Georg Christoph Lichtenberg über Veränderung

  • Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser wird wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muß anders werden, wenn es gut werden soll.

Georg Christoph Lichtenberg

deutscher Physiker und Schriftsteller

* 01.07.1742 Oberramstadt
† 24.02.1799 Göttingen

Gedanken von Christa Schyboll zum Zitat

In den meisten Fällen ändern sich Dinge oder Lebensumstände der Menschen nur dann, wenn es für eine Veränderung einen triftigen Grund gibt. Warum sollte man auch etwas ändern, was sich bewährt hat und damit auch als gut betrachtet werden kann. Es braucht in der Regel also ein Mangelempfinden, um eine Änderung herbeizuführen – oder alternativ im anderen Falle beispielsweise der Einfall einer genialen Idee in des Menschen Geist, die auch ohne Mangel oder nicht nur der Not heraus geboren werden kann.

Mit Veränderungen sind häufig auch Risiken verbunden. Was man hat, das weiß oder kennt man. Was man bekommt, birgt eine Reihe von Unwägbarkeiten. Denn nicht alles, was sich wandeln oder anders werden muss, ist automatisch auch schon gut, gar besser als das Alte, das Bestehende und vor allem Gewohnte.

Das Meckern und Mosern an gegebenen Zuständen ist doch immer eine leichte Sache. Sie aber auch besser zu machen, sie klug zu modifizieren, gar zur revolutionieren und praxisnah in den Alltag zu integrieren ist eine ganz andere Sache, die Talente und Wissen erfordert. Zudem braucht es die Nachhaltigkeit, damit das Neue auch tatsächlich Bestand hat. Denn es soll nicht wie eine Seifenblase zerplatzen und uns anschließend ein Vakuum zurücklassen. Wir hätten dann gern mit dem Besseren auch eine Bestandsgarantie.

Georg Friedrich Lichtenberg, der Physiker und Schriftsteller, spricht nachsinnend über die Änderung von Verhältnissen und stellt dabei fest, dass es keineswegs eindeutig ist, ob etwas besser werden wird, wenn es anders wird. Gleichzeitig gilt für ihn aber auch, dass es anders werden muss, wenn es gut werden soll.

Leichter gedacht als getan. Dennoch ist es stimmig. Ob er als Physiker und Schriftsteller nun mit seinen Worten gesellschaftliche Veränderungen im Sinn hatte oder auf Veränderungen technischer oder physikalischer Art gedanklich abzielte, ist dabei zweitrangig, weil es generell für alle Zustände gilt, die denkbar sind.

Gutes und Böses im Kreislauf der Welt

Alles ist gut, wie es ist. Das sagen die einen über den Zustand der Welt. Sie sind in der Minderheit und vermutlich geht es ihnen persönlich auch nicht gerade besonders schlecht. Diese Minderheit trägt keine revolutionäre Ideen in sich und ist vermutlich auch nicht von Visionen umwälzender Veränderungen beseelt.

Es ist die Gruppe jener Zeitgenossen, die ich hier einmal in drei Grob-Richtungen kategorisieren möchte. Die einen nehmen es fatalistisch hin, wie die Welt nun einmal mit all ihren Unzulänglichkeiten gestrickt ist und ergeben sich in ihr Schicksal.

Den anderen geht es persönlich so gut, dass sie auf Konservierung der Zustände abzielen. Sie wollen und brauchen keine Veränderung, die am Ende noch die eigenen Pfründe in Gefahr bringt.

Und die dritte Grob-Richtung betrifft innerhalb dieser Minderheit eine noch viel kleinere Gruppe, die die Sache der Welt und all ihrer Zustände mehr philosophisch-transzendent auffasst. Sie glauben um den Weltenlauf und das Schicksal ein wenig besser Bescheid zu wissen als die anderen, sie meinen, sich mit Gesetzmäßigkeiten von Polarität und Dualismus auszukennen und sehen deshalb aus ganz anderen Gründen als die Fatalisten oder die Bewahrer des Alten die Sache mit der Veränderung und ihrer Notwendigkeit. Sie nehmen, was kommt, weil sie wissen: Alles, was geschieht, geschieht aus einer Folgerichtigkeit. Das betrifft dann Veränderung oder Stillstand gleichermaßen. Sie wissen auch, dass alles im Fluss ist oder bleibt, unabhängig davon ob man die Fließgeschwindigkeit von veränderten Zuständen noch zu eigenen Lebzeiten erlebt oder nicht. Und das alles betrifft das Gute wie das Böse, das im Kreislauf der Welt nicht enden kann, solange Dualismus und Polarität die beherrschenden Zustände sind.

Die Masse der Menschen will jedoch anderes. Sie lebt in anderen Lebensumständen und einer anderen Gedankenwelt, die sie anders urteilen lässt und die Möglichkeiten des aktiven Eingreifens anders abwägt. Veränderungen bringen ja auch Gutes, wenn man es nur richtig anstellt. Der menschliche Geist will sich entfalten und erproben, will Chancen nutzen und wird immer auf der Suche nach dem Neuen bleiben. Allen Risiken zum Trotz.

