiß vertuscht[1], das Nachfolgende wird diese Behauptung bestätigen.

Schillers Schwägerin, Karoline von Wolzogen stand an seinem Sterbebette, sie erzählt den Hergang folgendermaßen: "Den Morgen des 8. Mai hatte er leidlich zugebracht, still und oft schlummernd. Als ich gegen Abend kam, vor sein Bett trat und fragte, wie es ihm gehe. drückte er mir die Hand und sagte: Immer besser, immer heiterer! Ich fühlte, daß er dieses ganz in Bezug auf seinen inneren Zustand sagte. Es waren die letzten an mich gerichteten Worte, die ich von den theueren Lippen vernahm. Er verlangte, man solle den Vorhang öffnen, er wolle die Sonne sehen. Mit heiterem Blicks schaute er in den schönen Abendstrahl, und die Natur empfing seinen Scheidegruß. Seine Kinder verlangte er selten zu sehen. Die jüngste Tochter, die man ihm noch: am 8. Morgens gebracht, hatte er mit Freude und Wohlgefallen betrachtet. Sein treuer Diener, der die Nächte bei ihm zubrachte, sagte, daß er viel gesprochen, meist von Demetrius, aus dem er Scenen recitirte. Einigemale habe er Gott angerufen, ihn vor einem langsamen Hinsterben zu bewahren. Am neunten früh trat Besinnungslosigkeit ein; er sprach nur unzusammenhängende Worte, meistens Latein. Ein verordnetes Bad schien er ungern zu nehmen; doch war er in Allem, was zu seiner Wartung geschehen mußte, ergeben und geduldig. Der Arzt hatte nöthig gefunden, daß er ein Glas Champagner trinke, um die mehr und mehr sinkenden Kräfte zu heben. Es war sein letzter Trunk. Seine Brustbeklemmungen schienen nicht sehr schmerzlich. Wenn er, davon ergriffen, auf sein Kissen zurückfiel, sah er um, schien uns aber nicht zu kennen. Gegen drei Uhr trat vollkommene Schwäche ein; der Athem fing an zu stocken. Meine Schwester kniete an seinem Bette, sie sagte, daß er ihr noch die Hand gedrückt Ich stand mit dem Arzte am Fuße des Lagers und legte gewärmte Kissen auf die erkaltenden Füße. Es fuhr wie ein electrischer Schlag über seine Züge: dann sank seilt Haupt zurück, und die vollkommenste Ruhe verklärte sein Antlitz; seine Züge waren die eines sanft Schlafenden." Ein anderer Augenzeuge, Heinrich Voß, erzählt den Hergang ebenfalls; aber wie! Einmal schreibt er an Niemeyer[2]: "Ich bin ein Jahr lang Schillers steter Gefährte gewesen, habe ihn täglich gesehen und durch den Abend seines Lebens in die finftere Todesnacht hineingeleitet. Sein letztes sterbenbes Wort hat zu meinen Ohren getönt." Voß beschreibt dann, wie Schiller um 4 Uhr Nachmittags Naphtha gefordert und in wenigen Minuten eingeschlafen dagelegen habe. An Griesbach aber schreibt er[3]: "Gott wirb es mir verzeihen, wenn ich am Donnerstag Abend, als ich um 10 Uhr die Nachricht erfuhr, wider seine weise Vorsicht gemurrt habe." Hiernach ist Heinrich Voß bei Schillers Tod gar nicht zugegen gewesen. Eine andere der Schiller'schen Familie sehr nahestehende Freundin jener Zeit, Fräulein v. Göchhausen, schreibt über des Dichters letzte Stunden [4]: "In den Zeitungen stehen unsinnige Berichte von Soldaten - und Kriegsphantasieen, vom Verscheiden überm Attila u. s. w. Kein Wort davon ist wahr. An Attila ist nicht gedacht, auch findet sich in seinen Papieren nichts davon. Was die Allg. Ztg. berichtet — Sie kennen den Freund — ist fast Alles währ und würdig gesprochen. Die Phantasieen des Verstorbenen (er war die drei letzten Tage fast immer abwesend) waren heitere Jugenderinnerungen; er sprach viel Latein, Stellen aus Reden, die er gehalten. Wenige Stunden vor der letzten fragte ihn Frau v. Wolzogen, wie es ihm ginge? "Heiter, sehr heiter," war die Antwort, "mir ist jetzt Manches klar, was mir oft dunkel schien" u. s. w. Er war sehr ruhig. Er verlangte sein jüngstes Kind, liebkoste es [5], schlief einige Stunden sanft, man glaubte ihn gerettet; die Herzen, die ihn umgaben, öffneten sich der Freude — er war todt. Er selbst hat nicht geglaubt zu sterben, wenigstens äußerte er nichts davon, selbst die Seinigen glaubten kaum an eine nahe Gefahr; denken Sie sich ihren Schmerz." In dem Angeführten ist auch bereits eine Andeutung der Gerüchte enthalten, die im Sommer bei Jahres 1805 Deutschland durchschwärmten: es flüsterte in allen Cirkeln und Zeitschriften. Berichte über Berichte wurden gedruckt, deren einer dem andern diametral entgegengesetzt war und jeder die höchste Glaubwürdigkeit für sich in Anspruch nahm. Die Angaben variirten nicht nur in Bezug auf die Stunde, sondern sogar auf den Tag seines Todes. Am weitesten datirt ihn, soviel uns wenigstens bekannt, August Wilhelm Bohtz [6] zurück, der ihn auf den 5. Mai ansetzt. Schiller hat ausgezeichnete Biographen gefunden, aber dieses Chaos hat noch keiner erhellen können. Wir wollen einige hören! Karl Hoffmeister schreibt:"„Am Abende des 7. Mai wollte er mit seiner Schwägerin ein Gespräch anknüpfen über Stoffe zu Tragödieen und über die Art, die höheren Kräfte des Menschen zu erregen. Da diese, um ihn ruhig zu erhalten, nicht mit der gewöhnlichen Lebhaftigkeit antwortete, sagte er:'Nun, wenn mich Niemand mehr versteht, und ich mich selbst nicht mehr verstehe, so will ich schweigen.' Er schlummerte bald ein und sprach viel im Schlafe. 'Ist das euere Hölle, ist das euer Himmel?' rief er vor dem Erwachen; dann sah er sanft lächelnd in die Höhe, als begrüßte ihn eine tröstende Erscheinung. Als seine Schwägerin ihn verließ, sagte er: 'Ich denke diese Nacht gut zu schlafen, wenn es Gottes Wille ist.' . . . . . . . . . . . Morgens am 9. schlief er ein bis gegen 10 Uhr. Dann trat Besinnungslosigkeit ein; und er phantasirte in un zusammenhängenden Worten. 'Wer löste die Kanonen? — Wer commandirt den linken Flügel? Siehst Du? — Die Kettenkugeln reißen ganze Glieder nieder! — Wie prächtig sieht das Regiment ans — weiß und blau! — Sind sie im Lager? — Das ist lustig! — Singt noch einmal den Rundgesang!" — Auch den Namen Lichtenberg soll er ausgerufen haben, Andere aber verstanden Leuchtenberg, ein romantisch gelegenes Schloß bei Kahla an der Saale, wohin er noch vor Kurzem eine Lustreise sich vorgenommen hatte. . . . . . Er durchlief mit starrem irrem Blicke die Umstehenden, die Augen tief im Kopfe. Wie Voß erzählt, forderte er noch Naphtha, aber die letzte Silbe erstarb im Munde. Da versuchte er zu schreiben, brachte aber nur drei Buchstaben fertig, in denen gleichwohl noch der Charakter seiner Schriftzüge ersichtlich war." U. s. w. Palleske, der seinen Studien über Schiller seinen Ruhm verdankt, schreibt Folgendes über den Hergang. "Am neunten Mai früh trat Besinnungslosigkeit ein, der Kranke sprach nur unzusammenhängende Worte, meistens Latein. Nach mittags nahten die Schauer der Vernichtung. Als seine hohe Natur erlag, als der Krampf sein Gesicht entstellte, wollte Lotte seinen gesunkenen Kopf in eine bequemere Lage bringen. Er erkannte sie, lächelte sie an, sein Auge hatte den Ausdruck der Verklärung. Lotte sank an sein Haupt, er küßte sie. Es war das letzte Zeichen seines Bewußtseins. Nach harten Krampfanfällen schien er ruhig zu schlafen. Lotte begann Hoffnung zu schöpfen. Die Frauen gingen ins Nebenzimmer. Lotte sprach zu Carolinen, sie hoffe, seine herrliche Natur werde nun siegen. In diesem Augenblicke rief der Diener die Frauen. Der Kranke nahte seinem Ende. Lotte suchte umsonst, seine kalte Hand zu erwärmen. Plötzlich fuhr es wie ein elektrischer Schlag über seine Züge, sein Haupt sank zurück, die vollkommenste Ruhe verklärte sein Antlitz."

