Der Mensch ist ein eingeschränktes Wesen. Zunächst ist er ein Wesen unter anderen Wesen. Sein Dasein gehört dem Raum und der Zeit an. Dadurch kann ihm auch immer nur ein beschränkter Teil des gesamten Universums gegeben sein. Dieser beschränkte Teil schließt sich aber ringsherum sowohl zeitlich wie räumlich an anderes an. Wäre unser Dasein so mit den Dingen verknüpft, daß jedes Weltgeschehen zugleich unser Geschehen wäre, dann gäbe es den Unterschied zwischen uns und den Dingen nicht. Dann aber gäbe es für uns auch keine Einzeldinge. Da ginge alles Geschehen kontinuierlich ineinander über. Der Kosmos wäre eine Einheit und eine in sich beschlossene Ganzheit. Der Strom des Geschehens hätte nirgends eine Unterbrechung. Wegen unserer Beschränkung erscheint uns als Einzelheit, was in Wahrheit nicht Einzelheit ist. Nirgends ist zum Beispiel die Einzelqualität des Rot abgesondert für sich vorhanden. Sie ist allseitig von anderen Qualitäten umgeben, zu denen sie gehört, und ohne die sie nicht bestehen könnte. Für uns aber ist es eine Notwendigkeit, gewisse Ausschnitte aus der Welt herauszuheben, und sie für sich zu betrachten. Unser Auge kann nur einzelne Farben nacheinander aus einem vielgliedrigen Farbenganzen, unser Verstand nur einzelne Begriffe aus einem zusammenhängenden Begriffssysteme erfassen. Diese Absonderung ist ein subjektiver Akt, bedingt durch den Umstand, daß wir nicht identisch sind mit dem Weltprozeß, sondern ein Wesen unter anderen Wesen.

Es kommt nun alles darauf an, die Stellung des Wesens, das wir selbst sind, zu den anderen Wesen zu bestimmen. Diese Bestimmung muß unterschieden werden von dem bloßen Bewußtwerden unseres Selbst. Das letztere beruht auf dem Wahrnehmen wie das Bewußtwerden jedes anderen Dinges. Die Selbstwahrnehmung zeigt mir eine Summe von Eigenschaften, die ich ebenso zu dem Ganzen meiner Persönlichkeit zusammenfasse, wie ich die Eigenschaften: gelb, metallglänzend, hart usw. zu der Einheit «Gold» zusammenfasse. Die Selbstwahrnehmung führt mich nicht aus dem Bereiche dessen hinaus, was zu mir gehört. Dieses Selbstwahrnehmen ist zu unterscheiden von dem denkenden Selbstbestimmen. Wie ich eine einzelne Wahrnehmung der Außenwelt durch das Denken eingliedere in den Zusammenhang der Welt, so gliedere ich die an mir selbst gemachten Wahrnehmungen in den Weltprozeß durch das Denken ein. Mein Selbstwahrnehmen schließt mich innerhalb bestimmter Grenzen ein; mein Denken hat nichts zu tun mit diesen Grenzen. In diesem Sinne bin ich ein Doppelwesen. Ich bin eingeschlossen in das Gebiet, das ich als das meiner Persönlichkeit wahrnehme, aber ich bin Träger einer Tätigkeit, die von einer höheren Sphäre aus mein begrenztes Dasein bestimmt. Unser Denken ist nicht individuell wie unser Empfinden und Fühlen. Es ist universell. Es erhält ein individuelles Gepräge in jedem einzelnen Menschen nur dadurch, daß es auf sein individuelles Fühlen und Empfinden bezogen ist. Durch diese besonderen Färbungen des universellen Denkens unterscheiden sich die einzelnen Menschen voneinander. Ein Dreieck hat nur einen einzigen Begriff. Für den Inhalt dieses Begriffes ist es gleichgültig, ob ihn der menschliche Bewußtseinsträger A oder B faßt. Er wird aber von jedem der zwei Bewußtseinsträger in individueller Weise erfaßt werden.

Diesem Gedanken steht ein schwer zu überwindendes Vorurteil der Menschen gegenüber. Die Befangenheit kommt nicht bis zu der Einsicht, daß der Begriff des Dreieckes, den mein Kopf erfaßt, derselbe ist, wie der durch den Kopf meines Nebenmenschen ergriffene. Der naive Mensch hält sich für den Bildner seiner Begriffe. Er glaubt deshalb, jede Person habe ihre eigenen Begriffe. Es ist eine Grundforderung des philosophischen Denkens, dieses Vorurteil zu überwinden. Der eine einheitliche Begriff des Dreiecks wird nicht dadurch zu einer Vielheit, daß er von vielen gedacht wird. Denn das Denken der Vielen selbst ist eine Einheit.

