Kosmogonie.
I.
Im Urwalde tief verborgen befand sich ein großartiger Ameisenbau. Das Völkchen, das ihn bewohnte, war fleißig und weise; es hatte sich im Laufe der Jahrhunderte eine vortreffliche Verfassung und ebensolche Gesetze gegeben. Die Wissenschaften wurden in Ehren gehalten, die Künste gepflegt; so blühten sie denn auch und trieben reiche Früchte. Fortwährend entdeckten die Gelehrten ewige Wahrheiten, und die Künstler hörten nicht auf, unsterbliche Werke zu schaffen. »Eine Civilisation wie die unsere,« sagten die Ameisen, »kann nicht mehr untergehen. Künftige Geschlechter werden das Erbe antreten, es vermehren und in unaufhaltsamem Fortschritt zu einer Vollendung gelangen, von der sogar das ameisliche Ahnungsvermögen sich keinen Begriff machen kann.«
In diesem Hochgefühle schwelgte die Nation, und es begeisterte sie zu immer neuen und edleren Bestrebungen.
Da ereignete es sich, daß eines Tages ein Löwe des Weges kam. Er bemerkte den Ameisenbau nicht und schritt gemächlich mit breiten Tatzen über ihn hinweg. Dabei wedelte er mit dem Schwanze, denn ihm war heiß, und wedelte den ganzen Bau sammt seiner Cultur und den ewigen Wahrheiten und den unsterblichen Kunstwerken so gründlich fort, daß keine Spur von ihnen übrig blieb.
II.
»Schau',« sagte ein Kolibri zu seinem Weibchen, das neben ihm auf einer Lianenblüthe saß, »da hat ein großer Erdentreter eine Menge kleiner Erdentreter vernichtet.«
Das Weibchen zwitscherte: »Schade! Diese kleinen Klümpchen sind so nett hin und her gerollt um ihren großen Klumpen; es schien fast, als ob sie es wären, die ihn wachsen machten. Ich habe mich manchmal gefragt,« setzte sie nach einer Pause hinzu und bemühte sich, geistreich auszusehen, »ob sie sich nicht am Ende doch absichtlich bewegen und einen Willen und sogar einen Ansatz von Seele haben.«
»Gerade soviel als die Blätter der Bäume. Die rühren sich auch zeitweise; sind deshalb sie die Ursache seines Wachsthums?« spöttelte das Männchen. »Nein, geliebte Einfalt, schreibe ihnen nicht zu, was das alleinige Erbtheil der ersten unter den geflügelten Lebewesen ist — der Vögel, und ganz besonders der Kolibri, weil sie die Feinsten, die Schönsten sind, und weil die Geschwindigkeit ihres Fluges mit der Geschwindigkeit des Schalles wetteifern kann. Für uns scheint die Sonne, für uns bringt die Scholle, das Wasser, die Luft Nahrung in tausendfältiger Gestalt hervor. Wir find der Mittelpunkt alles Seienden, vollendete Vögel, angefangene Engel; denn als solche schweben die seligen Geister unserer Vorfahren um das Nest des höchsten Engels, nach dessen Vorbild wir geschaffen sind, der Himmel und Erde und das Schicksal jedes einzelnen Kolibris in seinen mächtigen Fängen hält.«
Das Weibchen verstand ihn zwar nicht, bewunderte ihn aber doch sehr, beeilte sich auch, ihm Recht zu geben, denn sie befanden sich noch in den Flitterwochen.