Heraklit über Krieg

  • Der Krieg ist der Vater aller Dinge und der König aller. Die einen macht er zu Göttern, die andern zu Menschen, die einen zu Sklaven, die andern zu Freien.

Heraklit

griechischer Philosoph

* um 550 v. Chr. Ephesus
† um 460 v. Chr.

Gedanken von Christa Schyboll zum Zitat

Der Krieg ist so alt wie die Menschheit. Und nimmt man die Bibelmetapher des Paradieses zur Hilfe, dann begann er bereits dort. Ein Krieg zwischen Gott und Mensch. Der eine befahl (Gott) und der andere (gehorchte) nicht (Adam und Eva) und wurde bestraft und vertrieben. Damit begannen Kampf und Krieg. Hier liegt der Keim, der bis heute nichts von seiner mörderischen Tragik eingebüßt hat.

Warum führen wir (noch immer) Krieg? Im Äußeren sind es immer wieder neu die politischen oder persönlichen Machtansprüche, die jemand stellt und damit den vorhandenen Frieden zerstört. Sei es eine Macht, die sich um Land oder Ressourcen dreht, sei es der Anspruch um die eigenen Ideale oder aus der Lust an der bloßen Eroberung heraus. Macht ist immer im Spiel, unabhängig ob diese auf dem Status quo gehalten oder vermehrt werden soll.

Der Krieg im Inneren des Individuums ist ebenso lebendig geblieben und von nur erst wenigen Menschen dauerhaft befriedet. Im Innenverhältnis zu sich selbst bekämpft sich der Mensch auch oft selbst bis aufs Blut, oft ohne dass er sein Tun auch realisiert. Hier gehen die persönliche Not und die blinden Flecken fürs eigene Ich oft über Jahre Hand in Hand und stehen in einer qualvollen Verbandlung. Auch dabei kann es durchaus um Macht oder Vormachtstellungen gehen. Es braucht nicht immer einen äußeren Feind dafür. Hier reicht es unter Umständen schon aus, wenn Egoismus und Idealismus aufeinanderstoßen. Oder Charakteranspruch einerseits auf Verführungslust andererseits trifft. Oder das Zusammenprallen von alten, zementierten Glaubenssätzen und neuen Erkenntnissen, die auch gern greifen wollen, aber ein hohes Maß an geistiger Flexibilität verlangen. Die Möglichkeit eines Krieges nach innen so ganz ohne weitere Personen ist schier unbegrenzt.

Dennoch assoziieren wir bei Heraklits Zitat zum Krieg als Vater aller Dinge jene Form, die im Außen eines Staatswesens oder Volkes ausgetragen wird. Doch wieso nennt er ihn: einen Vater?

Himmel und Erde vereinigten sich

Väter sind Erzeuger. Und der Krieg erzeugt nach dem weisen altgriechischen Philosophen neue Götter, Menschen, Sklaven und Freie. Das sind hierarchische Abstufungen, die zur Zeit von Heraklit die Sichtweise der Menschen bestimmten. Die Götterwelten waren noch lebendig mit der Menschenseele verbunden. Und wer einen Krieg im großen Maßstab gewann, war fast schon eine Art Halbgott und wurde als solcher adäquat verehrt. Der Sieger war ein Liebling der Götter, der von dieser Hierarchie himmlischer Wesen gestützt wurde.

Den Göttern untergeordnet waren die Menschen. Ein Geschlecht, das mit weniger und anderen Kräften begabt war und damit auch über weniger Macht verfügte. Dass sich das Geschlecht der Götter mit den Menschen hin und wieder vereinigte, zeigt uns von der lebendigen Verbindung zwischen diesen Welten. Hier lebte nicht nur eine Kommunikation, sondern auch reiche Aktivität.

