Siebentes Kapitel.
Unterwegs zwischen Frankfurt und Berlin.
I.
Die Entfremdung, die zwischen dem Minister Manteuffel und mir nach meiner Wiener Mission und infolge der Zuträgerei von Klentze und Andern entstanden war, hatte die Folge, daß der König mich immer häufiger zur »Territion« kommen ließ, wenn der Minister ihm nicht zu Willen sein wollte. Ich habe auf den Reisen zwischen Frankfurt und Berlin über Guntershausen in einem Jahre 2 000 Meilen[1] gemacht, damals stets die neue Cigarre an der vorhergehenden entzündend oder gut schlafend. Der König erforderte nicht nur meine Ansicht über Fragen der deutschen und der auswärtigen Politik, sondern beauftragte mich auch gelegentlich, wenn ihm Entwürfe des Auswärtigen Amts vorlagen, mit der Ausarbeitung von Gegenprojecten. Ich besprach diese Aufträge und meine entsprechenden Redactionen dann mit Manteuffel, der es in der Regel ablehnte, Aenderungen daran vorzunehmen, wenn auch unsre politischen Ansichten auseinander gingen. Er hatte mehr Entgegenkommen für die Westmächte und die östreichischen Wünsche, während ich, ohne russische Politik zu vertreten, keinen Grund sah, unsern langjährigen Frieden mit Rußland für andre als preußische Interessen in Frage zu stellen, und ein etwaiges Eintreten Preußens gegen Rußland für Interessen, die uns fern lagen, als das Ergebniß unsrer Furcht vor den Westmächten und unsres bescheidnen Respects vor England betrachtete. Manteuffel vermied es, durch schärfres Vertreten seiner Auffassung den König noch mehr zu verstimmen oder durch Eintreten für meine angeblich russische Auffassung die Westmächte und Oestreich zu reizen, er effacirte sich lieber. Marquis Moustier kannte diese Stellung, und mein Chef überließ ihm gelegentlich die Aufgabe, mich zur westmächtlichen Politik und zur Vertretung derselben beim Könige zu bekehren. Bei einem Besuche, den ich Moustier machte, riß ihn die Lebhaftigkeit seines Temperaments zu der bedrohlichen Aeußerung hin: »La politique que vous faites, va vous conduire à Iéna.« Worauf ich antwortete: »Pourquoi pas à Leipsic ou à Rosbach?« Moustier war eine so unabhängige Sprache in Berlin nicht gewohnt und wurde stumm und bleich vor Zorn. Nach einigem Schweigen setzte ich hinzu: »Enfin toute nation a perdu et gagné des batailles. Je ne suis pas venu pour faire avec vous un cours d'histoire.« Die Unterhaltung kam nicht wieder in Fluß. Moustier beschwerte sich über mich bei Manteuffel, der die Beschwerde an den König brachte. Dieser aber lobte mich Manteuffel gegenüber, später auch direct, wegen der richtigen Antwort, die ich dem Franzosen gegeben hatte.
Die leistungsfähigen Kräfte der Bethmann-Hollweg'schen Partei, Goltz, Pourtalès, zuweilen Usedom, wurden durch den Prinzen von Preußen auch bei dem Könige zu einer gewissen Geltung gebracht. Es kam vor, daß nothwendige Depeschen nicht von Manteuffel, sondern von dem Grafen Albert Pourtalès entworfen wurden, daß der König mir dessen Entwürfe zur Revision gab, daß ich über die Amendirung wieder mit Manteuffel Fühlung nahm, daß der den Unterstaatssekretär Le Coq zuzog, daß dieser die Fassung aber lediglich von dem Standpunkte französischer Stilistik prüfte und eine Tage lange Verzögerung mit der Anführung rechtfertigte, er habe den genau angemessenen französischen Ausdruck noch nicht gefunden, der zwischen dunkel, unklar, zweifelhaft und bedenklich die richtige Mitte hielte, – als ob es auf solche Lappalien damals angekommen wäre.
II.
