IV.

Bei dem Plane, mich durch ein Cabinet Gladstone zu ersetzen, war auf den Grafen Botho Eulenburg gerechnet, seit dem 31. März 1878 Minister des Innern, welchem seine Verwandschaft den traditionellen Hofeinfluß seiner und der Dönhoff'schen Familie sicherte. Er ist gescheidt, elegant, eine vornehmere Natur als Harry von Arnim, glatter polirt als Robert Goltz; aber ich habe auch mit ihm das Erlebniß gehabt, daß begabte Mitarbeiter und eventuelle Nachfolger, die ich heranzuziehn suchte, mir ihr Wohlwollen nicht dauernd bewahrten.

Meine Beziehungen zu ihm wurden zuerst geschädigt durch einen Ausbruch der Empfindlichkeit, die bei ihm äußerlich durch die volle Höflichkeit guter Erziehung verdeckt wurde, aber doch von einer für den geläufigen und vertraulichen Geschäftsverkehr störenden Schärfe war. Mein damaliger Beistand für vertrauliche Geschäfte, der Geheim-Rath Tiedemann, veranlaßte durch die Form, in der er einen Auftrag während meiner Abwesenheit von Berlin bei dem Grafen ausrichtete, diesen zu einer mir unerwarteten brieflichen Explosion. Da mein Auftrag an Tiedemann ein sachliches und noch lebendiges Interesse hat, so lasse ich die Correspondenz folgen.

»Kissingen, den 15. August 1878. Eure Hochwohlgeboren bitte ich, Herrn Minister Grafen Eulenburg und Herrn Geheim-Rath Hahn mein Bedauern darüber auszusprechen, daß der Entwurf des Socialistengesetzes in der Provinzial-Correspondenz amtlich publicirt worden ist, bevor er im Bundesrath vorgelegt war. Die Veröffentlichung präjudicirt jeder Amendirung durch uns und ist für Baiern und andre Dissentirende verletzend. Nach meinen Verhandlungen von hier aus mit Baiern muß ich annehmen, daß letztres an seinem Widerspruche gegen das Reichsamt unbedingt festhält. Würtemberg und, wie ich höre, auch Sachsen widersprechen dem Reichsamt nicht im Prinzip, wohl aber angebrachtermaßen, indem sie die Zuziehung von Richtern perhorresciren. Diesem Widerspruche kann ich mich persönlich nur anschließen. Es handelt sich nicht um richterliche, sondern um politische Functionen, und auch das preußische Ministerium darf in seinen Vorentscheidungen nicht einem richterlichen Collegium unterstellt und auf diese Weise für alle Zukunft in seiner politischen Bewegung gegen den Socialismus lahm gelegt werden. Die Functionen des Reichsamts können nach meiner Auffassung nur durch den Bundesrath entweder direct oder durch Delegation an einen jährlich zu wählenden Ausschuß geübt werden. Der Bundesrath repräsentirt die Regirungsgewalt der Gesammt-Souveränetät von Deutschland, dabei etwa dem Staatsrathe unter andern Verhältnissen entsprechend.

Bisher muß ich indessen annehmen, daß Baiern auf diesen für Würtemberg, Sachsen und für mich persönlich annehmbaren Ausweg nicht eingehn wird. Auch die Klausel in Nro. 3 Artikel 23, daß nur arbeitslose Individuen ausgewiesen werden dürfen, ist für den Zweck ungenügend.

Ferner bedarf das Gesetz meines Erachtens eines Zusatzes in Betreff der Beamten dahingehend, daß Betheiligung an socialistischer Politik die Entlassung ohne Pension nach sich zieht. Die Mehrzahl der schlecht bezahlten Subalternbeamten in Berlin, und dann der Bahnwärter, Weichensteller und ähnlicher Kategorien sind Socialisten, eine Thatsache, deren Gefährlichkeit bei Aufständen und Truppentransporten einleuchtet.

Ich halte ferner, wenn das Gesetz wirken soll, für die Dauer nicht möglich, den gesetzlich als Socialisten erweislichen Staatsbürgern das Wahlrecht und die Wählbarkeit und den Genuß der Privilegien der Reichstagsmitglieder zu lassen.

Alle diese Verschärfungen werden, nachdem einmal die mildere Form in allen Zeitungen gleichzeitig bekannt gegeben, denselben also wohl amtlich mitgetheilt ist, im Reichstage sehr viel weniger Aussicht haben, als der Fall sein könnte, wenn eine mildere Version nicht amtlich bekannt geworden wäre.