Wenn wir einen Appell von dem müden an den gütigen Leser wagen wollten, so würden sich die widersprechendsten Berichte vor unseren Augen aufthürmen; allein wir scheuen uns jene tiefernsten Stunden durch den wüsten Lärm der Streitenden zu profaniren, zum Zwecke genügt das Angeführte. Wir haben hier die allerwärmsten und begabtesten Verehrer Schillers sprechen hören, die allen ihren Scharfsinn aufboten, Einheit in das Conglomerat der Berichte zu bringen, und es schien, jeder erzähle eine andere Begebenheit. Anfangs beabsichtigten wir, die sich widersprechenden Stellen zu markiren, und es zeigte sich, daß Alles unterstrichen werden müßte. Es ist daher kein Wunder, daß Gustav Schwab den angestrengten Versuch, die Detonationen durch geschickte, Permutation der Töne einigermaßen zu überwinden, mit folgenden Worten aufgab: "Es finden sich selbst bei den Augenzeugen namhafte Differenzen, und dem scharfsinnigen Zweifel eines künftigen Jahrtausends .bleibt unbenommen, nach Einsicht der Acten das Urtheil zu fällen, daß der ganze Hergang wohl eine Mythe sein dürfte, und Schiller, wenn er überhaupt gelebt habe, zwar auch gestorben sei und begraben worden, aber man durchaus nicht bestimmen könne, wie."

Unser Staunen hat den Höhepunkt erreicht! Wie? Gustav Schwab, der Schillers Ahnen, die obscute Leute waren, bis in das siebente Glied zurück aufspürte, versucht es nicht auf anderen Wegen, Licht in des Dichters wichtigste Stunden zubringen? War es ihm nicht möglich "Licht, mehr Licht" zu bekommen? Heinrich Voß, der famose Augenzeuge, lebte bis 1822, Frau v. Wolzogen bis 1847, ebensolange Froriep, eine Tochter Schillers gar bis in die jüngsten Jahre. Man hat an Schillers Sterbelager mit Fleiss die Gardinen zugezogen, es hat sich an demselben etwas ereignet, was nicht ins System paßt, was nicht an den Tag kommen darf, was Schillern in höchste Ungnade bei seiner nächsten Umgebung brachte — was ohne jene Gardinen vielleicht gar seine Verehrer unter andere Breitegrade verlegt haben würde. Diese Behauptung machen wir nicht leichtsinnig, der Beweis dafür ist Schillers Begräbniß.

