Viertes Kapitel

Über den Umgang mit und unter Verliebten

1.

Mit Verliebten ist vernünftigerweise gar nicht umzugehn; sie sind so wenig als andre Betrunkene zur Geselligkeit geschickt; außer ihrem Abgotte ist die ganze Welt tot für sie. Man mag übrigens leicht mit ihnen fertig werden, wenn man nur Geduld genug hat, sie von dem Gegenstande ihrer Zärtlichkeit reden zu hören, ohne zu gähnen, wenn man im Gegenteil dabei einiges Interesse zeigt, sich über ihre Torheiten und Launen nicht zu ärgern und, im Fall die Liebe heimlich gehalten sein soll, sie nicht zu beobachten, nichts zu merken scheint, wüßte auch die ganze Stadt das Geheimnis (wie es denn mehrenteils geschieht), endlich wenn man ihre Eifersucht nicht erregt.

Und so hätte ich denn über diesen Gegenstand weiter nichts zu reden. – Doch noch ein paar Bemerkungen. Suchet ihr einen verständigen Freund, der Euch mit weisem Rate oder mit festem Mute, mit Fleiß und dauernder Arbeit dienen soll, so wählet keinen Verliebten dazu. Ist es Euch aber darum zu tun, eine teilnehmende, empfindsame Seele zu finden, die mit Euch klage, winsle oder Euch ohne Sicherheit Geld borge, auf etwas subskribiere, ein reiches Almosen gebe, ein armes Mädchen ausstatte, einen beleidigten Vater besänftigen helfe oder mit Euch Ritterstreiche mache, Kindereien treibe oder Eure Verse, Eure Liederchen und Sonaten lobe, so wendet Euch nach den Umständen an einen glücklichen oder leidenden Liebhaber!

2.

Den Verliebten selbst Regeln über ihren Umgang miteinander zu geben, das würde verlorene Mühe sein; denn da diese Menschen selten bei gesunder Vernunft sind, so wäre es ebenso unsinnig zu verlangen, daß sie sich dabei gewissen Vorschriften unterwerfen sollten, als wenn man einem Rasenden zumuten wollte, in Versen zu phantasieren, oder einem, der die Kolik hat, nach Noten zu schreien. Doch ließe sich einiges sagen, das gut zu beobachten wäre, wenn man hoffen dürfte, daß solche Menschen der Vernunft Gehör gäben.

3.

Die erste Liebe bewirkt ungeheure Revolutionen in der ganzen Sinnesart und dem Wesen des Menschen. Wer nie geliebt hat, kann keinen Begriff haben von den seligen Freuden, die der Umgang unter Verliebten gewährt; wer zu oft mit seinem Herzen Tausch und Handel getrieben hat, verliert den Sinn dafür. Ich habe einst ein Bild davon entworfen, und da ich jetzt nichts Bessers darüber zu sagen weiß; so will ich diese Stelle hier abschreiben.[1]

»Es ist eine gar sonderbare Sache um die ersten Liebeserklärungen. Wer mit seinem Herzen schon oft Spielwerk getrieben, seine zärtlichen Seufzer vor manchen Schönen schon ausgeblasen hat, dem wird es eben nicht schwer, wenn er einmal wieder sich die Lust macht, verliebt zu werden, seine Empfindungen bei einer schicklichen Gelegenheit an den Tag zu legen; auch weiß dann die Kokette schon, was sie bei solchen Vorfällen zu antworten hat; sie glaubt das Ding nicht sogleich, meint, der Herr wolle sie zum besten haben, er spiele den Romanhelden oder, wenn er dringend wird, und sie glaubt nach und nach überzeugt werden zu müssen, so kommt zuerst eine Bitte, ihrer Schwachheit zu schonen, ihr nicht ein Geständnis abzunötigen, wobei sie erröten müßte; und dann will der entzückte Liebhaber dem holden Engel um den Hals fallen und in Wonne dahinschmelzen; aber die Schöne protestiert feierlich gegen alle solche Freiheiten, verläßt sich überhaupt auf seine Ehre und Rechtschaffenheit, reicht ihm höchstens die Backe dar, teilt ihre Gunstverwilligungen in unendlich kleine Parzellen, um täglich nur um ein Haar breit dem Ziele näher rücken zu dürfen, damit der schöne Roman desto länger dauern möge, und wenn auf andre Art keine Zeit mehr zu gewinnen ist, muß ein kleiner Zwist dazwischen kommen, die völlige Entwicklung aufhalten und die Uhr für die Schäferstunde zurückstellen. Bei allen diesen konventionellen Gaukeleien aber empfinden dergleichen Leute gar nichts, lachen, wenn sie allein sind, des Possenspiels, das sie miteinander treiben, können vorauskalkulieren, wie weit sie morgen und übermorgen mit ihrem Geschäfte kommen müssen, und werden dick und fett bei ihrer Liebespein.

