IV.
Die Haltung, welche ich in der conservativen Fraction angenommen hatte, griff störend in die Pläne ein, die der König mit mir hatte oder zu haben behauptete. Als er zu Anfang des Jahres 1854 das Ziel, mich zum Minister zu machen, directer in's Auge zu fassen begann, wurde seine Absicht nicht nur von Manteuffel bekämpft, sondern auch von der Camarilla, deren Hauptpersonen der General Gerlach und Niebuhr waren. Diese, ebenso wie Manteuffel, waren nicht geneigt, den Einfluß auf den König mit mir zu theilen, und glaubten sich mit mir im täglichen Zusammenleben nicht so gut wie in der Entfernung zu vertragen. Gerlach wurde in dieser Voraussetzung bestärkt durch seinen Bruder, den Präsidenten, der die Gewohnheit hatte, mich als einen Pilatus-Charakter zu bezeichnen auf der Basis: Was ist Wahrheit?[1] also als einen unsichern Fractionsgenossen. Dieses Urtheil über mich kam auch in den Kämpfen innerhalb der conservativen Fraction und ihres intimern Comités mit Schärfe zum Ausdruck, als ich, auf Grund meiner Stellung als Bundestagsgesandter und weil ich im Besitz des Vortrags bei dem Könige über die deutschen Angelegenheiten sei, einen größern Einfluß auf die Haltung der Fraction in der deutschen und der auswärtigen Politik verlangte, während der Präsident Gerlach und Stahl die absolute Gesammtleitung nach allen Seiten hin in Anspruch nahmen. Ich befand mich im Widerspruche mit Beiden, mehr aber mit Gerlach als mit Stahl, und der Erstre erklärte schon damals, vorauszusehn, daß unsre Wege sich trennen und wir als Gegner enden würden. – In Übereinstimmung habe ich mich in den wechselnden Phasen der conservativen Fraction stets mit Below-Hohendorf und Alvensleben-Erxleben befunden.
Im Winter 1853 zu 1854 ließ mich der König wiederholt kommen und hielt mich oft lang fest; ich verfiel dadurch äußerlich in die Kategorie der Streber, die am Sturze Manteuffel's arbeiteten, den Prinzen von Preußen gegen seinen Bruder einzunehmen, für sich Stellen oder wenigstens Aufträge herauszuschlagen suchten und dann und wann von dem Könige als Rivalen Manteuffel's cum spe succedendi behandelt wurden. Nachdem ich mehrmals von dem Könige gegen Manteuffel in der Weise ausgespielt worden war, daß ich Gegenentwürfe von Depeschen zu machen hatte, bat ich Gerlach, den ich in einem kleinen Vorzimmer neben dem Cabinet des Königs in dem längs der Spree hinlaufenden Flügel des Schlosses fand, mir die Erlaubniß zur Rückkehr nach Frankfurt zu erwirken. Gerlach trat in das Cabinet und sprach, der König rief: »Er soll in des Teufels Namen warten, bis ich ihm befehle abzureisen!« Als Gerlach herauskam, sagte ich lachend, ich hätte den Bescheid schon. Ich blieb also noch eine Zeit lang in Berlin. Als es endlich zur Abreise kam, hinterließ ich den Entwurf eines eigenhändigen, von dem Könige an den Kaiser Franz Joseph zu richtenden Schreibens, den ich auf Befehl Seiner Majestät ausgearbeitet und den Manteuffel dem Könige vorzulegen übernommen hatte, nachdem er sich mit mir über den Inhalt verständigt haben würde. Der Schwerpunkt lag in dem Schlußsatze, aber auch ohne diesen bildete der Entwurf ein abgerundetes Aktenstück, freilich von wesentlich modificirter Tragweite. Ich bat den Flügeladjutanten vom Dienst unter Mittheilung einer Abschrift des Concepts, den König darauf aufmerksam zu machen, daß der Schlußsatz das entscheidende Stück des Erlasses sei. Diese Vorsichtsmaßregel war im Auswärtigen Amte nicht bekannt; die Collationirung im Schlosse ergab, daß, wie ich befürchtet hatte, das Concept geändert und der östreichischen Politik näher gerückt war. Während des Krimkriegs und der vorangegangnen Verhandlungen drehten sich die Kämpfe in den Regirungskreisen häufig um eine westmächtlich-östreichische oder eine russische Phrase, die, kaum geschrieben, keine praktische Bedeutung mehr hatte.
Um eine ernstre, in den Verlauf der Dinge eingreifende Frage der Redaction handelte es sich im September 1854. Der König befand sich in Rügen; ich war auf dem Wege von Frankfurt nach Reinfeld, wo meine Frau krank lag, als (am 29. August)[2] in Stettin ein höherer Postbeamter, der angewiesen war, auf mich zu fahnden, mir eine Einladung des Königs nach Putbus ausrichtete. Ich hätte mich gern gedrückt,[3] der Postbeamte aber begriff nicht, wie ein Mann von altem preußischen Schlage sich einer solchen Auffordrung entziehn wolle. Ich ging nach Rügen, nicht ohne Sorge vor neuen Zumuthungen, Minister zu werden und dadurch in unhaltbare Beziehungen zum Könige zu gerathen. Der König empfing mich (am 30. August)[4] gnädig und setzte mich von einer vorliegenden Meinungsverschiedenheit über die durch den Rückzug der Russen aus den Donaufürstenthümern entstandne Situation in Kenntniß. Es handelte sich um die Depesche des Grafen Buol vom 14. September[5] und einen von Manteuffel vorgelegten Entwurf einer Antwort, den der König zu östreichisch fand. Auf Befehl machte ich einen andern Entwurf, der von Sr. Majestät genehmigt und nach Berlin geschickt wurde, um im Widerspruch mit dem leitenden Minister zunächst an den Grafen Arnim in Wien gesandt und dann den deutschen Regirungen mitgetheilt zu werden.[6]
Die durch Annahme meines Entwurfs bekundete Stimmung des Königs zeigte sich auch in dem Empfang des Grafen Benckendorf, der mit Briefen und mündlichen Aufträgen in Putbus eintraf, und den ich mit der Nachricht hatte empfangen können, daß die Engländer und Franzosen in der Krim gelandet seien.[7] »Freut mich,« erwiderte er, »da sind wir sehr stark.« Es wurde russische Strömung. Ich glaubte, politisch meine Schuldigkeit gethan zu haben, hatte schlechte Nachrichten von meiner Frau und bat um die Erlaubnis abzureisen. Sie wurde mir indirect dadurch verweigert, daß ich auf das Gefolge übertragen wurde, ein hoher Gunstbeweis. Gerlach warnte mich, ihn nicht zu überschätzen. »Bilden Sie sich nur nicht ein,« sagte er, »daß Sie politisch geschickter gewesen sind als wir. Sie sind augenblicklich in Gunst, und der König schenkt Ihnen die Depesche, wie er einer Dame ein Bouquet schenken würde.«
Wie wahr das war, erfuhr ich sofort, aber in vollem Umfang erst später nach und nach. Als ich darauf bestand, abzureisen, und in der That (am 1. September)[8] abreiste, erfolgte eine ernste Ungnade des Königs; mir wäre meine Häuslichkeit doch mehr werth als das ganze Reich, hatte er zu Gerlach gesagt. Mein beifällig aufgenommner Depeschen-Entwurf wurde telegraphisch angehalten und dann geändert. Aber wie tief die Verstimmung gegangen war, wurde mir erst während und nach meiner Pariser Reise klar.[9]
__________________Anmerkungen:
- ↑ S. o. S. 156,
- ↑ So in der ersten Redaction, in der sich auch nicht das Datum des 29. August für die Ankunft in Stettin und des 30. August für den Empfang durch den König notirt findet. Beide Daten sind erst später – wie es scheint nach Lektüre von Sybel II 206 und Gerlach's Denkwürdigkeiten II 209 – eingefügt worden, ebenso der 10. August als Datum der Depesche. Es geht daraus hervor, daß in der Erinnerung Bismarck's sich die Vorgänge von Putbus (30. Aug. bis 1. Sept.) mit den um ca. 14 Tage späteren, die sich im Anschluß an Buol's Depesche vom 14. September in Berlin abspielten (Bismarck ist in Berlin vom 16. bis 20. Sept. nachweisbar, vgl. Kohl, Bismarckregesten I 101), verwirrt haben. Vgl. auch Lenz, Zur Kritik der Gedanken und Erinnerungen S. 46 ff.
