Joseph 'Joschka' Fischer über Arschloch

  • Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch.

Joseph 'Joschka' Fischer

deutscher Politiker (Die Grünen)

* 12.04.1948 Gerabronn/Baden-Württemberg

Gedanken von Christa Schyboll zum Zitat

Jean-Claude Junker, der ehemalige Premier von Luxemburg und heute der Präsident der Europäischen Kommission sagte einst bei seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Gottlieb-Duttweiler-Preises: "Fischer hat nicht nur Marx und Mao Tse Tung studiert, sondern auch Brehms Tierleben, weil in Brehms Tierleben ist nachzulesen, dass große und kleine Tiere gemeinsam atmen, leben und sich bewegen müssen. Zum Beispiel weiß jeder, auch der in Brehms Tierleben weniger Kundige, dass ein Floh einen Löwen zum Wahnsinn treiben kann, ein Löwe einen Floh aber nie zum Wahnsinn treiben wird."

Und Fischer, der Floh im Pelz anderer Politiker, trieb so manche Leute bis zum Wahnsinn, mit dem was er sagte und tat. Legendär ist sein Spruch "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch."

Ist das Beleidigung – ist das ein wütendes Schimpfen oder gehört dieser Ausspruch in die Reihe des "Heiligen Zorns", den nicht nur Götter, sondern auch Menschen empfinden können, wenn sie sich besonders stark empören?

Zorn kennt jeder von uns. Er ist ein elementarer Zustand unserer starken Erregung. Er kann in unterschiedlichen Graden aggressiv daherkommen und sich äußern. Zorn kann sachlich motiviert sein, auch wenn er eine emotionale Überreaktion sein mag. Doch der "heilige Zorn", den man ebenfalls kennt, kennt noch eine andere Nuance. Hier geht es nämlich nicht nur allein um Emotionen, sondern auch um eine idealistische Sache, eine gerechte oder eine Herzenssache, um die man sich kümmert und müht.

Dieser "heilige Zorn" hat also nicht so sehr das Persönliche im Fokus, sondern einen Missstand oder eine Ungerechtigkeit, die sich in der menschlichen Seele Bahn bricht. Man denke beispielsweise an den Heiligen Zorn den Jesus von Nazareth erlebte, als er wütend die Tische der Händler im Vorhof des Tempels umschmiss. Das war keine private Aktion, sondern eine überpersönliche Tat.

Vom Unterschied zwischen Zorn und "heiligem Zorn"

Und wie stand es nun um Joschka Fischers Zorn auf den Bundestagsvizepräsidenten Richard Stücklen? Auch hier ging es, so ist stark zu vermuten, um keine private Fehde, sondern um eine politische Anschauung, die den Zorn des Abgeordneten Fischer spontan herausforderte. Es ging in der Sache dabei um den Abgeordneten Jürgen Reents, der von Richard Stücklen ausgeschlossen wurde, weil er Helmut Kohl als "von Flick freigekauft" bezeichnet hatte.

Vielleicht denken die meisten Menschen: Worum es geht, ist ganz egal, es gehört sich einfach nicht. Es verletzt den Anstand und die Würde eines anderen Menschen. Würde sich jeder ständig so benehmen, wäre unsere Benimmkultur schnell am Ende. Diese Ansicht ist gewiss auch richtig. Aber es gibt eben manchmal die berühmte Ausnahme von der Regel, wo sich quasi ein Affekt ereignet. Etwas, das nicht mehr zu stoppen ist. Und wenn es sich dabei nicht um eine persönliche, sondern beispielsweise eine politische, idealistische Angelegenheit handelt, könnte man vermutlich vom sogenannten "heiligen Zorn" sprechen – wie un-heilig der Sprechende oder Wütende auch immer war und ist.