Die Vorlage, so wie sie jetzt ist, wird praktisch dem Socialismus nicht Schaden thun, zu seiner Unschädlichmachung keinesfalls ausreichen, namentlich da ganz zweifellos ist, daß der Reichstag von jeder Vorlage etwas abhandelt. Ich bedaure, daß meine Gesundheit mir absolut verbietet, mich jetzt sofort an den Verhandlungen des Bundesrathes zu betheiligen, und muß mir vorbehalten, meine weitern Anträge im Bundesrathe im Hinblick auf die ordentliche Reichstagssession im Winter zu stellen.

v. Bismarck.«

»Berlin, den 18. August 1878.

Eure Durchlaucht

haben den Geheimen Regierungsrath Tiedemann beauftragt, mir und dem Geheimen Rath Hahn Ihr Bedauern darüber auszusprechen, daß der Entwurf des Socialistengesetzes in der Provinzial-Correspondenz amtlich publicirt worden ist, ehe er im Bundesrath vorgelegt war. Den Geheimen Rath Hahn trifft hierbei keine Verantwortlichkeit, da er nicht ohne meine Zustimmung gehandelt hat. Letztere habe ich erst ertheilt, nachdem Abends zuvor die den Entwurf enthaltende Drucksache des Bundesraths ohne besondere Anempfehlung discreter Behandlung ausgegeben und mir Seitens des Herrn Präsidenten des Reichskanzleramts mitgetheilt worden war, daß unter diesen Umständen die Veröffentlichung des Entwurfs durch die Zeitungen am folgenden, also an demselben Tage, an welchem die Provinzial-Correspondenz erschien, mit Sicherheit zu erwarten sei, eine Annahme, welche sich demnächst als völlig zutreffend erwiesen hat. Die Sitzung des Bundesraths fand am 14. d. M. Nachmittags 2 Uhr statt, die Provinzial-Correspondenz wurde an demselben Tage Nachmittags ausgegeben; die Mittheilung des Inhalts des Gesetzentwurfs in derselben hat also nicht früher stattgefunden als die Vorlegung des Entwurfs im Bundesrathe.

Ob es dennoch besser gewesen wäre, jene Mittheilung in der Provinzial-Correspondenz zu unterlassen, habe ich nicht die Absicht weiter zu erörtern. Ew. Durchlaucht erleuchtetes Urtheil zu vernehmen, wird mir stets von hohem Werthe sein, auch wenn dasselbe von dem meinigen abweicht. Dagegen kann ich es nicht stillschweigend hinnehmen, daß Ew. Durchlaucht Ihr Mißfallen mir durch Einen Ihrer Untergebenen haben eröffnen und die darin liegende Mißachtung meiner Stellung um so schärfer haben hervortreten lassen, als Sie mich hierbei mit Einem meiner Untergebenen auf Eine Linie stellten. Das Verletzende dieses Verfahrens springt so sehr in die Augen, daß die Annahme der Absichtlichkeit und die hieran nothwendiger Weise sich knüpfende Gedankenreihe nahe liegen. Der letzteren Folge zu geben, werde ich nicht zögern, sobald ich mich überzeuge, daß diese Annahme zutrifft. Indem ich einstweilen davon ausgehe, daß dies nicht der Fall ist, beschränke ich mich darauf, Ew. Durchlaucht dringend zu bitten, ein ähnliches Verfahren nicht wiederkehren zu lassen.

Mit etc.

Graf Eulenburg.«

»Gastein, den 20. August 1878.

Eure Excellenz haben, wie ich aus dem geehrten Schreiben vom 18. entnehme, die, wie es scheint, wenig vorsichtige, mir jedenfalls unerwartete Folge, die der Geheim-Rath Tiedemann meiner vertraulichen und formlosen Aeußerung gegeben hat, mir mit vollem Gewichte zur Last geschrieben, ohne mir auch nur das Beneficium der Unvollkommenheit des Geschäftsganges bei eingreifender Badekur zu gewähren. Nach Inhalt Ihres Schreibens bin ich unter dem Eindruck, daß Ihnen gegenüber eine Tactlosigkeit in der Form begangen ist, für die ich Sie um Verzeihung bitte, obschon ich sie nicht verschuldet, höchstens ermöglicht habe. Daß Eurer Excellenz dabei der Gedanke an eine Absichtlichkeit meinerseits hat nahe treten können, ist mir unerwartet und betrübend, indem ich die freundschaftliche Natur unsrer persönlichen Beziehungen zu einander zu gesichert glaubte, um ein derartiges Mißverständniß aufkommen zu lassen.

Mit etc.

v. Bismarck.«

Es ist bekannt, unter welchen Umständen Graf Eulenburg im Februar 1881 seinen Abschied nahm,[1] und daß er im August desselben Jahres zum Oberpräsidenten in Kassel ernannt wurde.