Ganz anders aber ist es mit einem paar unschuldigen Herzen, die, zum erstenmal vom wohltätigen Feuer der Liebe erwärmt, so gern ihren süßen, schuldlosen Gefühlen Luft machen möchten und immer nicht Mut fassen können, mit Worten zu sagen, was Augen und Gebärden oft schon so deutlich gesagt und beantwortet haben. Der Jüngling sieht die Geliebte zärtlich an; sie errötet; ihr Blick wird unruhig, unstet, wenn er mit einem andern Mädchen zu viel und zu freundlich redet; sein Auge möchte zürnen, er möchte gleichgültig vor ihr vorbeiblicken, wenn sie einem andern vertraulich etwas in das Ohr gesagt hat; man fühlt den Vorwurf, gibt augenblickliche Genugtuung, bricht plötzlich und fast unhöflich das Gespräch ab, welches den Argwohn erweckt hat; der Versöhnte dankt durch das zärtlichste Lächeln und durch die fröhlichste, plötzlich aufwachende Laune; man nimmt mit den Augen Verabredungen auf morgen, entschuldigt sich, warnt vor Beobachtern, erkennt sich gegenseitige Rechte aufeinander an – und hat sich doch noch mit keinem Wörtchen gesagt, was man füreinander fühlt. Allein man sucht von beiden Seiten ernstlich die Gelegenheit dazu; sie kommt, kommt oft, und man läßt sie ungenutzt vorbeistreichen, drückt sich höchstens einmal leise die Hand, und doch auch das nie ohne irgendeinen schicklichen Vorwand, sagt sich aber kein Wort, ist mißmutig, zweifelt an Gegenliebe und hat sich oft noch nicht gegeneinander erklärt, wenn man schon die Fabel der ganzen Stadt und der Gegenstand der schändlichsten Verleumdung ist. Ist endlich das längst im Busen pochende Bekenntnis den furchtsamen Lippen stotternd entflohn und mit gebrochenen, halb erstickten Worten, von einem bis in das Innerste dringenden Händedrucke begleitet, beantwortet worden, dann lebt man vollends erst ganz füreinander, ist so wenig um die übrige Welt bekümmert, sieht und hört nichts um sich her, ist in keiner Gesellschaft verlegen mit seiner Person, wenn nur der teure Gegenstand uns freundlich anlächelt, findet alles Ungemach des Lebens leicht zu ertragen an der Seite des Geliebten, glaubt nicht, daß es Krankheit, Armut, Druck und Not in der schönen Welt geben könnte, lebt mit aller Kreatur in Frieden, verachtet Gemächlichkeit, köstliche Speise, Schlaf. – O Ihr! wenn Ihr je so wonnevolle Zeiten verlebt habt, sprechet! ist auch ein süßrer Traum zu träumen möglich? Ist unter allen phantastischen Freuden des Lebens eine, die so unschuldig, so natürlich, so unschädlich wäre? Eine, die so überschwenglich glücklich, fröhlich, so friedenvoll machte? – Ach! daß dieser selige Zustand der Bezaubrung nicht ewig dauern kann, daß man oft nur gar zu unsanft aufgeschreckt wird aus diesem elysischen Schlummer!«

4.

