IX. Uhland als Vertrauensmann in Frankfurt. Theilnahme an der Nationalversammlung. Einberufung zum Staatsgerichtshof.

1848–1850.

Nach neun friedevollen Jahren, die Uhland seinen Forschungen gewidmet hatte, brachte der Februar 1848 mit der französischen Revolution große Aufregung für das Allgemeine, und für ihn eine völlige Unterbrechung seiner Arbeit.

Von den Tübinger Mitbürgern dazu aufgefordert, trug Uhland am 2. März in dem großen Tübinger Reithause vor einer sehr zahlreichen Versammlung von Bürgern, Professoren und Studenten eine Adresse an den ständischen Ausschuß vor, welche als das Grundgebrechen des deutschen Gesammtvaterlandes bezeichnete, daß die volksmäßige Grundlage, die freie Selbstthätigkeit des Volkes, die Mitwirkung seiner Einsichten und Gesinnungen bei der Bestimmung seines staatlichen Lebens fehle, und den Antrag stellte: der Ausschuß möchte die alsbaldige Einberufung der vertagten Ständeversammlung veranlassen. Er bezeichnete sieben Punkte für ihre Berathung: 1) Ausbildung der Gesammtverfassung Deutschlands im Sinne eines Bundesstaats mit Vertretung durch ein deutsches Parlament; 2) allgemeine Volksbewaffnung; 3) Preßfreiheit im vollen Umfang, gemäß dem §. 28 der Verfassungsurkunde; 4) Aufhebung der Beschränkung der Vereine; 5) vollständige Durchführung des Grundsatzes der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtspflege; 6) vollständige Herstellung der Selbstständigkeit der Gemeinden und Bezirkskörperschaften; 7) Revision der Verfassungsurkunde nach den gemachten Erfahrungen während ihres 28jährigen Bestehens, namentlich zum Zweck der Herstellung einer ungemischt aus dem Volke hervorgehenden Abgeordnetenkammer.

Die Adresse schließt mit den Worten: »Wir enthielten uns, die einzelnen Anträge ausführlicher zu begründen; sie betreffen Gegenstände, die einer deutschen Ständeversammlung wohlbekannt sind, und wir setzen voraus, daß der Ruf der Zeit, wie er uns ergriffen hat, auch an die Herzen der Volksvertreter und der Leiter des Staats vernehmlich geschlagen habe.«

Mit Begeisterung ward der Vortrag angehört und die Absendung der Adresse beschlossen, welche noch am gleichen Tage mit 1011 Unterschriften nach Stuttgart abgieng.

Herrn Abgeordneten Dr. Duvernoy in Stuttgart.

»Lieber Duvernoy!

Hier geht die Stimmung nach Maß und Gegenstand bereits über das hinaus, wozu sie am Donnerstag durch die Eingabe an den ständischen Ausschuß zusammengehalten werden konnte. Schon damals und gleich nachher wurden Anträge auf die Auflösung der jetzigen Ständeversammlung und Entlassung des Ministeriums gewünscht, vorerst aber durch die Erwägung beseitigt, daß die Regierung in diesem Augenblicke durchaus von den Kammern umgeben sein müsse, daß die andringenden Begehren des Volks eben jetzt ein gemeinsames, verfassungsmäßiges Organ erheischen und die einzuberufende Vertretung vielleicht schon als eine verwandelte wiederkehren werde. Die Bewegung in Karlsruhe, durch Gerüchte noch übertrieben, die nur provisorische Aufhebung der Censur, die hinausschiebenden, wenig eingehenden Erwiderungen an den Ausschuß, das gestern verkündete Manifest ohne politischen Inhalt haben die Aufregung fortwährend gesteigert. Der kühle Ministerialerlaß im heutigen Blatte wird sie nicht dämpfen, so wenig als die ergangene Kanzleifeuerordnung. Und auch heute wieder keine Einberufung der Kammern.

Wird Dasjenige, was man geben will und auf die Dauer doch nicht vorenthalten kann, wird es nicht unverzögert, rückhaltlos, klar und vollständig gegeben, werden bei weitschichtigern Gegenständen nicht wenigstens die Grundsätze voll und unwiderruflich ausgesprochen (z. B. bei dem Antrag auf Revision der Verfassungsurkunde der Grundsatz einer reinen Volkskammer, dieses dringende Bedürfniß, dieses billigste Verlangen der Wegräumung einer konstitutionellen Abnormität), so fällt der tiefstehende Wärmemesser des Vertrauens jeden Tag noch tiefer, die Verwirrung steigt und die Vernünftigen wissen nicht mehr, was sie den Unvernünftigen sagen sollen.

Dir, lieber Freund, ist es wohl durch Stellung und Persönlichkeit vor Andern möglich, ein unumwundenes, wirksames Wort an der rechten Stelle zu sprechen.

Mit herzlichem Gruße

Dein

L. Uhland.«

Tübingen, 5. März 1848.

Uhland an Paul Pfizer.

Tübingen, 7. März.

»Lieber Pfizer!

Gestern waren Albert Schott und H. Müller hier, sie brachten Folgendes zur Sprache. Der Abgeordnete von ..., des Vertrauens seiner Committenten verlustig, sei abgetreten, und solche Verzichtleistungen seien noch mehrere vorauszusehen; so würden in der Kammer Plätze für Dich, für Schott und mich offen werden und es werde unser Eintritt auch wirklich gewünscht und erwartet. Was nun mich betrifft, so erwiederte ich, daß doch nur eine Stelle, eben die von ... thatsächlich erledigt sei, daß ein systematisches Austreiben der einzelnen mißliebigen Abgeordneten im Gegensatz zu einer neuen Wahl mir nicht gefalle, und daß ich überhaupt mich nicht zur Annahme einer neuen Wahl erklären könne. Meine Gründe sind diese. Es fehlt mir der innere Ruf zu der Stellung, die ich einnehmen soll; schon in früheren Stadien unserer ständischen Entwickelung war ich je nur in Augenblicken des ersten Anstoßes und Kampfes ohne Verdrossenheit an meiner Stelle, die langwierigen Verhandlungen lähmten mich und verdarben mir eine Reihe der besten Jahre. Die einfache Ursache davon ist, daß Politik, Rechts- und Staatskunde nie meine Lebensaufgabe waren, nur als Freiwilliger, als Bürger, als Einer aus dem Volke trat ich mit an. Allerdings ist jetzt wieder ein Augenblick eines gewaltigen Umschwungs vorhanden, allein dieser muß bei uns in den Hauptsachen vollzogen sein, ehe nur eine neue Wahl im Ganzen oder im Einzelnen zu Stande kommen kann; dann würde erst die Ausführung und Ausbildung in umfassenden Gesetzesentwürfen folgen, ich müßte also im 61sten Jahre auf drei oder sechs Jahre mich gerade wieder zu der mir widerstrebenden Thätigkeit verpflichten und was ich auf meinem Wege aus eigenem Antrieb in der mir noch vergönnten Lebensfrist leisten könnte oder möchte, wäre für immer abgethan. Nach den Erfahrungen, die ich nur allzufühlbar gemacht habe, darf man nicht in augenblicklicher Anregung ohne freie Neigung oder das schlagende Bewußtsein einer sittlichen Nothwendigkeit auf Jahre hin über sich verfügen lassen. Auch ist ja nicht alle öffentliche Wirksamkeit einzig auf den Sitz in der Kammer beschränkt.

Andere in Anspruch zu nehmen, wo man selbst nicht einstehen will, erscheint zwar ungehörig; dennoch glaube ich dem dringenden Begehren der beiden Freunde nicht widerstehen zu können, daß ich ihren Wunsch auch meinerseits bei Dir befürworten möchte.