An seinen Namen knüpft sich folgender Briefwechsel zwischen Sr. Majestät und mir. Den Gegenstand meines darin erwähnten Vortrags vom 17. December 1881 habe ich nicht zu ermitteln vermocht.

»Berlin, den 18. December 1881.

Einen eigenthümlichen Traum muß ich Ihnen erzählen, den ich diese Nacht träumte, so klar, wie ich ihn hier mittheile.

Der Reichstag trat nach den jetzigen Ferien zum ersten Mal zusammen. Während der Discussion trat der Graf Eulenburg ein; sogleich schwieg die Discussion; nach einer langen Pause ertheilte der Präsident dem letzten Redner von Neuem das Wort. Schweigen! Der Präsident hebt die Sitzung auf. Nun entsteht ein Tumult und Geschrei. Keinem Mitgliede darf ein Orden während der Session des Reichstags ertheilt werden; der Monarch darf nicht in der Session genannt werden. Andern Tages Sitzung. Eulenburg erscheint und wird mit solchem Zischen und Lärm empfangen – darüber erwache ich in einer nervösen Agitation, daß ich lange mich nicht erholen konnte und zwei Stunden von ½5 bis ½7 Uhr nicht schlafen konnte.

Das alles geschah in meiner Gegenwart im Hause so klar, wie ich es hier niederschreibe.

Ich will nicht hoffen, daß der Traum sich realisiere, aber eigentümlich bleibt die Sache. Da dieser Traum erst nach dem sechsstündigen ruhigen Schlaf eintrat, so könnte er doch keine unmittelbare Folge unserer Unterredung sein.

Enfin ich mußte Ihnen diese Curiosität doch erzählen.

Ihr

Wilhelm.«

»Berlin, den 18. December 1881.

Eurer Majestät danke ich ehrfurchtsvoll für das huldreiche Handschreiben. Ich glaube doch, daß der Traum das Ergebniß nicht grade meines vorhergehenden Vortrages, aber doch der Gesammtheit der Eindrücke der letzten Tage, auf Grund der mündlichen Berichte von Puttkamer, der Zeitungsartikel und meines Vortrags war. Die Bilder des Wachens tauchen im Spiegel des Traumes nicht sofort, sondern erst dann wieder auf, wenn der Geist durch Schlaf und Ruhe still geworden ist. Eurer Majestät Mittheilung ermuthigt mich zur Erzählung eines Traumes, den ich Frühjahr 1863 in den schwersten Conflictstagen hatte, aus denen ein menschliches Auge keinen gangbaren Ausweg sah. Mir träumte, und ich erzählte es sofort am Morgen meiner Frau und andern Zeugen, daß ich auf einem schmalen Alpenpfad ritt, rechts Abgrund, links Felsen; der Pfad wurde schmaler, so daß das Pferd sich weigerte, und Umkehr und Absitzen wegen Mangel an Platz unmöglich; da schlug ich mit meiner Gerte in der linken Hand gegen die glatte Felswand und rief Gott an; die Gerte wurde unendlich lang, die Felswand stürzte wie eine Coulisse und eröffnete einen breiten Weg mit dem Blick auf Hügel und Waldland wie in Böhmen, Preußische Truppen mit Fahnen und in mir noch im Traume der Gedanke, wie ich das schleunig Eurer Majestät melden könnte. Dieser Traum erfüllte sich, und ich erwachte froh und gestärkt aus ihm.

Der böse Traum, aus dem Eure Majestät nervös und agitirt erwachten, kann doch nur so weit in Erfüllung gehn, daß wir noch manche stürmische und lärmende Parlamentssitzung haben werden, durch welche die Parlamente ihr Ansehn leider untergraben und die Staatsgeschäfte hemmen; aber Eurer Majestät Gegenwart dabei ist nicht möglich, und ich halte dergleichen Erscheinungen wie die letzten Reichstagssitzungen zwar für bedauerlich als Maßstab unsrer Sitten und unsrer politischen Bildung, vielleicht unsrer politischen Befähigung; aber für kein Unglück an sich: l'excès du mal en devient le remède.

Verzeihn Eure Majestät mit gewohnter Huld diese durch Allerhöchstdero Schreiben angeregte Ferienbetrachtung; denn seit gestern bis zum 9. Januar haben wir Ferien und Ruhe.«

Die Beschwerde des Grafen Eulenburg über Tiedemann und die darin sofort gestellte Cabinetsfrage waren mir in ihrer Form um so mehr auf die Nerven gefallen, als ich an den Folgen einer schweren Erkrankung litt, die durch die Einwirkung der auf den Kaiser gemachten Attentate und den gleichzeitigen Zwang zur Arbeit in dem Präsidium des Berliner Congresses hervorgerufen, zwar aus amtlichem Pflichtgefühle zurückgedrängt, aber durch die Gasteiner Kur mehr verschärft als geheilt war. Diese Kur, der mein Mitarbeiter, der Staatsminister Bernhard von Bülow, am 20. October 1879 erlag, wirkt auf überarbeitete Nerven nicht beruhigend, wenn sie durch Arbeit oder Gemüthsbewegung gestört wird.

Unmittelbar nach meiner Rückkehr nach Berlin hatte ich die Vorlage des Socialistengesetzes im Reichstage zu vertreten und fand dabei die Erfahrung bestätigt, daß die oratorische Leistung auf der Tribüne eine geringere Nervenanstrengung erfordert als die Correctur einer langen schnell gesprochnen Rede, deren Wortlaut an leitender Stelle vertreten werden soll. Während einer solchen Correctur kam bei mir eine seit Monaten vorbereitete Nervenkrisis körperlich zum Ausbruche, glücklicherweise in der leichtern Form der Nesselsucht.

Die Aufgaben eines leitenden Ministers einer europäischen Großmacht mit parlamentarischer Verfassung sind an sich hinreichend aufreibender Natur, um die Arbeitsfähigkeit eines Mannes zu absorbiren; sie werden es in höherm Maße, wenn der Minister, wie in Deutschland und Italien, einer Nation über das Stadium ihrer Ausbildung hinwegzuhelfen und wie bei uns mit einem starken Isolirungstrieb der Parteien und Individuen zu kämpfen hat. Wenn man Alles, was der Mensch an Kräften und Gesundheit besitzt, an die Lösung solcher Aufgaben setzt, so ist man gegen alle Erschwerungen derselben, welche nicht sachlich nothwendig sind, doppelt empfindlich. Ich glaubte schon zu Anfang der 70er Jahre mit meiner Gesundheit zu Ende zu sein und überließ deshalb das Präsidium des Cabinets dem einzigen mir persönlich Nahestehenden unter meinen Collegen, dem Grafen Roon, wurde aber damals nicht durch sachliche Schwierigkeiten entmuthigt. Um letztres herbeizuführen, mußte die feindliche Intrige der Kreise hinzutreten, auf deren Unterstützung ich vorzugsweise glaubte rechnen zu können, und die sich zur Zeit der »Reichsglocke« in den Beziehungen der durch dieses Blatt vertretnen Elemente in erster Linie zum Hofe und den Conservativen und zu vielen meiner amtlichen Mitarbeiter kennzeichnete. Die Thatsache, daß ich bei dem mir sonst so gnädigen Monarchen keinen genügenden Beistand gegen die Hof- und Hauseinflüsse des Reichsglockenringes fand, hatte mich am meisten entmuthigt und das Gewicht der Erwägungen vervollständigt, die mich zu meinem Abschiedsgesuche vom 27. März 1877 bewogen hatten. Die Gürtelrose, an welcher ich krank war, als Graf Schuwalow 1878 von mir die Berufung des Congresses verlangte, kennzeichnete den Fehlbetrag in dem damaligen Zustande meiner Gesundheit, war eine Quittung über Erschöpfung der Nerven. Mehr als die »Reichsglocke« und deren Zubehör am Hofe hatte daran der Mangel an Aufrichtigkeit in der Mitwirkung einiger meiner amtlichen Mitarbeiter Antheil. Meine Vertretung durch das Vicepräsidium des Grafen Stolberg nahm durch den Einfluß, den die Minister Friedenthal und dann Graf Botho Eulenburg auf meinen Vertreter ausübten, eine Gestalt an, die mir schließlich den Eindruck machte, daß ich mich einem Systeme allmäligen Abdrängens von den Geschäften der politischen Leitung gegenüber befand. Das Symbol dieses Systems machte sich in der Thatsache kenntlich, daß die amtlichen Kundgebungen des Staatsministeriums aus der damaligen Zeit meiner Mitunterschrift entbehrten. Es geschah das nicht auf meinen Wunsch oder mit meiner Zustimmung, sondern unter Benutzung meiner Gleichgültigkeit gegen Aeußerlichkeiten, und ich habe diese Vorgänge ungerügt gelassen, bis ich über die systematische Absichtlichkeit derselben keinen Zweifel mehr haben konnte.