In dem Denken haben wir das Element gegeben, das unsere besondere Individualität mit dem Kosmos zu einem Ganzen zusammenschließt. Indem wir empfinden und fühlen (auch wahrnehmen), sind wir einzelne, indem wir denken, sind wir das all-eine Wesen, das alles durchdringt. Dies ist der tiefere Grund unserer Doppelnatur: Wir sehen in uns eine schlechthin absolute Kraft zum Dasein kommen, eine Kraft, die universell ist, aber wir lernen sie nicht bei ihrem Ausströmen aus dem Zentrum der Welt kennen, sondern in einem Punkte der Peripherie. Wäre das erstere der Fall, dann wüßten wir in dem Augenblicke, in dem wir zum Bewußtsein kommen, das ganze Welträtsel. Da wir aber in einem Punkte der Peripherie stehen und unser eigenes Dasein in bestimmte Grenzen eingeschlossen finden, müssen wir das außerhalb unseres eigenen Wesens gelegene Gebiet mit Hilfe des aus dem allgemeinen Weltensein in uns hereinragenden Denkens kennen lernen.

Dadurch, daß das Denken in uns übergreift über unser Sondersein und auf das allgemeine Weltensein sich bezieht, entsteht in uns der Trieb der Erkenntnis. Wesen ohne Denken haben diesen Trieb nicht. Wenn sich ihnen andere Dinge gegenüberstellen, so sind dadurch keine Fragen gegeben.

Diese anderen Dinge bleiben solchen Wesen äußerlich. Bei denkenden Wesen stößt dem Außendinge gegenüber der Begriff auf. Er ist dasjenige, was wir von dem Dinge nicht von außen, sondern von innen empfangen. Den Ausgleich, die Vereinigung der beiden Elemente, des inneren und des äußeren, soll die Erkenntnis liefern.

Die Wahrnehmung ist also nichts Fertiges, Abgeschlossenes, sondern die eine Seite der totalen Wirklichkeit. Die andere Seite ist der Begriff. Der Erkenntnisakt ist die Syn these von Wahrnehmung und Begriff. Wahrnehmung und Begriff eines Dinges machen aber erst das ganze Ding aus.

Die vorangehenden Ausführungen liefern den Beweis, daß es ein Unding ist, etwas anderes Gemeinsames in den Einzelwesen der Welt zu suchen, als den ideellen Inhalt, den uns das Denken darbietet. Alle Versuche müssen scheitern, die nach einer anderen Welteinheit streben als nach diesem in sich zusammenhängenden ideellen Inhalt, welchen wir uns durch denkende Betrachtung unserer Wahrnehmungen erwerben. Nicht ein menschlich-persönlicher Gott, nicht Kraft oder Stoff, noch der ideenlose Wille (Schopenhauers)

können uns als eine universelle Welteinheit gelten. Diese Wesenheiten gehören sämtlich nur einem beschränkten Gebiet unserer Beobachtung an. Menschlich begrenzte Persönlichkeit nehmen wir nur an uns, Kraft und Stoff an den Außendingen wahr. Was den Willen betrifft, so kann er nur als die Tätigkeitsäußerung unserer beschränkten Persönlichkeit gelten. Schopenhauer will es vermeiden, das «abstrakte» Denken zum Träger der Welteinheit zu machen und sucht statt dessen etwas, das sich ihm unmittelbar als ein Reales darbietet. Dieser Philosoph glaubt, daß wir der Welt nimmermehr beikommen, wenn wir sie als Außenwelt ansehen.

