Drittes Kapitel

Von dem Umgange unter Eheleuten

1.

Eine weise und gute Wahl bei Knüpfung des wichtigsten Bandes im menschlichen Leben, die ist freilich das sicherste Mittel, um in der Folge sich Freude und Glück in dem Umgange unter Eheleuten versprechen zu können. Wenn hingegen Menschen, die nicht gegenseitig dazu beitragen, sich das Leben süß und leicht zu machen, sondern die vielmehr widersprechende, sich durchkreuzende Neigungen und Wünsche und verschiedenes Interesse hegen, unglücklicherweise sich nun auf ewig aneinandergekettet sehen; so ist das in der Tat eine höchst traurige Lage, eine Existenz voll immerwährender herber Aufopferung, ein Stand der schwersten Sklaverei, ein Seufzen unter den eisernen Fesseln der Notwendigkeit, ohne Hoffnung einer andern Erlösung, als wenn der dürre Knochenmann mit seiner Sense dem Unwesen ein Ende macht.

Nicht weniger unglücklich ist dies Band, wenn auch nur von einer Seite Unzufriedenheit und Abneigung die Ehe verbittern, wenn nicht freie Wahl, sondern politische, ökonomische Rücksichten, Zwang, Verzweiflung, Not, Dankbarkeit, dépit amoureux, ein Ungefähr, eine Grille oder nur körperliches Bedürfnis, wobei das Herz nicht war, dieselbe geknüpft hat, wenn der eine Teil immer nur empfangen, nie geben will, unaufhörlich fordert, Befriedigung aller Bedürfnisse, Hilfe, Rat, Aufmerksamkeit, Unterhaltung, Vergnügen, Trost im Leiden – und dagegen nichts leistet. Wähle also mit Vorsicht die Gefährtin Deines Lebens, wenn Deine künftige häusliche Glückseligkeit nicht ein Spiel des Zufalls sein soll.

2.

Überlegt man aber, daß gewöhnlich auch diejenigen Ehen, welche auf eigener Wahl beruhen, in einem Alter und unter Umständen geschlossen werden, wo weniger reife Überlegung und Vernunft als blinde Leidenschaft und Naturtrieb diese Wahl bestimmen, obgleich man in dieser Verblendung wohl sehr viel von Sympathie und Herzenshange träumt und schwätzt, so sollte man sich beinahe verwundern darüber, daß es noch so viele glückliche Ehen in der Welt gibt. Aber die weise Vorsehung hat alles so herrlich geordnet, daß eben das, was diesem Glücke im Wege zu stehn scheint, dasselbe vielmehr befördert. Ist man in den Jahren der Jugend weniger geschickt zu weiser Wahl, so ist man dagegen von der andern Seite auch noch geschmeidiger, leichter zu leiten, zu bilden und nachgiebiger, als in dem reifern Alter. Die Ecken – möchten sie auch noch so scharf sein – schleifen sich leichter ab aneinander und fügen sich, wenn der Stoff noch weich ist. Man nimmt die Sachen nicht so genau als nachher, wenn Erfahrung und Schicksale uns ekel, vorsichtig gemacht, und große Forderungen in uns erweckt haben; wenn die kältere Vernunft alles abwägt, jeden Diebstahl an Genuß sehr hoch anrechnet, kalkuliert, wie wenig Jahre man vielleicht noch zu leben hat und wie geizig man mit Zeit und Vergnügen sein muß. Entstehen unter jungen Eheleuten gern Zwistigkeiten, so ist auch die Versöhnung desto leichter gestiftet. Widerwillen und Zorn fassen nicht so feste Wurzel, und wenn der Körper mitspricht, wird oft der heftigste Streit durch eine einzige eheliche Umarmung wieder geschlichtet. Dazu kommen dann nach und nach Gewohnheit, Bedürfnis, miteinander zu leben, gemeinschaftliches Interesse, häusliche Geschäfte, die uns nicht viel Zeit zu müßigen Grillen lassen, Freude an Kindern, geteilte Sorgfalt über derselben Erziehung und Versorgung – welches alles, statt die Last des Ehestandes zu erschweren, in den Jahren, wo Jugend, Kräfte und Munterkeit mitwirken, dies Joch sehr süß machen und mannigfaltig abwechselnde Freuden gewähren, die durch Teilung mit einer Gattin doppelt schmackhaft werden. Nicht also im männlichen Alter. Da fordert man mehr für sich, will ernten, genießen, nicht neue Bürden übernehmen; man will gepflegt sein; der Charakter hat Festigkeit, mag sich nicht mehr umformen lassen; die Begierden dringen nicht so laut auf Befriedigung. Nur wenig Ausnahmen möchten hier stattfinden, und diese nur unter den edelsten Menschen, die bei zunehmenden Jahren nachsichtiger, sanfter werden, und, fest überzeugt von der allgemeinen Schwäche der menschlichen Natur, wenig fordern und gern geben; aber immer ist dies eine Art von Heroismus, eine Aufopferung, und hier ist ja von wechselseitiger Glückseligkeits-Beförderung die Rede – kurz, ich würde anraten, in diesem Alter langsamer bei der Wahl einer Gattin zu Werke zu gehn, wenn ein solcher Rat nicht überflüssig wäre. Das gibt sich von selbst; wer sich aber in männlichen Jahren auf diese Weise übereilt, der mag dann die Folgen von den Torheiten tragen, zu welchen ein Jünglingskopf auf Mannesschultern verfährt.