Allerdings trifft bei Dir im besten Maße zu, was mir abgeht. Du hast Recht, Staat und Kirche zum Gegenstand des anhaltendsten und tiefsten Nachdenkens gemacht, Du bist so beträchtlich jünger als ich, vor Allem aber bist Du bewährter Vertreter eines Standpunktes, der eben jetzt nicht gefährdet werden darf. Dein »Briefwechsel zweier Deutschen« hat unter den Schwingungen der Julirevolution das deutsche Vaterlandsgefühl bei uns gerettet und gewahrt und in gleicher Hinsicht würde, einem selbstvergessenen Enthusiasmus für die französische Erhebung gegenüber, Dein Auftreten die rechte Bürgschaft sein. Antworte mir nicht, lieber Freund, in diesen unruhigen Tagen. Ich ehre im Voraus Deinen Entschluß, wohin er falle.

Mit unsern besten Grüßen

Dein

L. U.«

Wenige Tage später kam Pfizer auf Besuch zu Uhland, und während seines Aufenthaltes kam die Aufforderung an ihn, als Chef des Justiz-Departements mit Duvernoy als Chef des Departements des Innern in's Ministerium zu treten, worein er nur unter der Bedingung willigte, daß auch Römer, als Haupt der Opposition, berufen werde. Dieses geschah, und nun übernahm dieser das Justiz-, Pfizer das Cult-Departement. Nach Pfizers Rückkehr nach Stuttgart schreibt er an Uhland:

Stuttgart, 15. März.

»Lieber Uhland!

Du weißt ohne Zweifel schon, daß durch förmlichen Bundesbeschluß die sämmtlichen Bundesregierungen eingeladen sind, Männer des allgemeinen Vertrauens, und zwar für jede der 17 Stimmen des engeren Rathes einen, alsbald (spätestens bis zu Ende dieses Monats) mit dem Auftrag nach Frankfurt abzuordnen, der Bundesversammlung und deren Ausschüssen zum Behuf der Vorbereitung der Revision der Bundesverfassung mit gutachtlichem Beirath an die Hand zu gehen.

Könntest Du Dich entschließen, Einer dieser Siebenzehn zu sein, so ist kein Zweifel, daß die neueingetretenen Mitglieder des jetzigen Ministeriums Deine Ernennung durchsetzen und dadurch eine Bürgschaft, wie sonst kein anderer Name sie darbietet, geben könnten. Ich bitte Dich daher inständig, entweder mit umgehender Post mit Ja zu beantworten, oder so bald als möglich selbst hierher zu kommen.

Dich und Deine verehrte Gattin herzlich grüßend

Dein

P. Pfizer.«

Nach Besprechung mit den Freunden in Stuttgart entschloß sich Uhland zur Uebernahme dieses Auftrags und wurde hierauf zum König beschieden. Er fühlte sich gedrungen, dem König zu bemerken, daß im Falle er zu dem zu erwartenden Parlament gewählt werden sollte, er wünsche, dieser Versammlung in freiester Weise anwohnen zu können, worauf der König erwiederte, daß er damit ganz einverstanden sei. Eine gewünschte Mittheilung der königlichen Ansicht über die ihm übertragene Stellung fand nicht statt.

Vor der Abreise nach Frankfurt wurde Uhland von der Universität und Stadt durch einen schönen Fackelzug geehrt. Bei seiner Dankesrede sagte er: »es erscheine zwar als eine mißliche Sache, zu einem Manne des Vertrauens ernannt zu sein, aber der heutige Abend gebe ihm die frohe Ueberzeugung, daß ihm hier wenigstens das Vertrauen nicht fehle. Der eigenen Kraft traue er nicht Vieles zu, hoffe aber auf einen Erfolg der Bestrebungen zum Besten Deutschlands. Tübingen möge fortfahren auf der betretenen Bahn: hier habe kein Bruch des Gesetzes stattgefunden. Es gelte in einer Zeit, welche selbst die verglimmende Asche noch anfache und die jugendlichen Herzen noch anders anrege, neben der Festigkeit im Bewahren seiner Rechte, auch kein Recht zu verletzen.«

An dem Morgen des Tages, der nach Tübingen die falsche Kunde brachte, die Franzosen seien im Anmarsche, reiste Uhland nach Frankfurt ab.

Uhland an seine Frau.

Frankfurt, 28. März 1848.

»Liebste Emma!

Meine Reise hieher ist gut von Statten gegangen. Sonntag Vormittags 10 Uhr fuhr ich von Stuttgart mit dem Eilwagen nach Durlach ab, wo ich um 6 Uhr, und dann mit dem letzten Bahnzug um 8 Uhr Abends in Heidelberg ankam. Hier war großes Getümmel, da noch Viele von der Volksversammlung sich auf den Heimweg machten; es wurden auf den Straßen Freudenschüsse abgefeuert, auch hörte man Stimmen, welche die deutsche Republik leben ließen. Nach dem Rathe eines Mitreisenden aus Mannheim begab ich mich in ein Gasthaus zweiten Ranges, den Darmstädter Hof, wo ich auch wirklich ein gutes Quartier fand. Im Gastzimmer fanden sich viele junge Bürger von Heidelberg ein, die mit den heutigen Verhandlungen nicht recht zufrieden waren, es seien Gegenstände zu wenig vorbereitet in die Versammlung geworfen worden. Ich weiß nicht, wer mich erkannt hatte, doch ließen sie bei aller Erregtheit mich ruhig und nur geistweise wurde ein Hoch auf Arndt, Uhland und andere deutsche Dichter ausgebracht. Die Stimmung war hier ganz im deutschen Sinne. Um sechs Uhr früh fuhr ich ab, freute mich der schönen Bergstraße und traf um neun Uhr auf dem Sachsenhauser Bahnhof ein. Von Mappes und Fräulein Gräter wurde ich mit bekannter Freundlichkeit empfangen und die Kinder bedauerten, daß Du nicht mitgekommen seiest. Man wies mir dasselbe Zimmer an, das wir zusammen bewohnt haben.

Heute wird auch Wurm erwartet und morgen Wächter. Gestern Abend war ich bei Welcker, der gleichzeitig mit mir angekommen war. Von den sogenannten Vertrauensmännern hatte sich außer mir noch keiner eingefunden. Es wird daher vor der großen Versammlung, die am Freitag und Samstag abgehalten werden soll, schwerlich ein Zusammentritt stattfinden können. Doch zähle ich nicht auf eine lange Dauer des hiesigen Aufenthaltes.

Ich hoffe auf baldige gute Nachricht von Euch, grüße Euch Alle herzlich und bin mit inniger Liebe

Dein L.«


Frankfurt, 1. April.

»Liebste Emma!

Begierig sah ich einem Schreiben von Dir entgegen, gestern Abend nun kamen die erwünschten Nachrichten von Eurem Wohlbefinden an. Dießmal reicht mir die Zeit nur für wenige Linien, da Vormittags neun Uhr die zweite Versammlung beginnt. Frankfurt ist festlich geschmückt, der Zug vom Römer in die Paulskirche war feierlich und die Verhandlung belebt. Während derselben wurde verkündigt, daß eine bewaffnete Schaar zum Bockenheimer Thor eingedrungen sei; es war ein blinder Lärm, den ein unbedeutender Krawall herbeigeführt hatte. Es sind viele Württemberger anwesend, auch Pfizer. So viel nur in Eile, damit Du weißt, daß ich wohl und gesund bin. Erfreue mich bald wieder mit einem Briefe. Grüße Wilhelm und Ludwig, wenn diese noch in Tübingen sind. Auch Freund Mayer. Innig

Dein L.«

Emilie Uhland an ihren Mann.

Tübingen, 2. April 1848.

»Lieber Uhland!

Frau Professor Ewald, die morgen nach Darmstadt abreist, will die Güte haben, mir etwas für Dich mitzunehmen. Da ich nun dieser Tage zu meinem Leidwesen gesehen, daß ich Dir statt einem neuen seidenen Halstuch ein älteres eingepackt habe, so erhältst Du nun auf diesem Wege das neue. Am liebsten hätte ich mich selbst von ihr mitnehmen lassen, um zu sehen, wie es Dir Geliebter geht. Meine Gedanken sind immer bei Dir und Eurem schwierigen Werke.

