III.

Wenige Monate nach dem Frankfurter Congreß starb der König Friedrich VII. von Dänemark (15. November 1863). Das Mißlingen des östreichischen Vorstoßes, die Weigerung der übrigen Bundesstaaten, nach der preußischen Ablehnung mit Oestreich allein in engre Beziehung zu treten, brachten den Gedanken einer dualistischen Politik der beiden deutschen Großmächte, infolge der Eröffnung der schleswig-holsteinischen Frage und Succession, in Wien der Erwägung nahe, und mit mehr Aussicht auf Verwirklichung, als im December 1862 vorgelegen hatte. Graf Rechberg machte in der Verstimmung über die Weigerung der Bundesgenossen, sich ohne Mitwirkung Preußens zu verpflichten, einfach Kehrt mit dem Bemerken, daß die Verständigung mit Preußen für Oestreich noch leichter sei als für die Mittelstaaten.[1] Darin hatte er für den Augenblick Recht, für die Dauer aber doch nur dann, wenn Oestreich bereit war, Preußen als gleichberechtigt in Deutschland thatsächlich zu behandeln und Preußens Beistand in den europäischen Interessen, die Oestreich in Italien und im Orient hatte, durch die Gestattung freier Bewegung des preußischen Einflusses wenigstens in Norddeutschland zu vergelten. Der Anfang der dualistischen Politik gewährte ihr eine glänzende Bethätigung in den gemeinsamen Kämpfen an der Schlei, dem gemeinsamen Einrücken in Jütland und dem gemeinsamen Friedensschlusse mit Dänemark. Das preußisch-östreichische Bündniß bewährte sich selbst unter der Abschwächung, die in der Verstimmung der übrigen Bundesstaaten lag, doch als hinreichendes Schwergewicht, um die widerstrebende Verstimmung der andern Großmächte, unter deren Deckung Dänemark dem gesammten Deutschthum den Handschuh hatte hinwerfen können, im Zaume zu halten.

Unser weitres Zusammengehn mit Oestreich war gefährdet zuerst bei dem heftigen Andrang militärischer Einflüsse auf den König, die ihn zum Ueberschreiten der jütischen Grenze auch ohne Oestreich bewegen wollten. Mein alter Freund, der Feldmarschall Wrangel, schickte unchiffrirt die gröbsten Injurien gegen mich telegraphisch an den König, in denen in Bezug auf mich von Diplomaten, die an den Galgen gehörten, die Rede war.[2]

Damals indessen gelang es mir, den König zu bestimmen, daß wir nicht um ein Haarbreit an Oestreich vorbei gingen und namentlich nicht in Wien den Eindruck machten, als ob Oestreich gegen seinen Willen von uns fortgerissen würde. Meine guten Beziehungen zu Rechberg und Karolyi ermöglichten es mir, das Einverständniß über den Einmarsch in Jütland herzustellen.

Trotz dieser Erfolge fand der Versuch des Dualismus seinen Culminations- und Wendepunkt in einer Besprechung, welche beide Monarchen unter Zuziehung ihrer Minister, Rechberg's und meiner, am 22. August 1864 in Schönbrunn hatten. Im Laufe derselben sagte ich dem Kaiser von Oestreich:

»Zu einer politischen Gemeinschaft geschichtlich berufen, machen wir dynastisch und politisch beiderseits bessere Geschäfte, wenn wir zusammenhalten und diejenige Führung Deutschlands übernehmen, welche uns nicht entgehn wird, sobald wir einig sind. Wenn Preußen und Oestreich sich die Aufgabe stellen, nicht blos ihre gemeinsamen Interessen, sondern auch beiderseits jedes die Interessen des andern zu fördern, so kann das Bündniß der beiden deutschen Großstaaten von einer weittragenden deutschen und europäischen Wirksamkeit werden. Der Staat Oestreich hat kein Interesse an der Gestaltung der dänischen Herzogthümer, dagegen ein erhebliches an seinen Beziehungen zu Preußen. Sollte aus dieser zweifellosen Thatsache nicht die Zweckmäßigkeit einer für Preußen wohlwollenden Politik hervorgehn, die das bestehende Bündniß der beiden deutschen Großmächte consolidirt und in Preußen Dankbarkeit für Oestreich erweckt? Wenn die gemeinsame Erwerbung statt in Holstein in Italien läge, wenn der Krieg, den wir geführt haben, statt Schleswig-Holstein die Lombardei zur Verfügung der beiden Mächte gestellt hätte, so würde es mir nicht eingefallen sein, bei meinem Könige dahin zu wirken, daß Wünschen unsres Verbündeten ein Widerstand entgegengesetzt oder die Fordrung eines Aequivalents erhoben würde, wenn ein solches nicht zu gleicher Zeit disponibel wäre. Ihm aber für Schleswig-Holstein altpreußisches Land abzutreten, das würde kaum möglich sein, selbst wenn die Einwohner es wünschten; in Glatz protestirten aber sogar die dort angesessenen Oestreicher dagegen. Ich hätte das Gefühl, daß die vortheilhaften Ergebnisse der Freundschaft der deutschen Großmächte mit der holsteinischen Frage nicht abgeschlossen wären, und daß sie, wenn jetzt in der äußersten Entfernung von dem östreichischen Interessengebiete gelegen, doch ein andermal sehr viel näher liegen könnten, und daß es für Oestreich nützlich sein werde, jetzt Preußen gegenüber freigebig und gefällig zu sein.«

