IV.
Die Eröffnung des Landtags stand unmittelbar nach unsrer Ankunft in Berlin bevor, und die Thronrede kam in Prag zur Berathung. Dort trafen Abgeordnete der conservativen Fraction ein, die während des Conflicts zeitweise bis auf elf Mitglieder herabgegangen war und durch die Wahlen am 3. Juli unter dem Eindruck der ersten Siege vor Königgrätz sich auf mehr als hundert gehoben hatte. Das Ergebniß würde der Regirung noch günstiger gewesen sein, wenn die Wahl einige Tage nach der entscheidenden Schlacht stattgefunden hätte; aber auch so war es in Verbindung mit der schwunghaften Stimmung im Lande immerhin geeignet, nicht blos conservativen, sondern auch reactionären Bestrebungen Hoffnung auf Gelingen zu geben. Für diejenigen, welche nach der Rückbildung zum Absolutismus oder doch nach einer Restauration im ständischen Sinne strebten, war durch die Vergrößrung der Monarchie, durch die parlamentarische Situation beim Ausbruch des Kriegs und den ungeschickten und ehrgeizigen Eigensinn der Führer der Opposition ein Anknüpfungspunkt gegeben, um die preußische Verfassung zu suspendiren und zu revidiren. Sie war auf das vergrößerte Preußen nicht zugeschnitten, noch weniger aber auf die Einschichtung in die zukünftige Verfassung Deutschlands. Die Verfassungsurkunde selbst enthielt einen Artikel (118), welcher, entstanden unter dem Eindruck der nationalen Stimmung zur Zeit der Verfassungsbildung und aus dem Entwurf von 1848 entnommen, zur Unterordnung der preußischen Verfassung unter eine neu zu schaffende deutsche berechtigte. Es war also eine Gelegenheit gegeben, mit dem formalen Anstrich der Legalität die Verfassung und die Bestrebungen der Conflictsmajorität nach parlamentarischer Herrschaft aus den Angeln zu heben, und dies lag im Hintergrunde des Bemühns der äußersten Rechten und ihrer nach Prag abgeordneten Mitglieder.
Eine andre Gelegenheit, den innern Conflict zugleich mit der deutschen Frage zu erledigen, hatte sich dem Könige dargeboten, als der Kaiser Alexander 1863 zur Zeit des polnischen Aufstands und des Ueberrumpelungsversuchs für den Frankfurter Fürstencongreß ein preußisch-russisches Bündniß in eigenhändiger Correspondenz lebhaft befürwortet hatte[1]. Auf mehren eng geschriebenen Bogen in der feinen Hand des Kaisers, weit ausgesponnen und mit mehr Declamation, als in seiner Feder lag, konnte der Brief an Hamlet's Wort:
Whether 't is nobler in the mind, to suffer
The slings and arrows of outrageous fortune,
Or to take arms against a sea of troubles,
And by opposing end them? –[2]
erinnern, wenn man es aus dem Zweifel in die Affirmative übersetzt: der Kaiser ist der westmächtlichen und östreichisch-polnischen Chikanen müde und entschlossen, den Degen zu ziehn, um sich von ihnen frei zu machen; an die Freundschaft und die gleichen Interessen des Königs appellirend, fordert er ihn zu gemeinsamem Handeln auf, so zu sagen in erweitertem Sinne der Alvensleben'schen Convention vom Februar desselben Jahres. Dem Könige wurde es schwer, einerseits dem nahen Verwandten und nächsten Freunde eine ablehnende Antwort zu geben, andrerseits sich mit dem Entschlusse vertraut zu machen, seinem Lande die Nebel eines großen Kriegs aufzuerlegen, dem Staate und der Dynastie die Gefahren eines solchen zuzumuthen. Auch die Seite seines Gemüthslebens, die ihn geneigt machte, die Frankfurter Fürstenversammlung zu besuchen, das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit allen alten Fürstenhäusern, trat in ihm der Versuchung entgegen, der Anrufung des befreundeten Neffen und den preußisch-russischen Familientraditionen eine Folge zu geben, die zu dem Bruch mit dem deutschen Bundesverhältniß und der Gesammtheit der deutschen Fürstenfamilien führen mußte. In meinem mehre Tage dauernden Vortrage vermied ich es, die Seite der Sache zu betonen, welche für unsre innre Politik von Gewicht gewesen sein würde, weil ich nicht der Meinung war, daß ein Krieg grade im Bunde mit Rußland gegen Oestreich und alle Gegner, mit denen wir es 1866 zu thun bekamen, uns der Erfüllung unsrer nationalen Aufgabe näher gebracht haben würde. Es ist ja ein namentlich in der französischen Politik gebräuchliches Mittel, innre Schwierigkeiten durch Kriege zu überwinden; in Deutschland aber würde dieses Mittel nur dann wirksam gewesen sein, wenn der betreffende Krieg in der Linie der nationalen Entwicklung gelegen hätte. Dazu wäre vor Allem erforderlich gewesen, daß er nicht mit der, unklugerweise noch immer von der öffentlichen Meinung verurtheilten russischen Assistenz geführt wurde. Die deutsche Einheit mußte ohne fremde Einflüsse zu Stande kommen, aus eigner nationaler Kraft. Ueberdies hatte der innre Conflict, von dem der König bei meinem Eintritt in das Ministerium bis zu dem Entschlusse zur Abdication beeindruckt war, an Herrschaft über seine Entschließungen erheblich eingebüßt, seitdem er Minister gefunden hatte, die bereit waren, seine Politik offen, ohne Winkelzüge zu vertreten. Er hatte seitdem die Ueberzeugung gewonnen, daß die Krone, wenn es zum revolutionären Bruche gekommen wäre, stärker gewesen sein würde; die Einschüchterungen der Königin und der Minister der neuen Aera hatten ihre Kraft verloren. Dagegen hielt ich in meinen Vorträgen mit meiner Ansicht von der militärischen Stärke, die ein deutsch-russisches Bündniß, namentlich im ersten Anlauf haben würde, nicht zurück.