Die auf spätre Ereignisse Licht werfenden Einzelnheiten gehören nicht alle in die Situation zur Zeit der Conseilsitzung im Juni 1878, aber sie beleuchten zum Theil retrospectiv die damalige Lage und ihre Triebfedern. Graf Botho Eulenburg als Minister des Innern gab damals auf der Tribüne des Landtags ohne Zwang sein Wohlwollen für den Abgeordneten Rickert gegenüber einem Artikel der »Nordd. Allg. Ztg.« mit absichtlicher Klarheit zu erkennen, für mich um so einleuchtender, als ich keinen Zweifel hatte, daß er jenen von ihm gemißbilligten Artikel mit mir in Verbindung brachte. Wie in der Nacht beim Gewitter jeder Blitz die Gegend deutlich zeigt, so gestatteten auch mir einzelne Schachzüge meiner Gegner die Gesammtheit der Situation zu überblicken, die durch äußerlich achtungsvolle Kundgebungen von persönlichem Wohlwollen bei thatsächlicher Boycottirung erzeugt wurde. Ob ein Cabinet Gladstone, dessen Mission durch die Namen Stosch, Eulenburg, Friedenthal, Camphausen, Rickert und beliebige Abschwächungen des Gattungsbegriffs »Windthorst« mit katholischen Hofeinflüssen bezeichnet werden kann, wenn es gelang, dasselbe zu Stande zu bringen, in sich haltbar gewesen wäre, ist eine Frage, die sich die Interessenten wohl nicht vorgelegt hatten; der Hauptzweck war der negative, mich zu beseitigen, und über den waren einstweilen die Inhaber der Antheilscheine auf die Zukunft einig. Jeder konnte nachher wieder hoffen, den Andern hinauszudrängen, wie das bei uns im System aller der heterogenen Coalitionen liegt, die nur in der Abneigung gegen das Bestehende einig sind. Die ganze Combination hatte damals keinen Erfolg, weil weder der König noch der Kronprinz dafür zu gewinnen waren. Ueber die Beziehungen des Letztern zu mir waren die strebenden Gegner damals wie später 1888 stets falsch unterrichtet. Er hatte bis an sein Lebensende dasselbe Vertrauen zu mir wie sein Vater, und die Neigung, es zu erschüttern, erreichte bei seiner Gemalin niemals dieselbe kampfbereite Entschiedenheit wie bei der Kaiserin Augusta, die sich auch in der Wahl der Mittel freier bewegte.

Neben den aufreibenden Kämpfen persönlicher Natur waren mir sachliche Schwierigkeiten und anstrengende Arbeiten erwachsen aus dem Bruche mit der Freihandelspolitik, den mein Brief an den Freiherrn von Thüngen[2] über Schutzzoll symptomatisch kennzeichnet, dann aus der Secession und dem Uebergange der Secessionisten zu dem Centrum. Ich verfiel in einen Gesundheitsbankrott, der mich lähmte, bis Dr. Schweninger meine Krankheit richtig erkannte, richtig behandelte und mir ein relatives Gesundheitsgefühl verschaffte, das ich seit vielen Jahren nicht mehr gekannt hatte.

V.

Herr von Gruner, während der Neuen Aera Unterstaatssekretär in dem Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, wurde bald nach meiner Uebernahme des Ministeriums des Auswärtigen zur Disposition gestellt und durch Herrn von Thile ersetzt. Er gehörte schon seit meiner Ernennung zum Bundesgesandten zu meinen Gegnern, da er diese Stellung als ein Erbtheil von seinem Vater Justus Gruner angesehn hatte; er blieb mir Feind und war geschäftlich unfähig. Im November 1863 richtete er an Se. Majestät ein Schreiben über den Budgetstreit in demselben Sinne, in dem der Oberstlieutenant von Vincke auf Olbendorf (vgl. Bd. I S. 332) und Roggenbach denselben Schritt zu thun für gut befunden hatten. Indem diese Herrn ihre Vorschläge an den König richteten, gingen sie von der Voraussetzung aus, daß derselbe, wenn er ihrem Rathe folgend, dem Abgeordnetenhause nachgäbe, ein andres Ministerium, wenigstens einen andern Ministerpräsidenten und Minister des Auswärtigen berufen werde, ein Ergebniß, für das außerhalb des öffentlichen Lebens Einflüsse in Thätigkeit waren, denen der Hausminister von Schleinitz mit andern dem Hofe nahestehenden Personen seine Dienste widmete. Auch später lebte Herr von Gruner in den Kreisen, die 1876 die »Reichsglocke« protegirten und speisten.

Nachdem der Redacteur dieses Blattes im Januar 1877 verurtheilt und ich im März das von Sr. Majestät abgelehnte Abschiedsgesuch eingereicht hatte, kam es im Juni, während ich mich zur Kur in Kissingen befand, im Geschäftswege zu meiner Kenntniß, daß Herr von Gruner in das Hausministerium berufen, zugleich ohne Gegenzeichnung eines verantwortlichen Ministers zum Wirklichen Geheimen Rath ernannt sei, und daß Herr von Schleinitz an den Curator des »Reichs- und Staats-Anzeigers« das Ansinnen gestellt habe, diese Ernennung in dem amtlichen Blatte zu publiciren.

