IV.
Meine amtlichen Aeußrungen über die Theilnahme Preußens an den Friedensverhandlungen in Paris (Preußen im Bundestage Theil II, S. 312 – 317, 337 bis 339, 350) werden ergänzt durch folgendes Schreiben an Gerlach.
»Frankfurt, 11. Februar 1856.
Ich hatte immer noch gehofft, daß wir eine festere Stellung annehmen würden, bis man sich entschlösse, uns zu den Conferenzen einzuladen, und daß wir in einer solchen verharren würden, wenn die Einladung garnicht erfolgt. Es war dieß meines Erachtens das einzige Mittel, unsre Zuziehung durchzusetzen. Nach den mir gestern zugegangnen Instructionen wollen wir aber d'emblée auf eine Fassung mit mehr oder weniger Vorbehalt eingehn, die uns und den Bund zur Aufrechterhaltung der Präliminarien verpflichtet. Hat man das erst von uns in Händen, nachdem sogar die Westmächte und Oestreich bisher nur ein ›projet‹ von Präliminarien unterzeichnet haben, warum soll man sich dann noch auf den Conferenzen mit uns bemühn; man wird viel lieber unsre und der übrigen Mittelstaaten am Bunde gegebne Adhäsion in unsrer Abwesenheit nach Bedürfniß und Belieben ausbeuten und benutzen in dem Bewußtsein, daß man nur zu fordern braucht, und wir geben uns. Wir sind zu gut für diese Welt. Es kommt mir nicht zu, die Entschlüsse Sr. Majestät und meines Chefs zu kritisiren, nachdem sie gefaßt sind; (12. Febr.) aber die Kritik vollzieht sich in mir ohne mein Zuthun; ich habe die ersten 24 Stunden nach Empfang jener Chamade schlagenden Instruction unter fortwährenden Anfällen gallichten Erbrechens gelitten, und ein mäßiges Fieber verläßt mich keinen Augenblick. Ich finde nur in der Erinnrung an den Frühling 1848 das Analogon meiner körperlichen und geistigen Stimmung, und je mehr ich mir die Situation klar mache, um so weniger entdecke ich etwas, woran mein Preußisches Ehrgefühl sich aufrichten könnte. Vor acht Tagen schien mir noch alles nied- und nagelfest, und ich selbst bat Manteuffel, Oestreich die Auswahl zwischen zwei für uns annehmbaren Vorschlägen zu lassen, ließ mir aber nicht träumen, daß Graf Buol sie beide verwerfen und uns auf seine eigne Vorlage auch die Antwort vorschreiben werde, die wir zu geben haben. Ich hatte gehofft, daß wir, wie auch schließlich unsre Antwort ausfallen möge, uns doch nicht gefangen geben würden, bevor unsre Zuziehung zu den Conferenzen gesichert wäre. Wie stellt sich aber unsre Lage jetzt heraus? Viermal hat Oestreich in zwei Jahren das Spiel gegen uns durchgeführt, daß es den ganzen Grund, auf dem wir standen, von uns forderte und wir nach einigem Sperren die Hälfte oder so etwas abtraten. Jetzt geht es aber um den letzten Quadratfuß, auf dem noch eine Preußische Aufstellung möglich blieb. Durch seine Erfolge übermüthig gemacht, fordert Oestreich nicht nur, daß wir, die wir uns eine Großmacht nennen und auf dualistische Gleichberechtigung Anspruch machen, ihm diesen letzten Rest von unabhängiger Stellung opfern, sondern schreibt uns auch den Ausdruck vor, in dem wir unsre Abdication unterzeichnen sollen, gebietet uns eine unanständige nach Stunden bemessene Eile und versagt uns jedes Aequivalent, welches ein Pflaster für unsre Wunden abgeben könnte. Nicht einmal ein Amendement in der Erklärung, die Preußen und Deutschland geben sollen, getrauen wir uns entschieden aufzustellen. Pfordten macht die Sache mit Oestreich ab, indem er glaubt, Preußens Einverständniß voraussetzen zu dürfen, und wenn Baiern gesprochen hat, so ist es für Preußen res judicata. Bei ähnlichen Gelegenheiten der letzten beiden Jahre stellten wir, wenigstens von Hause aus, bei den deutschen Höfen ein Preußisches Programm auf, und keiner von ihnen entschied sich, bevor wir uns nicht mit Oestreich verständigt hatten. Jetzt verständigt sich Baiern mit Wien, und wir fügen uns im Rummel mit Darmstadt und Oldenburg. Damit geben wir das Letzte her, was man einstweilen von uns braucht, und hat man den Bundesbeschluß einschließlich des Preußischen Votums erst in der Tasche, so werden wir bald sehn, wie Buol mit achselzuckendem Bedauern von der Unmöglichkeit spricht, den Widerspruch der Westmächte gegen unsre Zulassung zu überwinden. Auf Rußlands Unterstützung können wir dabei, meinem Gefühl nach, nicht rechnen, denn den Russen wird die Verstimmung ganz lieb sein, die bei uns folgen muß, wenn wir den letzten Rest unsrer Politik für ein Entree-Billet zu den Conferenzen hergegeben haben. Außerdem fürchten die Russen sich offenbar mehr vor unsrer »vermittelnden« Unterstützung der gegnerischen Politik, als daß sie irgend einen Beistand von uns auf den Conferenzen erwarteten. Meine Gespräche mit Brunnow und Petersburger Briefe, die ich gesehn, lassen mir darüber, trotz aller diplomatischen Schlauheit des erstern, keinen Zweifel.