Frau v. Wolzogen hat selbstverständlich wieder zuerst das Wort; sie erklärt: "Das Leichenbegängnis war dem Range des Verstorbenen gemäß angeordnet; aber zwölf junge Männer höheren Standes nahmen die Leiche den gewöhnlichen Trägern ab, und von liebenden Freundesarmen wurde sie zur Ruhestatt getragen. Es war eine schöne Mainacht. Nie habe ich einen so anhaltenden und vollständigen Gesang der Nachtigallen gehört, als in ihr. Mein Mann war auf die Unglücksnachricht, die ihn in Naumburg traf, herbeigeeilt, er kam noch an, um sich dem Trauerzuge auf dem Kirchhofe anzuschließen." Wenn wir es nicht schon wüßten, daß die Wolzogen eine ganz außergewöhnliche Dame sei, so müßtes uns der ihrem Geschlechte nicht ganz natürliche, reservate, ja diplomatische Ton obiger Worte verraten. Warum so kurz? Wußte Karoline von Wolzogen nicht, daß ganz Deutschland von jenen Funeralien sprach? So arg wurde das Gerede, und so dicht drängtan sich die abenteuerlichsten Conjecturen, daß Dr. Julius Schwabe im Jahre 1852 ein eigenes Büchlein über 'Schillers Beerdigung' herausgab, worin er aktenmäßige Wahrheit zu liefern versprach. Darin erzählt er Folgendes. Sein Vater, der Hofrath Carl Leberecht Schwabe, sei ein besonderer Verehrer Schillers gewesen Als er nun am 11. Mai 1805 Nachmittags zwischen 3 und 4 Uhr von einer Geschäftsreise nach Weimar zurückkehrte, erfuhr er Schillers Tod. Dem Schmerze, welchen er bei dieser Nachricht empfand, gesellte sich das Gefühl her Entrüstung bei, als er weiter erfuhr, der große Todte, solle noch in dieser Nacht ganz in der Stille beerdiget werden, und wahrscheinlich Schneidergesellen würden ihn zu Grabe tragen. Schwabe war ein edler Mann; er setzte sogleich Alles in Bewegung; aber nur seinen aufopferndsten Bemühungen gelang es, vom Oberconsistorialrath Günther die Erlaubniß zu erwirken, daß die Leiche statt von bezahlten Trägern von einigen Verehrern zu Grabe getragen würde. Es hatten sich zu diesem Liebesdienst etwa 21 Männer herbeigelassen. "Still und ernst begab sich nach Mitternacht der kleine Zug von Schwabe's Wohnung nach Schillers Haus in der Esplanade. Es war eine mondhelle Mainacht, nur einzelne Wolken verhüllten bisweilen, unter ihm durchziehend, den Mond. Still war das Todtenhaus, nur Weinen und Schluchzen tönte dumpf aus einem der dem Sarge, in welchem Schillers Leiche lag, naheliegenden Zimmer. Während die Freunde die Treppe hinab vorangingen, wurde der Sarg hinuntergetragen und vor der Hausthüre von ihnen aufgenommen. Kein Mensch war vor dem Hause oder in den Straßen zu erblicken; tiefe lautlose Stille herrschte in der Stadt; aber warme Herzen schlugen in den Trägem für die theuere Last, die sie trugen, und die Pause, die den Tragenden von Zeit zu Zeit bis zum entfernten Kirchhofe, zum kurzen Ausruhen ober zum Wechseln der Plätze unter der Todtenbahre, auf welcher der Sarg stand, vergönnt war, wurde zum Trocknen des thränenvollen Antlitzes benutzt. So ging der Zug durch die stille Stadt, durch die Esplanade, über den Markt und durch die Jakobsgasse nach dem alten Kirchhofe vor der St. Jakobskirche. Gleich rechts am Eingange befindet sich noch jetzt das sogenannte Kassengewölbe, vor dessen Thüre die Träger die Bahre mit dem Sarge niedersetzten. Hell durchbrach in diesem Augenblicke der Mond die ihn verhüllenden Wolken und übergoß mit seinem ruhig freundlichen Lichte den Sarg des Dichters, ihm einen kurzen Abschiedsgruß zusendend; gleich darauf verbarg sich die Lichtscheibe wieder hinter den rasch am Himmel dahin eilenden Wolken. Hörbar rauschte der Wind über Dächer und Bäume dahin."