«In der Tat würde die nachgeforschte Bedeutung der mir lediglich als meine Vorstellung gegenüberstehenden Welt, oder der Übergang von ihr, als bloßer Vorstellung des erkennenden Subjekts, zu dem, was sie noch außerdem sein mag, nimmermehr zu finden sein, wenn der Forscher selbst nichts weiter als das rein erkennende Subjekt (geflügelter Engelskopf ohne Leib) wäre. Nun aber wurzelt er selbst in jener Welt, findet sich nämlich in ihr als Individuum, das heißt sein Erkennen, welches der bedingende Träger der ganzen Welt als Vorstellung ist, ist dennoch durchaus vermittelt durch einen Leib, dessen Affektionen, wie gezeigt, dem Verstande der Ausgangspunkt der Anschauung jener Welt sind. Dieser Leib ist dem rein erkennenden Subjekt als solchem eine Vorstellung wie jede andere, ein Objekt unter Objekten: die Bewegungen, die Aktionen desselben sind ihm insoweit nicht anders als wie die Veränderungen aller anderen anschaulichen Objekte bekannt, und wären ihm ebenso fremd und unverständlich, wenn die Bedeutung derselben ihm nicht etwa auf eine ganz andere Art enträtselt wäre.... Dem Subjekt des Erkennens, welches durch seine Identität mit dem Leibe als Individuum auftritt, ist dieser Leib auf zwei ganz verschiedene Weisen gegeben: einmal als Vorstellung in verständiger Anschauung, als Objekt unter Objekten, und dem Gesetzen dieser unterworfen; sodann aber auch zugleich auf eine ganz andere Weise, nämlich als jenes jedem unmittelbar Bekannte, welches das Wort Wille bezeichnet. Jeder wahre Akt seines Willens ist sofort und unausbleiblich auch eine Bewegung seines Leibes: er kann den Akt nicht wirklich wollen, ohne zugleich wahrzunehmen, daß er als Bewegung des Leibes erscheint. Der Willensakt und die Aktion des Leibes sind nicht zwei objektiv erkannte verschiedene Zustände, die das Band der Kausalität verknüpft, stehen nicht im Verhältnis der Ursache und Wirkung; sondern sie sind eines und dasselbe, nur auf zwei gänzlich verschiedene Weisen gegeben: einmal ganz unmittelbar und einmal in der Anschauung für den Verstand.» Durch diese Auseinandersetzungen glaubt sich Schopenhauer berechtigt, in dem Leibe des Menschen die «Objektität» des Willens zu finden. Er ist der Meinung, in den Aktionen des Leibes unmittelbar eine Realität, das Ding an sich in concreto zu fühlen. Gegen diese Ausführungen muß eingewendet werden, daß uns die Aktionen unseres Leibes nur durch Selbstwahrnehmungen zum Bewußtsein kommen und als solche nichts voraus haben vor anderen Wahrnehmungen. Wenn wir ihre Wesenheit erkennen wollen, so können wir dies nur durch denkende Betrachtung, das heißt durch Eingliederung derselben in das ideelle System unserer Begriffe und Ideen.

Am tiefsten eingewurzelt in das naive Menschheitsbewußtsein ist die Meinung: das Denken sei abstrakt, ohne allen konkreten Inhalt. Es könne höchstens ein «ideelles» Gegenbild der Welteinheit liefern, nicht etwa diese selbst. Wer so urteilt, hat sich niemals klar gemacht, was die Wahrnehmung ohne den Begriff ist. Sehen wir uns nur diese Welt der Wahrnehmung an: als ein bloßes Nebeneinander im Raum und Nacheinander in der Zeit, ein Aggregat zusammenhangloser Einzelheiten erscheint sie. Keines der Dinge, die da auftreten und abgehen auf der Wahrnehmungsbühne, hat mit dem andern unmittelbar etwas zu tun, was sich wahrnehmen läßt. Die Welt ist da eine Mannigfaltigkeit von gleichwertigen Gegenständen. Keiner spielt eine größere Rolle als der andere im Getriebe der Welt. Soll uns klar werden, daß diese oder jene Tatsache größere Bedeutung hat als die andere, so müssen wir unser Denken befragen. Ohne das funktionierende Denken erscheint uns das rudimentäre Organ des Tieres, das ohne Bedeutung für dessen Leben ist, gleichwertig mit dem wichtigsten Körpergliede. Die einzelnen Tatsachen treten in ihrer Bedeutung in sich und für die übrigen Teile der Welt erst hervor, wenn das Denken seine Fäden zieht von Wesen zu Wesen. Diese Tätigkeit des Denkens ist eine inhaltvolle. Denn nur durch einen ganz bestimmten konkreten Inhalt kann ich wissen, warum die Schnecke auf einer niedrigeren Organisationsstufe steht als der Löwe. Der bloße Anblick, die Wahrnehmung gibt mir keinen Inhalt, der mich über die Vollkommenheit der Organisation belehren könnte.

