Eine dumme Geschichte.

I.

Vor langer Zeit lebte in einem deutschen Gau ein gewaltiger Ritter. Er hatte eine herrliche Burg; er hatte kühne und wehrhafte Knechte; er hatte weite Ländereien, die er alle selbst erobert, und große Reichthümer, die er alle selbst zusammengeraubt. Er hatte auch eine schöne und tugendsame Frau. Sie hieß Dina, die Erhabene, hätte aber eigentlich die Demüthige heißen sollen. Still und fleißig waltete sie tagsüber am Herd und am Webstuhl, und wenn der Abend einbrach, stieg sie zum Söller empor und lugte aus nach ihrem reisigen Herrn.

Sobald sie ihn erblickte, ließ sie ihr goldgesticktes Taschen-Fähnlein wehen und eilte ihm entgegen in den Burghof. Dann geleiteten sie und ihr Page den Ritter in sein Gemach, wo er sich auf das mit einem Bärenfell bedeckte Lager warf, seinem holden Weibe die Beine entgegenstreckte und sprach: »Stiefel!«

Und sie nahte in liebevoller Dienstbeflissenheit und zog ihrem Gemahl die, je nach der Jahreszeit, mit Staub, Koth oder Schnee bedeckten Stiefel aus.

Müßig (bis auf einiges Zähneknirschen) stand der Page, ein Jüngling, voll zarter Empfindung daneben und dachte: daß sollte sie sich doch nicht unterwinden, trotz aller Weibesgüte und Tugend, daß doch nicht! Und mehrmals, hingerissen von seinen Gefühlen, wagte er's und erhob seine Stimme zu wohlgesetzter Rede:

»Ueberlasse mir, o Herrin, hochgemuthe, des Stiefel- Ausziehen« unrühmlich Bemühen.«

Aber sein Flehen verhallte unbeachtet, und was er darüber empfand, war ein tiefer Gram. Seine Heiterkeit verschwand; er wandelte dahin, wie er nie geahnt hatte, daß man wandeln könne — in Gedanken.

Und sein Sinnen war kein todtes, vielmehr ein mit reichen Keimen belebtes, die nach Entfaltung rangen, wuchsen und endlich aus ihrem Schattenreiche hinaus in die wirkliche Welt gelangten, als die gereifte Frucht eines erfinderischen Geistes, als ein Werk!

Man hatte ihn gesehen, kleine Klötze zuhauen und in dem sogenannten Pagenthurm hinauftragen, und hatte ihn die Nächte hindurch bis zum frühen Morgen sägen, hobeln, raspeln gehört. Sein Thun blieb ein geheimnißvolles; er verweigerte jegliche Auskunft darüber, wurde sehr mager, und aus seinen Augen leuchtete jene Seligkeit, die durch das Bewußtsein eines von Erfolg gekrönten Strebens hervorgerufen wird.

Ein schöner Sommertag ging zur Rüste; schon brach der Abend herein, als Hörnerklang ertönte; der Herr an der Spitze seiner Mannen kehrte heim. Er hatte sich erkältet, war ganz heiser und sprach, vom Pferde springend, zu der ihm Willkomm bietenden Gattin: »Würzwein!«

Sie eilte, das Verlangte zu bereiten; er, von dem Pagen allein gefolgt, ging auf sein Zimmer. Als er sich dem Lager näherte, fiel ihm ein seltsames Ding auf, das davor stand. Wie eine kleine Bucht zwischen vorgestreckten Landzungen war es gestaltet und ruhte schräg, aber fest, auf kurzen Füßen.

»Wer hat mir das gebracht, was ist das?« fragte er.

»Ich habe es gebracht und gemacht,« erwiderte der Page, und seine Wangen erglühten in freudigem Schöpferstolz: »O Herr, es ist ein Stiefelknecht.«

Er unterwies den Ritter im Gebrauche des neuen Hausgeräthes, und der Ritter freute sich sehr darüber und zog zum puren Vergnügen die Stiefel gleich zwei Mal nach einander aus und an.