Könnte ich Dich nur auch eine Stunde sprechen hören. Die verschiedenen Ansichten, die die Zeitungen aussprechen, ohne daß ich ihnen eine eigene Ansicht entgegenzusetzen habe, machen mir immer banger und banger für die Sache, an deren Lösung zu arbeiten Du berufen bist.

Heute rückt württembergisches Militär hier ein. Da meine Nachbarn Quartier erhalten, so erwartete ich ganz bestimmt auch einige Mann als Gäste. Ich hatte schon Wilhelms Zimmer als Wohnung für sie bestimmt, auch für Fleisch und Brod gesorgt; es scheint aber, daß ich damit verschont bleiben soll, wohl aus Rücksicht für Dich. Da Wilhelm noch hier ist, hätte ich es mir aber nicht schwer genommen, um so mehr, als nur die Gemeinen einquartiert werden, den Officieren aber die Gasthäuser angewiesen sind. Vielleicht kommt die Reihe das nächste Mal an mich.

Freitag haben mich unsere lieben Gäste verlassen; es ist mir recht erwünscht, daß Wilhelm noch einige Zeit hier bleiben will, daß ich nicht so ganz allein hier sein muß. In unserem Garten regt sich Alles, Du würdest Dich freuen über den mancherlei Frühlingsblumen; gestern habe ich fast den ganzen Tag oben zugebracht. Auch die Nächte sind gegenwärtig so schön und sternhell. Der Blick zum Firmament hat doch etwas recht Beruhigendes und Tröstendes. Der die Sternenheere in ihren Pfaden lenkt, wird auch die Erdengeschicke in seiner festen und weisen Hand halten und leiten. Wenn Du nach Deiner lieben Gewohnheit vor Schlafengehen zum Himmel aufblickst, dann denke auch an mich, wie ich an Dich denke.

Wie freue ich mich auf einen Brief von Dir, lasse ihn wo möglich auch etwas lang ausfallen! Da von Deinen Stuttgarter Freunden mehrere in Frankfurt gewesen sind, so wirst Du wohl auch einen Entschluß wegen des Eintritts in die Kammer haben aussprechen müssen; vergiß doch ja nicht, mir auch hierüber in Deinem nächsten Briefe Nachricht zu geben.

Es vergeht keine Stunde, in der ich Dir nicht etwas sagen oder Dich um etwas fragen möchte.

Soeben kommt Wilhelm aus einer Volksversammlung zurück, die von Reutlingen und Tübingen veranstaltet wurde. Sie sollte schon vor acht Tagen sein, wurde aber damals wegen dem blinden Lärmen eines feindlichen Einfalls verschoben.

Nicht nur eine, sondern drei Adressen wurden beschlossen, die alle drei wohl besser unterblieben wären. Professor ... proponirte eine an die Franzosen, eine Huldigung, daß sie die Tricolorfahne als Banner des Fortschritts der Welt aufgerichtet, dann eine an das östreichische und eine an das preußische Volk, an das letztere mit der Aufforderung, ihren König abzudanken. Die Versammlung sei nicht sehr besucht gewesen. Gegen die erste Adresse habe Stockmeyer sich ausgesprochen und ungefähr Zweifünftel der Versammlung haben ihm beigestimmt, doch gehe die Adresse ab.

Wenn doch nur das eingerückte Militär und die aufgeregten Bürger nicht heute Abend noch Streit bekommen!

Gott sei mit Dir, lieber Mann, und gebe Segen zu Eurem Geschäft.

Deine Emilie.«


Uhland an seine Frau.

Frankfurt, 5. April 1848.

»Liebste Emma!

Gestern Nachmittag überbrachte mir Ewald Deinen Brief mit dem Halstuch. Ich bin durch Deine Zeilen herzlich erfreut worden und bedauerte nur das Eine, daß Du über die hiesigen Vorgänge mehr bekümmert scheinst, als wirklich dazu Grund vorhanden ist. Vorgestern Abend wurde die große Versammlung geschlossen und bereits ist Frankfurt wieder im ruhigen Zustande. Ueber die Verhandlung selbst werden die Zeitungen nun auch genügendere Berichte bringen und vielleicht ist auch Fallati, den ich darum ersuchte, bereits bei Dir gewesen, um Dir mündlichen Bericht zu erstatten, da mir selbst in den letzten Tagen zum Schreiben weder Zeit noch Ruhe vergönnt war. Gestern wurden bereits die Verhandlungen der Beigeordneten zum Bundestag wieder aufgenommen und heute fortgesetzt. Ich wollte dabei vorerst entnehmen, wie es sich mit meinem Aufenthalt in Frankfurt gestalten würde, und darauf muß ich nun auch, um den Brief nicht aufzuhalten, den Inhalt desselben beschränken. Die constituirende Nationalversammlung soll, wie Du gelesen haben wirst, Anfang Mai's zusammentreffen; dieß ist aber leichter beschlossen als ausgeführt, und es mag damit wohl auch sechs bis acht Wochen anstehen. Bei dem halb aufgelösten Bunde ist uns Beigeordneten die Fertigung eines Entwurfes der neuen Bundesverfassung aufgetragen und bis zum wirklichen Zusammentritt der constituirenden Versammlung werden wir kaum unserer jetzigen Stellung enthoben werden. Ein Antrag für die neuen Wahlen in die württembergische Kammer ist mir nicht gemacht worden, und ob ich für das constituirende deutsche Parlament (für das auf Württemberg des Guten fast zu viel, etlich und zwanzig Mitglieder kommen würden) in Vorschlag gebracht werde, ist mir unbekannt. Die Dauer der Parlamentsberathungen (eine Versammlung von etwa achthundert Mitgliedern) ist gewiß auf einige Monate anzuschlagen. Würde mein Aufenthalt aber auch nur sechs Wochen dauern, so kann ich meinen freundlichen Wirth nicht so lange in Anspruch nehmen. Es wird daher das Beste sein, mich demnächst um ein kleines Logis für Dich und mich umzusehen, denn wenn Du auch nicht die ganze Zeit hier zubringen wolltest, so muß doch für Dein Unterkommen bald gesorgt werden, da, wenn die große Versammlung heranrückt, die Wohnungen viel weniger zur Auswahl stehen werden.

Laß mich nun hierüber bald möglich Deine Ansicht wissen, oder besser, komme, wenn Deine Anwesenheit in Tübingen Dir nicht nothwendig erscheint, selbst hierher, um, da Du dieß besser verstehst, eine passende Unterkunft ausmitteln zu helfen. Wilhelm würde Dich wohl gerne bis Heidelberg begleiten, etwa so, wie ich die Reise gemacht habe: von Stuttgart zehn Uhr mit dem Eilwagen nach Durlach und dann gleich weiter auf der Bahn nach Heidelberg, wo Du 8 Uhr Abends ankämest, dann Morgens 6 Uhr hierher, wo die Ankunft 9 Uhr Vormittags erfolgt. Gib mir nur, wenn Du auch nicht gleich abkommen kannst, jedenfalls baldige Nachricht, was und wie Du es für das Beste hältst.

Wenn Du gerne meine Mittheilungen hörtest, so vermisse ich gewiß nicht minder, Dich zur Vertrauten meiner täglichen Erfahrungen zu haben.

Grüße Wilhelm und Mayer herzlich und laß uns ungebeugt zusammen durch die ernste Zeit gehen.

