20. Novelle

Lydia, die Gemahlin des Nikostratus, verliebt sich in ihren Diener Pyrrhus. Dieser fordert drei Beweise, um sich davon zu überzeugen. Lydia gibt sie ihm nicht nur, sondern läßt sich auch in Gegenwart ihres Gemahls von ihm liebkosen und weiß dennoch diesem einzureden, daß er nichts gesehen habe.

In Argos, einer alten Stadt in Achaja, die durch ihre Könige mehr als durch ihre Größe berühmt geworden ist, war einst ein Mann von Stand namens Nikostratus, dem das Schicksal in seinem Alter noch eine junge, vornehme Dame zur Gattin bescherte, die ebenso unternehmend als schön war und Lydia hieß. Reich wie er war, lebte er auf großem Fuße und hielt eine Menge Diener, Hunde und Falken, denn er liebte die Jagd mit Leidenschaft. Unter anderm hatte er einen Diener, der ebenso anmutig, manierlich und von schöner Gestalt war, als gewandt in allen Dingen, die er unternahm. Er hieß Pyrrhus und besaß vor allen andern seine besondere Gunst und sein Zutrauen. In diesen verliebte Lydia sich derart, daß ihre Gedanken Tag und Nacht nur auf ihn gerichtet waren. Pyrrhus aber, der entweder ihre Liebe nicht bemerkte oder sie nicht bemerken wollte, schien sich darum gar nicht zu bekümmern. Dies war ihr sehr empfindlich, und sie faßte den festen Vorsatz, ihn aufmerksam darauf zu machen. Sie rief demnach eine von ihren Mägden namens Lusca zu sich, auf die sie großes Vertrauen setzte, und sprach zu ihr: »Lusca, die Wohltaten, die ich dir erwiesen habe, müssen mir billig deine Treue und deinen Gehorsam verbürgen; sieh dich also vor, daß von dem, was ich dir jetzt anvertrauen will, niemand etwas erfährt als der, den ich dir nenne. Du siehst, Lusca, ich bin ein junges, frisches Weib, ich besitze alles im Überfluß, was eine Frau sich nur wünschen kann, und es fehlt mir in der Welt an nichts als an einer Sache: das Alter meines Gemahls ist dem meinigen nicht angemessen; ich finde mich demnach mit dem schlecht versorgt, was den jungen Frauen das liebste ist, und da mich nicht weniger als andere danach verlangt, und das Schicksal mir so wenig günstig gewesen ist, daß es mir einen alten Mann beschieden hat, so ist es schon längst bei mir beschlossen, daß ich nicht meine eigene Feindin sein und mein Glück und Vergnügen vernachlässigen will. Um dieses ebenso vollkommen als alles übrige zu genießen, habe ich mir Pyrrhus, als den würdigsten vor allen andern, ausersehen, daß seine Umarmungen es mir verschaffen sollen. Ich habe mein Herz so sehr an ihn gehängt, daß mir nicht wohl ist, wenn ich ihn nicht sehe oder an ihn denke; und wenn ich nicht bald mit ihm zusammen sein kann, so glaube ich wahrlich, daß es mir noch das Leben kostet. Wenn dir also mein Leben lieb ist, so erkläre ihm auf die schicklichste Weise meine Liebe und bitte ihn, daß er zu mir komme, wenn ich ihn durch dich werde rufen lassen.«

Die Zofe war bereit; sie nahm die erste Gelegenheit wahr, Pyrrhus auf die Seite zu ziehen und den Auftrag ihrer Frau auszurichten.