Er war eben im Begriff, die Vortrefflichkeit der Erfindung zum dritten Male zu erproben, als seine Hausfrau eintrat, den Würzwein in goldenem Becher auf silberner Platte tragend. Beinahe wäre ihr beides entsunken.

»Was thut mein Herr?« fragte sie, und ihre schönen Augen füllten sich mit Thränen. »Sind meine Dienste meinem Herrn entbehrlich geworden? Vermag ein Stück Holz mich bei meinem Herrn zu ersetzen?«

Der Ritter entgegnete: »Nicht alleweil, nur in dem einen Fall.«

Aber dieser Trost tröstete sie keineswegs. »Wer hat die frevelige Erfindung ausgeheckt, die mich in irgend einem Falle meinem Herrn entbehrlich macht?« forschte sie mit Bangen.

»Der treueste Diener Dein, — ich!« stammelte der Page und warf sich ihr zu Füßen. Er bat um Gnade und Verzeihung und betheuerte die Lauterkeit seiner Absicht. Habe sie ihren Zweck verfehlt, so trage daran einzig und allein der Begriff schuld, den er von Frauenwürde hege.

Half alles nichts. Die Herrin blieb dabei, er habe sie um die Ausübung eines ihr werthen Rechtes betrügen wollen, und befahl ihm, das Werkzeug, welches arglistig dazu hatte dienen sollen, ins Feuer zu werfen.

Dieser Befehl war von einem Blick begleitet, der dem armen Jüngling das Herz zerschnitt und ihm verkündete, daß er die Huld seiner Herrin unwiederbringlich verloren hatte. Der bittere Schmerz, von dem nur die grausam Verkannten wissen, ergriff ihn, zugleich aber auch' eine mächtige Liebe für sein Werk. Er trug es empor in seine Thurmkammer, schrieb dem guten Stiefelknecht eine genaue Gebrauchs-Anweisung auf den Rücken und verbarg ihn in einer Vertiefung der Mauer, die er mit Steinen verlegte. Dann weihte er ihn tiefbewegt dem Verständniß kommender Geschlechter und entfloh beim ersten Morgengrauen.

Nie wieder hat man von ihm gehört; er ist vergessen und verschollen, ein Märtyrer seiner Erfindung.

II.

Hundert Jahre später hauste der Ururenkel des gewaltigen Ritters auf der Burg. Er war ein friedfertiger Herr, der sich der Gelehrsamkeit befliß, und besaß eine kleine lebhafte Frau und zwei schöne Kinder. Die spielten dereinst Verstecken im halb verfallenen Pagenthurm, fanden dort im Schutte den Stiefelknecht und brachten ihn ihrer Mutter.

Die kleine Frau wunderte sich über das seltsame Ding, und da sie vor lauter Neugier lesen gelernt hatte, machte sie sich gleich daran, die Schriftzüge, mit denen es bedeckt war, zu entziffern. Dabei wurde ihr Gesicht immer freundlicher; plötzlich lachte sie laut auf, und ihre Kinder lachten mit; sie hüpfte und tanzte mit dem Stiefelknecht im Zimmer herum, und die Kinder tanzten und sprangen wie Böcklein und jubelten über den Jubel ihrer Mutter.

Der Freudentaumel hatte seinen höchsten Grad erreicht, da kam der Herr Vater von der Gesundheits-Promenade, die er täglich zu unternehmen pflegte, nach Hause. Er steckte den Kopf zur Thür herein und sagte:

»Unziemlich ist es zu jubeln und zu tanzen am Wochentage. Weichet hinweg zur Schulstube, ihr Kinder, und Du, Thusnelda. Geliebte, zieh' mir die Stiefel aus.«

»Schwerlich, schwerlich«, sprach die kleine Frau und machte dazu einen complicirten mittelalterlichen Knix, »für die Stiefel meines Herrn hat sich ein Knecht gefunden, die Magd kündigt den Dienst,« und sie stellte den Stiefelknecht dem Gatten vor die Füße.