Es schien mir, daß die von mir aufgestellte Perspective auf den Kaiser Franz Joseph nicht ohne Eindruck blieb. Er sprach zwar von der Schwierigkeit, der öffentlichen Meinung in Oestreich gegenüber ganz ohne Aequivalent aus der gegenwärtigen Situation hinauszugehn, wenn Preußen einen so großen Gewinn wie Schleswig-Holstein mache, schloß aber mit der Frage, ob wir wirklich fest entschlossen wären, diesen Besitz zu fordern und einzuverleiben. Ich hatte den Eindruck, daß er doch nicht für unmöglich hielte, uns seine Ansprüche auf das von Dänemark abgetretne Land zu cediren, wenn ihm die Aussicht auf ein ferneres festes Zusammenhalten mit Preußen und auf Unterstützung analoger Wünsche Oestreichs durch Preußen gesichert würde. Er stellte zur weitern Discussion zunächst die Frage, ob Preußen wirklich fest entschlossen sei, die Herzogthümer zu preußischen Provinzen zu machen, oder ob wir mit gewissen Rechten in ihnen, wie sie in den sog. Februarbedingungen später formulirt worden sind, zufrieden sein würden. Der König schwieg und ich brach dieses Schweigen, indem ich dem Kaiser antwortete: »Es ist mir sehr erwünscht, daß Eure Majestät mir die Frage in Gegenwart meines allergnädigsten Herrn vorlegen; ich hoffe bei dieser Gelegenheit seine Ansicht zu erfahren.« Ich hatte nämlich bis dahin keine unumwundne Erklärung des Königs weder schriftlich noch mündlich über Sr. Majestät definitive Willensmeinung bezüglich der Herzogthümer erhalten. Die mise en demeure durch den Kaiser hatte die Folge, daß der König zögernd und in einer gewissen Verlegenheit sagte: er habe ja garkein Recht auf die Herzogthümer und könne deshalb keinen Anspruch darauf machen. Durch diese Aeußrung, aus welcher ich die Einwirkung der königlichen Verwandten und der hofliberalen Einflüsse heraushörte, war ich natürlich dem Kaiser gegenüber außer Gefecht gesetzt. Ich trat demnächst noch für das Festhalten der Einigkeit beider deutschen Großmächte ein, und es wurde eine dieser Richtung entsprechende kurze Redaction, in der die Zukunft Schleswig-Holsteins unentschieden blieb, von Rechberg und mir entworfen und von den beiden hohen Herrn genehmigt.

IV.

Der Dualismus würde, wie ich ihn mir dachte, dem jetzt bestehenden Verhältniß ähnlich gewesen sein, jedoch mit dem Unterschiede, daß Oestreich auf die Staaten, die jetzt mit Preußen das Deutsche Reich bilden, bundesmäßigen Einfluß behalten haben würde. Rechberg war für Verstärkung des Gewichts von Mitteleuropa durch eine solche Verständigung der beiden Mächte gewonnen. Diese Gestaltung würde, im Vergleich zur Vergangenheit und wie die Dinge damals lagen, immerhin ein Fortschritt zum Bessern gewesen sein, aber Dauer nur versprochen haben, so lange das Vertrauen zu den beiderseits leitenden Personen ungestört blieb. Graf Rechberg sagte mir bei meiner Abreise von Wien (26. August 1864), daß seine Stellung angefochten sei; durch die Erörtrungen des Ministeriums und die Haltung des Kaisers zu demselben sei er in die Lage gerathen, fürchten zu müssen, daß seine Collegen, namentlich Schmerling, ihn über Bord schieben würden, wenn er nicht für die Zollvereinsbestrebungen Oestreichs, die den Kaiser vorzugsweise beschäftigten, wenigstens die Zusicherung beibringen könne, daß wir auf Verhandlungen in bestimmter Frist eingehn wollten. Ich hatte gegen ein solches pactum de contrahendo keine Bedenken, weil ich überzeugt war, daß es mir keine über die Grenzen des mir möglich Scheinenden hinaus gehenden Zugeständnisse würde abdingen können, und weil die politische Seite der Frage im Vordergrunde stand. Die Zolleinigung hielt ich für eine unausführbare Utopie wegen der Verschiedenheit der wirtschaftlichen und administrativen Zustände beider Theile.[3] Die Gegenstände, die im Norden des Zollvereins die finanzielle Unterlage bildeten, gelangen in dem größern Theile des östreichisch-ungarischen Gebietes garnicht zum Verbrauch. Die Schwierigkeiten, welche die Verschiedenheiten der Lebensgewohnheiten und der Consumtion zwischen Nord- und Süddeutschland schon innerhalb des Zollvereins bedingten, mußten unüberwindlich werden, wenn beide Regionen mit den östlichen Ländern Oestreich-Ungarns von derselben Zollgrenze umschlossen werden sollten. Ein gerechter, der bestehenden Consumtion zollpflichtiger Waaren entsprechender Maßstab der Vertheilung würde sich nicht vereinbaren lassen; jeder Maßstab würde entweder ungerecht für den Zollverein oder unannehmbar für die öffentliche Meinung in Oestreich-Ungarn sein. Der bedürfnißlose Slowake und Galizier einerseits, der Rheinländer und der Niedersachse andrerseits sind für die Besteuerung nicht commensurabel. Außerdem fehlte mir der Glaube an die Zuverlässigkeit des Dienstes auf einem großen Theile der östreichischen Grenzen.