- ↑ Vgl. dagegen Bismarck's Brief an Gerlach vom 26. August 1854 (Ausgabe von H. Kohl) S. 164: »Es heißt hier, M. würde am selbigen Tage (27.) nach Putbus gehn; ich würde ihn begleiten, wenn ich es wagte, ungerufen die geheiligten Haine zu betreten.« Die Einladung brachte Gerlach's Brief vom Sonntag (27. Aug.) Nachmittags 3 Uhr, Briefwechsel S. 189. Zu der diesem Stücke beigegebenen Punctation über den Inhalt der österreichischen Erklärung an Frankreich und England bei Occupation der Fürstenthümer bemerke ich, daß sie von Bismarck's Hand in Putbus niedergeschrieben ist.
- ↑ S. Anm. S. 168.
- ↑ So in der ersten Redaction. Die Depesche findet sich abgedruckt in Jasmund, Aktenstücke zur orientalischen Frage I 359 ff.
- ↑ Sie ist vom 21. Sept. datirt und in Jasmund I 363 ff. abgedruckt. Allerdings weist der Schluß des Satzes nicht auf die Depesche vom 21. Sept. hin, sondern auf die Note an Arnim vom 3. Sept (Manteuffel, Unter Friedrich Wilhelm IV. Denkwürdigkeiten, Herausgeg. von H. v. Poschinger. Berlin, G. S. Mittler & Sohn, 1901, II 453; in Buol's Depesche erwähnt) und auf das Rundschreiben vom 3. Sept. an die deutschen Regierungen (Sybel II 206), das am 30. Aug. (vgl. Gerlach, Denkw. II 209) berathen wurde. Nach Bismarck's Brief an Wentzel vom 3. Sept. 1854 hatte man sich entschlossen, Oestreich nur beizustehen, wenn es angegriffen würde, ohne daß es angefangen habe (Bismarck-Jahrbuch V 11). Die Absicht aber, »sich unumwunden zu erklären: Beistand gegen unprovocirten Angriff, sonst nichts zu gewähren« (vgl. Brief an Wentzel vom 9. Sept. 1854, B.-J. V12), ist in dem Rundschreiben nicht erfüllt worden. Sein Tenor ist wesentlich herabgestimmt: Statt der unumwundenen Erklärung an Oesterreich eine Ermahnung, nicht aggressiv zu werden, keine ausdrückliche Warnung vor einer Provocation Rußlands. Es bezieht sich also wahrscheinlich die am Schluß des Abschnitts erwähnte Abänderung des Depeschen-Entwurfs auf den Entwurf des Rundschreibens.
- ↑ Die Landung erfolgte erst am 14. Sept.; am 5. fuhr die englisch-französische Flotte von Warna aus. – Demnach fällt die Unterhaltung mit Benckendorf auch erst in die Zeit des Berliner Aufenthalts.
- ↑ Auch dieses Datum ist wie die andern erst in der zweiten Redaction zugefügt worden.
- ↑ Die beiden letzten Sätze des Abschnitts sind hier in die richtige Gedankenfolge gebracht. Der jetzige Schlußsatz soll auf das folgende Kapitel überleiten. – Beweis für die Ungnade des Königs ist die Nichteinladung Bismarck's zur Hofjagd, worüber dieser im Briefe an Gerlach vom 18. Oct. 1854 klagt (Briefe B.'s an G.S. 174).