Mit treuester Liebe

Dein L.«


Aus diesem Briefe ist wohl zu ersehen, daß Uhland ohne Illusionen in die Zukunft sah. Am Bunde völlige Rathlosigkeit, in den Volksversammlungen widersprechende Ansichten und überstürzende Beschlüsse, und in dem Collegium der Vertrauensmänner bereits das Lossteuern auf das preußische Erbkaiserthum, dessen Realisirung mit Oesterreich ihm unmöglich erschien, und ein Lostrennen von Österreich konnte er sich gar nicht denken. Aber auch von den andern Fürsten erwartete er eine entschiedene Abneigung gegen diesen Plan. In dem Collegium der Vertrauensmänner war die Ausarbeitung eines Entwurfes zu einer Reichsverfassung einem Comité von vier Mitgliedern neben dem Vorsitzenden übertragen. Selbst den andern Mitgliedern des Collegiums gegenüber beobachteten diese völliges Stillschweigen über ihre Thätigkeit und auch nach Vorlegung des Entwurfes wurde von der Mehrheit ausgesprochen, daß derselbe nur als schon beschlossenes Ganzes veröffentlicht werden solle. Da keine förmliche Endabstimmung über das Ganze beliebt wurde, so konnte Uhland nur seine abweichende Stimme zu Protokoll geben und begründen. Jetzt erst konnte er dem württembergischen Gesandten Mittheilung machen und seine Ansicht aussprechen. Seinen Bericht an die Regierung schließt er später mit den Worten: »Da für die nur in mangelhafter Zahl noch anwesenden Mitglieder kein mit ihrem ursprünglichen Auftrag zusammenhängendes Geschäft mehr vorhanden ist, und ich zu denen zähle, welche die Stelle eines Beigeordneten am Bunde nicht mit der eines Mitglieds der constituirenden Nationalversammlung wohl verträglich finden, so fühle ich unter geziemender Dankbezeugung für das mir bewiesene hohe Vertrauen bei der ganz nahe bevorstehenden förmlichen Constituirung der Versammlung mich gedrungen, um Enthebung von diesem Auftrag hiemit einzukommen.«

Bald nach dem letzten Briefe Uhlands kam seine Frau nach Frankfurt und die Gatten bezogen ein paar Zimmer in der Nähe von ihrem Freunde Mappes.

Am 26. April war Uhland von den Wahlbezirken Tübingen-Rottenburg mit 7086 von 7682 Stimmen in das Parlament gewählt worden und schrieb darauf an die Wähler des Bezirkes Rottenburg-Tübingen:

»Da es mir nicht vergönnt war, persönlich in Ihrer Mitte zu erscheinen, so erfülle ich auf diesem Wege die Pflicht des Dankes für das ehrenvolle Vertrauen, das Sie mir, dem Abwesenden, durch die Wahl zum Volksvertreter beim deutschen Verfassungswerke erwiesen haben. Ich schreibe diese Zeilen in der Frühe des Tages, an welchem die nunmehr in genügender Zahl versammelten Abgeordneten aus allen deutschen Ländern zum feierlichen Beginn ihrer Arbeit erstmals in die Paulskirche einziehen werden. Zwar kann ich meinen Wählern keine Verheißungen geben, wie der Bau sich gestalten werde, an dem so Viele mitzuschaffen haben und der unter täglich wechselnden Einwirkungen einer mächtig bewegten Zeit aufsteigen soll, aber das kann ich versichern, daß ich beim Eintritt in die Versammlung, zu der Sie mich absenden, tief durchdrungen bin vom Ernste der inhaltschweren Aufgabe, alle die Bruderstämme zum großen Gesammtwesen in Freiheit, Einheit und heilbringender Ordnung zu verbinden.

Ludwig Uhland.«

Frankfurt a. M., 18, Mai 1848.

Diese Aufgabe, alle deutschen Bruderstämme zum großen Gesammtwesen in Freiheit und Einheit zu verbinden, ist nicht geglückt, aber das Bewußtsein, mit seinem besten Wissen danach gerungen zu haben, durfte Uhland aus dem Schiffbruch aller Hoffnungen mit sich in die Heimath nehmen.

Da Uhland seine Ueberzeugung keinem Parteigebot unterwerfen wollte, so gesellte er sich zu keinem Clubb. Demokratischer gesinnt als Manche, denen er in anderen Lebensbeziehungen näher gestanden wäre und sich sonst gerne zugewandt hätte, war er auf der andern Seite durch Stimmung und durch verschiedene Ansicht über die Wahl der Mittel von denen getrennt, mit deren politischer Ueberzeugung er mehr übereinstimmte. Nur selten besuchte er die Abendzusammenkünfte des linken Centrums oder der linken Seite. Wenn Römer in Frankfurt war, dessen Ansichten er wohl am meisten theilte, war er Abends oft bei Jakoby mit ihm zusammen, sonst war seine Stellung eine einsame. Am Sonntag, vor Tisch, war es ihm eine wahre Erholung, Jakob Grimm in seiner Gartenwohnung vor dem Bockenheimer Thor aufzusuchen und in einem Gespräch über die gemeinsamen Studien sich die Seele zu befreien. Aber dieser schied bald wieder von Frankfurt und kehrte zu seinen Arbeiten zurück.

Den Sonntag Mittag und Abend brachte Uhland mit seiner Frau meistens bei Freund Mappes oder mit ihm in den Umgebungen Frankfurts zu und schöpfte in der schönen Gegend, oft auf einer der Taunushöhen, neue Kraft für die schwüle Arbeit der Wochentage.

Uhland an seine Frau.

Frankfurt, 29. Juli 1848.

»Dieser verspätete Brief trifft Dich, liebste Emma! vielleicht schon nicht mehr in Tübingen, doch wird er Dir nach Stuttgart nachgeschickt werden. Seit Deiner Abreise war mit Ausnahme des Sonntags täglich Sitzung, meist bis drei Uhr, mitunter auch noch Abends Ausschußsitzung. Dann waren gerade in den letzten Tagen werthe Gäste hier, Wilhelm Roser mit seiner Frau. Es war mir sehr angelegen, gestern an Dich zu schreiben; da war man aber halb sieben Uhr früh zum Grabgeleite des Abgeordneten Wirth beschieden, der nur eine Sitzung in der Paulskirche mitgemacht hatte. Nachmittag und Abend mußte ich Rosers widmen, mit denen ich vorgestern eigentlich nur beim Essen in Westendhall zusammen sein konnte. Sie scheinen gerne hier zu sein. Roser kommt Abends zu Jakoby und Fanny macht von Deiner Karte in der Paulskirche Gebrauch. Am Samstag voriger Woche fuhr ich nach Wiesbaden, um dreierlei Zwecke zu verfolgen. Einmal wollte ich Professor Keller besuchen, der mir hätte berichten sollen, was sich inzwischen im Gebiete der altdeutschen Literatur Neues begeben; die Unruhen in Wiesbaden hatten ihn aber veranlaßt, seinen gewöhnlichen Kurort Baden wieder aufzusuchen. Dann ging ich Morgens mit Wackernagel nach Schierstein, eine kleine Stunde von Wiesbaden, um den Archivar Habel, der mich früher auf unserer Rheinfahrt eingeladen hatte, zu besuchen, traf aber auch diesen nicht, doch war ein kurzer Aufenthalt in einem Wirthschaftsgarten zu Biebrich, dicht am Rhein, sehr lohnend.

In den Grundrechten ist man während Deiner Abwesenheit nicht einen halben Schritt weiter gekommen. Erst auswärtige Politik, dann vier Tage hindurch Posener Frage, wobei eine ganze Sitzung nur auf die Abstimmungen ging. Gestern eine Verhandlung wegen Abkürzung der Beratungen über die Grundrechte, welche damit schloß, daß man über Anträge und Ausschußbericht zur Tagesordnung überging. Heute ist keine Sitzung. Montag Wahl des Präsidenten und neue Verloosung der Abtheilungen, woran zu ersehen, daß wieder ein Monat abgelaufen ist. Endlich Dienstag: Grundrechte.

Auf morgen bin ich von Mappes zu einem Ausflug nach Königstein und Kronenberg eingeladen, wo seine Kinder noch sind, was mir nach der schwülen Woche schon erwünscht ist; Du solltest nur dabei sein. Es hat mich sehr erfreut, aus Deinem lieben Briefe zu ersehen, daß Dir im eigenen Hause und Garten wohl ist. Laß Dich die Sorge um mich nicht bestimmen, zu kurz in Tübingen oder bei den Geschwistern in Stuttgart zu bleiben. So sehr ich mich auf Deine Zurückkunft freue, so muß ich doch erwägen, daß Du noch hinreichende Zeit in Frankfurt wirst zubringen können.

Herzliche Grüße an Wilhelm, Ludwig und Mayers. Innig

Dein L.«

Bei der Wahl des Reichsverwesers war Uhland unter den zuletzt Abstimmenden und gab seine Stimme nicht dem Erzherzog Johann, sondern Heinrich von Gagern. Damit wollte er wohl aussprechen, daß er kein unverantwortliches gekröntes Haupt an der Spitze Deutschlands wünsche, sondern einen Präsidenten eines Bundesstaats.

Es ist gesagt worden: Uhland sei ausschließend für Oesterreich und gegen Preußen eingenommen gewesen. Beides ist unrichtig, er war nur für ein ganzes Deutschland. Trotz wiederholter Aufforderung seiner Bekannten und der Fragen des Erzherzogs nach ihm kam er nie dazu, dessen Soiréen zu besuchen.

Als bei dem Leichenzug des General Gagern eine Gesellschaft junger Männer Uhland, als einem Freunde der Freiheit, ein Lebehoch brachte, sagte er mit großem Ernste: »Ja, für die Freiheit bin ich, welche die Einheit schafft!«

Manche schriftliche Ausarbeitungen sind noch vorhanden und zeugen davon, wie sorgfältig sich Uhland auf die Sitzungen vorbereitete, wenn er auch selten das Wort ergriffen hat. Wohl konnte er von sich sagen: Er habe die Stufen der Rednerbühne nicht abgetreten.

Uhland an Baron Dornis in Jena.

Frankfurt, 15. November 1848.

»Verehrter Herr!

Das Leben in den hiesigen öffentlichen Verhandlungen ist von der Art, daß immerfort eine schwierige Frage, eine stürmische Verhandlung die andere ablöst, und so sind der Tage und Tagesstunden wenige, in denen für die stilleren Anregungen der Literatur und Kunst Zeit und Sammlung bleibt. Seit acht Monaten von Hause entfernt, muß ich für dringende Besorgungen die freien Stunden verwenden, und an die eigenen Studien kommt es, wenn überhaupt davon die Rede sein kann, gewöhnlich zuletzt. Unter diesen Umständen mögen Sie mich für entschuldigt halten, wenn die freundlich mitgetheilten Zeichnungen allzu lang bei mir liegen geblieben sind. Es ist nicht möglich, ein Kunstwerk in sich aufzunehmen, wenn der Sinn verschlossen ist. So bin ich erst über den letzten Sonntag dazu gelangt, Ihre Darstellungen aus der thüringischen Geschichte und Sage vollständig und im Zusammenhang mir vorüberzuführen. Ich bin Ihnen herzlich dankbar für diesen Genuß, es war mir ein frischer Hauch aus der altvertrauten Sagenwelt und besonders hat mich erfreut, hier nicht jene verschwommene manierirte Phantasie zu treffen, in der man Gegenstände aus dem Mittelalter häufig aufgehen läßt, vielmehr eine lebenskräftige Gestaltung, die der Arabeske einen Stamm und dem landschaftlichen Ausblick einen Vordergrund gewährt. Mit aufrichtiger Hochachtung

L. U.«

Am 6. October hatte Uhland in längerer Rede gegen die Ausschließung Oesterreichs gesprochen und als im Januar die Reihe an die Berathung über das Reichsoberhaupt kam, erhob er seine Stimme gegen das Erbkaiserthum in folgender Rede:

»Ich erkläre mich für periodische Wahl des Reichsoberhaupts durch die Volksvertretung. In voriger Sitzung habe ich, ohne Aussicht auf Erfolg, für den weitesten Kreis der Wählbarkeit gestimmt, also folgerichtig auch dagegen, daß jene Würde nur einem regierenden Fürsten übertragen werden dürfe. Nachdem dieß nunmehr beschlossen ist, so bleibt mir übrig, für Anträge zu stimmen, durch welche die Erblichkeit und eben damit die Bevorrechtung eines einzelnen Staates und Stammes, sowie der Ausschluß Oesterreichs beseitigt wird, vor allem für das Grachten IV, Wahl auf sechs Jahre.

Befürchten Sie keine weitläufige Ausführung meiner Ansicht. Mein Vorhaben ist einzig, jetzt, da wir vor dem Schlußstein unsrer Arbeit stehen, mit wenigen Worten an den Grund derselben, an unsern eigenen Ursprung zu erinnern, dessen Gedächtniß mir nicht mehr überall lebendig zu sein scheint. Es ist in diesen Tagen wiederholt von Jugendträumen gesprochen worden; ich bekenne meinerseits, daß mich zuweilen noch ein Traum verfolgt, der Frühlingstraum des Jahres 1848.

Die von einem Theile des Ausschusses angetragene Erblichkeit und die damit zusammenhängende Nichtverantwortlichkeit ist eine Anwendung bekannter Grundsätze der in den deutschen Einzelstaaten durchgeführten constitutionellen Erbmonarchie auf die neuzugründende Würde des Reichsoberhaupts. Ich will die Verdienste dieser Staatsform, ihre geschichtlichen Leistungen und ihre Nützlichkeit in der Gegenwart keineswegs herabsetzen, darf aber auch eine Schattenseite derselben nicht unberührt lassen, die ich gerade da erblicke, wo die reine Lehre den glänzendsten Lichtpunkt des Systems gefunden hat. Jene Schattenseite besteht, nach meinem Dafürhalten, darin, daß der unverantwortliche, erbliche Monarch nur ein personificirter Begriff der einheitlichen und stätigen Staatsgewalt ist, ein allegorisches Wesen, eine Fiction des Regierens, keine natürliche Wahrheit. Da er nicht vermöge seiner persönlichen Eigenschaften, sondern durch das Erbfolgerecht zur Gewalt berufen ist, so müssen für den rechten Gebrauch der letztern verantwortliche Räthe einstehen. Unter dieser Bevormundung können selbstständige Charaktere schwer gedeihen, oder wenn solche sich fühlen, wenn sie hervorbrechen wollen aus der lästigen Stellung eines lebenden Gemäldes, so gerathen sie mit dem constitutionellen Rahmen in Widerstoß. Dieses System hat sich in England geschichtlich herangebildet, hat von da aus weitere Pflanzungen gegründet und ist sodann von der Doctrin als das alleinseligmachende für ewig festgestellt worden. Ursprünglich deutsch ist es nicht. Die deutschen Wahlkönige, erblich, so lange das Geschlecht tüchtig war, fallen nicht unter diese Staatsform; es waren in langer Reihe Männer von Fleisch und Bein, kernhafte Gestalten, mit leuchtenden Augen, thatkräftig im Guten und Schlimmen. Der Mißstand, den ich berührte, hat sich in unsrer jetzigen Verhandlung auf merkwürdige Weise hervorgestellt. Ein früherer Redner hat uns belehrt, daß der König von Sachsen durch sein dermaliges Ministerium behindert sei, seine ursprüngliche und auch jetzt unbezweifelte deutsche Gesinnung zu Gunsten des preußisch-deutschen Erbkaiserthums wirksam zu machen. Also diejenige Form, die dem Fürsten bei den hochherzigsten Entschließungen die Hände bindet, wird uns für die neue Reichsgewalt empfohlen, von dem gleichen Redner lebhaft angepriesen.

Eine mächtige Volkserhebung, wie die deutsche des vergangenen Frühjahrs, muß sich aus ihrem eigenen Geiste die rechte und lebenskräftige Form erschaffen.