Von der Unmöglichkeit der Zolleinigung überzeugt, hatte ich kein Bedenken, dem Grafen Rechberg den gewünschten Dienst zu erweisen, um ihn im Amte zu erhalten. Ich glaubte bei meiner Abreise nach Biarritz (5. October) sicher zu sein, daß der König an meinem Votum festhalten werde; und mir sind noch heut die Motive nicht klar, welche meine Collegen, den Finanzminister Karl von Bodelschwingh und den Handelsminister Grafen Itzenplitz, und ihren freihändlerischen spiritus rector Delbrück bestimmt haben, während meiner Abwesenheit den König auf einem ihm ziemlich fremden Gebiete mit so viel Entschiedenheit zu bearbeiten, daß durch unsre Ablehnung die Stellung Rechberg's, wie er es vorhergesagt hatte, erschüttert und er in dem auswärtigen Ministerium durch Mensdorff ersetzt wurde, der zunächst der Candidat Schmerling's war, bis dieser dann durch reactionäre und katholische Einflüsse selbst verdrängt wurde. Der König, so fest er auch in der innern Politik geworden war, ließ sich damals noch von der durch seine Gemalin vertretnen Doctrin beeinflussen, daß zur Lösung der deutschen Frage die Popularität das Mittel sei.

Ueber eine Conferenz, welche am 10. October 1864 von Mitgliedern des Auswärtigen und des Handelsministeriums abgehalten wurde, schrieb mir Herr von Thile nach Biarritz:

»Ich fand in der heutigen Conferenz neu bestätigt, was freilich längst bekannt ist, daß die Herren Fachmänner bei aller ihrer, von mir gern anerkannten Virtuosität in Behandlung der fachlichen Seite die politische arg mißachten und z. B. die Eventualität eines Ministerwechsels in Wien wie eine Bagatelle behandeln. – Itzenplitz wankt in seinen Ansichten sehr. Wiederholt gelang es mir ihn zu dem Geständniß zu bringen, daß uns der Artikel 25 finaliter und realiter zu nichts verpflichtet. Dann schreckte ihn aber jedesmal ein strafender Blick von Delbrück in seine Fachposition zurück.«

Zwei Tage später, am 12. October, berichtete mir Abeken, der sich bei dem Könige in Baden-Baden befand, es sei ihm nicht gelungen, denselben für den Artikel 25 zu gewinnen; Se. Majestät scheue »das Geschrei«, welches sich über eine solche Concession an Oestreich erheben würde, und habe u. A. gesagt: »Die Ministerkrisis in Wien würden wir vielleicht vermeiden, aber dadurch in Berlin eine solche hervorrufen; Bodelschwingh und Delbrück würden wahrscheinlich ihre Entlassung beantragen, wenn wir den Artikel 25 zuließen.« Und wieder zwei Tage später schrieb mir Graf Goltz aus Paris:

»Ist Rechberg's Stellung entschieden erschüttert (daß sie es bei dem Kaiser sei, muß ich entschieden bezweifeln), so dürfte für uns die Nothwendigkeit eintreten, hier den Eröffnungen eines rein Schmerling'schen Ministeriums zuvorzukommen.«

V.

