Erster Anhang zum sechsten Bande

Giovachino Costa

Ueber Casanovas Zusammentreffen mit seinem früheren Kammerdiener Costa, der ihm für Hundertfünfzigtausend Franken Wert an Diamanten und anderen Kostbarkeiten unterschlagen hatte, die ihm von Frau von Urfé mitgegeben worden waren, erzählt Lorenzo da Ponte in seinen Erinnerungen folgendes:

Ich ging von Venedig fort und hörte länger als drei Jahre nichts mehr von Casanova. Endlich traf ich ihn in Wien, wo ich damals wohnte, auf dem Graben. Casanova hielt sich mehrere Jahre in Wien auf; aber was er dort machte, wovon er lebte, das kann kein Mensch sagen. Ich unterhielt mich ziemlich oft mit ihm; mein Haus und meine Börse standen stets zu seiner Verfügung. Wenngleich ich weder seine Grundsätze noch seine Aufführung billigen konnte, so hatte ich ihn doch gerne; ja, ich legte sogar großen Wert auf seine Lehren und Ratschläge, die wirklich nicht mit Gold aufzuwiegen waren; ich habe zwar nur wenig Gebrauch davon gemacht, aber sie hätten mir ganz außerordentlich nützlich sein können.

Als ich eines Tages mit Casanova auf dem Graben spazieren ging, sah ich ihn plötzlich die Stirn runzeln, mit den Zähnen knirschen, die Hände zum Himmel emporheben und sich auf einen Menschen stürzen, den er zu kennen schien. Dabei rief er laut: »Assassino! t'ho colto! – Räuber, hab ich dich endlich!«

Da sich infolge seines seltsamen Benehmens und seines Geschreis eine Menge Leute angesammelt hatten, so näherte ich mich ihm, nicht ohne einige Furcht; endlich faßte ich mir jedoch Mut, ergriff Casanovas Hand und zog ihn fast mit Gewalt aus dem Getümmel heraus. Hierauf erzählte er mir, fast wie ein Besessener tobend, die Geschichte von der alten Dame und sagte mir, der Mensch sei Giovachino Costa, der ihn damals betrogen habe. Dieser Giovachino war durch seinen lasterhaften Lebenswandel so weit heruntergekommen, daß er wieder in Dienst hatte gehen müssen; er war damals Kammerdiener bei einem Wiener großen Herrn (dem Grafen von Hardegg) und machte auch Verse, so gut oder schlecht er es eben konnte. Er war auch einer von denen, die mich mit ihren Epigrammen beehrt hatten, als Joseph II. mich zu seinem

Theaterdichter zu machen geruhte. Er ging in ein Kaffeehaus hinein und schrieb dort, während ich meinen Spaziergang mit Casanova fortsetzte, folgende Verse, die er ihm durch einen kleinen Jungen zuschickte:

Casanova non far strepito,
Tu rubasti, ed anch'io furbai;
Tu maestro, ed io discepolo
L'arte tua bene imparai.
Desti pan, ti io focaccia;
Sara meglio che tu taccia.

Casanova, mach keinen Lärm!
Du hast gestohlen, und auch ich hab betrogen:
Du warst der Meister, ich der Schüler,
Deine Kunst hab ich gut gelernt.
Du gabst mir Brot, ich gab dir Kuchen:
Besser ist's, du schweigst fein still.

Diese Verse hatten eine gute Wirkung; nach einem kurzen Schweigen fing Casanova an zu lachen und sagte mir leise ins Ohr: »Il birbante ha regione – der Schuft hat recht!« Er trat in das Kaffeehaus ein und winkte Costa zu, er möchte herauskommen. Sie gingen miteinander den Graben entlang, wie wenn gar nichts vorgefallen wäre, und trennten sich schließlich, indem sie sich mehrere Male ganz freundschaftlich die Hand schüttelten. Casanova kam wieder zu mir und zeigte mir an seinem Finger einen Ring mit einem Cameo, der durch einen sonderbaren Zufall Merkur, den Schutzgott der Diebe, darstellte. Dieses Kleinod war der letzte Rest von Costas großer Beute; es paßte vorzüglich zum Charakter der beiden wiederversöhnten Freunde.