Um welchen Preis ein notwendiger Wandel angestrebt wird, hängt von verschiedenen Umständen ab. Sind sie negativer Natur, dann hängen die Veränderungen vor allem auch vom Maß des Leidens ab. Je schwieriger die Lebensumstände für Menschen sind, die ihnen andere Menschen per Diktat oder Befehl zufügen, um so stärker steigt der Druck nach und nach an, bis es zur Revolte kommt.

Minorität und ihre Machtfülle

Die Leidensbereitschaft unter der Fuchtel der Macht ist erstaunlich groß, wenn man sich die Menschheitsgeschichte anschaut und sieht, wie lange sich beispielsweise die Sklaverei halten konnte und wie sie in unserer Gegenwart in sublimer Form in der westlichen Welt wieder heimlich en vogue ist. Mit Wissen und stiller Duldung unserer Regierungen. Hier zeigt sich deutlich, dass trotz aller rechtlichen Verbesserungen sich dennoch nichts Entscheidendes zum Guten gewendet hat. Sonst hätten wir heute andere Verhältnisse.

Menschenhandel, Unterdrückung, Kriege, Hunger, Gewalt – die Spezies Mensch war schon immer höchst kreativ in der Erfindung von Leid, das man der gesamten Schöpfung, inklusive der eigenen Spezies anzutun vermochte. Erstaunlich dabei ist, dass es in der Regel immer nur sehr wenige Personen der Anzahl nach sind, die das per Machtausstattung vermögen. Da geht es keinesfalls um Hunderttausende von Herrschern in der Welt, die den restlichen 7 Milliarden Mitmenschen dies und jenes zumuten, sondern die Verhältniszahl von Unterdrückern und Unterdrückten ist verblüffend anders gestrickt. Hier müsste doch eigentlich viel leichter etwas zu verändern sein, denkt man gemeinhin, wenn man sich die Verhältnisse vor Augen führt. Fast kann man es schon als Sensation bezeichnen, wie sich Machtausübung zahlenmäßig darstellt, was die Frage aufkommen lässt, worin die Qualität besteht, dass dieses Verhältnis von Majorität der Machtlosigkeit und Minoriät der Macht überhaupt möglich ist und warum dann der Wandel und Veränderung so schwierig ist und unendlich lange dauert.

Die Qualität, um die es sich dabei handelt, ist vor allem eine psychische und geistige Qualität, die sich auf der Ebene des Körpers, der Physis, allerdings drastisch auswirken kann. Sei es durch Folter, Kerkerung, Hunger, Verelendung oder den unsäglichen Schmerzen, die Kriege Abermillionen von Menschen bereiten können. Wenige befinden darüber, und trotzdem trifft es viele – vor allem jene, die es niemals anstrebten.

Weitsicht und Weisheit im Einklang

Lichtenberg mag mit seinem Nachsinnen über Veränderung und die Frage nach dem Besseren gewiss nicht nur das menschliche Drama unter den Menschen im Auge gehabt haben, sondern es auch auf die Bereiche von Erfindungen aller Art ausgedehnt wissen. Gemeinsam ist aber allen Veränderungen, dass es keine Garantien für das Bessere gibt, wenn man etwas Bestehendes – sei es eine Sache, eine Zustandsbeschreibung oder eine Situation – zerschlägt.

Nicht selten folgte historisch gesehen auf eine zunächst erfolgreiche Revolution eine grausame Gegenrevolution. Nicht selten wurde ein ungeliebter Regent von einem noch barbarischeren neuen Herrscher abgelöst. Oftmals war das Alte, das vernichtet wurde, besser als das Neue, das in seinem noch wenig perfekten Zustand kaum zu gebrauchen oder nutzbringend war.

Sind allerdings die Umstände oder Zustände, gesellschaftlicher oder technischer Art, so, dass das Alte abtreten muss, weil es an der Zeit ist und viele Faktoren dafür sprechen, dann müssen die Risiken einer Veränderung gewagt werden.

Zum Glück hat die Menschheit immer wieder auch die Erfahrung gemacht, dass sich der Mut durchaus auch auszahlt, wenn man für eine Verbesserung der Zustände eintritt. Dieser Mut, den es dafür braucht, wächst häufig auf dem Dünger des Leidens und der Hoffnung zugleich. So trägt der erlittene Schmerz oder das Unrecht in der Welt dazu bei, dass die Welt nach Einsatz von Beherztheit und Courage nach und nach ein Stückchen besser werden kann. Dafür ist die Furchtlosigkeit vor der unwägbaren Veränderung erste Voraussetzung.

Es braucht die Wachsamen, die guten Analysten zunächst, die sich die gegebenen Zustände anschauen und nicht nur über den rechten Zeitpunkt eines Neubeginns befinden müssen, sondern auch über das richtige Wort, das sowohl an das Volk, wie auch an die herrschende Klasse zu richten ist. Wer klug ist, wird dabei all die Werte, die sich dennoch als konstruktiv erwiesen haben, bewahren und keinesfalls das Kind mit dem Bade auskippen.

Wenn etwas anders werden muss, muss man es wagen. Ob es gut wird, hängt auch von der Weisheit, der Weitsicht und dem klugen Vorgehen mutiger Umgestalter ab.

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