In der Ehe ist Eifersucht ein schreckliches, Ruhe und Frieden störendes Übel, und jeder Streit von bösen Folgen; in der Liebe hingegen wirkt Eifersucht neue Mannigfaltigkeit hinein; nichts ist süßer als der Augenblick der Versöhnung nach kleinen Zwistigkeiten, und solche Szenen knüpfen das Band fester; zittre aber vor der Eifersucht einer Kokette, vor der Rache eines Weibes, dessen Liebe Du verschmähet hast, oder für welches Dein Herz nicht mehr spricht, wenn sie Deiner – sei es nun aus Lust oder aus Eitelkeit, aus Vorwitz oder aus Eigensinn – noch begehrt! Sie wird Dich verfolgen mit wütigem Grimme, und keine Schonung von Deiner Seite, keine Nachgiebigkeit, keine Verschwiegenheit über die ehemaligen Verhältnisse, keine öffentlichen Ehrerbietungsbezeigungen werden Dir helfen, besonders wenn sie Dich nicht etwa fürchtet.

5.

Weiberfeinde schreien laut: das schöne Geschlecht liebe nie mit so gänzlich treuer Ergebung als wir Männer; Eitelkeit, Vorwitz, Lust an Abenteuern oder körperliches Bedürfnis sei es nur, was sie hinreiße zu uns, und man dürfe nicht länger auf Weibertreue rechnen, als so lange wir eine von diesen Leidenschaften und Trieben nach Zeit und Gelegenheit befriedigen könnten; andre hingegen lehren gerade das Gegenteil und beschreiben mit den reizendsten Farben die Beständigkeit, die Innigkeit und das Feuer eines weiblichen, von Liebe erfüllten Herzens. Jene eignen dem Geschlechte viel mehr Sinnlichkeit und Reizbarkeit als edlere Gefühle zu und sagen, es sei nur Grimasse, wenn Weiber ihre Männer glauben machten, sie hätten ein sehr kaltes Temperament; diese hingegen behaupten: die reinste, heiligste Liebe, ohne Begehren, ja! auf gewisse Art ohne Leidenschaft, diese göttliche Flamme, könne nur in weiblichen Seelen in ihrer ganzen Fülle wohnen. Wer von beiden Parteien recht hat, das mögen diejenigen entscheiden, denen eine größere Kenntnis des weiblichen Herzens – obgleich ich in dem Umgange mit Frauenzimmern viele Jahre hindurch kein unaufmerksamer Beobachter gewesen bin –, diejenigen, sage ich, mögen das entscheiden, denen diese größere Kenntnis, ein reiferes Alter und feinre Welterfahrung ein Recht geben, über den Charakter der Weiber kühler, unparteiischer, mit mehr Scharfsinn und mit gründlicherer Vernunft als ich zu urteilen und zu schreiben. Ich wage das nicht; auch sind es zwei verschiedene Fragen: aus welchen Quellen zuerst Weiberliebe zu entspringen pflegt, und: welche Eigenschaften nachher diese Liebe hat, wenn einmal die Seele davon ergriffen ist? Das aber getraue ich mir zu behaupten, ohne einem von beiden Geschlechtern zu nahe zu treten, daß wir Männer an Treue und gänzlicher Hingabe in der Liebe wohl schwerlich die Weiber übertreffen können. Die Geschichte aller Zeiten ist voll von Beispielen der Anhänglichkeit, der Überwindung aller Schwierigkeiten und Verachtung aller Gefahren, mit welcher ein Weib sich an ihren Geliebten kettet. Ich kenne kein höheres Glück auf der Welt, als so innig, so treu geliebt zu werden. Leichtsinnige Gemüter findet man unter Männern wie unter Frauenzimmern; Hang zur Abwechslung ist dem ganzen Menschengeschlechte eigen; neue Eindrücke größerer Liebenswürdigkeit, wahrer oder eingebildeter, können die lebhaftesten Empfindungen verdrängen; aber fast möchte ich sagen, die Fälle der Untreue wären häufiger bei Männern als bei Weibern, würden nur nicht so bekannt, machten weniger Aufsehn; wir wären wirklich schwerer auf immer zu fesseln, und es würde vielleicht nicht schwerhalten, die Ursachen davon anzugeben, wenn das hierhergehörte.