Die geographische Lage der drei großen Ostmächte ist der Art, daß eine jede von ihnen, sobald sie von den beiden andern angegriffen wird, sich strategisch im Nachtheil befindet, auch wenn sie in Westeuropa England oder Frankreich zum Verbündeten hat. Am meisten würde Oestreich, isolirt, gegen einen russisch-deutschen Angriff im Nachtheil sein, am wenigsten Rußland gegen Oestreich und Deutschland; aber auch Rußland würde bei einem concentrischen Vorstoß der beiden deutschen Mächte gegen den Bug zu Anfang des Kriegs in einer schwierigen Lage sein. Bei seiner geographischen Lage und ethnographischen Gestaltung ist Oestreich im Kampfe gegen die beiden benachbarten Kaiserreiche deshalb sehr im Nachtheil, weil die französische Hülfe kaum rechtzeitig eintreffen würde, um das Gleichgewicht herzustellen. Wäre aber Oestreich einer deutsch-russischen Coalition von Hause aus unterlegen, wäre durch einen klugen Friedensschluß der drei Kaiser unter sich das gegnerische Bündniß gesprengt oder auch nur durch eine Niederlage Oestreichs geschwächt, so wäre das deutsch-russische Uebergewicht entscheidend. Gleich gute Führung und gleiche Tapferkeit bei den großen Heeren vorausgesetzt, liegt in der territorialen Gestaltung der einzelnen Machtgebiete eine große Stärke der deutsch-russischen Combination, wenn sie von Hause aus sicher zusammenhält. Die Berechnung militärischen Erfolgs und der Glaube an einen solchen sind aber an sich unsicher und werden noch unsichrer, wenn die veranschlagte diesseitige Macht keine einheitliche ist, sondern auf Bündnissen beruht.
In meinem Entwurf der Antwort, der noch länger ausfallen mußte als der Brief des Kaisers Alexander, war hervorgehoben, daß ein gemeinsamer Krieg gegen die Westmächte in seiner schließlichen Entwicklung sich wegen der geographischen Verhältnisse und wegen der französischen Begehrlichkeit nach den Rheinlanden nothwendig zu einem preußisch-französischen condensiren müsse, daß die preußisch-russische Initiative zu dem Kriege unsre Stellung in Deutschland verschlechtern werde, daß Rußland, entfernt von dem Kriegsschauplatze, von den Leiden des Kriegs weniger betroffen sein, Preußen dagegen nicht nur die eignen, sondern auch die russischen Heere materiell zu erhalten haben und daß die russische Politik dann – wenn mein Gedächtniß mich nicht täuscht, habe ich den Ausdruck gebraucht – an dem längern Arme des Hebels sitzen würde, und uns auch, wenn wir siegreich wären, ähnlich wie in dem Wiener Congreß und mit noch mehr Gewicht werde vorschreiben können, wie unser Friede beschaffen sein solle, ebenso wie Oestreich es 1859 bezüglich unsrer Friedensbedingungen mit Frankreich hätte machen können, wenn wir damals in den Kampf gegen Frankreich und Italien eingetreten wären. Ich habe den Text meiner Argumentation nicht in der Erinnrung, obschon ich ihn vor wenigen Jahren behufs unsrer Auseinandersetzung mit der russischen Politik wieder unter Augen gehabt und mich gefreut habe, daß ich damals die Arbeitskraft besessen hatte, ein so langes Concept eigenhändig in einer für den König lesbaren Schrift herzustellen, eine Handarbeit, die für den Erfolg meiner Gasteiner Cur nicht förderlich gewesen sein wird. Obwohl der König die Frage nicht in demselben Maße wie ich unter den