Ich suchte mich der Rolle, welche der König mich spielen ließ, in schicklicher Weise zu entziehn und die Verständigung zwischen ihm und Manteuffel nach Möglichkeit anzubahnen; so in den ernsten Zerwürfnissen, welche über Rhino Quehl entstanden. Nachdem durch Wiederherstellung des Bundestags nationale Sonderbestrebungen Preußens einstweilen behindert waren, ging man in Berlin an eine Restauration der innern Zustände, mit welcher der König gezögert hatte, so lange er darauf bedacht war, sich die Liberalen in den übrigen deutschen Staaten nicht zu entfremden. Ueber das Ziel und die Gangart der Restauration zeigte sich aber sofort zwischen dem Minister Manteuffel und der »kleinen aber mächtigen Partei« eine Meinungsverschiedenheit, die sich merkwürdigerweise in einen Streit über Halten oder Fallenlassen einer verhältnißmäßig untergeordneten Persönlichkeit zuspitzte und zu einem scharfen, öffentlichen Ausbruch führte. In demselben Briefe vom 11. Juli 1851, durch welchen er mich von meiner Ernennung zum Bundestagsgesandten benachrichtigte, schrieb Manteuffel:[2]
»Was unsre innern Verhältnisse, namentlich die ständischen Dinge betrifft, so würde die Sache ganz leidlich gehen, wenn man darin mit etwas mehr Maß und Geschick verführe. Westphalen ist in der Sache vortrefflich, ich schätze ihn sehr hoch und wir sind im Wesentlichen einverstanden; die Feder von Klützow scheint mir indeß keine recht glückliche zu sein, und es sind in der Form wohl manche nicht notwendige Verstöße vorgekommen. Weit schlimmer aber noch ist die Attitüde, welche dabei die Kreuzzeitung einnimmt. Nicht allein triumphirt sie in ungeschickter und aufregender Weise, sondern sie will auch zu Extremen drängen, die ihr wahrscheinlich selbst nicht behagen würden. Wenn es z.B. möglich wäre und gelänge, den Vereinigten Landtag mit allen seinen Consequenzen pure wieder herzustellen – und weiter könnte man doch nicht gehen – was wäre damit wohl gewonnen? Ich finde die Position der Regierung viel günstiger, wenn sie, bis eine gründliche organische Umgestaltung als nothwendig sich ergeben hat, die Sache gewisser Maaßen in der Schwebe hält. Ich hoffe und wünsche, daß man dann auch von den Provinzial-Ständen los etwa auf Communal-Stände nach alten historischen Begrenzungen, die auch in der Rhein-Provinz noch nicht verwischt und in allen alten Provinzen noch sehr erkennbar sind, zurückkommen und aus diesen die Landesvertretung hervorgehen lassen wird. Das sind aber Dinge, die man nicht im Sprunge erreichen kann, wenigstens nicht ohne große Stöße, die man doch zu vermeiden Anlaß hat. Die Kreuzzeitung hat mir nun förmlich Fehde ankündigen und als Preis und Zeichen der Submission die Entlassung des v. Quehl fordern lassen, ohne zu bedenken, daß selbst, wenn ich einen fleißigen und aufopfernden Menschen Preis geben wollte, was nicht meine Absicht ist, ich es unter solchen Verhältnissen gar nicht könnte.«
Rhino Quehl war ein Journalist, durch den Manteuffel schon während des Erfurter Parlaments seine Politik in der Presse hatte vertreten lassen, voller Ideen und Anregungen, richtigen und falschen, eine sehr geschickte Feder führend, aber mit einer zu starken Hypothek von Eitelkeit belastet. Die weitre Entwicklung des Conflicts zwischen Manteuffel und Quehl auf der einen, der Kreuzzeitung und der Camarilla auf der andern Seite, und die ganze innre Situation wird aus den nachstehenden brieflichen Aeußrungen von Gerlach ersichtlich:
»Potsdam, 17. Mai 1852.
Wenn Manteuffel den Quehl nicht fortjagt, so kann das kein gutes Ende nehmen. ... Ich halte Manteuffel für einen braven Mann, aber ein sonderbares politisches Leben ist das seinige doch. Er hat die Dezemberverfassung unterzeichnet, sich zur Unionspolitik bekannt, Gemeinde-Ordnung und Ablösungs-Gesetz mit Rücksichtslosigkeit durchgesetzt, den Bonapartismus amnestirt u.s.w. Daß er in diesen Dingen nicht consequent gewesen, gereicht ihm zum Ruhm, aber wenn auch Se. Majestät sagt, die Consequenz sei die elendeste aller Tugenden, so ist die Manteuffel'sche Inconsequenz doch etwas stark. Man spricht gegen die Kammern und gegen den Constitutionalismus. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bis jetzt aber sind alle Regierungen revolutionär gewesen, außer England mit Kammern bis zur Reform und Preußen in geringen Unterbrechungen, 1823 und 1847. Die Kreuzzeitung hat in ihren kleinen Apologien der Kammern in Wahrheit nicht Unrecht, und doch sehnt sich unser Premier nach dem Bonapartismus, der doch ganz gewiß keine Zukunft hat.