Ich schrieb darüber unter dem 8. Juni an den Chef der Reichskanzlei Geheim-Rath Tiedemann, zur Mittheilung an das Staatsministerium:

»Meiner Ansicht nach ist der amtliche Theil des Reichs- und Staats-Anzeigers für solche Veröffentlichungen da, welche bezüglich der Reichs- und der Preußischen Staats-Angelegenheiten unter Verantwortung des Reichskanzlers resp. des Preußischen Staatsministeriums erfolgen. Kommt die Ernennung Gruner's ohne Weitres in den amtlichen Theil, so kann selbst durch die vorgängige Erwähnung der Ueberweisung an das Hausministerium die Präsumtion nicht entkräftet werden, daß das Staatsministerium die Ernennung Gruner's zum Wirkl. Geheimen Rath mit seiner Verantwortlichkeit deckt. Die öffentliche Meinung und der Landtag würden kaum annehmen, daß das Staatsministerium diese Auszeichnung seines notorischen Gegners gewünscht habe; sie würden vielmehr die Wahrheit leicht errathen, daß das Staatsministerium bei Hofe nicht das hinreichende Ansehn, bei Sr. Majestät nicht den hinreichenden Einfluß gehabt habe, um diese Ernennung zu hindern; man würde auch darüber garnicht zweifelhaft sein, daß diese im Staatsanzeiger veröffentlichte Ernennung eine vom Staatsministerium more solito contrasignirte gewesen sei. Der Glaube, daß das Staatsministerium sich im Besitz des von der Verfassung vorausgesetzten Einflusses auf die Allerhöchsten Entschließungen befände, würde auch dann nicht gefördert werden, wenn etwa die ungnädige Allerhöchste Randbemerkung und die darauf erfolgte Antwort des Staatsministeriums öffentlich bekannt würden. Man würde in Versuchung sein, in Betreff von Inhalt und Wirkung Vergleiche mit dem Vorgange in Frankreich anzustellen, der dort zu dem jüngsten Ministerwechsel führte.

Ich bin nicht ohne Besorgniß, daß wir in dem Grunerschen Vorgange nur eine Sonde zu erblicken haben, die von Herrn von Schleinitz und seinen Rathgebern (nicht von Sr. Majestät dem Kaiser) angelegt wird, um zu probiren, was man uns bieten kann und wie hoch wir unsre ministerielle Autorität anschlagen. Meiner Ansicht nach ist Fügsamkeit gegen diese unberechtigten Einflüsse auf die Allerhöchsten Entschließungen nicht das Mittel, sie abzuschneiden; im Gegentheil, sie werden wachsen, und der Conflict, der jetzt ein blos formaler ist, würde sich auf ungünstigern Feldern und unter Hineinziehung großer Parteifragen demnächst wiederholen.

Ich könnte mich nach meiner augenblicklichen Lage jeder amtlichen Aeußerung enthalten, aber ich habe das Gefühl, daß die für mich persönlich doch sehr wichtige Frage meines Wiedereintritts in die Geschäfte auf diesem Wege auch ohne Rücksicht auf meine Gesundheit präjudicirt werden würde. Da ich hoffe, daß meine Gesundheit sich bessern wird, und da ich für diesen Fall mir gern den Wiedereintritt in die Geschäfte, so weit er dem Allerhöchsten Willen entspricht, offen erhalte, so nehme ich ein persönliches Interesse daran, daß das Ansehn der ministeriellen Stellung hinreichend gewahrt werde, um mir die Wiederaufnahme einer solchen nach meinem Gewissen möglich zu erhalten.