deutsch-nationalen Gesichtspunkt zog, so unterlag er doch nicht der Versuchung, der Ueberhebung der östreichischen Politik und der Landtagsmajorität, der Geringschätzung, die beide der preußischen Krone bezeigten, im Bunde mit Rußland ein gewaltthätiges Ende zu machen. Wenn er auf die russische Zumuthung einging, so würden wir bei der Schnelligkeit unsrer Mobilisirung, bei der Stärke der russischen Armee in Polen und bei der damaligen militärischen Schwäche Oestreichs wahrscheinlich, mit oder ohne den Beistand der damals noch unbefriedigten Begehrlichkeit Italiens, Oestreich übergelaufen haben, bevor Frankreich ihm wirksame Hülfe leisten konnte. Wenn man sicher gewesen wäre, daß das Ergebniß dieses Ueberlaufens ein Dreikaiserbündniß unter Schonung Oestreichs gewesen wäre, so wäre meine Beurtheilung der Situation vielleicht nicht zutreffend zu nennen gewesen. Aber diese Sicherheit war Angesichts der divergirenden Interessen Rußlands und Oestreichs im Orient nicht vorhanden; es war kaum wahrscheinlich und auch der russischen Politik nicht zusagend, daß eine siegreiche preußisch-russische Coalition Oestreich gegenüber auch nur mit dem Maße von Schonung verführe, welches von preußischer Seite 1866 im Interesse der Möglichkeit künftiger Wiederannäherung beobachtet worden ist. Ich fürchtete deshalb, daß wir im Falle unsres Siegs über die Zukunft Oestreichs mit Rußland nicht einig sein würden, und daß Rußland selbst bei weitern Erfolgen gegen Frankreich nicht darauf werde verzichten wollen, Preußen in einer unterstützungsbedürftigen Stellung an seiner Westgrenze zu erhalten; am allerwenigsten wäre von Rußland eine Hülfe für eine nationale Politik im Sinne der preußischen Hegemonie zu erwarten gewesen. Tilsit, Erfurt, Olmütz und andre historische Erinnrungen sagten: vestigia terrent.
Kurz, ich hatte nicht das Vertraun zu der Gortschakowschen Politik, daß wir auf dieselbe Sicherheit rechnen könnten, welche Alexander I. 1813 gewährte, bis die Zukunftsfragen, was aus Polen und Sachsen werden und ob Deutschland gegen französische Invasionen eine von russischen Entschließungen unabhängige Deckung haben, Straßburg Bundesfestung werden solle, in Wien zur Verhandlung kamen[3]. So mannigfache Erwägungen hatte ich anzustellen, um zu einem Entschlusse über die Anträge, welche ich dem Könige machen, und die Fassung des Concepts, das ich ihm vorlegen wollte, zu gelangen. Ich zweifle nicht, daß eine Zeit kommen wird, in der auch über diese Vorgänge unsre Archive der Oeffentlichkeit zugänglich werden, es sei denn, daß inzwischen die angeregte Zerstörung der Documente sich vollzieht, die von meiner politischen Thätigkeit Zeugniß geben.
Die Versuchung war groß gewesen für einen Monarchen, dessen Stellung den maßlosen Angriffen der Fortschrittspartei und dem Druck der östreichischen Diplomatie nicht blos auf dem nationalen Gebiete des Frankfurter Fürstencongresses, sondern auch auf dem polnischen von Seiten der drei großen verbündeten Mächte England, Frankreich und Oestreich ausgesetzt war.
Daß der König 1863 seine schwer gekränkte Empfindung als Monarch und als Preuße nicht über die politischen Erwägungen Herr werden ließ, beweist, wie stark in ihm das nationale Ehrgefühl und der gesunde Menschenverstand in der Politik waren.
V.