Wenn es neulich von dieser Tribüne für einen Widerspruch erklärt worden ist, die Monarchie in den Zweigen zu erhalten und im Gipfel zu entbehren, so läßt sich dem ein anderer Widerspruch entgegenhalten. Ist denn der Anstoß und Grundtrieb unsrer politischen Neugestaltung von der monarchischen, oder dynastischen, aristokratischen Seite des bisherigen deutschen Staatslebens ausgegangen? nein! unbestritten von der demokratischen. Die Wurzel also ist eine demokratische; von der Wurzel aber, nicht von den Zweigen schießt auch der Gipfel auf. So kann es dem natürlichen Wuchse der neuerstehenden deutschen Eiche nicht gemäß sein, daß ihrem Gipfel ein Brutnest erblicher Reichsadler aufgepflanzt werde.

Wollte man, der Systematik wegen, durchgängige Uebereinstimmung des Ganzen mit dem Einzelnen verlangen, was ich nicht für nöthig halte, so würde viel eher folgen, daß das Alte sich dem neuen, durchwaltenden Geiste füge, als umgekehrt. Ich bin aber auch der Meinung, daß die Staatsformen oft in der Wirklichkeit nicht so weit aus einander liegen, als in der Theorie oder im Feldgeschrei des Tages. Durch die Aufhebung der politischen Standesvorrechte und durch freisinnige Wahlgesetze werden die monarchischen Verfassungen der Einzelstaaten den demokratischen Anforderungen der Neuzeit bedeutend näher gerückt. Ich mache daher auch keinen Angriff auf den Fortbestand dieser Staatsform in ihrer Auffrischung, ich glaube nur nicht, daß dieselbe fähig sei, eine neue, nachhaltige Schöpfung, ein verjüngtes Gesammtdeutschland, hervorzutreiben.

Ein Andres ist der Fortbestand und die Verbesserung vorhandener Einrichtungen, ein Andres die Frage: ob eine gegebene Staatsform, hier die monarchisch-constitutionelle, für eine gänzlich neue, viel umfassendere Schöpfung triebkräftig oder maßgebend sein könne?

Ich gestehe, einmal geträumt zu haben, daß ein großartiger Aufschwung auch bedeutende politische Charaktere hervorrufen werde und daß hinfort nur die hervorragendsten an der Spitze des freigewordenen und geeinigten Deutschlands sollten stehen können. Dieß aber ist nur durch Wahl, nicht durch Erbgang möglich. Hier auf gänzlich neuem Felde war freie Bahn für die Verwirklichung wahrer und kühner Gedanken und ich zweifelte nicht, daß das deutsche Volk für solche Gedanken empfänglich sei. Ich mußte mir wohl einwenden: was vermag der einzelne Mann ohne Hausmacht, ohne dynastischen Glanz? Gleichwohl, wenn wir in der Zeit, als uns noch das volle Vertrauen des Volkes ein Rückhalt war und die Staatsmänner noch nicht aufhören mußten, Volksmänner zu sein, wenn wir damals einen Mann an die Spitze gestellt hätten, einen solchen, der in der ganzen Größe bürgerlicher Einfachheit durch den Adel seiner freien Gesinnung auch die rohe Gewalt zu bändigen, die verwilderte Leidenschaft in die rechte Strömung zu lenken verstanden hätte: ich denke, das gesammte deutsche Volk wäre seine Hausmacht gewesen.

Jugendträume! wie schon gesagt. Ein Hauch des ursprünglichen Geistes gab sich wirklich noch in dem Beschlusse der Volksvertretung kund, gänzlich aus eigener Macht den Reichsverweser zu wählen. Ein Fürst wurde gewählt, nicht weil, sondern obgleich er ein Fürst war. Aber indem man die Nichtverantwortlichkeit beigefügt hatte, war schon wieder nach der constitutionellen Richtung eingebeugt. Ich habe wesentlich darum nicht für einen Fürsten gestimmt, ich sah in dieser Verbindung bereits den doktrinären Erbkaiser auftauchen, dessen Widersacher ich schon gewesen bin, als er noch bei den Siebzehnern in den Windeln lag und zärtlich gewiegt wurde, und der mir nicht lieber geworden ist, nun er ernstliche Versuche macht, auf den deutschen Thron zu klettern.

Seit jener Wahl ist die Stimmung noch weiter zurückgegangen und der neueste Beschluß gestattet nur noch die Berufung eines regierenden Fürsten. Das Wahlrecht ist an sich noch unverloren, aber auf diesen engen Kreis von Wählbaren beschränkt. Die Beschränkung selbst, wonach andere Angehörige der fürstlichen Geschlechter ausgeschlossen sind, kann so aufgefaßt werden, daß es nicht die dynastische Eigenschaft, sondern der Regentenberuf ist, wodurch die Wählbarkeit bedingt wird. Mit Festhaltung der periodischen Wahl wäre mindestens jener äußerste Partikularismus abgewiesen, vermöge dessen ein Fürstenhaus, ein Volk Gottes für ewig über alle andern deutschen Stämme erhoben würde und diese, nach dem glücklichen Ausdruck des Berichterstatters, in ein Verhältniß des Dienens träten. Der Reichsvorstand soll nicht das Gepräge eines preußischen, eines östreichischen, sondern das eines gemeinsam deutschen Oberhauptes tragen. Dieses aber wird nicht erreicht durch die neue Fiction: der zum Reiche berufene Fürst eines Einzelstaates werde nun ganz und einzig deutsch sein, denn die Reichsverfassung selbst beläßt ja eine, nur beschränkte Selbstständigkeit aller einzelnen Staaten. Jenes allgemein deutsche Gepräge kann vielmehr nur dadurch aufgedrückt und frisch erhalten werden, daß die Wahl durch die Gesammtvertretung der Nation periodisch erneuert wird und daß die Möglichkeit der Wahl aus jedem deutschen Volksstamme, je nach dem Bedürfniß der Zeit und nach der Beschaffenheit der Personen, gegeben bleibt. Eine erste und einmalige Wahl, die Wahl eines Fürsten, der fortan die Würde vererben würde, wäre lediglich ein feierlicher Verzicht auf das Wahlrecht. Mögen Sie diesen Verzicht nicht aussprechen, er widerstrebt dem Geiste, der Sie hieher berufen hat. Die Revolution und ein Erbkaiser, das ist ein Jüngling mit grauen Haaren.

Ich lege nur noch meine Hand auf die alte, offene Wunde, den Ausschluß Oestreichs. Ausschluß ist und bleibt das aufrichtige Wort, denn wenn Sie das erbliche Kaiserthum ohne Oestreich beschließen, so ist keine Hoffnung, daß es noch irgend einmal eintreten werde. Ich erinnere abermals an die Zeit unsres Ursprungs. Als man Schleswig erobern wollte, wer hätte daran gedacht, daß wir Oestreich preisgeben würden? Als die Abgesandten aus Oestreich mit der deutschen Fahne und mit den Waffen des Freiheitskampfes in die Versammlung des Fünfzigerausschusses einzogen und mit lautem Jubel begrüßt wurden, wer hätte da geträumt, daß vor Jahresfrist die östreichischen Abgeordneten ohne Sang und Klang aus den Thoren der Paulskirche abziehen würden? Die deutsche Einheit sollte ja geschaffen werden; diese Einheit ist aber nicht lediglich eine Ziffer, sonst wäre sie vorhanden, wenn der edle Reichsapfel weiter und weiter ausgeschält würde, wenn zuletzt Deutschland in Liechtenstein aufginge. Die wahre Einheit muß alle deutschen Ländergebiete zusammenfassen, wie es im ersten Satze der Reichsverfassung ausgesprochen ist; es ist eine stümperhafte Einheit, die ein Dritttheil dieser Gebiete außerhalb der Vereinigung läßt. Die Einigung mit Oestreich ist schwierig, das wissen Alle, aber es scheint mir auch, Manche nehmen es zu leicht, auf Oestreich zu verzichten. Manchmal, wenn östreichische Männer in diesem Saale sprachen und wenn sie auch nicht in meinem Sinne redeten, war es mir doch, als ob ich einen Ruf von den Tyroler Bergen vernehme oder das adriatische Meer rauschen höre. Wie sehr verengt sich unser Gesichtskreis, wenn wir Oestreich aufgeben! Um wieviel flacher und farbloser wird das deutsche Vaterland, wenn die östlichen Hochgebirge zurückweichen, wenn die volle breite Donau nicht mehr deutsche Ufer spiegelt! Es genügt nicht, staatsmännische Plane auszusinnen und abzumessen, man muß sich in die Anschauung, in das Land selbst versetzen, man muß sich Oestreich vergegenwärtigen mit all seiner reichen Lebensfülle. Welche Einbuße wir, mit seinem Ausscheiden, an Macht, an Gebiet, an Volkszahl erleiden würden, ist hinreichend erörtert worden. Ich füge nur Eines hinzu: Deutschland würde ärmer werden um alle die Kraft des Geistes und Gemüths, die in einer deutschen Bevölkerung von acht Millionen lebendig ist. Wenn wir mit einem Bundesstaate ohne Oestreich nach Hause kommen, wird das deutsche Volk unser Werk loben? zumal das süddeutsche, das mit dem östreichischen durch Naturanlage und geschichtliche Erinnerung am nächsten verwandt ist? Schonen Sie das Volksgefühl! Diese Gefühlspolitik ist nicht ganz zu verwerfen. Ich habe Ursache, die hochfahrende Vernachlässigung derselben für bedenklich zu halten.

Wir wollen – zum letztenmal – einen Dom bauen. Wenn unsere alten Meister ihre riesenhaften Münster aufführten, der Vollendung des kühnen Werkes ungewiß, so bauten sie den einen Thurm und für den andern legten sie den Sockel. Der Thurm Preußen ragt hoch auf, wahren wir die Stelle für den Thurm Oestreich!

Doch der Thurmspitzen ist große Zahl, ich will es anders fassen. Mitten in der Zerrissenheit dieser Versammlung ergriff mich zuweilen das Gefühl, daß wir, so heftig wir uns gegen einander aufbäumen, dennoch durch das nicht mehr zu berechnende, im Volksbewußtsein gefestigte Gebot der deutschen Einheit wie mit eisernen Banden zusammengeschmiedet seien. Trennen wir Oestreich ab, so ist das Band zerschlagen.

Ich schließe: verwerfen Sie die Erblichkeit, schaffen Sie keinen ewig herrschenden Einzelstaat, stoßen Sie nicht Oestreich ab, retten Sie das Wahlrecht, dieses edle Volksrecht, für das Sie der Nation verantwortlich sind, dieses fortwirkende Wahrzeichen des volksmäßigen Ursprungs der neuen Gewalt! Glauben Sie, es wird kein Haupt über Deutschland leuchten, das nicht mit einem vollen Tropfen demokratischen Oeles gesalbt ist!«


Uhland an seine Frau.

Frankfurt, 10. Februar 1849.

»Liebste Emma!

Du hast mich durch Deinen Reisebericht sehr erfreut. Hier hast Du in der Paulskirche nichts versäumt. Es wurde ein rückständiges Stück der Grundrechte ohne lebendige Theilnahme verhandelt und darauf wird auch noch der Anfang der nächsten Woche verwendet werden. Es war wohl davon die Rede, daß am 19. die Frist der Erklärungen der Einzelstaaten zu Ende gehe und dann sogleich die schwierigen Paragraphen »vom Reiche« zur zweiten Berathung kommen sollen. Aber da ist nun auf einmal, als Seitenstück der preußischen Note, vorgestern eine östreichische gekommen, worin Oestreich erklärt, daß es statt, wie es gewünscht hätte, in Gemeinschaft mit Preußen, nun allein den Weg der Vereinbarung mit Frankfurt betrete, daß es sich gegen einen einheitlichen Centralstaat, gegen das Gagern'sche Programm ausspreche, daß es gegen eine Unterordnung des Kaisers von Oestreich unter die von einem andern deutschen Fürsten gehandhabte Centralgewalt sich feierlichst verwahre. Es bezeigt sogar Lust, nicht bloß mit seinen deutschen, sondern auch, wenn nicht gleich im Augenblick, doch weiterhin, zugleich mit seinen außerdeutschen Ländern in Gemeinschaft mit Deutschland zu treten. Das würde nun auf ein Direktorium unter Oestreichs Vorsitz hinweisen und in dieser wie in anderer Hinsicht ist diese Erklärung eine unerfreuliche. Zugleich aber wird dadurch das allzu übermüthige und gegen Oestreich schonungslos betriebene preußische Erbkaiserthum gekreuzt.

Du wirst der hiesigen Angelegenheiten wegen nicht Ursache haben, Deine Rückkehr zu beschleunigen. Den Plan, Dir nach Heidelberg entgegen zu kommen, kann ich unter diesen Umständen nicht festhalten. Es könnte nöthig sein, hier auf dem Platze zu bleiben, um sich zu unterrichten.

Heute war ich mit Schott bei Mappes zu Tisch. Am Mittwoch fuhr ich um eilf Uhr nach Mainz, weil mir in Erwartung eines raschen Ausgangs der Verhandlungen der Nibelungenhort in Mainz keine Ruhe ließ; ich traf aber den Maler Becker, dem die Reise galt, nicht an. Der Tag war so blau, sonnig und frühlingsmäßig, daß mir ein langer Gang am Rhein, dessen Spiegel von Schiffen und dessen Ufer von Spaziergängern wimmelte, im Anblick des herrlich erleuchteten Gebirges sehr wohlthuend war. Daß Du nicht bei mir warst, ist um so bedauerlicher, als Du mir am gleichen Tage über dichten Nebel klagst.

Ich freue mich auf Deine Zurückkunft und bin äußerst begierig auf Deine Berichte aus der Heimath. Grüße Ludwig, Wilhelm und Mayers und wer sonst von Bekannten mein gedenkt.

Mayer danke für seinen Brief.

Innig Dein L.«

Am 22. März, bei der Kaiserwahl, mußte Uhland seiner Ueberzeugung folgen und erklären: »Ich stimme nicht« und als es am 11. April an die Abstimmung über die Reichsverfassung kam, dieselbe ablehnen.

Als der König von Preußen sich gegen die Annahme der Reichskrone erklärte, zogen sich viele Abgeordnete vom Parlamente zurück, weil sie an einem günstigen Ausgang verzweifelten.

Auf den Wunsch des Dreißiger-Ausschusses verfaßte Uhland folgende Ansprache an das deutsche Volk.