Die richtige der Logik des ersten Beschlusses entsprechende Erledigung wäre meiner Ansicht nach die Ablehnung der von dem Hausminister beantragten Veröffentlichung für den amtlichen Theil des Staats-Anzeigers. Die amtliche Aufnahme ist vor Mißdeutung in der Oeffentlichkeit nicht zu schützen und bleibt immer ein partieller Sieg der Reichsglocken-Intrige über die gegenwärtige Regirung. Bekanntmachungen des Hausministeriums gehören an und für sich nicht in den ›Reichs- und Staats-Anzeiger‹; soll letztrer außerdem ein ›Königlicher Haus-Anzeiger‹ sein, so können doch meiner Ansicht nach in seinem amtlichen Theile immer keine Anordnungen des Hausministers Platz greifen, der keine Verantwortlichkeit für den Inhalt des amtlichen Blattes trägt; dieselben müßten immer in der einen oder andern Gestalt das von dem Hausminister nachzusuchende Placet des verantwortlichen Staatsministeriums erhalten, bevor sie abgedruckt werden. Dieses Placet ist im vorliegenden Falle nicht nachgesucht; der Hausminister hat ein Verfügungsrecht über den Staats-Anzeiger in Anspruch genommen, und wäre deshalb sein Verlangen angebrachtermaßen schon unter Anführung dieses formellen Grundes abzulehnen. Geht ein Befehl zur Aufnahme einer Angelegenheit des Königlichen Hauses von Sr. Majestät dem Könige selbst aus, so wird seine Ausführung in den Fällen, welche die Regel bilden, ja kein Bedenken haben; nur wird es sich auch selbst in unverfänglichen Fällen empfehlen, die amtlichen Bekanntmachungen des Königlichen Hauses durch ihren Platz von denen des Staates gesondert erscheinen zu lassen. Diese Sonderung wäre meines Erachtens in der Art vorzunehmen, daß die das Königliche Haus angehenden Allerhöchsten Anordnungen nicht promiscue mit denen des Staatsministeriums erscheinen, sondern es würde neben den beiden großen amtlichen Rubriken des Staatsanzeigers ›Deutsches Reich‹ und ›Königreich Preußen‹, am höflichsten zwischen beiden, eventuell auch nach ›Königreich Preußen‹ eine dritte mit der Bezeichnung ›Königliches Haus‹ einzuschalten sein, von den andern beiden Rubriken ebenso mittelst durchgehender Striche geschieden, wie jetzt ›Preußen‹ und das ›Reich‹. Damit ließe sich die formale Frage für die Zukunft erledigen, und in einer, wie mir scheint, nach keiner Seite hin verletzenden Form.

Etwas andres ist es aber, wenn eine Allerhöchste Entschließung amtlich bekannt gemacht wird, welche in der Oeffentlichkeit, ungeachtet der in den Arten verbleibenden Versicherung des Gegentheils, dasjenige bekundet, was man im constitutionellen Sprachgebrauch Mangel an Vertrauen des Monarchen zu seinen Ministern zu nennen pflegt. Dagegen haben Minister natürlich kein andres Hülfsmittel als den Rücktritt aus ihrer Stellung. Unzweifelhaft trifft der vorliegende Fall, soweit er diese Natur hat, mehr mich als meine Collegen. Die letztern sind von der Reichsglocke und andern Blättern, in denen die Tendenzen der Herrn von Gruner, von Schleinitz, Graf Nesselrode, Nathusius-Ludom vertreten wurden, theils garnicht, theils doch nicht in dem Maße wie ich öffentlich verleumdet worden.

Eine Begnadigung des Herrn von Nathusius, eine Auszeichnung des Grafen Nesselrode und des Herrn von Gruner grade in der Zeit, wo die Verleumdungen des Organs dieser Herrn gegen mich die öffentliche Meinung und die Gerichte beschäftigten, wo der Zusammenhang jener Herrn mit diesen Blättern offenkundig wurde, enthalten einen Act Königlichen Wohlwollens für Leute, die durch weiter nichts bekannt sind als durch ihre Feindschaft gegen die Regirung und durch öffentliche Verletzung meiner Ehre. Letztre aber sollte, so lange ich des Königs Diener bin, unter Sr. Majestät Schutze stehn. Wird mir das Gegentheil dieses Schutzes zu Theil, so liegt ein persönliches Motiv vor, welches mich viel gebieterischer aus dem Dienste vertreibt, als die Rücksicht auf meine Gesundheit es jemals könnte. Diese Entschließungsgründe liegen nur persönlich für mich vor, werden aber je nach der Entwicklung der Sache für die Möglichkeit meines Wiedereintritts in die Geschäfte entscheidend sein.

Meinen Herrn Collegen stelle ich ergebenst anheim, im Interesse ihrer ministeriellen Zukunft dafür Sorge tragen zu wollen, daß die amtliche Publication von Gruner's Ernennung, wenn Se. Majestät nicht überhaupt darauf verzichten will, doch in einer Form stattfinde, aus der die Nichtcontrasignatur zweifellos ersichtlich ist. Es würde dies in der oben vorgeschlagnen Dreitheilung der Ernennungen zwischen Reich, Preußen und Haus erreichbar sein, namentlich wenn die Presse dazu eine Erläuterung erhält. Empfehlen würde es sich aber meines Erachtens, wenn die Anstellung Gruner's im Hausministerium vorher in separato unter der Hausministerial-Rubrik veröffentlicht und am andern Tage bekannt gegeben würde, daß Se. Majestät geruht hätte, den im Hausministerium u. Angestellten den Titel eines Wirklichen Geheim-Raths u. zu verleihn; eine etwas abweichende Gestalt des Wortlauts der Bekanntmachung von der sonst üblichen, wenn auch nur eine ganz geringe, würde sich immer empfehlen.«