Pyrrhus, der sich nie dergleichen vermutet hatte und fürchtete, die Dame ließe ihm das nur sagen, um ihn in Versuchung zu führen, gab rasch und mit Härte zur Antwort: »Lusca, ich kann nicht glauben, daß meine Gebieterin solche Worte gesprochen hat; bedenke also wohl, was du sprichst; denn wenn dies auch wirklich von ihr käme, so glaube ich doch nicht, daß es ihr Ernst gewesen sei, und wenn es ihr Ernst gewesen wäre, so hält mich doch mein Herr mehr in Ehren, als ich verdiene, und ich würde ihm eine solche Beleidigung nicht zufügen, wenn ich auch wüßte, mein Leben damit zu retten. Hüte dich also, daß du mir mit dergleichen Reden nie wieder vor die Augen kommst.«

Lusca ließ sich durch seine barsche Antwort nicht schrecken. »Pyrrhus,« sagte sie, »ich werde von diesen Dingen und von allem, was meine Frau mir befiehlt, mit dir reden, so oft sie es mir aufträgt, es mag dir lieb oder leid sein, aber nimm mir's nicht übel, du bist ein Schafskopf.«

Damit verließ sie ihn ein wenig verdrießlich und ging zu ihrer Frau, die sich über seine Antwort fast zu Tode grämen wollte. Nach einigen Tagen sprach sie indessen wieder zu ihrer Zofe: »Lusca, du weißt, der Baum fällt nicht auf den ersten Hieb; ich dächte also, du gingest wieder zu dem Halsstarrigen, der sich zu meinem Kummer auf eine sonderbare Art pflichtgetreu bezeigt, und schilderst ihm zu gelegener Zeit die ganze Glut meines Herzens. Kurz, gib dir alle mögliche Mühe, die Sache zustande zu bringen; denn wenn wir es bewenden lassen, so bricht mir das Herz und Pyrrhus wird meinen, ich hätte ihn nur zum besten gehabt, und wird mich hassen, da ich doch seine Liebe zu gewinnen wünsche.« Die Zofe bat ihre Frau, guten Muts zu sein; sie ging wieder zu Pyrrhus, und weil sie ihn bei heiterer Laune antraf, sprach sie zu ihm: »Pyrrhus, vor einigen Tagen sagte ich dir, wie sehr unsere Gebieterin von Liebe zu dir entzündet wäre, und ich bringe dir jetzt von neuem die Bestätigung davon. Wenn du dich ferner noch so hartnäckig zeigest wie neulich, so sei versichert, daß sie nicht lange leben wird. Laß dich demnach erbitten, ihre Wünsche zu erfüllen; denn wenn du noch länger auf deinem Eigensinn bestehst so mußt du dich künftig als einen Toren betrachten, da ich dich doch immer für einen vernünftigen Menschen gehalten habe. Mußt du es dir nicht zur Ehre schätzen, dich von einer so schönen und edlen Frau geliebt zu wissen? Und überdies, wie sehr hast du Ursache, dem Glück zu danken, daß es dir ein solches Kleinod darbietet, das nicht nur deinen jugendlichen Wünschen so angemessen ist, sondern dir auch eine nie versiegende Quelle öffnet, um alle deine Bedürfnisse zu befriedigen? Wo findest du einen von deinesgleichen, dem größere Freuden bevorstehen als dir wenn du gescheit bist? Welcher andere wird mit Waffen und Pferden, mit Geld und mit Kleidern reichlicher versorgt sein als du, wenn du ihre Liebe erwiderst? Öffne demnach dein Herz meinen Worten, kehre in dich und bedenke, daß nur einmal das Glück uns mit lächelndem Blick und mit offenem Schoß entgegenkommt. Wer alsdann nicht weiß, sich ihm in die Arme zu werfen, und muß hernach darben und betteln, der beklage sich nicht über das Unglück, sondern nur über sich. Überdies mußt du das Band der Treue zwischen Herrn und Diener nicht für so heilig halten als zwischen Verwandten und Freunden, sondern es ist genug, wenn der Diener sich bestrebt, seinem Herrn so redlich zu begegnen wie dieser ihm. Und meinst du denn, wenn du eine schöne Frau oder Mutter oder Tochter oder Schwester hättest, die dem Nikostratus gefiele, daß er sich so gewissenhaft gegen dich betragen würde, wie du mit ihm in Rücksicht auf seine Gemahlin verfahren willst? Du wärest ein Tor, wenn du es glaubtest. Sei versichert, wenn Bitten und Schmeicheleien nicht helfen wollten, so würde er auch wohl zu Zwangsmitteln greifen, es möchte dir behagen, wie es wolle. Laß uns also gegen sie und die Ihrigen so verfahren, wie sie es mit uns machen und mit allem, was uns angehört. Genieße die Wohltat des Glückes; stoße es nicht von dir, sondern komm ihm entgegen und nimm es auf, wenn es dich besucht. Denn wahrlich, wenn du es nicht tust, so wirst du nicht nur deiner Gebieterin den gewissen Tod bereiten, sondern du wirst es so oft und so lange bereuen, daß du dir selber den Tod wünschen wirst.«

