Ausgewählte Essays

Goethes Rechenschaft

»Er war ein Deutscher,« sagt Goethe von Serlo, »und diese Nation gibt sich gern Rech enschaft von dem, was sie tut.« Er spricht damit die Erfahrung über eine entscheidende Tendenz seines eigenen Lebens aus.

Vielleicht keinem zweiten unter den im großen Stile schöpferischen Menschen war es so natürliches Bedürfnis, mit sich selbst abzurechnen, sich des Lebens in einer Periodik bewusst zu sein, deren klare Überschau keinen seiner Inhalte ausließ.

Mit sehr mannigfaltigen Äußerungen tritt dies in die Erscheinung.

In der Jugend begeht er von Zeit zu Zeit ein »Hauptautodafé «, vernichtet mit leidenschaftlicher Selbstkritik eine Unzahl von Produkten des letzten Zeitabschnitts; dann wieder geschieht es in der Form geistigen Einrangierens, er sucht die Kategorien auf, unter die seine Lebensinhalte gehören: »Ich muss nur«, schreibt er an Schiller, »Altes und Neues, was mir in Sinn und Herzen liegt, wieder einmal schematisieren«; und besonders bezeichnend erscheint es mir, dass er seine Tagebücher noch einmal zu »Annalen« zusammenfasst.

In ebendieser Tendenz liebt er es von Jugend auf, Kunstwerke zu beschreiben und zu analysieren: er muss sich über alles, was ihn beeindruckt und von irgendwelcher Bedeutung für seine Entwicklung ist, Rechenschaft ablegen.

Ein merkwürdiges Beispiel ist es, wenn er über 200 Gedichte aus »Des Knaben Wunderhorn« einzeln charakterisiert, jedes nach seiner ideellen Bedeutung und seiner Zugehörigkeit zu allgemeinen ästhetischen Begriffen - immer aber im Stile jemandes, der sich über die Nuancen seines persönlichen Eindrucks Rechenschaft ablegen will.

In den späteren Jahren endlich sind es die immer neu begonnenen Gesamtausgaben seiner Werke, die gleichsam als Haltepunkte dienen, um die bisherige Entwicklung zu überschauen und mit Auswählen, Anordnen, Weglassen die Wertrechnung über diese zu schließen.

Welches ist nun der Zusammenhang mit weiteren und tieferen Wesenszügen, in die sich diese Neigung verständlich einfügt?

Täusche ich mich nicht, so kommt auch in ihr die eine große Idee zu Worte, die sozusagen die schöpferische Existenz Goethes formt, und die ich als die »Objektivierung des Subjekts« bezeichne.

Gewiss ist jede künstlerische Produktivität schließlich unter diese Formel zu bringen; allein wir wissen von niemand, der ein so reiches subjektives Leben dauernd als eine so objektive Gegebenheit und unter so objektiven Kategorien gelebt und ausgeformt hätte.

Sonst fällt in der Regel der Akzent entweder auf die subjektive Seite, auch das abgelöste Erzeugnis ist ein unmittelbares Sichausströmen des Ichs, es tritt sozusagen für den Schöpfer nicht aus dem Stadium des Innenerlebnisses heraus; oder umgekehrt, es schwingt sich über das Subjekt wie über ein bloßes Sprungbrett hinaus, und als wäre es dem Innenerlebnis fremd, zieht es Sinn und Inhalt aus einer selbstgenugsamen Objektivität.

In der bildenden Kunst, in der Poesie, in der Musik, ja man kann sagen: in allen Lebensäußerungen überhaupt scheiden sich so die spezifisch lyrischen Naturen von den spezifisch dramatischen.

Goethes Leben, als Ganzes angesehen, hat diesen Gegensatz mehr als irgendein anderes überwunden, und zwar nicht durch ein von vornherein festes Verhältnis der Elemente, sondern in einer lebendigen Entwicklung, die von der dämonischen Subjektivität seiner Jugend zu der nicht weniger dämonischen Objektivität seines Alters führte.

Es ist aber sehr merkwürdig, wie schon in der Jugend, in der doch die Fülle und Bewegtheit seines Inneren mit einer ganz einzigen Unmittelbarkeit und Unabgelenktheit in Äußerungen und Lebensgestaltung ausfloss - wie schon in ihr die Objektivierung des Subjekts sich anzeigt.

In all dem leidenschaftlichen Gestammel der Leipziger Briefe an Behrisch zeichnet sich doch die Form des Werther vor, in dem die unbedingte Subjektivität sich durch Formung zu einem objektiven Gebilde von sich selbst erlöst.

Und mitten in der heftigsten Liebesraserei schreibt er an Behrisch: »Dieses heftige Begehren und dieses ebenso heftige Verabscheuen, dieses Rasen und diese Wollust werden Dir den Jüngling kenntlich machen.« Und: »Es ist wahr, ich bin ein großer Narr, aber auch ein guter Junge.« Wenig später mit zwanzig Jahren: »Das habe ich mit allen tragischen Helden gemein, dass meine Leidenschaft sich gern in Tiraden ergeht.« In all dieser jugendlichen wichtigtuerischen Selbstbespiegelung kündigt sich doch schon die große Maxime an, alle Subjektivität des Daseins als eine objektive, in die Kategorien übersubjektiver Welt eingeordnete Wirklichkeit anzuschauen und zu erleben.

Man hat oft genug das Goethische Leben als »ein Kunstwerk« bezeichnet.

Was daran mehr als eine verschwommene Redensart ist, gründet sich in dem Wesen des Kunstwerks: dass in ihm ein innerlicher, im persönlichsten Leben gezeugter Vorgang eine Form anschaulichen Daseins gewinnt, als wäre diese Erscheinung seiner nach objektiven Normen, dem Gesetz und der Idee der Sache allein gehorsam, erwachsen.

In diesem Objektivieren des Subjekts vollzieht sich die Arbeit Goethes an seiner eigenen »Bildung«.

Es ist häufig ausgesprochen worden, dass Goethes ganze Entwicklung ein fortwährender Prozess des »Sichbildens« war.

»Ich habe Natur und Kunst«, so gesteht er im höchsten Alter, »eigentlich immer nur egoistisch studiert, um mich zu unterrichten.

Ich schrieb auch nur darüber, um mich weiterzubilden.

Was die Leute daraus machen, ist mir einerlei.« Schon 48 Jahre vorher ist er sich darüber ganz klar: »Meine Sachen gehen ordentlich und gut«, schreibt er an Frau von Stein, »es ist freilich nichts Wichtiges noch Schweres, indessen da ich, wie Du weißt, alles als Übung behandle, so hat auch dies Reiz genug für mich.« Alle Inhalte des Daseins leitete er in sich hinein, um sein Ich an ihnen aufwärts zu bilden.

Allein an diesem »Egoismus« haftete nichts sittlich Fragwürdiges, denn die Vollendung seiner Person war ihm eine objektive sittliche Aufgabe, so gut wie eine auf andere Personen gerichtete es sein konnte.

Die eigene Bildung bedeutete für ihn keineswegs nur die wachsende Aufnahme an Stoffen des Wissens und Könnens, sondern bedeutete, dass er mit deren Hilfe immer mehr zum »Gebilde« wurde, das heißt, zu einer Existenz, die, wie anderen, so auch sich selbst als ein objektives Weltelement gegenüberstand.

Er wusste sehr wohl, dass der Mensch als subjektives, auf sich selbst gerichtetes Wesen, nicht gleichsam aus sich selbst zu dieser objektiven Bedeutsamkeit, sich selbst als Weltelement zu wissen, gelangen kann; dass er sich dazu vielmehr erst zum Gefäß der Welt, das aufnimmt und abgibt, machen muss.

Darum musste er rastlos lernen und rastlos schaffen.

Je mehr sein Subjekt sich mit Weltstoff erfüllte, je reicher und treuer sich das Dasein in ihm spiegelte, um so mehr wurde es selbst zum Objekt, desto verwandter, desto zugeordneter wurde es diesem objektiven Dasein selbst.