Diesen Inhalt bringt das Denken der Wahrnehmung aus der Begriffs, und Ideenwelt des Menschen entgegen. Im Gegensatz zum Wahrnehmungsinhalte, der uns von außen gegeben ist, erscheint der Gedankeninhalt im Innern. Die Form, in der er zunächst auftritt, wollen wir als Intuition bezeichnen. Sie ist für das Denken, was die Beobachtung für die Wahrnehmung ist. Intuition und Beobachtung sind die Quellen unserer Erkenntnis. Wir stehen einem beobachteten Dinge der Welt so lange fremd gegenüber, so lange wir in unserem Innern nicht die entsprechende Intuition haben, die uns das in der Wahrnehmung fehlende Stück der Wirklichkeit ergänzt. Wer nicht die Fähigkeit hat, die den Dingen entsprechenden Intuitionen zu finden, dem bleibt die volle Wirklichkeit verschlossen. Wie der Farbenblinde nur Helligkeitsunterschiede ohne Farbenqualitäten sieht, so kann der Intuitionslose nur unzusammenhängende Wahrnehmungsfragmente beobachten.

Ein Ding erklären, verständlich machen heißt nichts anderes, als es in den Zusammenhang hinein versetzen, aus dem es durch die oben geschilderte Einrichtung unserer Organisation herausgerissen ist. Ein von dem Weltganzen abgetrenntes Ding gibt es nicht. Alle Sonderung hat bloß subjektive Geltung für unsere Organisation. Für uns legt sich das Weltganze auseinander in: oben und unten, vor und nach, Ursache und Wirkung, Gegenstand und Vorstellung, Stoff und Kraft, Objekt und Subjekt usw. Was uns in der Beobachtung an Einzelheiten gegenübertritt, das verbindet sich durch die zusammenhängende, einheitliche Welt unserer Intuitionen Glied für Glied; und wir fügen durch das Denken alles wieder in eins zusammen, was wir durch das Wahrnehmen getrennt haben.

Die Rätselhaftigkeit eines Gegenstandes liegt in seinem Sonderdasein. Diese ist aber von uns hervorgerufen und kann, innerhalb der Begriffswelt, auch wieder aufgehoben werden.

Außer durch Denken und Wahrnehmen ist uns direkt nichts gegeben. Es entsteht nun die Frage: wie steht es gemäß unseren Ausführungen mit der Bedeutung der Wahrnehmung? Wir haben zwar erkannt, daß der Beweis, den der kritische Idealismus für die subjektive Natur der Wahrnehmungen vorbringt, in sich zerfällt; aber mit der Einsicht in die Unrichtigkeit des Beweises ist noch nicht ausgemacht, daß die Sache selbst auf einem Irrtume beruht. Der kritische Idealismus geht in seiner Beweisführung nicht von der absoluten Natur des Denkens aus, sondern stützt sich darauf, daß der naive Realismus, konsequent verfolgt, sich selbst aufhebe. Wie stellt sich die Sache, wenn die Absolutheit des Denkens erkannt ist?