Im Jahre 1866 konnte der König über die Frage, ob er aus eigner Kraft den parlamentarischen Widerstand brechen und einer Wiederkehr desselben vorbeugen solle, nicht so schnell mit sich in's Reine kommen, so gewichtige Gründe auch dagegen sprachen. Mit der Suspendirung und Revision der Verfassung, mit der Demüthigung der Landtagsopposition wäre allen mit den Erfolgen von 1866 Unzufriednen in Deutschland und Oestreich eine wirksame Waffe gegen Preußen für die vorauszusehenden künftigen Kämpfe gegeben worden. Man hätte sich darauf gefaßt machen müssen, einstweilen in Preußen gegen Parlament und Presse ein Regirungssystem durchzuführen, das von dem ganzen übrigen Deutschland bekämpft wurde. Maßregeln, die bei uns gegen die Presse zu ergreifen gewesen sein würden, würden in Dessau keine Gültigkeit gehabt haben, und Oestreich und Süddeutschland würden ihre Revanche einstweilen dadurch genommen haben, daß sie die von Preußen verlassene Führung auf liberalem und nationalem Gebiete übernahmen. Die nationale Partei in Preußen selbst würde mit den Gegnern der Regirung sympathisirt haben; wir konnten dann innerhalb der verbesserten preußischen Grenzen staatsrechtlich eine Stärkung des Königthums gewinnen, aber doch in Gegenwart stark dissentirender einheimischer Elemente, denen sich die Opposition in den neuen Provinzen angeschlossen haben würde. Wir hätten dann einen preußischen Eroberungskrieg geführt, aber der nationalen Politik Preußens würden die Sehnen durchschnitten worden sein. In dem Bestreben, der deutschen Nation die Möglichkeit einer ihrer geschichtlichen Bedeutung entsprechenden Existenz durch Einheit zu verschaffen, lag das gewichtigste Argument zur Rechtfertigung des geführten deutschen »Bruderkriegs«; die Erneurung eines solchen wurde unabwendbar, wenn der Kampf zwischen den deutschen Stämmen lediglich im Interesse der Stärkung des preußischen Sonderstaats fortgesetzt wurde.
Ich halte den Absolutismus für keine Form einer in Deutschland auf die Dauer haltbaren oder erfolgreichen Regirung. Die preußische Verfassung ist, wenn man von einigen, aus der belgischen übersetzten Phrasenartikeln absieht, in ihrem Hauptprinzip vernünftig; sie hat drei Factoren, den König und zwei Kammern, deren jeder durch sein Votum willkürliche Aendrungen des gesetzlichen status quo hindern kann. Darin liegt eine gerechte Vertheilung der gesetzgebenden Gewalt. Wenn man letztre von der öffentlichen Kritik der Presse und der parlamentarischen Behandlung emancipirt, so wird die Gefahr erhöht, daß sie auf Abwege geriethe. Absolutismus der Krone ist ebenso wenig haltbar wie Absolutismus der parlamentarischen Majoritäten, das Erforderniß der Verständigung beider für jede Aendrung des gesetzlichen status quo ist ein gerechtes, und wir hatten nicht nöthig, an der preußischen Verfassung Erhebliches zu bessern. Es läßt sich mit derselben regiren, und die Bahn deutscher Politik wäre verschüttet worden, wenn wir 1866 daran änderten. Vor dem Siege würde ich nie von »Indemnität« gesprochen haben; jetzt, nach dem Siege, war der König in der Lage, sie großmüthig zu gewähren und Frieden zu schließen, nicht mit seinem Volke – der war nie unterbrochen worden, wie der Verlauf des Krieges gezeigt hat, – sondern mit dem Theile der Opposition, welcher irre geworden war an der Regirung, mehr aus nationalen als aus parteipolitischen Gründen.
Dies waren ungefähr die Gedanken und Argumente, mit denen ich während der viele Stunden langen Fahrt von Prag nach Berlin (4. August) die Schwierigkeiten zu bekämpfen suchte, die die eignen Ansichten, noch mehr aber andre Einflüsse, namentlich auch der Einfluß der conservativen Deputation, in dem Könige hinterlassen hatten. Es kam dazu eine staatsrechtliche Auffassung Sr. Majestät, die ihm ein Verlangen nach Indemnität als ein Eingeständniß begangnen Unrechts erscheinen ließ[4]. Ich suchte vergeblich diesen sprachlichen und rechtlichen Irrthum zu entkräften, indem ich geltend machte, daß in Gewährung der Indemnität nichts weiter liege als die Anerkennung der Thatsache, daß die Regirung und ihr königlicher Chef rebus sic stantibus richtig gehandelt hätten; die Fordrung der Indemnität sei ein Verlangen nach dieser Anerkennung. In jedem constitutionellen Leben, in dem Spielraum, den es den Regirungen gestatte, liege es, daß der Regirung nicht für jede Situation eine Zwangsroute in der Verfassung angewiesen sein könne. Der König blieb bei seiner Abneigung gegen Indemnität, während es mir nothwendig schien, den parlamentarischen Gegnern, von denen doch höchstens diejenigen, die später die freisinnige Partei bildeten, böswillig, die Andern aber nur verrannt waren, sei es politisch, sei es sprachlich, eine goldne Brücke zu bauen, um den innern Frieden Preußens herzustellen und von dieser festen preußischen Basis aus die deutsche Politik des Königs fortzusetzen. Die viele Stunden lange und für mich sehr angreifende Unterredung, weil sie meinerseits stets in vorsichtigen Formen geführt werden mußte, fand im Eisenbahncoupé zu Dreien Statt, mit dem Könige und dem Kronprinzen. Der Letztre aber unterstützte mich nicht, obschon er in dem leichtbeweglichen Ausdruck seines Mienenspiels mich wenigstens durch Kundgebung seines vollen Einverständnisses seinem Herrn Vater gegenüber stärkte.
Durch eine Correspondenz, die ich von Nikolsburg aus mit den übrigen Ministern geführt hatte, war der Entwurf der Thronrede zu Stande gekommen und von Sr. Majestät genehmigt worden mit Ausnahme des auf die Indemnität bezüglichen Satzes. Schließlich gab der König mit Widerstreben auch dazu seine Einwilligung, so daß der Landtag am 5. August mit einer Thronrede eröffnet werden konnte, die ankündigte, daß die Landesvertretung in Bezug auf die ohne Staatshaushaltsgesetz geführte Verwaltung um nachträgliche Bewilligung angegangen werden solle. In verbis simus faciles[5]!
VI.
Das nächste Geschäft war die Regelung unsres Verhältnisses zu den verschiednen deutschen Staaten, mit denen wir im Kriege gewesen waren. Wir hätten die Annexionen für Preußen entbehren und Ersatz dafür in der Bundesverfassung suchen können. Se. Majestät aber hatte an praktische Effecte von Verfassungsparagraphen keinen bessern Glauben wie an den alten Bundestag und bestand auf der territorialen Vergrößrung Preußens, um die Kluft zwischen den Ost- und den Westprovinzen auszufüllen und Preußen ein haltbar abgerundetes Gebiet auch für den Fall des frühern oder spätern Mißlingens der nationalen Neubildung zu schaffen. Bei der Annexion von Hanover und Kurhessen handelte es sich also um Herstellung einer unter allen Eventualitäten wirksamen Verbindung zwischen den beiden Theilen der Monarchie. Die Schwierigkeiten der Zollverbindung zwischen unsern beiden Gebietstheilen und die Haltung Hanovers im letzten Kriege hatten das Bedürfniß eines unbeschränkt in einer Hand befindlichen territorialen Zusammenhangs im Norden von Neuem anschaulich gemacht. Wir durften der Möglichkeit, bei künftigen östreichischen oder andern Kriegen ein oder zwei feindliche Corps von guten Truppen im Rücken zu haben, nicht von Neuem ausgesetzt werden. Die Besorgniß, daß die Dinge sich einmal so gestalten könnten, wurde verschärft durch die überschwängliche Auffassung, die der König Georg V. von seiner und seiner Dynastie Mission hatte. Man ist nicht jeden Tag in der Lage, einer gefährlichen Situation der Art abzuhelfen, und der Staatsmann, den die Ereignisse in den Stand setzen, letztres zu thun, und der sie nicht benutzt, nimmt eine große Verantwortlichkeit auf sich, da die völkerrechtliche Politik und das Recht der deutschen Nation, ungetheilt als solche zu leben und zu athmen, nicht nach privatrechtlichen Grundsätzen beurtheilt werden kann. Der König von Hanover schickte durch einen Adjutanten nach Nikolsburg einen Brief an den König, den ich Se. Majestät nicht anzunehmen bat, weil wir nicht gemüthliche, sondern politische Gesichtspunkte im Auge zu halten hätten, und weil die Selbständigkeit Hanovers mit der völkerrechtlichen Befugniß, seine Truppen nach dem jedesmaligen Ermessen des Souveräns gegen oder für Preußen in's Feld führen zu können, mit der Durchführung deutscher Einheit unvereinbar war. Die Haltbarkeit der Verträge allein ohne die Bürgschaft einer hinreichenden Hausmacht des leitenden Fürsten hat niemals hingereicht, der deutschen Nation Frieden und Einheit im Reiche zu sichern.
Es gelang mir, den König von dem Gedanken abzubringen, mit Hanover und Hessen auf der Basis der Zerstücklung dieser Länder und des Bündnisses mit den frühern Herrschern als Theilfürsten eines Restes zu verhandeln. Wenn der Kurfürst Fulda und Hanau, und Georg V. Kalenberg mit Lüneburg und der Aussicht auf die Erbfolge in Braunschweig behalten hätte, so würden weder die Hanoveraner und Hessen noch die beiden Fürsten zufriedne Theilnehmer des Norddeutschen Bunds geworden sein. Dieser Plan würde uns unzufriedne und behufs Wiedererwerb des Verlornen zur Rheinbündelei geneigte Bundesgenossen gegeben haben.