"Heilig" meint in diesem Zusammenhang allein das innere Brennen für eine Sache, die mit der eigenen Person überhaupt nichts zu tun hat. Hier will etwas ausheilen, in dem jemand innerlich durch Zorn und Wut für etwas Überpersönliches "brennt". Es ist wie ein emotionaler Fieberschub, der einer ganz anderen Kategorie von Gefühlen entstammt, als das Persönliche an sich, welches wir im normalen Alltag des Zwischenmenschlichen alle gut kennen. Insofern war vermutlich auch nicht Herr Stücklen als Privatperson gemeint, sondern der handelnde Politiker Stücklen, der in den Augen Fischers eine falsche Entscheidung getroffen hatte.

Auch die Bibel selbst ist voll mit Zornesausbrüchen und auch von so manchem Guru sind sie ebenfalls bekannt. Hier leben die Emotionen lebendig und zeigen etwas auf, das angeprangert werden muss. Hier wird ein Aufwacherlebnis zelebriert, das meist auch über die beiden Beteiligten hinaus geht und für alle ein Signal sein soll. Die Wahl der verbalen Mittel ist dabei natürlich vielfältig einsetzbar. Solche drastischen Worte, wie die Fischers, kommen relativ selten vor und sind deshalb legendär.

Von Beleidigungen und Unverschämtheiten

Doch auch Johann Wolfgang von Goethe konnte es. Er war es, der zornentbrannt rief: "Schlag ihn tot, den Hund. Er ist ein Rezensent!" – Man schreibe nur selbst öffentlich und lasse sich von außen kritisieren – und schon kann man diese brutal-verbale Entgleisung Goethes vielleicht emotional leichter nachvollziehen. Man muss es nur eben selbst erleben, wie mit Häme, Respektlosigkeit oder auch mit mangelnder oder gar gänzlich fehlender Urteilskompetenz über andere öffentlich geurteilt wird. Da werden Seelen gekreuzigt, Menschen oft zerstört, weil das hohe Gut der Meinungsfreiheit eben auch an keine Kompetenz in der Beurteilung gebunden ist. Jeder darf, wie er will und tut, wonach ihm ist. Manchmal stellt sich die Frage, wann all diese wertvollen Errungenschaften der Freiheit auch zur Entgrenzung bei Menschen führen, weil sie zugleich mit keiner Verantwortung verbunden sind.

Ob Zorn oder "heiliger Zorn", Zoten, Schimpfworte oder Boshaftigkeit: Menschen stauen oft viel an Gefühlen an, weil sie Rücksichten nehmen. Wird der Stau zu groß und die nächste Provokation eine Spur zu stark, bricht sich Bahn, wovon das Herz nun überläuft. So gesehen ist ein Wut- oder Zornesausbruch, der sich "nur" verbal vollzieht, vielleicht sogar ein weises Mittel der Schöpfung, um uns wieder abzureagieren und vom eigenen inneren Stau zu erholen – bevor es noch später alternativ handfest zur Sache gehen könnte.

Doch all das sanktioniert nicht jede Unverschämtheit. Denn wie leicht wäre der Begriff des "heiligen Zornes" auch zu missbrauchen, in dem man ihn einfach bei jeder Gelegenheit frech behauptet. Im juristischen Sinne hat er vermutlich überhaupt keine Bedeutung, weil der Nachweis darüber nicht einfach zu erbringen ist. Manchmal jedoch ergibt er sich aus der Sache und der Situation selbst auch jenseits jeder Juristerei. Dann fühlt man die Berechtigung selbst eines unbotmäßigen Zorns unter Umständen sehr eindeutig, ist innerlich mit dem Täter identifiziert, kann seine Reaktion rein zwischenmenschlich nachvollziehen, selbst dann wenn man selbst für sich gern auch Anstand und Etikette im verbalen Umgang miteinander wählt.

Diesen deftig-bösen Spruch Fischers jedoch allein nur in die Schublade der Meinungsfreiheit zu packen, ist meines Erachtens bezogen auf diese konkrete Situation auch ein Missverständnis in der Sache selbst. Zwischen all diesen Begrifflichkeiten jedoch die feinsten Unterschiede herauszukristallisieren, braucht nicht nur eine kluge Argumentation, sondern vielmehr ein gereiftes Herzdenken, dass solche Situationen differenziert zu erfassen und zu bewerten weiß.

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