Nehmen wir an, es trete eine bestimmte Wahrnehmung, zum Beispiel Rot, in meinem Bewußtsein auf. Die Wahrnehmung erweist sich bei fortgehender Betrachtung in Zusammenhang stehend mit anderen Wahrnehmungen, zum Beispiel einer bestimmten Figur, mit gewissen Temperatur- und Tastwahrnehmungen. Diesen Zusammenhang bezeichne ich als einen Gegenstand der Sinnenwelt. Ich kann mich nun fragen: was findet sich außer dem angeführten noch in jenem Raumausschnitte, in dem mir obige Wahrnehmungen erscheinen. Ich werde mechanische, chemische und andere Vorgänge innerhalb des Raumteiles finden. Nun gehe ich weiter und untersuche die Vorgänge, die ich auf dem Wege von dem Gegenstande zu meinem Sinnesorgane finde. Ich kann Bewegungsvorgänge in einem elastischen Mittel finden, die ihrer Wesenheit nach nicht das geringste mit den ursprünglichen Wahrnehmungen gemein haben. Das gleiche Resultat erhalte ich, wenn ich die weitere Vermittelung vom Sinnesorgane zum Gehirn untersuche. Auf jedem dieser Gebiete mache ich neue Wahrnehmungen; aber was als bindendes Mittel sich durch alle diese räumlich und zeitlich auseinanderliegenden Wahrnehmungen hindurchwebt, das ist das Denken. Die den Schall vermittelnden Schwingungen der Luft sind mir gerade so als Wahrnehmungen gegeben wie der Schall selbst. Nur das Denken gliedert alle diese Wahrnehmungen aneinander und zeigt sie in ihren gegenseitigen Beziehungen. Wir können nicht davon sprechen, daß es außer dem unmittelbar Wahrgenommenen noch anderes gibt, als dasjenige, was durch die ideellen (durch das Denken aufzudeckenden) Zusammenhänge der Wahrnehmungen erkannt wird. Die über das bloß Wahrgenommene hinausgehende Beziehung der Wahrnehmungsobjekte zum Wahrnehmungssubjekte ist also eine bloß ideelle, das heißt nur durch Begriffe ausdrückbare. Nur in dem Falle, wenn ich wahrnehmen könnte, wie das Wahrnehmungsobjekt das Wahrnehmungssubjekt affiziert, oder umgekehrt, wenn ich den Aufbau des Wahrnehmungsgebildes durch das Subjekt beobachten könnte, wäre es möglich, so zu sprechen, wie es die moderne Physiologie und der auf sie gebaute kritische Idealismus tun. Diese Ansicht verwechselt einen ideellen Bezug (des Objekts auf das Subjekt) mit einem Prozeß, von dem nur gesprochen werden könnte, wenn er wahrzunehmen wäre. Der Satz «Keine Farbe ohne farbenempfindendes Auge» kann daher nicht die Bedeutung haben, daß das Auge die Farbe hervorbringt, sondern nur die, daß ein durch das Denken erkennbarer ideeller Zusammenhang besteht zwischen der Wahrnehmung Farbe und der Wahrnehmung Auge. Die empirische Wissenschaft wird festzustellen haben, wie sich die Eigenschaften des Auges und die der Farben zueinander verhalten; durch welche Einrichtungen das Sehorgan die Wahrnehmung der Farben vermittelt usw. Ich kann verfolgen, wie eine Wahrnehmung auf die andere folgt, wie sie räumlich mit andern in Beziehung steht; und dies dann in einen begrifflichen Ausdruck bringen; aber ich kann nicht wahrnehmen, wie eine Wahrnehmung aus dem Unwahrnehmbaren hervorgeht. Alle Bemühungen, zwischen den Wahrnehmungen andere als Gedankenbezüge zu suchen, müssen notwendig scheitern.

Was ist also die Wahrnehmung? Diese Frage ist, im allgemeinen gestellt, absurd. Die Wahrnehmung tritt immer als eine ganz bestimmte, als konkreter Inhalt auf. Dieser Inhalt ist unmittelbar gegeben, und erschöpft sich in dem Gegebenen. Man kann in bezug auf dieses Gegebene nur fragen, was es außerhalb der Wahrnehmung, das ist: für das Denken ist. Die Frage nach dem «Was» einer Wahrnehmung kann also nur auf die begriffliche Intuition gehen, die ihr entspricht. Unter diesem Gesichtspunkte kann die Frage nach der Subjektivität der Wahrnehmung im Sinne des kritischen Idealismus gar nicht aufgeworfen werden. Als subjektiv darf nur bezeichnet werden, was als zum Subjekte gehörig wahrgenommen wird. Das Band zu bilden zwischen Subjektivem und Objektivem kommt keinem im naiven Sinn realen Prozeß, das heißt einem wahrnehmbaren Geschehen zu, sondern allein dem Denken. Es ist also für uns objektiv, was sich für die Wahrnehmung als außerhalb des Wahrnehmungssubjektes gelegen darstellt. Mein Wahrnehmungssubjekt bleibt für mich wahrnehmbar, wenn der Tisch, der soeben vor mir steht, aus dem Kreise meiner Beobachtung verschwunden sein wird. Die Beobachtung des Tisches hat eine, ebenfalls bleibende, Veränderung in mir hervorgerufen. Ich behalte die Fähigkeit zurück, ein Bild des Tisches später wieder zu erzeugen. Diese Fähigkeit der Hervorbringung eines Bildes bleibt mit mir verbunden. Die Psychologie bezeichnet dieses Bild als Erinnerungsvorstellung. Es ist aber dasjenige, was allein mit Recht Vorstellung des Tisches genannt werden kann. Es entspricht dies nämlich der wahrnehmbaren Veränderung meines eigenen Zustandes durch die Anwesenheit des Tisches in meinem Gesichtsfelde. Und zwar bedeutet sie nicht die Veränderung irgendeines hinter dem Wahrnehmungssubjekte stehenden «Ich an sich», sondern die Veränderung des wahrnehmbaren Subjektes selbst. Die Vorstellung ist also eine subjektive Wahrnehmung im Gegensatz zur objektiven Wahrnehmung bei Anwesenheit des Gegenstandes im Wahrnehmungshorizonte. Das Zusammenwerfen jener subjektiven mit dieser objektiven Wahrnehmung führt zu dem Mißverständnisse des Idealismus: die Welt ist meine Vorstellung.