Manteuffel sagte übrigens gestern, er wolle Sie herbescheiden; wenn Sie nur noch zur rechten Zeit kommen, um den Kaiser und Graf Nesselrode kennen zu lernen. Wichtiger aber als dies Alles ist, daß Sie Manteuffel von Quehl befreien, denn Manteuffel ist jetzt noch unentbehrlich und mit Quehl nicht zu halten. Es wird diesen nichts kosten zu behaupten, er wisse nichts von diesem Zeitungs-Artikel, ja, daß »die Zeit« ihn nichts anginge, aber da kann man sich nicht damit abfertigen lassen, da Thile (der Redacteur) ebenfalls durch Quehl und durch Manteuffel angestellt ist. Ich fürchte auch die absolutistischen Velleitäten von Manteuffel jun.[3]
19. Mai 1852.
Infolge des Zeitungsartikels, von dem Ihr letztes Schreiben[4] an mich handelt, ist wiederum von mehreren Seiten her in Manteuffel eingeredet worden, um ihn zu bewegen, sich von dem etc. Quehl zu trennen. Ich hatte mich hiebei nicht betheiligt, weil ich schon einmal über diesen Mann mit ihm aneinander gewesen war und wir damals gewissermaßen einen Vertrag geschlossen hatten, dieses Thema nicht zu berühren. Gestern fing jedoch Manteuffel selbst mit mir davon an, vertheidigte Quehl auf das Entschiedenste, erklärte lieber abtreten, als sich von ihm trennen zu wollen, sprach seinen Haß gegen die Kreuzzeitung unverholen aus und machte auch einige bedenkliche Aeußerungen über den Gang des Ministeriums des Innern und über einige uns gleich werthe Persönlichkeiten.[5]
Sans-Souci, 21. Juli 1852.
Soeben erhalte ich Ihren Brief Ofen-Frankfurt vom 25. Juni und 19. Juli,[6] dessen Anfang ebenso interessant ist als sein Ende. Aber von mir verlangen Sie das Unmögliche. Ich soll Ihnen die hiesige Lage der Dinge erklären, die so verwickelt und durch einander ist, daß man sie an Ort und Stelle nicht versteht. Wagener's Auftreten gegen Manteuffel ist nicht zu rechtfertigen, wenn er sich nicht ganz von der Partei isoliren will. Eine Zeitung, wie die Kreuzzeitung, darf nur dann gegen einen Premierminister auftreten, wenn ihre ganze Partei in die Opposition geworfen ist, wie das bei Radowitz der Fall war. ... Ein solches bellum omnium contra omnes kann nicht bleiben. Wagener wird nolens volens müssen mit dem Preußischen Wochenblatt Chorus machen, was ein großes Uebel ist; Hinckeldey und der kleine Manteuffel, sonst entschieden Feinde, alliiren sich über die Kreuzzeitung, wie Herodes und Pilatus über Christum. Das Traurigste ist mir der Minister Manteuffel, der kaum zu halten ist und doch gehalten werden muß, denn seine präsumtiven Nachfolger sind schrecklich. Alles schreit, er soll Quehl entlassen. Ich glaube, damit wird wenig gewonnen sein, Quehl's etwaiger Nachfolger Fr. ist vielleicht noch schlimmer. Wenn Manteuffel sich nicht zu Allianzen mit honetten Leuten entschließt, ist ihm nicht zu helfen.[7] ...
Sans-Souci, 8. October 1852.