3.

Ich glaube nicht, daß eine völlige Gleichheit in Temperamenten, Neigungen, Denkungsart, Fähigkeiten und Geschmack durchaus erfordert werde, um eine frohe Ehe zu stiften; vielmehr mag wohl zuweilen grade das Gegenteil (nur nicht in zu hohem Grade, noch in Hauptgrundsätzen, noch ein zu beträchtlicher Unterschied von Jahren) mehr Glück gewähren. Bei einem Bande, das auf gemeinschaftlichem Interesse beruht, und wo alle Ungemächlichkeit des einen Teils zugleich mit auf den andern fällt, ist es zur Vermeidung übereilter Schritte und deren schädlicher Folgen oft sehr gut, wenn die zu große Lebhaftigkeit, das rasche Feuer des Mannes durch Sanftmut oder ein wenig Phlegma von seiten des Weibes gedämpft wird, und umgekehrt. So würde auch mancher Haushalt zugrunde gehn, wenn beide Eheleute gleichviel Lust an Aufwand, Pracht, Üppigkeit, einerlei Liebhabereien oder gleichviel Hang zu einer nicht immer wohlgeordneten Wohltätigkeit und Geselligkeit hätten; und da unsre jungen Romanleser und -leserinnen gemeiniglich die Ideale zu ihren künftigen Lebensgefährten nach ihrem eigenen werten Ich schnitzeln, so ist es doch so übel nicht, wenn zuweilen ein alter grämlicher Vater oder Vormund einen Querstrich durch dergleichen Verbindungspläne macht. – So viel nur von der Wahl des Gatten, und das ist beinahe schon mehr, als eigentlich hierhergehört.

4.

Wichtig ist die Sorgfalt, welche Eheleute anwenden müssen, wenn sie sich so täglich sehen und sehn müssen und also Muße und Gelegenheit genug haben, einer mit des andern Fehlern und Launen bekannt zu werden und, selbst durch die kleinsten derselben, manche Ungemächlichkeit zu leiden; wichtig ist es, Mittel zu erfinden, sich dann nicht gegenseitig lästig, langweilig, nicht kalt, gleichgültig gegeneinander zu werden oder gar Ekel und Abneigung zu empfinden. Hier ist also weise Vorsicht im Umgange nötig. Verstellung fällt in allem Betrachte weg; aber einer gewissen Achtsamkeit auf sich selbst und der möglichsten Entfernung alles dessen, was sicher widrige Eindrücke machen muß, soll man sich befleißigen. Man setze daher nie gegeneinander jene Höflichkeit aus den Augen, die sehr wohl mit Vertraulichkeit bestehn mag und die den Mann von feiner Erziehung bezeichnet. Ohne sich fremd zu werden, sorge man doch dafür, daß man durch oft wiederholte Gespräche über dieselben Gegenstände nicht langweilig sei, daß man sich nicht so auswendig lerne, daß jedes Gespräch der Eheleute unter vier Augen lästig scheint und man sich nach fremder Unterhaltung sehnt. Ich kenne einen Mann, der eine Anzahl Anekdötchen und Einfälle besitzt, die er nun schon so oft seiner Frau, und in deren Gegenwart fremden Leuten ausgekramt hat, daß man dem guten Weibe jedesmal Ekel und Überdruß ansieht, so oft er mit einem dergleichen Stückchen angezogen kommt. Wer gute Bücher liest, Gesellschaften besucht und nachdenkt, der wird ja leicht täglich neuen Stoff zu interessanten Gesprächen finden; aber freilich reicht dieser nicht zu, wenn man den ganzen Tag müßig einander gegenübersitzt, und man darf sich daher nicht wundern, wenn man solche Eheleute antrifft, die, um dieser tötenden Langeweile auszuweichen, wenn grade keine andre Gesellschaft aufzutreiben ist, miteinander halbe Tage lang Piquet spielen oder sich zusammen an einer Flasche Wein ergötzen. Sehr gut ist es desfalls, wenn der Mann bestimmte Berufsarbeiten hat, die ihn wenigstens einige Stunden täglich an seinen Schreibtisch fesseln oder außer Hause rufen, wenn zuweilen kleine Abwesenheiten, Reisen in Geschäften und dergleichen seiner Gegenwart neuen Reiz geben. Ihn erwartet dann sehnsuchtsvoll die treue Gattin, die indes ihrem Hauswesen vorgestanden. Sie empfängt ihn liebreich und freundlich; die Abendstunden gehen unter frohen Gesprächen, bei Verabredungen, die das Wohl ihrer Familie zum Gegenstand haben, im häuslichen Zirkel vorüber, und man wird sich einander nie überdrüssig. Es gibt eine feine, bescheidne Art sich rar zu machen, zu veranlassen, daß man sich nach uns sehne; diese soll man studieren. Auch im Äußern soll man alles entfernen, was zurückscheuchen könnte. Man soll sich seinem Gatten, seiner Gattin nicht in einer ekelhaften, schmutzigen Kleidung zeigen, sich zu Hause nicht zuviel Unmanierlichkeiten erlauben – das ist man ja schon sich selber schuldig – und vor allen Dingen, wenn man auf dem Lande lebt, nicht verbauern, nicht pöbelhafte Sitten noch niedrige, plumpe Ausdrücke im Reden annehmen noch unreinlich, nachlässig an seinem Körper werden. Denn wie ist es möglich, daß eine Frau, die immer an ihrem Manne unter allen übrigen Menschen, mit welchen sie umgeht, am mehrsten Fehler und Unanständigkeiten wahrnimmt, denselben vor allen andern gern sehn, schätzen und lieben soll? – Noch einmal, wenn die Ehe ein Stand der Aufopferung wird, wenn ihre Pflichten als ein schweres Gewicht auf uns liegen, o wie kann dann wahres Glück ihr Teil sein?

5.