Auch eine so unbedingte Hingebung für Oestreich, wie sie Nassau bewiesen hatte, in der unmittelbaren Nähe von Coblenz, war eine gefährliche Erscheinung, besonders in der Eventualität französisch-östreichischer Bündnisse, wie sie sich während des Krimkriegs und der polnischen Wirren von 1863 in bedrohliche Aussicht gestellt hatten. Die Abneigung Sr. Majestät gegen Nassau war ein väterliches Erbtheil. Friedrich Wilhelm III. pflegte durch das Herzogthum zu reißen, ohne den Herzog zu sehn. Das Contingent des Herzogs hatte sich in der Rheinbundzeit in Preußen besonders unangenehm gemacht, und König Wilhelm I. wurde gegen Concessionen an den Herzog durch den leidenschaftlichen Widerspruch der Deputationen früherer nassauischer Unterthanen eingenommen; die stehende Rede derselben war: »Schütze Se uns vor dem Fürste und sei' Jagdknechte«[6].
Es blieben Friedensverträge zu schließen mit Sachsen und den süddeutschen Staaten. Herr von Varnbüler bewies dieselbe Lebhaftigkeit des Temperaments wie bei den Vorbereitungen zum Kriege und war der erste, mit dem der Abschluß gelang[7]. Es handelte sich unter Anderm darum, ob wir, da Würtemberg das preußische Hohenzollern in Besitz genommen hatte, jetzt, wie der König wollte, den Spieß umkehren und eine Vergrößrung Hohenzollerns auf Kosten Würtembergs fordern wollten. Ich konnte darin weder für Preußen noch für die nationale Zukunft einen Nutzen sehn und hielt überhaupt das Vergeltungsprinzip nicht für eine vernünftige Basis unsrer Politik[8], die auch da, wo unser Gefühl verletzt war, nicht von der eignen Verstimmung, sondern von der objectiven Erwägung geleitet werden sollte. Grade weil Varnbüler uns gegenüber einige diplomatische Sünden auf dem Conto hatte, war er für mich ein nützlicher Unterhändler, und indem ich mich dazu verstand, die Vergangenheit zu vergessen, gewann ich durch den Vorgang Würtembergs im Abschluß des Bündnisses (13. August) den Weg zu den andern.
Ich weiß nicht, ob Roggenbach bei den Friedensschlüssen im Auftrage des Großherzogs von Baden handelte, indem er mir vorstellte, daß Baiern durch seine Größe ein Hinderniß der deutschen Einigung sei, sich leichter in eine künftige Neugestaltung Deutschlands einfügen werde, wenn es kleiner gemacht wäre, und daß es sich deshalb empfehle, ein besseres Gleichgewicht in Süddeutschland dadurch herzustellen, daß Baden vergrößert und durch Angliederung der Pfalz in unmittelbare Grenznachbarschaft mit Preußen gebracht würde, wobei auch weitre Verschiebungen in Anlehnung an preußische Wünsche, die dynastischen Stammlande Ansbach-Bayreuth wiederzugewinnen, und mit Einbeziehung Würtembergs in Aussicht genommen waren. Ich ließ mich auf diese Anregung nicht ein, sondern lehnte sie a limine ab. Auch wenn ich sie ausschließlich unter dem Gesichtspunkte der Nützlichkeit hätte auffassen wollen, so verrieth sie einen Mangel an Augenmaß für die Zukunft, und eine Verdunklung des politischen Blickes durch badische Hauspolitik. Die Schwierigkeit, Baiern gegen seinen Willen in eine ihm nicht zusagende Reichsverfassung hinein zu zwingen, wäre dieselbe geblieben, auch wenn man die Pfalz an Baden gegeben hätte; und ob die Pfälzer ihre bairische Angehörigkeit bereitwillig gegen die badische vertauscht haben würden, ist fraglich. Als vorübergehend davon die Rede war, Hessen für sein Gebiet nördlich des Mains mit bairischem Lande in der Richtung von Aschaffenburg zu entschädigen, gingen mir aus dem letztern Gebiete Proteste zu, die, obschon aus streng katholischer Bevölkerung kommend, darin gipfelten, wenn die Unterzeichner nicht Baiern bleiben könnten, so wollten sie lieber Preußen werden, aber von Baiern zu Hessen gemacht zu werden, sei ihnen unannehmbar. Sie schienen von der Erwägung des Rangs der Landesherrn beherrscht und von der Stimmenordnung am Bundestage, wo Baiern vor Hessen rangirte. In derselben Richtung ist mir aus meiner Frankfurter Zeit die Aeußrung eines preußischen Reservisten zu einem kleinstaatlichen erinnerlich: »Sei du ganz stille, du hast ja nicht einmal einen König.« Ich hielt Aendrungen der Staatsgrenzen in Süddeutschland für keinen Fortschritt zur Einigung des Ganzen.