Nicht ohne Bedeutung für den Werth dualistischer Politik war die Frage, auf welches Maß von Sicherheit im Innehalten dieser Linie wir bei Oestreich rechnen konnten. Wenn man sich die Plötzlichkeit vergegenwärtigte, mit welcher Rechberg in der Verstimmung über den Mangel an Folgsamkeit der Mittelstaaten mit diesen gebrochen und sich mit uns ohne und gegen sie verbündet hatte, so konnte man die Möglichkeit nicht abweisen, daß ein Mangel an Uebereinstimmung mit Preußen in Einzelfragen ebenso unerwartet zu einer neuen Schwenkung führen könnte. Ueber Mangel an Aufrichtigkeit habe ich bei dem Grafen Rechberg nie zu klagen gehabt, aber er war, wie Hamlet sagt, splenetic and rash[4] in einem ungewöhnlichen Grade; und wenn die persönliche Verstimmung des Grafen Buol über unfreundliche Formen des Kaisers Nicolaus mehr als über politische Differenzen hingereicht hatte, die östreichische Politik in der Linie der bekannten Schwarzenbergischen Undankbarkeit (Nous étonnerons l'Europe par notre ingratitude) dauernd festzuhalten, so durfte man sich der Möglichkeit nicht verschließen, daß die sehr viel schwächern Bindemittel zwischen dem Grafen Rechberg und mir von irgend welcher Fluthwelle weggeschwemmt werden könnten. Der Kaiser Nicolaus hatte zu dem Glauben an die Zuverlässigkeit seiner Beziehungen zu Oestreich viel stärkere Unterlagen als wir zur Zeit des dänischen Krieges. Er hatte dem Kaiser Franz Joseph einen Dienst erwiesen, wie kaum je ein Monarch seinem Nachbarstaat gethan[5], und die Vortheile der gegenseitigen Anlehnung im monarchischen Interesse der Revolution gegenüber, der italienischen und ungarischen so gut wie der polnischen von 1846, fielen für Oestreich bei dem Zusammenhalten mit Rußland noch schwerer in das Gewicht als bei dem mit Preußen 1864 möglichen Bunde. Der Kaiser Franz Joseph ist eine ehrliche Natur, aber das östreichisch-ungarische Staatsschiff ist von so eigenthümlicher Zusammensetzung, daß seine Schwankungen, denen der Monarch seine Haltung an Bord anbequemen muß, sich kaum im Voraus berechnen lassen. Die centrifugalen Einflüsse der einzelnen Nationalitäten, das Ineinandergreifen der vitalen Interessen, die Oestreich nach der deutschen, der italienischen, der orientalischen und der polnischen Seite hin gleichzeitig zu vertreten hat, die Unlenksamkeit des ungarischen Nationalgeistes und vor Allem die Unberechenbarkeit, mit der beichtväterliche Einflüsse die politischen Entschließungen kreuzen, legen jedem Bundesgenossen Oestreichs die Pflicht auf, vorsichtig zu sein und die Interessen der eignen Unterthanen nicht ausschließlich von der östreichischen Politik abhängig zu machen. Der Ruf der Stabilität, den die letztre unter dem langjährigen Regimente Metternich's gewonnen hatte, ist nach der Zusammensetzung der Habsburgischen Monarchie und nach den bewegenden Kräften innerhalb derselben nicht haltbar, mit der Politik des Wiener Cabinets vor der Metternich'schen Periode garnicht, und nach derselben nicht durchweg in Uebereinstimmung. Sind aber die Rückwirkungen der wechselnden Ereignisse und Situationen auf die Entschließungen des Wiener Cabinets für die Dauer unberechenbar, so ist es auch für jeden Bundesgenossen Oestreichs geboten, auf die Pflege von Beziehungen, aus denen sich nöthigen Falls andre Combinationen entwickeln ließen, nicht absolut zu verzichten.

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Anmerkungen:
  1. Vgl. Beust, Aus drei Viertel-Jahrhunderten I 336.
  2. Wir blieben infolge dieser Episode Jahre hindurch in persönlicher Verstimmung und gingen am Hofe schweigend neben einander her, bis bei einer der vielen Gelegenheiten, wo wir Tischnachbarn waren, mich der Feldmarschall verschämt lächelnd anredete: »Mein Sohn, kannst Du garnicht vergessen?« Ich antwortete: »Wie sollte ich es anfangen, zu vergessen, was ich erlebt habe?« Darauf er nach längerm Schweigen: »Kannst Du auch nicht vergeben?« Ich erwiderte: »Von ganzem Herzen.« Wir schüttelten uns die Hände und waren wieder Freunde wie in frühern Zeiten.
  3. S. o. S. 105.
  4. Shakespeare, Hamlet V, Sc. 1, v. 285, doch heißt es dort nicht splenetic, sondern splenitive and rash (jäh und heftig).
  5. S. o. S. 242.
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