Aufregung
Du klagst, du bist so aufgeregt, du kannst niemals schlafen. Das hast du verkehrt angefangen, liebe Seele. Du brauchst innerhalb der 24 Stunden sechs bis sieben Stunden Schlaf; das aber ist vollkommen nebensächlich, zu welcher Zeit innerhalb dieser 24 Stunden oder in wieviel Absätzen du die sieben Schlafstunden erreichst. Steh um vier Uhr auf und schlafe von 10 - 11 und nach deinem Essen ein bis zwei Stunden. Arbeite tief in die Nacht hinein und schlafe gegen Morgen: schlaf drei Stunden vor Mitternacht, eine vor dem Aufstehen, wenn du vielleicht von ein Uhr nachts an gearbeitet hast und dann nach dem Mittagmahl oder vor demselben, wie es deiner Arbeitskraft bekömmlich ist. Aber sich im Bett herumwälzen und nicht schlafen, das ist für Körper und Geist schädlich. Du brauchst vielleicht garnicht soviel Schlaf als du dir einbildest, oder hattest die schlechte Gewohnheit, 9 - 10 Stunden zu schlafen, ohne dessen zu Wachstum oder Genesung zu bedürfen.
Hast du kalt, so mach dir auf deinem Lager einen Pult, sodaß du lesen und schreiben kannst, ohne im kalten Zimmer zu sitzen. Dann wirst du es auch viel besser ertragen, nachts zu arbeiten, wenn währenddem ein Teil des Körpers ruht. Du bildest dir ein, aufgeregt zu sein und Herzklopfen und jagende Pulse und Fieber zu haben, nur weil du nicht die Energie hast, deine Lampe anzuzünden und zu arbeiten, bis dir von selbst die Augen zufallen. Denn zu irgend einer Zeit fallen sie zu. Warum meinst du, wie ein Kind die ganze Nacht schlafen zu sollen? Das ist ja garnicht nötig. Der Schlaf wird dich mitten im Satz überraschen, wenn du ihn am wenigsten erwartest.
Du bist garnicht so aufgeregt, als du dir's einbildest, und deine sogenannten Nerven sind ganz gesund, nur nicht genug angestrengt für ihre Spannkraft, sei doch froh, daß du nicht so schlafbedürftig bist, und sieh wie unendlich viel Zeit du gewinnst, wenn du jeden Augenblick benutzest, in welchem du nicht schläfst. Es ist nur die Gewohnheit zu nehmen, eine gut brennende Lampe, Pult, Feder, Bücher, alles am Bett zu haben, sodaß kein Augenblick unbenutzt bleibt, und die schrecklichen schlaflosen Nächte werden dir zu den liebsten leichtesten Stunden werden, in denen deine Arbeitskraft um das Doppelte und Dreifache sich steigert und die umgebende Stille deine Gedanken laut werden läßt, als sprächen sie.
Korrespondenz und Handarbeit sind sogar gut, da man sich dabei die Augen nicht anzustrengen braucht, sogar ein stummes Klavier spart dir am Tage der Fingerübungen, wenn nicht gar dein Klavier so steht oder so abgedämpft werden kann, daß du aufstehen und nachts spielen kannst. So sparst du am Tage die vielen Stunden an deinem Instrument, die du andern zu widmen vermagst.
Das einzige, was du nachts unter keinen Umständen tun darfst, das ist, Romane lesen, die spannend sind und dadurch wach halten. Nein, sehr anstrengen, tüchtig arbeiten, bringt gesunden Schlaf zu verschiedenen Stunden, ganz einerlei, welchen.
Arbeit ist der Zweck unseres Aufenthalts auf der Erde, und wie du das größtmöglichste Maß derselben verwirklichen kannst, das mußt du selbst herausfinden. Wer ein Kind nährt, muß schlafen, damit sich die Milch erneuert und darf nicht kalt haben, damit das Kind gesund bleibt. Aber das gehört zu den großen und schweren Arbeiten, ein Kind aufzuziehen und wer nicht beim Schlafengehen und Aufstehen der Kinder zugegen oder tätig ist, hat seine erste Pflicht versäumt.
Wer nicht vor Sorgen, Krankheit, Angst, Kummer zeitweilig schlaflos ist, der sage sich, daß seine sogenannte Aufregung und Schlaflosigkeit sich auf mangelnde Ausgabe zurückführen läßt, und daß bei anstrengender Tätigkeit der Schlaf wieder köstlich werden wird, vielleicht nicht ununterbrochen, aber doch 6–7 Stunden in den 24. Das ist vollkommen genug, um ausgeruht und im Gleichgewicht zu sein.
Wer regelmäßig zwischen drei und vier Uhr morgens aufsteht, der wird nach dem Essen süß schlafen und um neun Uhr wieder recht schläfrig sein.
Die Vögel machen es so, und das sind bekanntermaßen die fröhlichsten und fleißigsten Wesen in Gottes ganzer Schöpfung. Man hat ihre Flüge berechnet und eine unglaubliche Summe herausgebracht.
Sei wie der Vogel, liebe Seele, fleißig und gesangvoll, fröhlich und guten Muts, und dein Schlaf wird ein Kinderschlaf sein, so, als legtest du das müde Haupt in Gottes Arme, vertrauend und trunken vor süßer Müdigkeit!