Diesem, an den Geheim-Rath Tiedemann gerichteten, unter fliegendem Siegel an den Minister von Bülow beförderten Schreiben fügte ich für Letztern mit dem Anheimstellen vertraulicher Benutzung bei den Collegen Folgendes hinzu:

10./6. 77. »... Ich bin, wie ich glaube, von dem Vorgange in einem stärkern Maße betroffen als meine Collegen; höchstens Camphausen ist außer mir noch von der Reichsglockenpartei verleumdet worden, aber doch lange nicht mit dem Maße von Niedertracht, wie es mir gegenüber geschehn ist. Man hat ihn sachlich in Bezug auf sein Amt mit unwürdigen Mitteln angegriffen, aber doch seine persönliche Ehre nicht angetastet. Das Staatsministerium im Ganzen ist gewiß in der Lage, sich durch die Form der Ernennung Gruner's verletzt zu finden und gegen diese Verletzung zu reagiren, um seine Rechte und seine Würde für die Zukunft sicher zu stellen. Die Verletzung aber, die in der Thatsache der Ernennung Gruner's liegt, trifft wesentlich mich allein; seine langjährige Feindschaft gegen mich persönlich ist es allein, welche die Aufmerksamkeit auf ihn hat lenken können, denn er besitzt weder Fähigkeiten noch Verdienste, war im Auswärtigen Amte durch seine, in wichtigen Momenten an Geisteskrankheit grenzende Unfähigkeit ein Hinderniß und hat nunmehr seit 15 Jahren nichts geleistet, als mit der ganzen Verbissenheit verkannter Selbstüberschätzung gegen mich gesprochen, geschrieben, intrigirt. Ich sehe dabei für den Augenblick ganz davon ab, daß grade diese Reichsglocken-Elemente mir die Erfüllung meiner Amtspflicht in einem meine Kräfte überschreitenden Maße erschweren. Ich spreche jetzt nur von dem Schlag, der dadurch persönlich gegen mich hat geführt werden sollen, daß dieser Mensch Sr. Majestät hat mit Erfolg empfohlen werden können. Wenn ich dem gegenüber in meinem Schreiben an Tiedemann sage, daß für meine Herrn Collegen ein zwingendes Motiv zum Rücktritt in diesem Gruner'schen Falle nicht liegt, so erscheint mir meine Lage demselben gegenüber als eine wesentlich andre.

Ich würde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie namentlich mit Camphausen, Friedenthal und Falk in diesem Sinne vertraulich reden wollten. Das Verhalten Wilmowski's gestaltet sich anders, als ich erwartet hatte. Ich hatte bisher auf ihn als auf einen sichern Bundesgenossen gegen die Schleinitz'sche Camarilla gerechnet; seine Thätigkeit in diesem Falle aber verstehe ich nicht recht. Er wird mit Eulenburg und Leonhardt zusammen das Staatsministerium um das Maß von Selbstachtung und Consideration bringen, ohne welches sich in diesen schwierigen Lagen am Hofe und schließlich auch im Lande die Staatsgeschäfte nicht führen lassen. Gegen Eulenburg wird man sich nur so äußern können, wie es wiedererzählt werden kann. Wie stellt sich eigentlich Hofmann zu der Sache?

Mir scheint die Kur gut zu bekommen, doch markirt sich jeder Rückschlag über ärgerliche Eindrücke in empfindlicher Weise und läßt mich voraussehn, daß mein Gesundheitszustand ein geschäftsfähiger schwerlich wieder werden wird. Vor der einfachen Besorgung der Amtsgeschäfte würde ich nicht zurückschrecken; aber die faux frais der Hofintrigen vermag ich nicht mehr in der Weise zu tragen wie früher, vielleicht auch deshalb, weil sie an Umfang und Wirkung in erschreckender Weise zugenommen haben. Diese eigentlichen Gründe meiner fortbestehenden Absicht, zurückzutreten, habe ich vor drei Monaten verschwiegen, obschon es wesentlich dieselben waren; und ich werde auch demnächst aus Rücksicht für den Kaiser keine andern Motive für mein Ausscheiden anführen können als den Zustand meiner Gesundheit.«

Die Sache schloß damit ab, daß die Ernennung Gruner's zum Wirklichen Geheimen Rathe im Staatsanzeiger nicht veröffentlicht wurde.

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Anmerkungen:
  1. Verlesung einer Erklärung Bismarck's im Herrenhause durch Geheimrath Rommel, wodurch Eulenburg sich verletzt fühlte, s. Politische Reden VIII 287 ff.
  2. Vom 16. April 1879, Politische Reden VIII 54 f.
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