... Ich habe Manteuffel's sonderbares Benehmen mit seinen Creaturen, ich habe die Anstellung von Radowitz benutzt, um offen mit ihm zu reden, es ist aber nichts dabei herausgekommen. Ich habe ihm gesagt, daß ich nicht zu denen gehöre, welche Quehl in das Elend schicken wollten, aber er möge sich doch mit ordentlichen Leuten in Verbindung setzen und sich in der Gemeinschaft mit ihnen stärken. Aber vergebens. Jetzt treibt er wieder sein Wesen mit dem Bonapartisten Frantz. Ich will das, was Wagener thut, nicht rechtfertigen, besonders nicht sein eigensinniges Widerstreben gegen jeden Rath und jede Warnung, die ihm zukommt, aber darin hat er recht, daß Manteuffel die conservative Partei gründlich zerstört und ihn, Wagener, namentlich auf das Aeußerste reizt. Es ist doch eine merkwürdige Erscheinung, daß die Kreuzzeitung die einzige Zeitung in Deutschland ist, die verfolgt und confiscirt wird. Von dem, was mich bei dem Allem am meisten afficirt, von der Wirkung dieser Lage der Dinge auf S. M., will ich gar nicht reden. Sinnen Sie doch auf Mittel, Menschen heranzuziehen, die das Ministerium stärken. Kommen Sie doch einmal wieder her und sehen Sie sich selbst die Dinge an.[8] ...
Charlottenburg, 25. Februar 1853.
... Ich habe letzt S. M. darauf aufmerksam gemacht, wie es doch nicht gut wäre, daß Wagener, der doch Alles für die gute Sache gewagt hätte, nächstens im Gefängniß sitzen, während Quehl, sein Gegner, durch die bloße vis intertiae Geheimer Rath werden würde. Niebuhren ist es denn auch gelungen, den König mit Wagener auszusöhnen, obschon letzterer dabei bleibt, die Redaction der Kreuzzeitung niederlegen zu wollen. ... Manteuffel hat eine Tendenz nach unten, vid. Quehl, Levinstein u.s.w., weil er an den Wahrheiten, die von oben kommen, zweifelt, statt daran zu glauben. Er sagt mit Pilatus: Was ist Wahrheit? und sucht sie dann bei Quehl und Consorten. ... Manteuffel I läßt sich ja schon jetzt bei jeder Gelegenheit durch Quehl zu einer sehr üblen heimlichen und passiven Opposition gegen Westphalen und dessen Maasregeln, die doch das muthigste und beste enthalten, was in unsrer Administration seit 1848 geschehn ist, bewegen. Er leidet, daß Quehl die Presse auf das schamloseste gegen Westphalen, Räumer u.s.w. benutzt und wie man mich versichert, sich dafür bezahlen läßt. ... So kann es fast nicht ausbleiben, daß Quehl und Consorten zuletzt Manteuffel's Sturz bewirken, den ich schon aus dem einfachen Grunde für ein Unglück halte, daß ich durchaus keinen möglichen Nachfolger weiß.[9]
Potsdam, 28. Februar 1853.
... Ich thue mein Mögliches, die Kreuzzeitung zu erhalten oder zunächst vielmehr Wagenern der Kreuzzeitung zu erhalten. Er sagt, er könne diese Sache den Intriguen von Quehl gegenüber nicht fortführen. Von den königlichen Geldern, über welche dieser Mensch durch das Vertrauen Manteuffel's disponirt, giebt er den Mitarbeitern Wagener's bedeutende Remunerationen und entzieht sie der Kreuzzeitung; ja er soll die Gesandten auffordern lassen, die auswärtigen Correspondenten der Kreuzzeitung zu ermitteln, um sie ihr abspenstig zu machen.[10] ...
20. Juni 1853.
... Die innern Verhältnisse mißfallen mir sehr. Ich fürchte, Quehl siegt über Westphalen und Räumer ganz einfach dadurch, daß Manteuffel sich bei dem Könige als unentbehrlich geltend macht, eine Ansicht, die S. M. aus richtigen und unrichtigen Gründen anerkennt. ...
Charlottenburg, 30. Juni 1853. ...
Wenn ich die verschiedenen Nachrichten über die Quehl'schen Intriguen miteinander vergleiche, wenn ich auf die Notiz etwas gebe, daß Quehl eine Art von Vertrag mit der Hollweg'schen Partei geschlossen, wonach Manteuffel geschont, die andern mißliebigen Minister Raumer, Westphalen, Bodelschwingh, rücksichtslos angegriffen wurden, wenn ich ferner beachte, daß Manteuffel über sein Verhältniß zum Prinzen von Preußen ein böses Gewissen gegen mich hat, daß er jetzt Niebuhr dichter an sein Herz schließt als mich, während er sich sonst gegen mich oft über Niebuhr beklagte, wenn ich endlich beachte, daß Quehl geradezu den Prinzen von Preußen und seinen Herrn Sohn als mit sich und mit Manteuffel übereinstimmend ansieht, was ich aus der zuverlässigsten Quelle weiß, und sich demgemäß äußert, wenn dieß Alles auf Radowitz sieht (sic), so fühle ich den Boden mir unter den Füßen schwanken, obschon der König schwerlich für diese Wirthschaft zu gewinnen ist und mir persönlich dieß Alles Gott sei Dank ziemlich gleichgültig ist. Sie aber, mein verehrter Freund, der Sie noch jung sind, müssen sich rüsten und stärken, dies Lügengewebe zur passenden Zeit zur Rettung des Landes zu zerreißen.[11] ...