Es wird sich nun zunächst darum handeln, den Begriff der Vorstellung näher zu bestimmen. Was wir bisher über sie vorgebracht haben, ist nicht der Begriff derselben, sondern weist nur den Weg, wo sie im Wahrnehmungsfelde zu finden ist. Der genaue Begriff der Vorstellung wird es uns dann auch möglich machen, einen befriedigenden Aufschluß über das Verhältnis von Vorstellung und Gegenstand zu gewinnen. Dies wird uns dann auch über die Grenze führen, wo das Verhältnis zwischen menschlichem Subjekt und der Welt angehörigem Objekt von dem rein begrifflichen Felde des Erkennens hinabgeführt wird in das konkrete individuelle Leben. Wissen wir erst, was wir von der Welt zu halten haben, dann wird es ein leichtes sein, auch uns danach einzurichten. Wir können erst mit voller Kraft tätig sein, wenn wir das der Welt angehörige Objekt kennen, dem wir unsere Tätigkeit widmen.

Zusatz zur Neuausgabe 1918. Die Anschauung, die hier gekennzeichnet ist, kann als eine solche angesehen werden, zu welcher der Mensch wie naturgemäß zunächst getrieben wird, wenn er beginnt, über sein Verhältnis zur Welt nachzudenken. Er sieht sich da in eine Gedankengestaltung verstrickt, die sich ihm auflöst, indem er sie bildet. Diese Gedankengestaltung ist eine solche, mit deren bloßer theoretischer Widerlegung nicht alles für sie Notwendige getan ist. Man muß sie durchleben, um aus der Einsicht in die Verirrung, in die sie führt, den Ausweg zu finden. Sie muß in einer Auseinandersetzung über das Verhältnis des Menschen zur Welt erscheinen nicht darum, weil man andere widerlegen will, von denen man glaubt, daß sie über dieses Verhältnis eine unrichtige Ansicht haben, sondern weil man kennen muß, in welche Verwirrung sich jedes erste Nachdenken über ein solches Verhältnis bringen kann. Man muß die Einsicht gewinnen, wie man sich selbst in bezug auf dieses erste Nachdenken widerlegt. Von einem solchen Gesichts punkte aus sind die obigen Ausführungen gemeint.