Eine Hauptvorschrift aber für alle Stände und für alle Verhältnisse wende man auch auf den Ehestand an. Sie ist diese: Erfülle so sorgsam, so pünktlich, so nach einem festen Plane Deine Pflichten, daß Du womöglich darin alle Deine Bekannten übertreffest; so wirst Du auch auf die wärmste Hochachtung Anspruch machen können und in der Folge alle diejenigen verdunkeln, welche nur durch einzelne glänzende Eigenschaften augenblickliche vorteilhafte Eindrücke machen. Aber erfülle sie auch alle, diese Pflichten! Der Mann prahle nicht etwa mit seiner Uneigennützigkeit, mit seinem Fleiße, mit seiner guten Hauswirtschaft, mit der Achtung guter Männer, der indes in der Stille sich wöchentlich ein paarmal ein Räuschchen trinkt. Die Frau poche nicht auf ihre Keuschheit, welche vielleicht das Verdienst des Zufalls oder eines kalten Temperaments ist, wenn sie indes sorglos die Erziehung ihrer Kinder vernachlässigt. Nein, wer Achtung und Zuneigung als Pflicht fordert, der muß auch Achtung und Zuneigung zu verdienen wissen, und wenn Du willst, daß Deine Frau Dich unter allen Menschen am mehrsten ehren und lieben soll, so verlasse Dich nicht darauf, daß sie Dir's am Altare versprochen hat – wer kann so etwas versprechen? –, sondern darauf, daß Du alle Kräfte aufbietest, besser zu sein als andre, aber besser in jedem Betrachte. Nur den Folgen nach lassen sich Tugenden und Laster klassifizieren, denn übrigens sind sie alle gleich wichtig, und ein sorgloser Hausvater ist ebenso strafbar als ein unkeusches Eheweib. Allein das ist die gewöhnliche Art zu handeln der Menschen! Sie eifern gegen Laster, zu welchen sie keinen Hang haben, und denken nicht, daß die Verabsäumung wichtiger Tugenden ein ebenso schweres Verbrechen ist als die Ausübung einer bösen Tat. Ein altes Weib verfolgt mit wütendem Grimme ein armes junges Mädchen, das durch Temperament und Verführung zu einem Fehltritte ist verleitet worden; daß aber die gute Matrone ihre Kinder wie das dumme Vieh hat aufwachsen lassen, darüber glaubt sie keine Verantwortung geben zu dürfen – hat sie doch nie die eheliche Treue verletzt! – Sorgsame Pflichterfüllung in allen Rücksichten ist also das sicherste Mittel, der beständig fortdauernden Zärtlichkeit seiner Ehehälfte gewiß zu sein.

6.

Mit dem allen aber wird es nicht fehlen, daß nicht zuweilen fremde liebenswürdige Menschen auf kurze Zeit vorteilhafte Eindrücke auf Ehegenossen machen sollten, als einer von diesen seiner Ruhe wegen wünschen möchte. Es ist nicht zu erwarten, daß, wenn die erste blinde Liebe verraucht ist – und die verraucht denn doch bald –, man so parteiisch füreinander bleiben, daß man nicht oft die Vorzüge andrer Leute sehr lebhaft fühlen sollte. Hierzu kommt dann noch, daß Personen, mit denen wir seltner umgehen, sich immer von ihren besten Seiten zeigen und uns mehr schmeicheln als die, mit denen wir täglich leben. Eindrücke von der Art werden aber bald wieder verschwinden, wenn nur der Gatte fortfährt, seine Pflichten treulich zu erfüllen, und wenn er keinen niedrigen Neid, keine närrische Eifersucht blicken läßt, die ohnehin nie gute, sondern allemal schlimme Folgen haben. Liebe und Achtung lassen sich nicht erzwingen, nicht ertrotzen; ein Herz, das bewacht werden muß, ist wie der Mammon eines Geizigen, mehr eine unnütze Last als ein wahrer Schatz, dessen man froh wird; Widerstand reizt; keine Wachsamkeit ist so groß, daß sie nicht hintergangen werden könnte, und es liegt in der Natur des Menschen, daß man ein Gut, das vielleicht sonst gar keinen Reiz für uns haben würde, doppelt eifrig wünscht, sobald der Besitz desselben mit Schwierigkeiten für uns verbunden ist.