"Nun öffnete sich die Pforte des düsteren Gewölbes, der Todtengräber und seine 3 Gehilfen nahmen den Sarg auf, trugen ihn hinein, öffneten eine Fallthüre, und der theuere Todte wurde an Seilen in die unterirdische, von keinem Lichtstrahl erhellte Gruft hinabgesenkt in die schweigsame Gesellschaft Derer, die ihm in diese schaurige Wohnung des Todes vorangegangen waren. Die Fallthüre ward wieder niedergelassen und dann auch das äußere Thor des Grabgewölbes wieder geschlossen. Kein Trauergesang, kein dem Andenken des eben Begrabenen geweihtes Wort aus priesterlichem Munde unterbrach das Schweigen der Mitternacht. Still wollten sich die Männer des Trauergeleites vom Kirchhofe entfernen, als ihrer Aller Aufmerksamleit durch eine hohe, in einen Mantel tief verhüllte Männergestalt angezogen wurde, welche gespensterartig zwischen den dem Kassengewölbe nahen Grabhügeln herumirrte und durch Geberden und lautes Schluchzen ihre innige Theilnahme an Dem, was soeben vollbracht worden war, zu erkennen gab. Man hat später versucht, die Erscheinung dieses Leidtragenden in ein mystisches Dunkel zu kleiden; von der einen Seite wurde die müßige Behauptung aufgestellt, man habe nie ergründen können, wer die geheimnißvolle Erscheinung gewesen sei; Andere wieder wollten wissen, Göthe, der damals krank war, habe es sich nicht versagen können, der Beerdigung seines Freundes beizuwohnen. Es wurde aber in dem räthselhaften Leidtragenden der Schwager Schillers, der Geheim-Rath von Wolzogen, von allen Denen unter den Augenzeugen deutlich erkannt, welchen seine Persönlichkeit nicht gerade unbekannt war."

Bereits diese zwei Zeugen verwickeln sich also in merkliche Widersprüche. Nach Wolzogen waren der Träger aus höheren Ständen 12, nach Schwabs 21; nach Wolzogen hat sich ihr Mann dem Zuge angeschlossen, nach Schwabe irrte er gespensterartig unter den Grabhügeln herum. Wir müssen nun schon noch einen Augenzeugen vernehmen, und es bietet sich an der Ober-Medizinalrath von Froriep[7]. Er sagt aus: „Im Jahre 1805 befand ich, damals Professor in Halle, mich gerade in Weimar auf Besuch, als Schiller so unvermuthet starb, und als die Hülle des großen Geistes in der hellen Mitternachtsstunde vom 11. auf den 12. Mai von einigen jungen Gelehrten, unter denen Stephan Schütz und Heinrich Voß, Künstlern und Staatsdienern getragen, beigesetzt wurde, waren — ich begreife noch nicht, wie das so kommen konnte — ich und ein mir Unbekannter, der, wie ich nachher hörte, Schillers Schwager, Herr v. Wolzogen war, die Einzigen, welche dem Sarge folgten."

Nach Froriep sind also zwei Männer dem Sarge gefolgt: er selber und ein ihm Unbekannter, welcher Hr. v. Wolzogen gewesen sein soll. Hat man je ärgeren Humbug gelesen? Sollen denn die erwähnten 21 Verehrer Schillers alle zumal am Sarge getragen haben? Dr. Schwabe sagt, sie hätten sich zu je acht Mann im Tragen abgelöst. Wo sind dann die andern 13 inzwischen herumgegeistert? sind sie nicht auch dem Sarge gefolgt? und da soll Niemand den v. Wolzogen gesehen und den v. Froriep erkannt haben? — Ferner diese Uebereilung mit der Beerdigung, die nicht einmal durch eine warme Witterung einen Schein von Nothwendigkeit erhielt! Diese äußerste Stille! Diese Mitternachtsstunde wie bei dem Begräbnisse eines an der Pest Verstorbenen! Der isolirt fortgeschleppte Sarg ohne alles Gefolge! Diese bezahlten Schneider, die in Weimar einen Schiller zu Grabe tragen sollten! Auch in einen möglichst miserabeln Sarg hatten sie den Leichnam gelegt. [8] Was muß doch unser Schiller auf seinem Sterbebette noch verbrochen haben, daß sich seine Freunde in dem Maaße von ihm wendeten! Göthe, seit Jahren Schillers vertrauter Freund, er, der den Heimgegangenen wenige Tage zuvor noch so innig umarmt hatte, Göthe war damals in Weimar Minister! Begraben die Nationen so ihre großen Todten?