Wer sich eine Anschauung über das Verhältnis des Menschen zur Welt erarbeiten will, wird sich bewußt, daß er mindestens einen Teil dieses Verhältnisses dadurch herstellt, daß er sich über die Weltdinge und Weltvorgänge Vorstellungen macht. Dadurch wird sein Blick von dem, was draußen in der Welt ist, abgezogen und auf seine Innenwelt, auf sein Vorstellungsleben gelenkt. Er beginnt sich zu sagen: ich kann zu keinem Ding und zu keinem Vorgang eine Beziehung haben, wenn nicht in mir eine Vorstellung auftritt. Von dem Bemerken dieses Tatbestandes ist dann nur ein Schritt zu der Meinung: ich erlebe aber doch nur meine Vorstellungen; von einer Welt draußen weiß ich nur, insofern sie Vorstellung in mir ist. Mit dieser Meinung ist der naive Wirklichkeitsstandpunkt verlassen, den der Mensch vor allem Nachsinnen über sein Verhältnis zur Welt einnimmt. Von diesem Standpunkt aus glaubt er, er habe es mit den wirklichen Dingen zu tun. Von diesem Standpunkt drängt die Selbstbesinnung ab. Sie läßt den Menschen gar nicht hinblicken auf eine Wirklichkeit, wie sie das naive Bewußtsein vor sich zu haben meint. Sie läßt ihn bloß auf seine Vorstellungen blicken; diese schieben sich ein zwischen die eigene Wesenheit und eine etwa wirkliche Welt, wie sie der naive Standpunkt glaubt behaupten zu dürfen. Der Mensch kann nicht mehr durch die eingeschobene Vorstellungswelt auf eine solche Wirklichkeit schauen. Er muß annehmen: er sei blind für diese Wirklichkeit. So entsteht der Gedanke von einem für die Erkenntnis unerreichbaren «Ding an sich». – Solange man bei der Betrachtung des Verhältnisses stehenbleibt, in das der Mensch durch sein Vorstellungsleben mit der Welt zu treten scheint, wird man dieser Gedankengestaltung nicht entgehen können. Auf dem naiven Wirklichkeitsstandpunkt kann man nicht bleiben, wenn man sich dem Drang nach Erkenntnis nicht künstlich verschließen will. Daß dieser Drang nach Erkenntnis des Verhältnisses von Mensch und Welt vorhanden ist, zeigt, daß dieser naive Standpunkt verlassen werden muß. Gäbe der naive Standpunkt etwas, was man als Wahrheit anerkennen kann, so könnte man diesen Drang nicht empfinden. – Aber man kommt nun nicht zu etwas anderem, das man als Wahrheit ansehen könnte, wenn man bloß den naiven Standpunkt verläßt, aber – ohne es zu bemerken – die Gedankenart beibehält, die er aufnötigt. Man verfällt in einen solchen Fehler, wenn man sich sagt: ich erlebe nur meine Vorstellungen, und während ich glaube, ich habe es mit Wirklichkeiten zu tun, sind mir nur meine Vorstellungen von Wirklichkeiten bewußt; ich muß deshalb annehmen, daß außerhalb des Umkreises meines Bewußtseins erst wahre Wirklichkeiten, «Dinge an sich» liegen, von denen ich unmittelbar gar nichts weiß, die irgendwie an mich herankommen und mich so beeinflussen, daß in mir meine Vorstellungswelt auflebt. Wer so denkt, der setzt in Gedanken zu der ihm vorliegenden Welt nur eine andere hinzu; aber er müßte bezüglich dieser Welt eigentlich mit seiner Gedankenarbeit wieder von vorne beginnen. Denn das unbekannte «Ding an sich» wird dabei gar nicht anders gedacht in seinem Verhältnisse zur Eigenwesenheit des Menschen als das bekannte des naiven Wirklichkeitsstandpunktes. – Man entgeht der Verwirrung, in die man durch die kritische Besonnenheit in bezug auf diesen Standpunkt gerät, nur, wenn man bemerkt, daß es innerhalb dessen, was man innen in sich und außen in der Welt wahrnehmend erleben kann, etwas gibt, das dem Verhängnis gar nicht verfallen kann, daß sich zwischen Vorgang und betrachtenden Menschen die Vorstellung einschiebt. Und dieses ist das Denken. Dem Denken gegenüber kann der Mensch auf dem naiven Wirklichkeitsstandpunkt verbleiben. Tut er es nicht, so geschieht das nur deshalb, weil er bemerkt hat, daß er für anderes diesen Standpunkt verlassen muß, aber nicht gewahr wird, daß die so gewonnene Einsicht nicht anwendbar auf das Denken ist. Wird er dies gewahr, dann eröffnet er sich den Zugang zu der anderen Einsicht, daß im Denken und durch das Denken dasjenige erkannt werden muß, wofür sich der Mensch blind zu machen scheint, indem er zwischen der Welt und sich das Vorstellungsleben einschieben muß. – Von durch den Verfasser dieses Buches sehr geschätzter Seite ist diesem der Vorwurf gemacht worden, daß er mit seiner Ausführung über das Denken bei einem naiven Realismus des Denkens stehenbleibe, wie ein solcher vorliege, wenn man die wirkliche Welt und die vorgestellte Welt für eines hält. Doch der Verfasser dieser Ausführungen glaubt eben in ihnen erwiesen zu haben, daß die Geltung dieses «naiven Realismus» für das Denken sich aus einer unbefangenen Beobachtung desselben notwendig ergibt; und daß der für anderes nicht geltende naive Realismus durch die Erkenntnis der wahren Wesenheit des Denkens überwunden wird.

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