Man soll auch jene kleinen Künste, die höchstens unter Verliebten, nicht aber unter Ehegatten, stattfinden dürfen, verachten, durch welche man, um die Liebe des andern Teils mehr anzufeuern, mit Vorsatz Eifersucht zu erregen sucht. Bei einem Bande, das auf gegenseitiger Hochachtung beruhn muß, darf man sich durchaus keiner schiefen Mittel bedienen. Glaubt meine Frau, ich könne in der Tat meine Pflicht und Zärtlichkeit gegen sie fremden Neigungen aufopfern, so muß das ihre eigene Achtung gegen mich vermindern, und merkt sie hingegen, daß ich nur Spielwerk mit ihr treiben will, so ist das mehr als verlorne Arbeit, die noch obendrein oft ernstliche Folgen haben kann.

Ich sage, wenn auch auf kurze Zeit der Mann seinem Weibe oder die Frau ihrem Gatten Veranlassung zu solchen Unruhen gibt, so wird doch diese kleine Herzensverirrung, wenn der leidende Teil nur fortfährt, seinen Pflichten treu zu sein, nicht dauern können. Bei kaltblütiger Prüfung wird der Gedanke aufleben: »Möchte auch jener, möchte auch jene die liebenswürdigsten Eigenschaften haben, so ist er mir doch, ist sie mir doch nicht, was mir mein Mann, mein Weib ist, teilt doch nicht mit mir jede Sorge des Lebens, hat nicht mit mir schon so viel Glück und Unglück gemeinschaftlich getragen, hängt nicht so mit ganzer Seele, mit erprobter Treue an mir, ist nicht Vater, nicht Mutter meiner lieben Kinder, wird nicht so ewig alles Gute und alles Böse mit mir teilen, wird mir nicht den Verlust ersetzen, wenn ich meinen Gatten von mir stoße.« – Und ein solcher Triumph der Rückkehr, komme er früh oder spät, ist dann süß, und macht alle Leiden vergessen.

7.

Klugheit und Rechtschaffenheit aber erfordern, daß man sich selber gegen die Eindrücke größrer Liebenswürdigkeit, welche fremde Personen auf uns machen könnten, wappne. In der frühen Jugend, wenn die Phantasie lebhaft ist, die Begierden heftig wirken und das Herz noch oft mit dem Kopfe davonläuft, würde ich raten, solchen gefährlichen Gelegenheiten auszuweichen. Ein junger Mann, welcher merkt, daß ein Frauenzimmer, mit dem er umgeht, ihm vielleicht einst besser als seine Frau gefallen, wildes Feuer in ihm entzünden oder wenigstens seine häusliche Glückseligkeit verbittern könnte, tut wohl, wenn er, insofern er sich nicht Festigkeit genug zutrauet – und er urteilt weise, wenn er sich diese nicht leicht zutrauet – tut, sage ich, wohl, wenn er solchen Umgang, soviel wie möglich, meidet, damit derselbe ihm nicht zum Bedürfnisse werde. Diese Vorsicht ist am nötigsten gegen die feinern Koketten zu beobachten, die, ohne eben Pläne auf Verletzung der Ehre zu haben, ihr Spielwerk mit der Ruhe eines gefühlvollen redlichen Mannes treiben und einen zwecklosen Triumph darin suchen, schlaflose Nächte zu verursachen, Tränen zu veranlassen und andrer Weiber Neid zu erregen. Es gibt viel solcher eitlen Damen, die, nicht immer durch böses Herz noch Temperament, aber wohl durch die rasende Begierde, stets zu glänzen, allgemein zu gefallen, getrieben, manche stille häusliche Ruhe und den Frieden unter Eheleuten auf diese Weise zerstören. In reifern Jahren hingegen rate ich die entgegengesetzte Kurart an. Ein Mann von festen Grundsätzen, der seinem Verstande Rechenschaft von den Gefühlen seines Herzens gibt und dauerhaftes Glück sucht, wird am leichtesten von den zu vorteilhaften Begriffen, die er von fremden Personen in Vergleichung mit seiner Gattin gefaßt hat, zurückkommen, wenn er jene so oft und vielfältig sieht, daß er an ihnen mehr Fehler wahrnimmt als an seinem edlen, verständigen, treuen Weibe. Und dann kommen die Augenblicke des Seelenbedürfnisses, wo man sich nach der teilnehmenden Gefährtin sehnt, wenn schwere Bürden das Herz drücken, die kein Fremder so uns tragen hilft, oder wenn Freuden jedes Gefäß in uns erweitern, Freuden, die kein Fremder so mit uns teilt, oder Verlegenheiten uns aufstoßen, die man keinem Fremden so aufrichtig, so sicher entdecken darf als der Person, die einerlei Interesse mit uns hat; und dann ein Blick auf wohlerzogene, durch gemeinschaftliche Sorgfalt erzogene Kinder, auf die Früchte der ersten jugendlichen Liebe – und das Herz kehrt ungezwungen zu den süßesten Pflichten zurück.