Doch Dr. Schwabe verlangt das Wort; wir wollen ihn hören! Er sagt, auf verschiedene Anträge zu einer anderen Bestattung sei Schillers Gattin nicht eingegangen. Ei so lüge! Man mache aus Schillers Gattin doch keinen Querkopf! Wenn sie das gethan, so hatte ihr der Schmerz die Zurechnungsfähigkeit geraubt, und ihr Wille durfte nicht respectirt werden; denn die Leiche gehörte nicht der Lotte v. Lengefeld, sondern der deut schen Nation. Auch war es, entschuldiget Schwabe, damals in Weimar nicht Sitte, seine Theilnahme an einem Verstorbenen durch das eigentliche Conduct zu bezeugen; es sei aber Sitte gewesen, daß die Leichen von den Handwerkszünften getragen wurden. Wirklich? In der Stadt der Olympia haben damals solch huronische Sitten geherrscht? Werden in Weimar nobilitirte Hofräthe "ihrem Range gemäß" von bezahlten Schneidern zu Grabe getragen? O zischt den Lügner aus! Wenn das Alles so in der Ordnung war, warum wurden dann der Lotte v. Schiller verschiedene andere Anträge gemacht? warum dann "das Gefühl der Entrüstung" beim alten Schwabe? warum begreift Hr. v. Froriep 1837 noch nicht, "wie das so kommen konnte?" woher die Indignation in allen deutschen Gauen? Der allererbärmlichste Prätert ist indessen doch der, man habe Eile gehabt, weil die Leiche zu schnell in Verwesung übergegangen sei. War damals in Weimar das Pech noch nicht erfunden? Diesem Dr. Schwabe sollte man die Bauern auf den Hals hetzen, daß sie ihm die Stäupe geben! Göthe, der Minister, der die Tyrannei der Sitte zu durchbrechen im Stande gewesen wäre, der wäre krank gewesen. Merkwürdig! Als Schillers Schädel nach seiner Auffindung am 17. Sept. 1826 im Saale dss Bibliothekgebäudes beigesetzt werden sollte, da war Göthe schon wieder krank. Göthe ist 83 Jahre alt geworden.

So steht die Frage. Jeder ziehe sich die Consequenzen nach eigenem Ermessen. Wir haben weder Lust noch Bedürfniß, große Todte von der -Gegenseite ohne Weiteres zu uns herüber zu ziehen, wie man jenseits es mit unseren Gailer von Kaisersberg, Fenelon, Sailer macht, aber bis die Lösung erfolgt, bleiben alle vernünftigen Conjecturen berechtiget, auch die mehrmals berührte. Soviel aber glauben wir bewiesen zu haben, daß das subversive Zeitelement mit Unrecht Beschlag auf Schiller legt.

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Anmerkungen:
  1. Auch sonst haben Schillers Biographen glänzende Proben ihrer Virtuosität in der Morenwäscherei geliefert. Wer einige Bravourstücke diefer Art bewundern will, der möge nachsehen, was Schwab etc. über Schillers Verhältniß zur Frau von Kalb schreiben, und hierauf möge er sich in Julian Schmidt's 'Schiller und seine Zeitgenossen' über die Wahrheit informiren.
  2. H. Voß, Mittheilungen über Schiller und Göthe S. 44.
  3. Ebendaselbst S. 68.
  4. 'Literarische Zustände und Zeitgenossen. In Schilderungen »uB Carl August Böttiger's handschriftlichem Nachlaß.' II. 360.
  5. Voß behauptet, er hätte bei dessen Anblick bitterlich geweint!
    Non est conveniens testimonium eoram.—
  6. In seiner 'Geschichte der neuern deutschen Poesie.' Göttingen 1882. S. 244.
  7. Schilleralbum. Stuttgart 1837 S. 77.
  8. Dr. Schwabe, Schiller Beerdigung. Leipzig, Brockhaus 1862. S. 52.
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