Sans-Souci, 17. Juli 1853.
... Q. wird jetzt schon der Hof gemacht und er hat Exzellenzen in seinem Vorzimmer und auf seinem Sopha. Auf der andern Seite halte ich es nicht für unmöglich, daß Manteuffel eines Tags Quehl darangiebt, denn Dankbarkeit ist keine karakteristische Eigenschaft dieses zweifelnden und daher oft desesperirenden Staatsmannes. Was soll aber werden, wenn Manteuffel geht? Es wäre ein Ministerium zu finden, aber schwerlich eines, was auch nur 4 Wochen mit S. M. sich hielte. Aus diesen Gründen und bei meiner aufrichtigen Achtung und Liebe, die ich für Manteuffel habe, möchte ich es nicht auf mein Gewissen nehmen, seinen Sturz veranlaßt zu haben. Denken Sie mahl über diese Dinge nach und schreiben Sie mir«[12]....
Bald nach dem Datum des letzten Briefes war die Verstimmung zwischen dem Könige und Manteuffel so acut geworden, daß der letztre sich schmollend auf sein Gut Drahnsdorf zurückzog. Um ihn zu einem »gehorsamen Minister« zu machen, benutzte der König diesmal nicht meine Ministercandidatur als Schreckbild, sondern beauftragte mich, den Grafen Albrecht von Alvensleben, den »alten Lerchenfresser«, wie er ihn nannte, in Erxleben aufzusuchen und zu fragen, ob er den Vorsitz in einem neuen Ministerium übernehmen wolle, in dem ich das auswärtige Ressort erhalten solle. Der Graf hatte kurz vorher mir unter sehr abfälligen Aeußerungen über den König erklärt, daß er während der Regirung Sr. Majestät unter keinen Umständen in irgend ein Cabinet treten werde[13]. Ich sagte dies dem Könige, und meine Reise unterblieb. Später aber, als dieselbe Combination wieder auftauchte, hat er sich doch bereit erklärt, sie zu acceptiren; der König vertrug sich dann aber mit Manteuffel, der inzwischen »Gehorsam« gelobt hatte. Statt der Sendung nach Erxleben reiste ich aus eignem Antriebe zu Manteuffel auf's Land und redete ihm zu, sich von Quehl zu trennen und stillschweigend ohne Explication mit Sr. Majestät seine amtliche Function wieder aufzunehmen. Er erwiderte in dem Sinne seines Briefs vom 11. Juli 1851, daß er den fleißigen, ihm mit Hingebung dienenden Mann nicht fallen lassen könne. Da ich heraus zu hören glaubte, daß Manteuffel wohl noch andre Gründe habe, Quehl zu schonen, so sagte ich: »Vertrauen Sie mir die Vollmacht an, Sie von Quehl zu erlösen, ohne daß es zu einem Bruche zwischen Ihnen beiden kommt; wenn mir das gelingt, so bringen Sie dem Könige die Nachricht von Quehl's Abgange und führen die Geschäfte fort, als wenn kein Dissensus zwischen Sr. Majestät und Ihnen vorgekommen wäre.« Er ging auf diesen Gedanken ein, und wir verabredeten, daß er Quehl, der sich grade auf einer Reise in Frankreich befand, veranlassen werde, auf der Rückkehr mich in Frankfurt aufzusuchen, was geschah. Ich benutzte die Pläne des Königs mit Alvensleben, um Quehl zu überzeugen, daß er, wenn er nicht abginge, Schuld an dem Sturze seines Gönners sein werde, und empfahl ihm, die Macht desselben, so lange es noch Zeit sei, zu benutzen. Ich sagte ihm: »Schneiden Sie Ihre Pfeifen, wo Sie noch im Rohr sitzen, es dauert nicht lange mehr«, und ich brachte ihn dahin, seine Wünsche zu präcisiren: das Generalconsulat in Kopenhagen mit einer starken Gehaltserhöhung. Ich benachrichtigte Manteuffel, und die Sache schien erledigt, zog sich aber bis zur endlichen Lösung noch einige Zeit hin, weil man in Berlin so ungeschickt gewesen war, die Sicherung der Stellung Manteuffel's früher zu verlautbaren als das Ausscheiden Quehl's. Letztrer hatte in Berlin seine und Manteuffel's Stellung nicht so unsicher gefunden, wie ich sie geschildert hatte, und machte dann einige Schwierigkeiten, die verbessernd auf seine Stellung in Kopenhagen wirkten.[14]
Aehnliche Verhandlungen drängten sich mir auf mit Agenten, welche bei dem Depeschendiebstahl in der französischen Gesandschaft benutzt worden waren, unter Andern mit Hassenkrug, der zur Zeit des Processes über diesen Diebstahl, anscheinend mit seiner eignen Zustimmung, in Frankreich polizeilich verhaftet und Jahr und Tag sequestrirt wurde, bis die Sache vergessen war.