Der Doppelsinn von »Bildung« kam hier zu seinem Rechte: dadurch, dass er lernend, forschend, produzierend sich selbst bildete, »bildete« er sich, das heißt, formte er sein Subjekt zu einer objektiven Gestaltung, die er nicht nur war, sondern die er als geformten Inhalt sich gegenüber sah.

Dieses sublime Bewusstsein gestattete ihm in demselben Sinne, in dem er vorhin von seinem »egoistischen« Lernen gesprochen hatte, seine Werke als eine bloß persönliche Konfession zu bezeichnen.

»Meine Arbeiten sind immer nur die aufbewahrten Freuden und Leiden meines Lebens«, schreibt er in seinem 26. Jahre - und 40 Jahre später: »Meine ernstlichste Betrachtung ist jetzt die neueste Ausgabe meiner Lebensspuren, welche man, damit das Kind einen Namen habe, Werke zu nennen pflegt.« Nur wer sein Subjekt als etwas so Objektives weiß, wird seine objektive Leistung als etwas so Subjektives ansprechen. 

Und darum ist es nicht der geringste Widerspruch gegen die letzte Äußerung, wenn er, gleichfalls im hohen Alter, das scheinbar Entgegengesetzte ausspricht: »Was bin ich selbst? Was habe ich getan? Ich habe alles, was ich gesehen, gehört, beobachtet habe, gesammelt und benutzt. Meine Werke sind von tausend verschiedenen Individuen genährt; Unwissende und Weise, Geistreiche und Dummköpfe, die Kindheit, das reife Alter, das Greisentum haben mir ihre Gedanken, ihre Fähigkeiten, ihre Hoffnung, ihre Seinsart dargeboten; ich habe oft die Ernte gesammelt, die andere gesät haben. Mein Werk ist das eines Kollektivwesens und trägt den Namen Goethe.«

In höherem Alter erreicht die Einheit von Subjekt und Objekt, die zu leben und zu verkünden den metaphysischen Sinn seiner Existenz ausmacht, ihre höchste und reinste Reife.

Nachdem der Akzent in all seinem Denken und Verhalten ganz auf die Objektseite der Gleichung gerückt war, kann nun von da aus wieder das Subjekt die umfassendste Bedeutung erhalten, können nun, wie man weiß, selbst seine Berichte über die sachlichsten naturwissenschaftlichen Studien autobiographische Form erhalten.

In der Jugend wäre das eine Subjektivierung gewesen; jetzt ist davon keine Rede, sein Subjekt ist nur der Sammelpunkt von Sachlichkeiten, er, inbegriffen alle Inhalte, alle Schicksale, alle Erfahrungen, ist sich ein Gegenstand objektiven Beobachtens und Erlebens.

Dieser autobiographische Ton des Goethischen Alters ist eine besondere Form jener Konfession, zu der das Alter der Künstler überhaupt zu neigen scheint: Shakespeares »Sturm« und Ibsens Stücke vom »Solneß« an, Beethovens letzte Quartette, Michelangelos späte Gedichte und Pietà Rondanini und Rembrandts letzte Selbstporträte - alles dies ist wie Beichte, wie ein Herausstellen des subjektivsten Seelenkernes, um den keine Hülle und Scham mehr ist, weil das Subjekt sich seiner Subjektivität enthoben und schon einer höheren geahnten oder innerlich geschauten Ordnung zugehörig fühlt.

»Alter«, sagt Goethe einmal, »ist stufenweises Zurücktreten aus der Erscheinung« - und das kann ebenso bedeuten, dass das Wesen die Hülle fallen lässt, wie, dass es sich aus allem Offenbarsein in ein letztes Geheimnis zurückzieht; und vielleicht kann das erste gelten, da doch das zweite gilt.

In so tiefer und sich mit den Jahren immer vertiefender Einheit empfindet Goethe seine persönliche Existenz mit der Natur und Idee der Dinge, dass jede Mitteilung natur oder kunstwissenschaftlicher Art den Stil und Ton eines mitgeteilten persönlichen Erlebnisses annimmt, als sei jeder Sachverhalt, der sich ihm neu aufschließt, eine neue Stufe seiner innerlichsten Entwicklung.

»Der Mensch«, sagt er in dieser späten Zeit, »wird die Welt nur in sich und sich nur in der Welt gewahr.

Jeder neue Gegenstand, wohl beschaut, schließt ein neues Organ in uns auf.« Und nur von der anderen Seite her offenbart sich diese höchste Einheit darin, dass die Art, wie Goethe seinem eigenen Leben im Alter gegenüberstand, die großartigste Objektivierung des Subjekts ist, von der wir wissen.

Denn nicht nur die Vergangenheit, die er als abgeschlossen ansehen konnte, war ihm ein reines Bild geworden.

Sondern der eben erlebte Tag war ein solches, ja, der Moment des Erlebens selbst war ihm ein objektives Geschehen - nicht nur im Sinne der gleichzeitigen Selbstbeobachtung, der Spaltung des Bewusstseins, die sicher oft gar nicht bestand, wenigstens nicht mehr als bei vielen anderen Menschen auch; vielmehr, der innere Ton des Erlebens, die Art, wie es subjektiv unmittelbar vorging, hatte den Charakter der Objektivität.

Was er dachte und fühlte, war ihm Ereignis, wie Sonnenaufgang oder das Reifen der Früchte, er stellte das Ich nicht nur als ein wissendes den Erlebnissen als dem Gewussten gegenüber, sondern von vornherein war das Erleben dem kosmischen Geschehen eingeordnet; was vielleicht die Gestalt Makariens in absoluter Vollendung symbolisiert.

Nicht nur einzelne Lebensinhalte waren ihm objektiv geworden, sondern sozusagen der Lebensprozess selbst - er bedurfte für die Objektivität nicht mehr der Form des Gegenüber.

Diese Gegensatzschärfe war der Kategorie genommen, unter der er sich erlebte, als eben derselben, unter der die Ereignisse des Kosmos selbstgenugsam abrollen.

Diese Einheit aber enthält ein Element oder eine Voraussetzung, die auf den ersten Blick gerade der Tiefe ihrer Wurzelung widerstreitet.

Durch das Goethische Leben geht von sehr früh an ein Zug von Resignation, dem er oft Ausdruck und Nachdruck gibt.

Die Eingeordnetheit in Wirklichkeit und Idee des Seinsganzen, das unmittelbare Sich-Hingeben und – Ausgeben des Lebens, sicher, dass damit der Norm der sachlichen Ordnungen genügt werde - diese Grundformel der Goethischen Existenz scheint durch das Gefühl fortwährend nötigen Verzichtes, Zurückhaltens und Beherrschens seiner selbst durchbrochen zu sein.

Eine Äußerung aus seinem 33. Jahre weist vielleicht, wenn auch nicht in gerader Linie, auf die Lösung des Widerspruchs hin: »So viel kann ich Sie versichern, dass ich mitten im Glück in einem anhaltenden Entsagen lebe und täglich bei aller Mühe und Arbeit sehe, dass nicht mein Wille, sondern der Wille einer höheren Macht geschieht, deren Gedanken nicht meine Gedanken sind.« Hier liegen die Elemente freilich noch in ungelöster Problematik zusammen: ein subjektives Wollen und Fühlen, das sich zur Einfügung in eine jenseits seiner gelegene, objektiv höhere Ordnung aufgerufen fühlt und dies nur in der Form des Verzichts erreicht.

Der Sinn aber dieses Verzichtens in dem allgemeinsten, sein Leben durchziehenden Sinne scheint mir kein anderer zu sein, als dass ihm nur auf diesem Wege jene Objektivierung seines Subjekts gelang.

Er musste sich dauernd überwinden, damit die Intensität, die unmittelbare, selig-unselige Strömung seines Lebens gegenständlich werden konnte.

Die Selbstüberwindung und die Vergegenständlichung waren nicht ein Nacheinander zweier Akte, sondern einer und derselbe, von zwei Seiten gesehen.

All dem Glühen und Drängen seiner Seele war die Selbstüberwindung sehr früh zugewachsen, damit es Form werden konnte.

Für seine Seele war es die Vollendung, dass sie über die bloße subjektive Lebendigkeit hinaus sich selbst zum Objekt, ja sozusagen an und für sich zum Objekt wurde; und dies errang sie in der Form eines dauernden Sichselbstüberwindens, einer immer bewussten Herrschaft über sich selbst.

Dies ist keine Zerreißung seines Lebens, sondern dessen ganz einheitlicher Charakter.

Auch sein Verhältnis zur Natur, mit seinem treuen Eifer und enthusiastischen Eindringen und dem gleichzeitigen Haltmachen vor den letzten Geheimnissen, der Überzeugung, dass ein Unerforschliches da sei, das sich uns versage, - ist die Lebenseinheit von Hingebung und Resignation.

Das Vonsichwegtreten, mit dem er sein eigenes Objektsein gewann, war zugleich ein Vonsichabsehen, ein Verzicht auf das, was das Subjekt, solange es in sich selbst verbleibt, zu sein und zu genießen begehrte.

Vielleicht aber sind diese Lebenswerte innerlich in umgekehrter Richtung verbunden.

Vielleicht - dies lässt sich nur wie aus der Ferne andeuten - ist ihm Selbstüberwindung und Entsagung das Urphänomen seiner sittlichen Menschlichkeit und alles, was ich die Objektivierung seines Subjekts nannte, nur eine Folge, eine Erscheinung, ein anschaulich Positives zu diesem Letzten - ein Positives, in dem sich die besondere Wertart dieser Resignation äußern musste, da sie doch nicht Askese war.

Wir pflegen in der Resignation vor allem das Moment des Leidens zu betonen und zu empfinden.

Aber dieser Gefühlsreflex ist für Goethe ganz unwesentlich.

Der »Entsagende« ist der Mensch, der seinem subjektiven Dasein die Form gibt, mit der es sich der objektiven Ordnung der Gesellschaft oder des Kosmos überhaupt einfügen kann; oder, in der anderen Richtung gesehen, sobald der Mensch sich über das bloße Ausströmen seiner Existenz hinaus eine Form geben will, in der er sich selbst als Objekt, als ein Weltelement anschaut, - so muss er entsagen.

Jede Form ist Begrenzung, ist Verzicht auf das, was jenseits der Grenze ist; und nur durch Formung entsteht jedes feste, weltmässige Sein, das dem Subjekt gegenübersteht, und zu dem es sich selbst zu gestalten hat.

Das Sichselbstbeherrschen und Entsagen, das ohne Beziehung auf dies oder jenes Bestimmte und ohne jede Leidseligkeit, sondern als eine allgemeine Bestimmung der Existenz Goethes Lebensentwicklung durchzieht, enthüllt sich so als die ethische Basis oder die ethische Seite jener allgemeinsten Formel seiner Entwicklung.

Und damit laufen nun endlich all diese Fäden in seinem dauernden Sichrechenschaftgeben zusammen.

Kein anderer Begriff verknüpft so unmittelbar wie dieser das theoretischobjektive Bild mit der sittlichen Wertung; Sichrechenschaftgeben heißt: die Einheit von Sichwissen und Sichbeurteilen verwirklichen, und heißt, sich von der Grenze aus sehen, diesseits derer wir uns zu bescheiden haben und jenseits derer der Verzicht liegt.

Der metaphysische Grundwille, sein Subjekt als ein objektives anzuschauen und zu erleben, konnte seine ethische Spannung nicht tiefer und vollkommener spiegeln als in der Rechenschaft über sich selbst, in der sein Bewusstsein der eigenen Wirklichkeit und das der Grenze, deren strenge Bescheidung dem Leben Wert und Form bestimmte, sich in einem lebenslangen Akte vollzog.

 

aus: Der Tag. Moderne illustrierte Zeitung Nr. 63, Morgenblatt vom 4. Februar 1912, Illustrierter Teil Nr. 29, S. 1-3 (Berlin)

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