Pyrrhus, der mehr als einmal über die erste Botschaft der Lusca nachgedacht hatte, war bereits entschlossen, wenn sie noch einmal wiederkäme, ihr eine andere Antwort zu geben und sich ganz in den Willen seiner Gebieterin zu fügen, sobald er gewiß versichert sein könne, daß man ihn nicht bloß auf die Probe stellen wolle. »Höre, Lusca,« gab er ihr zur Antwort, »ich sehe wohl ein, daß alles wahr ist, was du mir sagst; allein andererseits kenne ich auch meinen Herrn als einen sehr klugen und scharfsichtigen Mann, und da er mir alle seine Sachen anvertraut, so fürchte ich, daß Lydia dies alles mit seinem Wissen und Willen so angestellt hat, um mich zu versuchen. Wenn sie aber, um mich zu beruhigen, drei Dinge erfüllen will, so soll sie mir nach diesem nichts befehlen können, worin ich ihr nicht auf der Stelle gehorche. Die drei Dinge, die ich von ihr fordere, sind folgende: Erstlich muß sie dem besten Falken ihres Gemahls in seiner Gegenwart den Hals umdrehen; zweitens muß sie mir ein Büschel Haare aus dem Barte des Nikostratus und drittens einen von den besten Zähnen aus seinem Munde schicken.«

Diese Forderung fand Lusca sehr hart, und Lydia fand sie noch härter. Doch Amor, der ein meisterhafter Tröster und ein listenreicher Ratgeber ist, bewog sie, die Ausführung zu unternehmen. Sie ließ also dem Pyrrhus durch ihre Magd sagen, daß alles, was er verlangt hätte, gewiß und bald geschehen solle, und weil er doch seinen Herrn für so klug und weise hielt, so verspreche sie ihm noch überdies, daß er ihre erste Gunstbezeigung in seiner Gegenwart genießen, und daß Nikostratus dennoch das, was er selbst gesehen hätte, für nicht geschehen halten solle. Pyrrhus war voll Erwartung, wie sie sich dabei benehmen würde.

Nach einigen Tagen, als Nikostratus ein großes Gastmahl gab und, wie er oft zu tun pflegte, einige Edelleute bewirtete, trat Lydia nach aufgehobener Tafel in einem grünen Samtkleide und völlig geschmückt, in den Speisesaal, ging nach der Stange, auf der der Lieblingsfalke ihres Gemahls saß, nahm ihn in Gegenwart der Gäste und des Pyrrhus herunter, als wollte sie ihn zur Jagd auf die Hand setzen, ergriff ihn bei den Fängen, schlug ihm den Kopf an die Mauer und tötete ihn.

»Wehe, Weib, was hast du getan!« fuhr Nikostratus sie an.