»Thuschen, wonnevolle," war Alles, was er im ersten Augenblick hervorbrachte.

Er mußte sich auf einen Sessel niederlassen, denn ihm schwindelte.

Vor seinem ahnungsvollen Geiste stieg ein neues Capitel der damals noch völlig unbekannten Culturgeschichte auf. Er sah alle Frauen dem Beispiel der seinen folgen, und alle Männer darauf angewiesen, sich ihrer Stiefel von einem fühllosen Instrumente entledigen zu lassen statt von liebender Hand.

»Mein armer Sproß,« sprach er nach einer langen Pause und legte die Rechte auf seines siebenjährigen Söhnlein« Haupt. »Die gefüge Magd kündigt den Dienst. Hast Du's gehört und wird Dir schlimm wie mir? Unfroher Zukunft reist mein Sproß entgegen; verschoben zwischen Mann und Frau ist das Verhältniß."

»Nur ein wenig zurechtgerückt,« versetzte Thusnelda und streichelte ihres Töchterchens Locken.

»Mich jammert Deines Irrwahns,« klagte der Gatte; »hinweggetilgt mit der minniglichen Frauen Demuth wird des Hauses Eintracht sein.«

»Ja, ja,« erwiderte sie, »die Eintracht zwischen Unterwürfigkeit und Gewalthaberei wird wohl hinweggetilgt sein.«

Er sah sie mit großen, runden, bestürzten Augen an.

»Sollen wir hinkünftig auch die Kindlein in die Welt setzen und ihrer warten?« fragte er.

Die Frau schlug die Hände zusammen: »Gott steh' mir bei! von den Lippen meines Hochgelahrten entfleucht Unsinn.«

Und er wurde böse und sprach: »Wer hat Dir solche Rede zu mir erlaubet? Meine Zornwuth weckst Du. Törichte Weiber! Preis zu erjagen gedenket Ihr, und werdet sinken im Preise und sitzen bleiben Alle! Kein männlicher Mann wird werben um ein Gespans, das sein nicht magdlich pflegen will. Unweise und untergeordnet in allen Stücken dem Manne seid Ihr Weiber. Was an Euch ehren soll er, wenn nicht die Ehre, so Ihr ihm bietet; was lieben an Euch, wenn nicht die Liebe, so Ihr zu ihm traget? ...

Er wollte noch weiter reden, aber Thusnelda unterbrach ihn durch ein lautes Gelächter. »Schön Dank für dieses Geständniß, o Du mein trauter, aufrichtiger Geselle!« sagte sie und schlang ihre Arme um seinen Hals.

Die Ehegatten umarmten einander, während ihre Kinder sich in der entgegengesetzten Ecke des Gemaches prügelten, weil das Bübchen gesagt hatte, es werde nie eine Frau nehmen, die sich weigere, ihm die Stiefel auszuziehen, und das Schwesterchen ihm dafür eine Ohrfeige versetzt hatte.

»Laßt ab vom Kampfe, Ihr Kinder,« befahl der Vater. »Vernunft angenommen hat die reine Süße, Eure Mutter.«

»O weh!« jammerte sie, ihr hübsches Köpfchen zur Achsel neigend. »Wie thut das Herz mir weh, daß ich eine Frau nur bin, und demnach unweise, demnach unfähig, Vernunft anzunehmen. So hat mein gelahrter Herr gesagt, und seinem Worte darf ich nicht zuwider handeln.«

»Nicht zuwider handeln,« murmelte der Gatte und versank in tiefes Sinnen. »O liebe Frau, die Folgen find unabsehbar," sprach er endlich, seufzte und — bediente sich des Stiefelknechts.

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