8.

Übrigens aber kann nichts abgeschmackter, läppischer, lästiger, von verkehrterer Wirkung sein, noch was mehr das Leben verbittert, als wenn Eheleute durch die priesterliche Einsegnung ein so ausschließliches Recht auf jede Empfindung des Herzens voneinander erzwungen zu haben glauben, daß sie wähnen, nun dürfe in diesem Herzen auch nicht ein Plätzchen mehr für irgendeinen andern guten Menschen übrigbleiben; der Gatte müsse tot sein für seine Freunde und Freundinnen, dürfe kein Interesse empfinden für kein Geschöpf auf der Welt als für die werte Ehehälfte, und es sei Verbrechen gegen die eheliche Pflicht, mit Wärme, Zärtlichkeit und Teilnahme von und mit andern Personen zu reden. Diese Forderungen werden doppelt abgeschmackt bei einer ungleichen Ehe, wo von der einen Seite schon Aufopferungen mancher Art stattfinden. Wenn da der eine Teil, um sich in dem Umgange mit liebenswürdigen Leuten aufzuheitern, auf einen Augenblick sein Unglück zu vergessen und neue Kräfte zum Ausdauern zu sammeln, seinen Geist zu erheben und wieder zu erwärmen, in die Arme zärtlicher, ihm wahrhaftig treu ergebener Freunde eilt, so soll der andre Teil ihm dafür danken, nicht durch närrisches Betragen oder gar durch Vorwürfe den Gatten, die Gattin kränken, zur Verzweiflung bringen und endlich zu wirklichen Verbrechen verleiten.

9.

Die Wahl aber dieser Freunde muß dem Herzen, sowie die Wahl sittlicher Vergnügungen und unschuldiger Liebhabereien dem Geschmacke eines jeden überlassen bleiben. Ich habe oben gesagt, daß ich glaube, es werde nicht durchaus Gleichheit von Neigungen, Temperamenten und Geschmack zum Eheglück gefordert. Unerträgliche Sklaverei wäre es daher, sich dergleichen aufdrängen lassen zu müssen. Es ist wahrlich schon hart genug, wenn man die Freude entbehren soll, edle Empfindungen, erhabene Gedanken, feinere Eindrücke, welche seelenerhebende Bücher, schöne Künste und dergleichen auf uns machen, mit der Gefährtin unsers Lebens teilen zu können, weil die stumpfen Organe derselben dafür nicht empfänglich sind; aber nun gar diesem allen entsagen oder sich in der Wahl seines Umgangs und seiner Freunde nach den abgeschmackten, gefühllosen Grillen eines schiefen Kopfs und kalten Herzens richten, allen wohltätigen Erquickungen von der Art entsagen zu müssen – das ist Höllenpein; und ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, daß am wenigsten der Mann, der doch von der Natur und bürgerlichen Verfassung bestimmt ist, das Haupt, der Regent der Familie zu sein, und der oft Gründe haben kann, warum er diesen oder jenen Umgang wählt, dieser oder jener Beschäftigung sich widmet, diesen oder jenen Schritt tut, der manchen auffallend sein kann, daß dieser wohl am wenigsten auf solche Weise sich wird einschränken lassen. Es erleichtert hingegen das Leben unter Menschen, die nun einmal verbunden sind, alle Leiden und Freuden gemeinschaftlich zu tragen, wenn man nach und nach seine Neigungen, seinen Geschmack gleich zu stimmen, wenn der eine Sinn für das zu bekommen sucht, was der andre liebt und gern sieht, besonders wenn dies wirklich groß, erhaben und edel ist, und es zeugt wahrlich von fast viehischer Dummheit oder von der verächtlichsten Indolenz, wo nicht von dem bösesten Willen, wenn man nach vieljähriger Verbindung mit einem verständigen, gebildeten, feinfühlenden, liebevollen Geschöpfe noch ebenso unwissend, roh, stumpf und starrköpfig geblieben ist, als man vorher war. Wenn dann der erste Rausch der Liebe vorüber ist, und dem leidenden Teile gehen die Augen auf über das, was der Ehegatte ihm sein könnte, sein sollte, sein müßte, was andre ihm gewesen sein würden, oder sind – dann gute Nacht, Ruhe, Frieden, Glück! Zärtlichkeit und Hochachtung hingegen werden bei vernünftigen Personen jene Gleichstimmung leicht bewirken, wenn nicht störrischer Eigensinn oder empörende Ungleichheit in Denkungsart die Trennung unterhalten.

