Karl Kraus

91 Zitate, Sprüche & Aphorismen Autor

"Würde" ist die konditionale Form von dem, was einer ist.

Als die christliche Nacht hereinbrach und die Menschheit auf Zehen zur Liebe schleichen mußte, da begann sie sich dessen zu schämen, was sie tat.

Als zum erstenmal das Wort »Friede« ausgesprochen wurde, entstand auf der Börse eine Panik. Sie schrien auf im Schmerz: Wir haben verdient! Lasst uns den Krieg! Wir haben den Krieg verdient!

Bei gleicher Geistlosigkeit kommt es auf den Unterschied der Körperfülle an. Ein Dummkopf sollte nicht zu viel Raum einnehmen.

Besser es wird einem nichts gestohlen. Dann hat man wenigstens keine Scherereien mit der Polizei.

Bildung ist das, was die meisten empfangen, viele weitergeben und wenige haben.

Bildung ist eine Krücke, mit der der Lahme den Gesunden schlägt, um zu zeigen, daß er auch bei Kräften ist.

Da das Halten wilder Tiere gesetzlich verboten ist und die Haustiere mir kein Vergnügen machen, so bleibe ich lieber unverheiratet.

Das Christentum hat die erotische Mahlzeit um die Vorspeise der Neugier bereichert und durch die Nachspeise der Reue verdorben.

Das Einzige, was die Österreicher und Deutschen trennt, ist die deutsche Sprache.

Das Familienleben ist ein Eingriff in das Privatleben.

Das Feigenblatt des Neides ist sittliche Entrüstung.

Das Geheimnis des Agitators ist, sich so dumm zu machen, wie sei ne Zuhörer sind, damit sie glauben, sie seien so gescheit wie er.

Das sind die wahren Wunder der Technik, dass sie das, wofür sie entschädigt, auch wirklich kaputt macht.

Das Vorurteil ist ein unentbehrlicher Hausknecht, der lästige Eindrücke von der Schwelle weist. Nur darf man sich von seinem Hausknecht nicht selber hinauswerfen lassen.

Das Wort "Familienbande" hat einen Beigeschmack von Wahrheit.

Dass Bäcker und Lehrer streiken, hat einen Sinn. Aber die Aufnahme der leiblichen oder geistigen Nahrung verweigern, ist grotesk. Wenn es nicht etwa deshalb geschieht, weil man sie für verfälscht hält. Die lächerlichste Sache von der Welt ist ein Bildungshungerstreik. Ich stimme schon für die Sperrung der Universitäten; aber sie darf nicht durch einen Streik herbeigeführt werden. Sie soll freiwillig gewährt, nicht ertrotzt sein.

Dem Bedürfnis nach Einsamkeit genügt es nicht, dass man an einem Tisch allein sitzt. Es müssen auch leere Sessel herumstehen. Wenn mir der Kellner so einen Sessel wegzieht, auf dem kein Mensch sitzt, verspüre ich eine Leere und es erwacht meine gesellige Natur. Ich kann ohne freie Sessel nicht leben.

Demokratie heißt, jedermanns Sklave sein zu dürfen.

Der Anspruch auf den Platz an der Sonne ist bekannt. Weniger bekannt ist, daß sie untergeht, sobald er errungen ist.

Der Aphorismus deckt sich nie mit der Wahrheit; er ist entweder eine halbe Wahrheit oder anderthalb.

Der Historiker ist nicht immer ein rückwärts gekehrter Prophet, aber der Journalist ist immer einer, der nachher alles vorher gewußt hat.

Der Nationalismus, das ist die Liebe, die mich mit den Dummköpfen meines Landes verbindet, mit den Beleidigern meiner Sitten und mit den Schändern meiner Sprache.

Der Psychoanalytiker ist ein Beichtvater, den es gelüstet, auch die Sünden der Väter abzuhören.

Der Scharfsinn der Polizei ist die Gabe, alle Menschen eines Diebstahls für fähig zu halten, und das Glück, dass sich die Unschuld mancher nicht erweisen lässt.

Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm ein Ende bereitet.

Der Teufel ist ein Optimist, wenn er glaubt, dass er die Menschen schlechter machen kann.

Der Übermensch ist ein verfrühtes Ideal, das den Menschen voraussetzt.

Der Zuhälter ist das Vollzugsorgan der Unsittlichkeit. Das Vollzugsorgan der Sittlichkeit ist der Erpresser.

Die bloße Mahnung an die Richter, nach besten Wissen und Gewissen zu urteilen, reicht nicht. Es müßten auch Vorschriften erlassen werden, wie klein das Wissen und wie groß das Gewissen sein darf.

Die deutsche Sprache ist die tiefste, die deutsche Rede die seichteste.

Die einen verführen und lassen sitzen; die anderen heiraten und lassen liegen. Diese sind die Gewissenloseren.

Die Entwicklung der Technik ist bei der Wehrlosigkeit vor der Technik angelangt.

Die Frau ist da, damit der Mann durch sie klug werde.

Die Gedankenfreiheit haben wir. Jetzt brauchen wir nur noch die Gedanken.

Die kleinen Stationen sind sehr stolz darauf, dass die Schnellzüge an ihnen vorbei müssen.

Die Psychologie befaßt sich mit den einzelnen Wellen des Baches. Aber hat ein Bach je aus Wellen bestanden?

Die schöne Frau hat so viel Verstand mitbekommen, daß man alles zu ihr und nichts mit ihr sprechen kann.

Die Sitte verlangt, dass ein Lustmörder den Mord zugebe, aber nicht die Lust.

Die Sprache entscheidet alles, sogar die Frauenfrage. Dass der Name eines Weibes nicht ohne den Artikel bestehen kann, ist ein Argument, das der Gleichberechtigung widerstreitet. Wenn es in einem Bericht heißt, »Müller« sei für das Wahlrecht der Frauen eingetreten, so kann es sich höchstens um einen Feministen handeln, nicht um eine Frau. Denn selbst die emanzipierteste braucht das Geschlechtswort.

Die Sprache ist die Mutter, nicht die Magd des Gedankens.

Die stärkste Kraft reicht nicht an die Energie heran, mit der manch einer seine Schwäche verteidigt.

Die Welt ist ein Gefängnis, in dem Einzelhaft vorzuziehen ist.

Die Zeitung ist die Konserve der Zeit.

Ein Aphorismus braucht nicht wahr zu sein, aber er soll die Wahrheit überflügeln. Er muss mit einem Satz über sie hinauskommen.

Ein Blitzableiter auf einem Kirchturm ist das denkbar stärkste Mißtrauensvotum gegen den lieben Gott.

Ein Dichter, der liest, ist wie ein Koch, der ißt.

Ein dick aufgetragener Vaterstolz hat mir immer den Wunsch eingegeben, daß der Kerl wenigstens die Schmerzen der Zeugung verspürt hätte.

Ein Feuilleton schreiben heißt auf einer Glatze Locken drehen.

Eine Frau muß so gescheit aussehen, daß ihre Dummheit eine angenehme Überraschung bedeutet.

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