Zweiter Anhang zum sechsten Bande

Die beiden fehlenden Kapitel

Bekanntlich fehlten im Zwölften Band der edition originale die Kapitel IV und V (in meiner Ausgabe Kap.XX und XXI dieses Bandes). Schon der Herausgeber der éd. orig. sprach die Vermutung aus, daß Casanova selber die beiden Kapitel von dem anderen Manuskript abgetrennt habe, wahrscheinlich um sie zu überarbeiten oder aus einem ähnlichen Grunde. Diese Vermutung hat sich als richtig erwiesen: Die beiden Kapitel befanden sich in Dux bei C.s anderen Papieren, die bekanntlich schon seit Jahrzehnten geordnet sind. Ja, noch mehr: seit zwanzig Jahren befand sich eine Abschrift der beiden Kapitel in Paris in den Händen des Herrn Octave Uzanne! Da dieser seither eine ganze Anzahl Casanoviana von geringerer Bedeutung veröffentlichte, so ist es wirklich verwunderlich, daß er mit der Bekanntgabe dieser bedeutungsvollen Kapitel bis zum Jahre 1906 gezögert hat. Sie sind im August- und Septemberheft der von Uzanne herausgegebenen Zeitschrift L'Ermitage veröffentlicht.

Mit der den Franzosen eigenen Fixigkeit in der Fabrikation und Ergänzung von Memoiren war natürlich die Lücke schon in ziemlich frühen französischen und belgischen Ausgaben der Mémoires ausgefüllt worden. Diese Fälschungen waren auch in einige der schlechten deutschen Ausgaben übergegangen. Selbstverständlich ist es völlig aus der Luft gegriffenes, dummes Zeug.

Warum Casanova diese Kapitel wieder an sich genommen hatte, darüber kann man natürlich nur Vermutungen aufstellen. Vielleicht hatte einer seiner Freunde, die die Mémoires erwiesenermaßen gelesen haben (Fürst de Ligne, Graf Salmour u. a.) ihn darauf aufmerksam gemacht, daß die Geschichte von dem abermaligen Lotteriegewinn auf Nr. 27 denn doch sehr sonderbar erscheint. Daß übrigens ein Werk von einem derartigen Umfang, besonders in den nebensächlichen Geschichten, die gewissermaßen Arabesken sind, eine Menge Dichtung enthält, ist wohl selbstverständlich. Die innere Wahrhaftigkeit des Ganzen wird dadurch nicht im geringsten in Frage gestellt.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich doch einmal besonders darauf hinweisen, daß ein volles Drittel, nämlich die Bände V und VI, meiner Ausgabe für Deutschland sozusagen etwas ganz Neues ist. Buhl, von dem man bisher, ohne eine genauere Vergleichung anzustellen, angenommen hatte, daß ihm die édition originale als Vorlage gedient habe und daß daher seine Ausgabe, abgesehen von einigen geringfügigen Kürzungen, vollständig sei, hat nach der sechsbändigen Rosezschen Ausgabe übersetzt. Daß diese sich als édition originale, la seule complète ausgiebt, muß man wirklich als eine ganz erstaunliche Frechheit bezeichnen. Denn von dem, was die letzten vier Bände meiner Ausgabe bringen, fehlt mindestens ein Drittel, 600 bis 700 Druckseiten (so z. B. die ganze, menschlich doch gewiß äußerst interessante Episode seines Bruders des Abbate, der Venezianerin Marcolina usw.). Und schlimmer noch: in dem, was gebracht wird, ist Casanovas Schilderung oft geradezu auf den Kopf gestellt.

Auch die (vor der éd. orig.) erschienene Bearbeitung des Herrn von Schütz erwies sich mir bei weiterem Vorschreiten meiner Arbeit als ein ganz erbärmliches Machwerk. Entweder hat von Schütz die französische Sprache nur in sehr geringem Maße beherrscht – und dann durfte er eine solche Aufgabe nicht übernehmen – oder er hat bewußt gefälscht.

Es ist nur zu bedauern, daß die Buhlsche wie die Schützsche Ausgabe in Deutschland immerhin noch ziemlich verbreitet sind und sich einer gewissen Wertschätzung erfreuen. Aus ihnen kann man von Casanova unmöglich den richtigen Begriff bekommen.

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