6.

Treue, echte Liebe freuet sich in der Stille des seligen Genusses, prahlt nicht nur nie mit Gunstbezeugungen, sondern gesteht sich's sogar selbst kaum, wie froh sie ist. Die glücklichsten Augenblicke in der Liebe sind da, wo man sich noch nicht gegeneinander mit Worten entdeckt hat, und doch jede Miene, jeden Blick versteht. Die wonnevollsten Freuden sind die, welche man mitteilt und empfängt, ohne dem Verstande davon Rechenschaft zu geben. Die Feinheit des Gefühls leidet oft nicht, daß man sich über Dinge erkläre, die ganz ihren hohen Wert verlieren, die anständigerweise, ohne Beleidigung der Delikatesse, gar nicht mehr gegeben und angenommen werden können, sobald man etwas darüber gesagt hat. Man verwilligt stillschweigend, was man nicht verwilligen darf, wenn es erbeten oder wenn es merkbar wird, daß es mit Absicht gegeben werden soll.

7.

In den Jahren, in welchen so gern das Herz mit dem Kopfe davonläuft, bauet so mancher das Unglück seines Lebens durch übereilte Eheversprechungen. Im Taumel der Liebe vergißt der Jüngling, wie wichtig ein solcher Schritt ist, wie von allen Verbindlichkeiten, die man übernehmen kann, diese die schwerste, die gefährlichste und leider die unauflöslichste ist. Er verbindet sich auf ewig mit einem Geschöpfe, das sich seinen von Leidenschaft geblendeten Augen ganz anders darstellt, als es ihn nachher die nüchterne Vernunft kennen lehrt, und dann hat er sich eine Hölle auf Erden bereitet; oder er vergißt, daß mit einer solchen Verbindung die Bedürfnisse, Sorgen und Arbeiten wachsen, und dann muß er, an der Seite eines innigstgeliebten Weibes, mit Mangel und Kummer kämpfen und doppelt alle Schläge des Schicksals fühlen; oder er bricht sein Wort, wenn ihm vor der priesterlichen Einsegnung noch die Augen aufgehen; und dann sind Gewissensbisse sein Teil. – Allein, was vermögen Rat und Warnung im Augenblicke des Rauches? Übrigens beziehe ich mich auf das, was ich im 14ten und 15ten Abschnitte des folgenden Kapitels sagen werde.

8.

Haben Liebe und Vertraulichkeit Dich an ein Geschöpf gekettet und Eure Bande würden getrennt, sei es nun durch Schicksale, Untreue und Leichtfertigkeit des einen Teils oder durch andre Umstände, so handle nach dem Bruche, oder wenn die Verbindung sonst aufhört, nie unedel! Laß Dich nicht vom dépit amoureux hinreißen zu niedriger Rache! Mißbrauche nicht Briefe noch Zutraun! Der Mann, der fähig ist, ein Mädchen zu lästern, einem Weibe zu schaden, das einst in seinem Herzen geherrscht hat, verdient Haß und Verachtung, und wie mancher sonst nicht sehr liebenswürdige Mann hat er die Gunst artiger Frauenzimmer nur allein seiner erprobten Diskretion, seiner Verschwiegenheit in Liebessachen zu danken.

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Anmerkungen:
  1. Die Verirrungen des Philosophen, oder Geschichte Ludwigs von Seelberg, Teil I, Seite 108.
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