Eine Verkleinerung Baierns im Norden wäre dem damaligen Wunsche des Königs entgegengekommen, Ansbach und Bayreuth in der alten Ausdehnung wiederzugewinnen. Mit meinen politischen Auffassungen stimmte auch dieser Plan, so sehr er meinem verehrten und geliebten Herrn am Herzen lag, ebenso wenig wie der badische überein, und ich habe ihm erfolgreich Widerstand geleistet[9]. Im Herbst 1866 war eine Voraussicht über die zukünftige Haltung Oestreichs noch nicht möglich. Die Eifersucht Frankreichs uns gegenüber war gegeben, und niemandem war besser als mir die Enttäuschung Napoleon's über unsre böhmischen Erfolge bekannt. Er hatte mit Sicherheit darauf gerechnet, daß Oestreich uns schlagen und wir in die Lage kommen würden, seine Vermittlung zu erkaufen. Wenn nun Frankreichs Bemühungen, diesen Irrthum und seine Folgen wieder gut zu machen, bei der durch unsern Sieg nothwendig hervorgerufnen Verstimmung in Wien Erfolg hatten, so wäre manchen deutschen Höfen die Frage nahe getreten, ob sie im Anschluß an Oestreich, gewissermaßen in einem zweiten schlesischen Kriege, den Kampf gegen uns von Neuem aufnehmen wollten oder nicht. Daß Baiern und Sachsen dieser Versuchung unterliegen würden, war möglich; daß ein im Roggenbach'schen Sinne verstümmeltes Baiern seine Revanche gegen uns im Anschlusse an Oestreich gesucht haben würde, war aber wahrscheinlich.
VII.
Ein solcher Anschluß würde vielleicht einen größern Umfang gewonnen haben als die Welfenlegion, welche demnächst unter französischem Protektorate gegen uns Aufstellung nahm. Daß diese im Jahre 1870, abgesehn von einzelnen verkommnen Persönlichkeiten, nicht mehr auf der Bildfläche erschienen ist, ist zum großen Theile dem Umstände zu verdanken, daß sich Eingeweihte der in Hanover vorbereiteten Verabredung fanden, die mich von den getroffnen Vorbereitungen bis in's Einzelne benachrichtigten und sich erboten, die ganze Combination zu vereiteln, wenn ihnen die Bezüge ihrer frühern hanöverschen Stellung gesichert würden. Ich hatte nach damals gerichtlich aufgefangnen Correspondenzen die Besorgniß, daß wir in die Notwendigkeit gerathen könnten, welfischen Unternehmungen gegenüber zu Repressalien zu schreiten, die Angesichts der Kriegsgefahr nicht anders als streng ausfallen konnten. Man darf nicht vergessen, daß wir damals des Siegs über Frankreich, nach der großen Vergangenheit der französischen Armee, nicht so sicher waren, um nicht jede Erschwerung unsrer Lage sorgsam zu verhindern. Ich verabredete daher mit den Unterhändlern, die mir näher traten, daß ihre Wünsche erfüllt werden sollten, wenn sie ihre Zusagen erfüllten, und bezeichnete als Kennzeichen dieser Bedingung die Frage, daß wir nicht genöthigt sein würden, einen hanöverschen Landsmann wegen Kampfes gegen deutsches Militär zu erschießen. Es sind denn auch im Lande keine Bewegungen vorgekommen, und nach dem Ausbruch des Kriegs beschränkte sich die Abreise von Welfen nach Frankreich zu Wasser und zu Lande auf einzelne bereits Compromittirte. Nach der Haltung der hanöverschen Truppentheile im Kriege ist es nicht wahrscheinlich, daß ein welfischer Aufstand in der Heimath einen erheblichen Umfang hätte annehmen können, wenigstens nicht, so lange unser Vorgehn in Frankreich siegreich war. Was geschehn wäre, wenn wir geschlagen und verfolgt durch Hanover heimgekehrt wären, lasse ich unberührt. Eine prophylaktische Politik hat aber auch solche Möglichkeiten zu erwägen; jedenfalls war ich entschlossen, in der Zwangslage des Kriegs dem Könige zu jedem Acte energischer Abwehr zu rathen, den der Trieb der staatlichen Selbsterhaltung eingeben kann. Und selbst wenn nur einzelne schwere und wahrscheinlich blutige Bestrafungen hätten stattfinden müssen, so würden die Gewaltthaten gegen deutsche Landsleute, wie sehr sie auch durch die Kriegsgefahr gerechtfertigt sein mochten, auf Menschenalter hin ein Hinderniß der Versöhnung und einen Vorwand für Verhetzungen abgegeben haben. Es war mir deshalb wichtig, solchen Eventualitäten rechtzeitig vorzubeugen.