Das einzige Mittel, unsre Theilnahme an den Conferenzen durchzusetzen, ist und bleibt die Zurückhaltung unsrer Erklärung über die östreichische Vorlage hier. Was soll man noch mit einem preußischen Quärulanten auf den Conferenzen, wenn man den Bundesbeschluß, und damit uns, erst in der Tasche hat? Oestreich wird ihn schon auszulegen wissen, wenn wir nicht da sind. Aus der östreichischen Regirungspresse und aus dem Verhalten Rechberg's geht klar hervor, daß sie schon jetzt den dürftigen Vorbehalt in dem Oestreichisch-Bairischen Entwurf ausdrücklich auf Artikel V[1] einschränken. Ueber die conditions particulières, welche von den kriegführenden Mächten werden aufgestellt werden, bleibt uns und dem Bunde das freie Urtheil vorbehalten, in Betreff der von Oestreich aufzustellenden aber nicht, und was die Interpretation der 4 Punkte anbelangt, so ist die Annahme, daß darüber Preußen und Deutschland sich im Voraus der Auffassung ihrer sie vertretenden Schutzmacht Oestreich anschließen, dadurch gerechtfertigt, daß unser früher deßhalb begehrter Vorbehalt von Baiern und Oestreich abgelehnt ist, und wir uns dabei beruhigt haben.
Diese ganze Berechnung zerreißen wir, wenn wir hier jetzt ablehnen uns auszusprechen, bis unsrer Ansicht nach die Zeit dazu gekommen sein wird. So lange wir diese Haltung annehmen, bedarf man unser noch und wird um uns werben. Man wird hier auch schwerlich den Versuch machen, uns zu majorisiren; selbst Sachsen und Baiern stehn nur in der ›Voraussetzung‹ unsres Einverständnisses zu dem dermaligen östreichischen Entwurfe; sie haben sich daran gewöhnt, daß wir schließlich nachlassen, und deßhalb erlauben sie sich solche Voraussetzungen. Wenn wir aber den Muth unsrer Meinung haben, wird man es auch der Mühe werth finden, bei Entscheidungen über deutsche Politik die Erklärung Preußens abzuwarten. Wenn wir fest auf Aufschub des Beschlusses verharren und das den deutschen Höfen erklären, so steht uns noch heut eine gute Majorität zur Seite, selbst wenn, was nicht der Fall sein wird, Sachsen und Baiern sich schon mit Kopf und Kragen an Buol verkauft hätten.
Wollen wir es darauf nicht ankommen lassen, so müssen wir uns auch darauf gefaßt machen, daß Sardinien und die Türkei in Paris selbständig über die Wahrung der deutschen Interessen in den beiden vom Bunde angeeigneten Punkten berathen, während wir durch Oestreich dabei vertreten werden. Und wir werden nicht einmal die ersten in dem Schweife Oestreichs sein, denn Graf Buol wird sich bei Erfüllung seines präsumtiven Mandats für Deutschland noch eher bei Pfordten und Beust Rath holen, als bei Manteuffel, den er persönlich haßt, und wenn er Sachsen und Baiern für sich hat, so wird er auf Widerspruch Preußens nach dem Bundesbeschluß noch weniger rechnen als vorher.
Wäre es solchen Eventualitäten nicht bei weitem vorzuziehn, daß wir als europäische Macht direct mit Frankreich und England über unsern Beitritt unterhandelt hätten, als daß wir es wie einer, der nicht sui juris ist, unter Oestreichs Vormundschaft thun und nur noch als Pfeil in Buol's Köcher auf der Conferenz in Rechnung kommen?[2] ...
v. B.«
Der Eindruck, daß wir in den Formen wie in der Sache von Oestreich geringschätzig behandelt wurden, wie er sich in vorstehendem Schreiben ausspricht, und daß wir uns diese geringschätzige Behandlung nicht gefallen lassen dürften, ist nicht ohne Folgen geblieben für die spätre Gestaltung der preußisch-östreichischen Beziehungen.
__________________Anmerkungen: