Titus Livius über Zaudern

  • Besser spät als niemals.

    Potius sero, quam numquam.

    -

Titus Livius

römischer Geschichtsschreiber

* 59 vChr Padua
† 17 vChr Padua

Gedanken von Christa Schyboll zum Zitat

Die Sache mit den verpassten Momenten und Chancen im Leben brachte Titus Livius in einem scheinbar lapidaren Satz unter, der jedoch in seiner Konsequenz Bedeutsames enthält.

Der römische Geschichtsschreiber, der zur Zeit des Kaiser Augustus lebte und auch unter dem Beinamen Patavinus bekannt war, hatte vermutlich oftmals erfahren was es bedeutete, wenn wichtige Dinge im Leben unterblieben. Da er die Welt jedoch auch als Historiker betrachtete, konnte er bei seinen Betrachtungen nicht nur allein seine persönlichen Erlebnisse in die Waagschale seiner Erkenntnisse werfen, sondern öffnete seinen Blick auch für die welthistorischen Zusammenhänge seiner Zeit.

Er wusste offenbar, dass verpasste Chancen oft nochmals die berühmte zweite Chance erhalten etwas Versäumtes nachzuholen. Dann ist es zwar spät, aber eben nicht zu spät.

Doch vieles unterbleibt deshalb bei vielen Menschen, weil man diese zweite Chance, die sich spät bietet, ebenfalls nicht nutzt. Die Gründe können verschieden sein. Vielleicht ist es die Scham oder die Versagensangst oder es kann auch mangelndes Vertrauen in sich selbst, die Sache oder die Beteiligten sein. Tatsache ist zumeist aber eine der vielen Unsicherheitsfaktoren, von denen man erneut heimgesucht wird, dass oft auch die zweite Chance nicht genutzt wird. Und dann unterbleibt wiederholt dasjenige, was eigentlich hätte geschehen sollen.

Wie oft, so könnten wir uns fragen, ergeht es uns eigentlich selbst so, ohne dass wir diese verpassten Chancen auch nur im Ansatz realisieren. Eine ehrliche Zwischenbilanz im Persönlichen kann da Erstaunliches zutage bringen, wenn wir uns erst einmal kritisch auf uns selbst einlassen und in unseren eigenen Erinnerungen tief genug wühlen.

Je länger man drüber nachdenkt und dabei so einiges erinnert, wird manch einer eingestehen müssen, dass er auch selbst schon viele Chancen im Leben verpasste. Die eine oder andere mag vielleicht noch nachgeholt worden sein, aber für anderes gab es eben auch später keine zweite Gelegenheit mehr.

Man könnte ein visionäres Spiel daraus machen und überlegen, wie denn das Leben an so mancher einschneidenden Zäsur alternativ verlaufen wäre, wenn wir entweder anders oder überhaupt gehandelt hätten. Diejenigen, die nun sagen, dass diese gedankliche Spielerei doch alles nichts bringe, weil es Vergangenheit sei, irren insofern, als dass diese Übung der selbst-kritischen Reflektion für die eigene Zukunft sogar von großer Bedeutung sein kann.

Von den verpassten und den neuen Chancen

Wenn wir selbst einen guten Überblick über unsere eigene Struktur und Handlungsweise bekommen, die ja oft nach Automatismen verläuft und die wir keineswegs auch ständig kritisch begleiten, dann haben wir die große Chance, die nächsten Chancen, die sich uns im Leben bieten, viel geisteswacher anzusteuern und mutiger zu ergreifen.

Dieser Mut, der Vertrauen in sich selbst braucht, wächst in dem Maße, wie wir auch eine Sicherheit über unser Tun bekommen. Letzteres ist den meisten von uns nicht automatisch mit in die Wiege gelegt, sondern will durch Lernen und Erfahrung errungen werden. Je genauer wir herausfinden, wann und warum wir in unserem Handlungsimpuls stocken oder uns sogar verwehren, können wir auch die Gründe angehen, die uns bisher hemmten.

Ein Hauptgrund der Hemmung dürfte die Angst vor der Verantwortung sein oder das Risiko, das zu schwer auf den eigenen Schultern bei dieser oder jener Entscheidung auf uns lastet. In solchen Situationen sind wir alle in dem Dilemma, nicht zu wissen, was nun dumm oder weise, richtig oder falsch ist. Und oft verpassen wir dann das, was wir hätten tun sollen.

Spielen wir nun aber diese Erfahrungen im Nachhinein noch einmal gedanklich konzentriert durch und blicken dabei durchaus auch mit Milde auf die von uns gemachten Fehler, dann kann man nicht nur viel daraus lernen, sondern auch eine neue Sicherheit gewinnen, die bei der nächsten Entscheidung, die eventuell verpasst werden könnte, sich nun als wertvolles Faustpfand darstellt, das uns weiterhelfen kann.

Besser spät als niemals etwas zu tun braucht manchmal auch den Mut, einmal gemachte Fehler offen zugeben zu können. Menschen, die innerlich stark und charakterfest sind, wird dieser Akt leichter fallen als jenen, die unter Minderwertigkeitskomplexen leiden oder einen krankhaften Perfektionismus verinnerlicht haben, den sie zugleich auch nach außen beweisen möchten. Dieser letztere Typus neigt auch eher zur Verdrängung und will an den einmal gemachten Fehler einer verpassten Chance nicht auch noch einmal durch eine zweite Chance erinnert werden. Vor allem dann nicht, wenn offenbar wird, dass die erste verpasste Chance ein großer Fehler war.

Diejenigen aber, die mit sich grundsätzlich im Reinen sind, wissen zu genau, dass wir alle Fehler machen. Wieder und wieder – lebenslang. Aber nicht das Fehlermachen ist für sie ein Problem, sondern nur, das nicht daraus lernen. Und weil sie dies begriffen haben, werden sie für eine weitere Chance, einen Fehler wieder gutzumachen zu können, dankbar sein und solche Gelegenheiten gern ergreifen.

 Top