Sie antwortete ihm nicht, sondern wandte sich an die Herren, die bei ihm zu Gast waren und sagte: »Meine Herren ich würde mich nicht scheuen, mich an einem Könige zu rächen, der mich beleidigt hätte; wieviel mehr denn an einem Falken? Ihr müßt wissen, daß dieser Falke mich schon längst um all die Zeit gebracht hat, die ein Ehemann billig dem Vergnügen seiner Frau widmen sollte. Denn sowie die Morgenröte aufgeht, steht Nikostratus auf, steigt zu Pferde und durchstreift mit seinem Falken auf der Hand die Fluren, um ihn stoßen zu sehen, indes ich einsam, allein und mißmutig im Bett zurückbleiben muß. Ich habe deswegen schon mehr als einmal Lust gehabt, zu tun, was ich jetzt tat, und ich habe es bisher nur deswegen unterlassen, weil ich wünschte, daß es in Gegenwart solcher Männer geschehen sollte, wie ihr seid, die über mein Verfahren ein gerechtes Urteil fällen können.«

Die Edelleute, die dies anhörten und nichts anderes glaubten, als daß ihre Zärtlichkeit für ihren Gemahl mit ihren Worten übereinstimmte, sagten lachend zu dem erzürnten Nikostratus: »Wahrlich, Eure Gemahlin hat recht und hat wohlgetan, ihr erlittenes Unrecht durch den Tod des Falken zu rächen.« Nachdem Lydia sich wieder in ihre Zimmer begeben hatte, scherzten die Männer noch mit ihrem Gemahl über den Vorfall und verwandelten seinen ganzen Zorn in Lachen. Pyrrhus, der alles mit angesehen hatte, dachte: Der Anfang ist gut und scheint für meine Liebe von guter Vorbedeutung zu sein. Wollten die Götter, daß sie so fortfahre.

Nachdem Lydia den Falken getötet hatte, waren kaum einige Tage verflossen, so fing sie in ihrem Zimmer mit ihrem Gemahl, der mit ihr scherzte, einen kleinen verliebten Zwist an, wobei er sie im Scherz ein wenig bei den Haaren zupfte und ihr dadurch Anlaß gab, ihr zweites Versprechen zu erfüllen. Sie faßte nämlich ihren Herrn Gemahl zur Vergeltung beim Bart und rupfte ihm ein Zipfelchen Haar glatt aus der Haut, und als Nikostratus zürnen wollte, sagte sie lachend zu ihm: »Warum machst du solch ein saures Gesicht, daß ich dir ein halbes Dutzend Haare aus dem Bart rupfe? Es hat dir gewiß nicht halb so wehgetan als mir, wie du mich eben bei den Haaren zogest.« Indem sie nun noch eine Weile miteinander tändelten, fand sie Gelegenheit, das Zipfelchen Barthaar zu sich zu stecken, und sandte es noch am gleichen Tage ihrem teuern Geliebten. Die dritte Bedingung machte ihrem Scharfsinn mehr zu schaffen; doch da sie vielen Witz besaß, den die Liebe noch mehr geschärft hatte, so fand sie bald ein Mittel, auch diese zu erfüllen.

Nikostratus hatte zwei junge Edelknaben in seinem Dienst, die ihm von ihren Eltern anvertraut waren, um in seinem Hause adlige Sitten zu lernen; der eine diente ihm bei Tisch als Vorleger und der andere als Mundschenk. Diese ließ Lydia zu sich rufen und redete ihnen ein, daß sie aus dem Munde röchen. Sie sollten deswegen, wenn sie ihrem Herrn bei Tisch aufwarteten, das Gesicht so viel wie möglich von ihm abwenden und sich übrigens gegen niemand etwas davon merken lassen. Nachdem die Knaben, die ihr glaubten, dieses ein paar Tage befolgt hatten, nahm sie Gelegenheit, ihren Gemahl zu fragen, ob er das Betragen der Knaben wohl bemerkt hätte.