Die Haltung der Sklaven war über viele Jahrtausende in der Menschheitsgeschichte eine "Normalität". Sklaven waren meist wertvolle Kriegsbeute, die nun ihren neuen Herren zu dienen hatten. So auch im antiken Griechenland zu Heraklits Zeiten. Die Sklaverei war ein wichtiges Element für Wirtschaft und Gesellschaft. Und jeder Bürger, der etwas auf sich hielt, hielt sich auch mindestens einen Sklaven. Unfreie, meist rechtlose Lebewesen, die die niederen Arbeiten tun mussten und in den meisten Fällen ein lebenslang schweres Los zu tragen hatten. Sklaven und Krieg gehörten zusammen.

Doch auch die Freilassung einzelner Sklaven aus dieser elendigen Gefangenschaft ist historisch verbürgt, mitsamt neuen Rechten, die ehemaligen Sklaven zugesprochen wurden. Damit jedoch waren auch Pflichten verbunden, die in etwa jene waren, wie sie den Fremden gebührte, die das Land besuchten.

Zum Freien wurde man meist formlos, indem der Sklave vor Zeugen in der Öffentlichkeit für frei erklärt wurden. So erzeugte der Krieg nach Heraklit auch wieder neue Freie.

Wer jedoch im Verlauf einer Kriegshandlung und dessen Ende zum Freien Mann wird und wer zum Sklaven verdammt sein wird, entscheidet nur der Sieg als solcher. Schnell können sich die Verhältnisse dann auch wieder umkehren und die ehemaligen Sklaven können zu neuen Herren werden.

Die Geschichte vom stetigen Wechsel und der Bewegung

Bis in die Gegenwart ist die Sklaverei in vielen Ländern der Erde nicht überwunden, auch wenn sie sich heutzutage in anderem, neuen "Gewand" zeigt und nicht etwa nur im Zusammenhang von Kriegsbeuten vorkommt, sondern auch im Zusammenhang mit globaler Wirtschaftskriminalität. Die Not derer, die diese Sklaverei erdulden müssen, ist groß. Auch die UN-Menschenrechts-Charta vermochte es nicht, dieses Unrecht global zu unterbinden.

Der Krieg ist ein vermeintlicher Kampf um das Gute und das Böse. Die "Bösen" sind dabei immer die anderen – auf welcher Seite man auch steht. So zumindest wird er zumeist dem Volk verkauft. Ohne die Anstrengungen eines Volkes und ohne entsprechend große Armee ist kein Krieg möglich. Also muss das Volk zur Möglichkeit einer Kriegsführung entweder gezwungen oder von der Notwendigkeit überzeugt werden. Hierzu werden die Mittel von Angst und Manipulation ebenso angewandt, wie auch die Schärfe der Argumente oder hohe idealistische Ziele ins Feld geführt. Man denke beispielsweise an die Kriege im Zusammenhang der Kreuzzüge, die religiös im Namen des friedlichen Christentums motiviert waren und Tod und Zerstörung über ganze Landstriche der Erde brachten.

Der Krieg ist aber auch die Geschichte vom stetigen Wechsel und der Bewegung zwischen den Völkern und Nationen, der die alten Verhältnisse immer wieder anders formt. Kriege fordern nicht nur Elend, Not und Tote, sondern Kriege haben zu allen Zeiten auch schon immer zum technischen Fortschritt der Menschen beigetragen – wie zweifelhaft dabei auch das ursprüngliche Ansinnen war, dass diesen Fortschritt zeitigte. Insofern trägt der Krieg in vielfacher Weise zu verschiedenen Entwicklungen und Veränderungen innerhalb der Menschheitsgeschichte bei, mögen die Gründe für den Ausbruch dabei hehr oder niederer Art sein.

Die modernen Kriege mit der Möglichkeit der Vernichtung der ganzen Menschheit durch Atombomben, biologische oder chemische Waffen sind jedoch an einer Grenze angelangt, die den Vater aller Dinge zum Zerstörer aller Dinge und des Lebens befähigen. Dieses denkbare Szenario einer Totalzerstörung war Heraklits Denken seinerzeit noch nicht möglich.

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