Der König haßte damals Manteuffel, er behandelte ihn nicht mit der ihm sonst eignen Höflichkeit und that beißende Aeußrungen über ihn. Wie er überhaupt die Stellung eines Ministers auffaßte, zeigt ein Wort über den Grafen Albert Pourtalès, den er auch gelegentlich als Schreckbild für Manteuffel benutzte[15]: »Der wäre ein Minister für mich, wenn er nicht 30 000 Reichsthaler Einkommen zu viel hätte; darin steckt die Quelle des Ungehorsams.« Wenn ich sein Minister geworden wäre, so würde ich mehr als Andre dieser Auffassung ausgesetzt gewesen sein, weil er mich als seinen Zögling betrachtete und in meinem Royalismus als wesentlichstes Element den unbedingten »Gehorsam« sah. Jede selbständige Meinung von mir würde ihn befremdet haben, war ihm doch schon mein Sträuben gegen definitive Uebernahme des Wiener Postens als eine Art von Felonie erschienen. Eine lange nachwirkende Erfahrung der Art hatte ich zwei Jahre später zu machen.
__________________Anmerkungen:
- ↑ Natürlich ist diese Angabe nicht rechnerisch durch Addition der auf Reisen zwischen Berlin und Frankfurt zurückgelegten Wegstrecken gefunden worden, sondern in dem übertreibenden Sinne zu fassen, wie die Lateiner sescenti zur Bezeichnung einer unbestimmten großen Zahl gebrauchen (vgl. im Deutschen: Ich habe es schon tausendmal gesagt). Es erschien nothwendig, darauf hinzuweisen, da die Zahl, die sich bei Nachrechnung als zu hoch erwiesen, Veranlassung gegeben hat, die Glaubwürdigkeit der »Gedanken und Erinnerungen« anzufechten.
- ↑ Der Brief, in der ersten Ausgabe nach einer fehlerhaften Abschrift herausgegeben, ist hier nach dem Original berichtigt; vgl. Anhang zu den Gedanken und Erinnerungen II 7 ff.
- ↑ Vgl. Briefwechsel Gerlach-Bismarck, S. 32 ff. (mit falschem Datum), hier nach dem Original berichtigt.
- ↑ Bismarck's Briefe an den General L. v. Gerlach, S. 30 f.
- ↑ Nach dem Original berichtigt.
- ↑ Bismarck's Briefe an den General L.v. Gerlach, S. 32 ff.
- ↑ Vgl. Briefwechsel Gerlach-Bismarck, S. 37 f. (mit falschem Datum und entstellenden Lesefehlern), hier n. d. Original berichtigt.
- ↑ Vgl. Briefwechsel Gerlach-Bismarck, S. 43, hier berichtigt n. d. Original.
- ↑ Vgl. Briefwechsel Gerlach-Bismarck, S. 72 ff. (ungenau in der Wiedergabe des Wortlauts), hier berichtigt.
- ↑ Vgl. Briefwechsel Gerlach-Bismarck, S.74 ff., hier m. bericht. Text.
- ↑ Vgl. Briefwechsel Gerlach-Bismarck, S. 91 ff., hier berichtigt.
- ↑ Briefwechsel Gerlach-Bismarck, S. 99 ff., hier berichtigt.
- ↑ S. o. S. 130.
- ↑ Vgl. Bismarck's Briefe an den General L. v. Gerlach vom 6. und 13, Aug. 1853, herausgegeben von H. Kohl S, 96, 97.
- ↑ S. S. 130.