»Jawohl,« sprach Nikostratus, »und ich habe sie schon fragen wollen, was sie damit meinen.«

»Tue es nicht,« sprach Lydia, »denn ich kann es dir selbst erklären. Ich habe bisher davon geschwiegen, weil ich dich nicht kränken wollte. Weil ich aber jetzt finde, daß es andere schon gemerkt haben, so lohnt es sich nicht, es dir länger zu verhehlen. Es ist nichts anderes, als daß du gewaltig aus dem Munde riechst, und ich weiß selbst nicht, woher es kommt, da es sonst nicht zu sein pflegte. Da du aber viel mit angesehenen Leuten umgehst, so ist es eine unangenehme Sache, und man müßte suchen, ihr abzuhelfen.«

»Woher könnte das kommen«, sprach Nikostratus. »Sollte ich etwa einen faulen Zahn im Munde haben?«

»Das ist möglich«, versetzte Lydia und führte ihn ans Fenster, ließ ihn den Mund auftun und sagte, als sie erst die eine, dann die andere Seite besichtigt hatte: »Ist es möglich, Nikostratus, daß du es solange hast aushalten können? Da hast du einen Zahn, der nicht nur angegangen, sondern schon ganz hohl ist. Wahrlich, wenn du ihn noch länger im Munde behältst, so läufst du Gefahr, daß er die andern daneben mit ansteckt. Ich rate dir, ihn ausziehen zu lassen, ehe das Übel weiter um sich greift.«

»Wenn du es meinst, so habe ich nichts dagegen«, sprach Nikostratus. »Schicke nur gleich nach einem Arzt, der ihn mir ausziehe.«

»Gott bewahre,« versetzte sie, »daß man deswegen gleich zum Arzt schicken sollte! Mich deucht, er sitzt so, daß ich selbst ihn dir ohne Schwierigkeit ausziehen kann. Die Zahnbrecher gehen überdies so rauh bei solchen Gelegenheiten zu Werk, daß ich es nicht über mein Herz bringen könnte, dich unter ihren Händen zu sehen oder zu wissen; darum will ich es lieber selbst tun. Denn wenn ich finde, daß es dich zu sehr schmerzt, so kann ich innehalten, und das würde der Arzt nicht tun.«

Sie schickte augenblicklich nach den nötigen Werkzeugen und ließ jedermann außer Lusca aus dem Zimmer gehen. Nikostratus ward auf eine Ruhebank gelegt, Lusca mußte ihn halten, und Lydia setzte ihm die Zange an einen der Zähne, brach ihn, so laut er auch schrie, mit Gewalt heraus und verbarg ihn, indem sie ihm einen alten, faulen Zahn, den sie bei der Hand hatte, in der Heftigkeit seines Schmerzes geschickt für den ausgezogenen unterschob und zu ihm sagte: »Sieh nur, was du so lange im Munde behalten hast.«

Nikostratus glaubte ihr, und soviel er auch ausgestanden hatte und noch fortwährend jammerte, so hielt er sich doch für genesen, als der Zahn heraus war; man gab ihm einige schmerzstillende Mittel, und er ging, als der Schmerz nachgelassen hatte, aus dem Zimmer. Sobald er fort war, sandte Lydia den Zahn ihrem Geliebten, der nunmehr nicht länger an ihrer Liebe zweifelte, sondern erklärte, daß er zu allen ihren Befehlen bereit wäre.

Der Dame dünkte in ihrer Sehnsucht nach Vereinigung mit dem Geliebten jede Stunde wie tausend. Dennoch hatte sie sich vorgenommen, ihm noch größere und sicherere Beweise ihrer Liebe zu geben, und wollte auch noch ihr letztes, freiwilliges Versprechen erfüllen. Zu diesem Zwecke stellte sie sich krank, und als Nikostratus sie einst des Nachmittags besuchte und nur Pyrrhus allein ihn begleitete, bat sie die beiden, sie zur Erleichterung ein wenig in den Garten zu führen. Nikostratus unterstützte sie demnach an einer Seite, Pyrrhus an der andern, und sie führten sie in den Garten, wo sie sie unter einen schönen Birnbaum auf dem weichen Rasen niedersetzten. Nachdem sie eine kleine Weile gesessen hatte, sagte Lydia zu Pyrrhus, dem sie ihre Absicht bereits entdeckt hatte: »Pyrrhus, mich verlangt sehr nach den Birnen dieses Baumes; steige doch hinauf und wirf uns einige herab.«

Pyrrhus stieg den Augenblick hinauf und warf einige Birnen hinunter. Plötzlich rief er aus:

»Ei. Herr, was beginnt Ihr da? Und Ihr, Lydia, wie könnt Ihr Euch zu dergleichen in meiner Gegenwart bequemen? Meint Ihr denn, daß ich blind bin? Ihr waret ja diesen Augenblick noch so krank; wie seid Ihr denn so schnell gesund geworden, daß Ihr solche Dinge treibt? Und wenn Ihr sie schon treiben wollt, so fehlt es Euch nicht an Zimmern; warum geht Ihr nicht lieber ins Haus, wo Ihr Euch mit mehr Schicklichkeit ergötzen könnt, als hier in meiner Gegenwart.«

»Was schwatzt Pyrrhus?« fragte Lydia ihren Gemahl. »Ist er verrückt?«

»Nein, verrückt bin ich nicht«, sprach Pyrrhus. »Aber Ihr meint wohl, daß ich nicht sehen kann.«

Nikostratus war ganz erstaunt und sagte: »Wahrlich, Pyrrhus, ich glaube, du träumst.«

»Wahrlich, ich träume nicht,« antwortete Pyrrhus, »und Ihr träumt auch nicht; Ihr regt und bewegt Euch wacker hin und her, und wenn sich dieser Birnbaum so rasch bewegte wie Ihr, so bliebe keine Birne daran sitzen.«

»Was kann das sein?« fragte Lydia. »Sollte er wirklich sowas zu sehen glauben, wie er sagt? Bei den Göttern, wenn ich so gesund wäre wie sonst, so stiege ich selbst hinauf um zu sehen, was für wunderliche Dinge ihm dort oben erscheinen.«

Pyrrhus auf seinem Baume blieb indessen bei seinen Reden, bis ihm endlich Nikostratus befahl herunterzusteigen und ihn fragte, was er denn eigentlich behaupte, gesehen zu haben.

Pyrrhus antwortete: »Ihr müßt mich wohl beide für einen Narren halten oder für einen, der aus dem Traum redet. Wenn Ihr es denn durchaus hören wollt: ich sah Euch auf Eurer Frau, und indem ich von dem Baume stieg, standet Ihr wieder auf und setztet Euch dahin, wo Ihr jetzt sitzet.«

»Wahrhaftig, du bist nicht gescheit«, sprach Nikostratus. »Wir beide haben uns nicht von der Stelle gerührt, seitdem du auf den Baum gestiegen bist.«

»Was hilft es, darüber zu streiten«, sprach Pyrrhus. »Genug, ich habe Euch gesehn, und habe ich Euch gesehn, so habe ich Euch auf Eurem eigenen Grund und Boden gesehn.«

Nikostratus erstaunte immer mehr und sagte endlich: »Ich will doch sehen, ob der Baum wirklich verzaubert ist, daß man Wunderdinge sieht, wenn man darin sitzt.« Damit kletterte er hinauf, und als er in dem Wipfel saß, begannen Pyrrhus und die Frau sich miteinander zu vergnügen. Als Nikostratus es gewahr ward, schrie er: »Ha, du treuloses Weib, was tust du? Und du, Pyrrhus, dem ich mein ganzes Vertrauen geschenkt habe?« Mit diesen Worten fing, er an, wieder vom Baume herunterzusteigen. Lydia und Pyrrhus antworteten: »Wir sitzen hier ganz still«, und indem sie ihn heruntersteigen sahen, setzten sie sich wieder an dieselbe Stelle, wo er sie verlassen hatte. Doch kaum hatte er den Fuß wieder auf der Erde, so fing er an, ihnen die ärgsten Scheltworte zu sagen. Pyrrhus sagte ganz kaltblütig: »Jetzt glaube ich wirklich, Herr, Ihr hattet vorhin recht, als Ihr sagtet, ich hätte nicht richtig gesehen, als ich im Birnbaum saß; denn ich sehe nun und bin überzeugt, daß es Euch ebenso gegangen ist wie mir. Daran könnt Ihr selbst nicht zweifeln, wenn Ihr nur bedenkt, daß Eure Gemahlin, die klügste und keuscheste der Frauen, wenn sie je imstande wäre, Euch eine solche Beleidigung zuzufügen, es gewiß nicht vor Euren Augen tun würde. Von mir selbst will ich gar nicht reden, denn ehe ich mir nur einen solchen Gedanken erlaubte, ließ ich mich lieber vierteilen; wieviel weniger würde ich es in Eurer Gegenwart tun. Darum muß wohl gewiß diese verwünschte Gesichtstäuschung an dem Birnbaum liegen, denn ich hätte mir's von aller Welt nicht ausreden lassen, daß Ihr hier vor meinen Augen Eurer Gattin fleischlich beigewohnt hättet, wenn Ihr mir nicht sagtet, es hätte Euch geschienen, daß ich dasselbe getan hätte. Ich spreche aber die lautere Wahrheit, wenn ich sage, daß ich nicht im Traum daran gedacht habe, und noch viel weniger imstande wäre, es zu tun.«

Lydia, die sich sehr entrüstet stellte, sprang auf und sagte: »Daß dich der Himmel strafe, wenn du mich für so einfältig hältst, dergleichen Unanständigkeiten, wie du behauptest, gesehen zu haben, auch noch vor deinen Augen zu begehen! Sei versichert, wenn die Begierde mich anwandelte, ich käme nicht hierher, sondern würde wissen, im Hause Ort und Gelegenheit dazu dergestalt zu wählen, daß es mich wundern sollte, wenn du je dahinterkämst.«

Nikostratus selbst schien es einzuleuchten, daß es wohl so sein müsse, wie sie beide sagten, und daß sie sich schwerlich in seiner Gegenwart einer solchen Ungebührlichkeit schuldig machen würden. Er ließ demnach von seinen Vorwürfen und beleidigenden Reden ab und fing an, über das Wunderbare des Vorfalls zu sprechen und über die sonderbare Verblendung derjenigen, die den Birnbaum bestiegen. Lydia aber, die sich noch immer darüber erzürnt stellte, daß Nikostratus eine solche Meinung von ihr geäußert hätte, sagte: »Wahrlich, dieser Birnbaum soll, was an mir liegt, nimmermehr weder mich noch ein anderes rechtliches Weib wieder in Schande bringen. Geh, Pyrrhus, hole eine Axt und räche dich und mich an ihm, indem du ihn abhauest; wiewohl Nikostratus selbst damit einen Streich auf den Kopf verdiente, weil er sich unbedachtsamerweise die Augen des Verstandes so plötzlich verblenden ließ. Denn was ihm auch seine leiblichen Augen vorspiegelten, das hätte er doch nimmermehr glauben oder als wahr annehmen sollen.« Pyrrhus lief geschwind nach einer Axt und hieb den Baum um. Als er fiel, sprach Lydia zu ihrem Gemahl: »Jetzt, da dieser Feind meiner Ehre hingestreckt ist, entsage ich meinem Zorn.« Sie gewährte ihrem Gemahl die Verzeihung, um die er sie bat, und warnte ihn, die, die ihn über alles liebte, wieder mit solchen Dingen zu verdächtigen. Der arme betrogene Nikostratus begleitete sie nebst ihrem Liebhaber wieder nach dem Palaste, wo Pyrrhus und Lydia sich hernach oft in größerer Bequemlichkeit miteinander ergötzten.

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