VIII.
Die Kämpfe während des vergangnen Winters mit dem Könige, der den Krieg nicht wollte, während des Feldzugs mit den Militärs, die nur Oestreich, nicht die übrigen Mächte Europas vor sich sahn, und mit dem Könige über den Friedensschluß und dann wieder über die Indemnität, hatten mich so angegriffen, daß ich der Ruhe und Erholung bedurfte. Ich ging zunächst am 26. September zu meinem Vetter, dem Grafen Bismarck-Bohlen in Karlsburg, und dann am 6. October nach Putbus, wo ich im Gasthofe schwer erkrankte[10]. Der Fürst und die Fürstin Putbus gewährten mir eine liebenswürdige Gastfreiheit in einem Pavillon, der neben dem abgebrannten Schlosse stehn geblieben war. Nachdem der erste heftige Anlauf der Krankheit überstanden war, konnte ich die Geschäfte wieder in die Hand nehmen durch Correspondenz mit Savigny. Als der letzte preußische Gesandte am Bundestage war er der natürliche Erbe des Decernats über die im Vordergrunde stehende deutsche Politik. Er führte die Verhandlungen mit Sachsen zu Ende, was vor meiner Abreise nicht gelungen war. Ihr Ergebniß ist publici juris, und ich kann mich einer Kritik derselben enthalten[11]. Die militärische Selbständigkeit Sachsens wurde demnächst unter Vermittlung des Generals von Stosch durch persönliche Entschließungen Sr. Majestät weiter entwickelt, als sie nach dem Vertrage bemessen war.
Die geschickte und ehrliche Politik der beiden letzten sächsischen Könige hat diese Concessionen gerechtfertigt, namentlich so lange es gelingt, die bestehende preußisch-östreichische Freundschaft zu erhalten. Es ist in den geschichtlichen und confessionellen Traditionen, in der menschlichen Natur und speciell in den fürstlichen Ueberlieferungen begründet, daß der enge Bund zwischen Preußen und Oestreich, der 1879 geschlossen wurde, auf Baiern und Sachsen einen concentrirenden Druck ausübt, um so stärker, je mehr das deutsche Element in Oestreich, Vornehm und Gering, seine Beziehungen zur habsburgischen Dynastie zu pflegen weiß. Die parlamentarischen Exzesse des deutschen Elements in Oestreich und deren schließliche Wirkung auf die dynastische Politik drohten nach dieser Richtung hin das Gewicht des deutschnationalen Elements nicht nur in Oestreich abzuschwächen. Die doctrinären Mißgriffe der parlamentarischen Fractionen sind den Bestrebungen politisirender Frauen und Priester in der Regel günstig.
__________________Anmerkungen:
- ↑ Vgl. Bd. I 303, 341.
- ↑ Shakespeare, Hamlet III 1.
- ↑ Die Frage, ob Straßburg Bundesfestung werden solle, ist im zweiten Pariser Frieden, jedoch nicht in Wien verhandelt worden.
- ↑ Die Angabe in Roon's Denkwürdigkeiten (»Deutsche Revue« 1891 Bd. I S. 133, Ausgabe in Buchform II(4) 482): »Für Bismarck's Zustimmung war es jedenfalls entscheidend, daß er die versöhnlichen Anschauungen seines Monarchen genau kannte«, ist irrthümlich.
- ↑ Man vgl. dazu Rede Bismarck's vom 1. Sept. 1866, Politische Reden III 66 ff.
- ↑ Vgl. die Botschaft vom 16. Aug. 1866, betr. die Vereinigung des Königreichs Hannover, des Kurfürstenthums Hessen, des Herzogthums Nassau und der Freien Stadt Frankfurt mit dem Königreich Preußen, Politische Reden III 50 ff.
- ↑ S. o. S. 68, 70.
- ↑ S. o. S. 66.
- ↑ Baiern trat im Frieden vom 22. Aug. 1866 nur das Bezirksamt Gersfeld und einen Bezirk um Orb ab, nachdem eine Grenzregulirung zur Wahrung der strategischen und der Verkehrsinteressen als erforderlich befunden worden war.
- ↑ Vgl. dazu die Auszüge aus Briefen der Gräfin Bismarck an v. Keudell, Rob. v. Keudell, Fürst und Fürstin Bismarck. S. 313 ff.
- ↑ Der Friede mit Sachsen kam erst am 21. Oct. 1866 zu Stande.