10.

Wie aber soll man sich gegen wirkliche Ausschweifungen waffnen – denn bis jetzt habe ich nur von Herzensverirrungen geredet – wie soll man sich waffnen, wenn von einer Seite heftiges Temperament, ein reizbarer Körper, Mangel an Herrschaft über Leidenschaften, Verführung, Buhlerkünste, anlockende Schönheiten und Gelegenheit uns hinziehn, von der andern vielleicht der Gattin mürrisches Betragen, üble Launen, Dummheit, Kränklichkeit, Mangel an Schönheit, an Jugend, an Gefälligkeit, an Temperament uns zurückstoßen? – Dies Buch ist kein vollkommnes System der Moral; also überlasse ich jedem vernünftigen Manne, diese Frage ausführlich zu beantworten und selbst zu beurteilen, wie er es anfangen müsse, Meister zu werden über seine Begierden, auch gefährlichen Gelegenheiten und Verführungen auszuweichen, welches freilich in der Jugend und in gewissen Lagen und Verhältnissen nicht so leicht ist, als man wohl denkt. Doch soviel über diesen Gegenstand als hierher gehört und sich ohne Beleidigung der Sittsamkeit sagen läßt. Man gewöhne sich selber und einer den andern nicht an Üppigkeit, Wollust, Weichlichkeit und Schwelgerei, mache, daß die körperlichen Bedürfnisse und Begierden nicht zu heftig in uns werden; man sei selbst in der Ehe schamhaft, keusch, delikat und kokett in Gunstbezeugungen, um Ekel, Überdruß und faunische Lüsternheit zu entfernen. Ein Kuß ist ein Kuß, und es wird wahrlich fast immer des Weibes Schuld sein, wenn ein sonst nicht schlechter Mann diesen Kuß, den er von treuen, reinen und warmen Lippen ehrenvoll und bequem zu Hause erlangen könnte, mit Hintansetzung von Pflicht und Anstand, bei Fremden holt. Hat aber die größere Schwierigkeit und Seltenheit so viel Reiz für den Menschen, ei nun! so suche man auch der ehelichen Vertraulichkeit diesen Reiz der Neuheit zu geben, zuweilen kleine Hindernisse in den Weg zu legen oder durch Enthaltsamkeit, Entfernung u. dgl. das Verlangen darnach zu vermehren. In weiter fortrückenden Jahren fällt dann auch dieser Vorwitz so ziemlich weg, denn da werden ja die Triebe bescheidner und leichter von der Vernunft zu regieren, man müßte denn sie mutwilligerweise reizen.

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