»Die Nationalversammlung fühlt sich gedrungen, an das Volk, von dem sie gewählt ist und das sie in seiner wichtigsten Angelegenheit zu vertreten hat, über ihre neueste Stellung aufklärende und aufmunternde Worte zu richten. Diese Stellung ist eine so schwierige geworden, daß es wohl das Ansehen gewinnen mochte, als stände die verfassunggebende Versammlung ihrer Auflösung nahe, als müßte eben damit das von ihr mühsam zu Ende geführte Verfassungswerk in Scherben gehen, als sollte der gewaltige Strom der deutschen Volkserhebung kläglich im Sande verrinnen. Die Schwierigkeiten, die sich vor uns aufthürmen, kommen theils von Außen her, durch den Widerstand der fünf mächtigsten Einzelregierungen und nun auch der von uns selbst ins Leben gerufenen Centralgewalt gegen die Durchführung der endgiltig beschlossenen und verkündigten Reichsverfassung, theils aber und zumeist noch aus unsrer Mitte, durch den massenhaften Austritt derjenigen Mitglieder, die entweder dem Abruf ihrer Regierungen folgen zu müssen vermeinten oder am Gelingen des Werkes und an allem fruchtbaren Fortwirken der Versammlung verzweifelten. Diesen Hindernissen zum Trotze glauben wir noch immer unsern Bestand und die uns anvertraute Sache aufrecht erhalten zu können; wir setzen der Ungunst der Verhältnisse diejenige Zähigkeit entgegen, die schon manchmal zum endlichen Siege geführt hat. Den Regierungen, deren Staatsweisheit im vorigen Jahre so machtlos und rathlos, so gänzlich erstarrt war, daß sie jene siebzehn Vertrauensmänner am Bunde auffordern mußten, die Initiative eines Verfassungsentwurfs zu ergreifen, und die, nachdem sie wieder warm geworden, uns nicht bloß Vereinbarung ansinnen, sondern sogar die Octroyirung in Aussicht stellen, ihnen halten wir beharrlich den schon im Vorparlament geltend gemachten, dann im Anfang unsrer Verhandlungen feierlich ausgesprochenen und fortan thatsächlich behaupteten Grundsatz der Nationalsouveränetät entgegen; wir lehnen uns an diejenigen, wenn auch minder mächtigen Staaten und ihre Bevölkerungen, welche die Beschlüsse unsrer Versammlung für bindend und die verkündigte Verfassung für rechtsbeständig anerkannt haben. Die neuesten Erfahrungen haben schlagend bewiesen, daß aus einer Vereinbarung von neununddreißig Regierungen unter sich und mit der Nationalvertretung, dazu noch mit allen Landesversammlungen, niemals eine Reichsverfassung hätte hervorgehen können und daß die Nationalversammlung, selbst gegen eigene Neigung, das Verfassungswerk in die Hand hätte nehmen müssen, wenn es überhaupt zu Stande kommen sollte.

Gegenüber der durch unser Gesetz vom 28. Juni v. J. geschaffenen provisorischen Centralgewalt, welche jetzt, da es gälte, die auf Durchführung der Verfassung gerichteten Beschlüsse zu vollziehen, sich dessen weigert und ein Ministerium am Ruder läßt, dem die Versammlung ihr Vertrauen alsbald abgesagt hat, ist in unsrer Sitzung vom 19. Mai, noch vor dem großen Austritt, beschlossen worden, daß die Versammlung sofort, wo möglich aus der Reihe der regierenden Fürsten, einen Reichsstatthalter wähle, welcher vorerst die Rechte und Pflichten des Reichsoberhaupts ausübe. Damit glaubte man auch für die Zeit des Uebergangs dem Sinne der Verfassung selbst am nächsten zu kommen. Endlich der durch Massenaustritt dem Bestande der Nationalversammlung erwachsenen Gefahr suchten wir durch den gestrigen Beschluß zu begegnen, daß schon mit 100 Mitgliedern (statt früher angenommenen 150) die Versammlung beschlußfähig sei; nicht als ob wir eine so stark herabgeschmolzene Zahl für keinen Uebelstand ansähen, oder dadurch den Sieg einer ausharrenden Partei erringen wollten, sondern darum, daß nicht das letzte Band der deutschen Volkseinheit reiße, daß jedenfalls ein Kern verbleibe, um den bald wieder ein vollerer Kreis sich ansetzen könne. Noch sitzen in der Paulskirche Vertreter fast aller deutschen Einzelstaaten und gerade diejenigen Staaten sind noch immer namhaft vertreten, deren Abgeordnete zurückberufen wurden, Preußen, Oestreich und Sachsen. Eine bedeutende Zahl von Mitgliedern ist nur zeitig abwesend und es soll für ihre Einberufung gesorgt werden; durch Stellvertreter und Nachwahlen ist für Abgegangene Ersatz zu erwarten. Sollte aber auch nicht der ernste Ruf des Vaterlandes seine Kraft bewähren, so gedenken wir doch, wenn auch in kleiner Zahl und großer Mühsal, die Vollmacht, die wir vom deutschen Volk empfangen, die zerfetzte Fahne, treugewahrt in die Hände des Reichstags niederzulegen, der, nach den Beschlüssen vom 4. d. M. am 15. August zusammentreten soll und für dessen Volkshaus die Wahlen am 15. Juli vorzunehmen sind. Selbst aus diesen Beschlüssen ist ein Eingriff in die Regierungsrechte herausgefunden worden, während sie eben dadurch unvermeidlich waren, daß vom Inhaber der provisorischen Centralgewalt kein Vollzug zu gewarten stand.

Für diese Bestrebungen, die Nationalvertretung unerloschen zu erhalten und die Verfassung lebendig zu machen, nehmen wir in verhängnißvollem Augenblicke die thätige Mitwirkung des gesammten deutschen Volkes in Anspruch. Wir fordern zu keinem Friedensbruch auf, wir wollen nicht den Bürgerkrieg schüren, aber wir finden in dieser eisernen Zeit nöthig, daß das Volk wehrhaft und waffengeübt dastehe, um, wenn sein Anrecht auf die Verfassung und die mit ihr verbundenen Volksfreiheiten gewaltsam bedroht ist, oder wenn ihm ein nicht von seiner Vertretung stammender Verfassungszustand mit Gewalt aufgedrungen werden wollte, den ungerechten Angriff abweisen zu können; wir erachten zu diesem Zwecke für dringlich, daß in allen der Verfassung anhängenden Staaten die Volkswehr schleunig und vollständig hergestellt und mit ihr das stehende Heer zur Aufrechthaltung der Reichsverfassung verpflichtet werde. Außerdem mahnen wir dazu, daß durch Ersatzmänner und Nachwahlen unsre Versammlung ohne Säumniß Ergänzung erhalte. Vor Allem aber hegen wir zu dem Männerstolz und Ehrgefühle unseres zur Freiheit neuerwachten Volkes das feste Vertrauen, daß es nimmermehr auf ein willkürlich octroyirtes Reichswahlgesetz, sondern einzig nach demjenigen, welches die verfassunggebende Versammlung erlassen hat, die Wahlen vornehmen und daß, wenn der bestimmte Wahltag herankömmt, gleichzeitig in allen deutschen Gauen ein reger Wetteifer sich bethätigen werde, das gemeinsame Wahlrecht zu gebrauchen oder zu erlangen.«

Zusatz der Minorität des Dreißiger-Ausschusses.

Grundbedingung für den Sieg der Ehre der Einheit und Freiheit des Vaterlandes ist die Treue gegen die Reichsverfassung, somit das Unterlassen und Aufgeben aller Maßregeln, welche ihr widersprechen; Grundbedingung ist nicht minder die Treue gegen das Vaterland selbst und seine Ehre, somit die entschiedene Zurückweisung jeder Einmischung der Fremden in die inneren vaterländischen Zwiste, komme solche Einmischung vom Osten oder vom Westen.

Welcker. Kierulff. Liebmann. Backhaus.
Zachariä von Göttingen. Eckert.

Nach der Annahme dieser Ansprache wurde der Antrag eingebracht: die Versammlung nach Stuttgart zu verlegen. Uhland erklärte sich gegen diesen Antrag: »Unter den Beschlüssen des Vorparlaments, wie solche vom Fünfziger-Ausschuß zusammengestellt sind, befand sich einer, der so lautet: »»Die constituirende Nationalversammlung hält ihre Sitzungen in Frankfurt a. M.;«« demgemäß hat das deutsche Volk seine Vertreter nach Frankfurt gewählt und es steht diesen nicht an, ohne Noth den bestimmten Ort zu verlassen. Noch sind wir hier unvertrieben. Aber auch einzig vom Standpunkt der Zweckmäßigkeit betrachtet, war Frankfurt uns nicht ohne Grund zum Aufenthalt angewiesen. Die centrale Lage der Stadt an der Mainlinie, wo Süd und Nord des deutschen Vaterlandes sich die Hand reichen, die neutrale Stellung derselben als eines der mindest mächtigen Staaten, diese günstigen Verhältnisse bezeichneten Frankfurt wie keinen andern Ort zur Stelle des Zusammentritts der gemeinsam deutschen Volksvertretung. Eben darum aber wird, wenn wir von der Stelle weichen, wenn wir uns in eine südliche Ecke zurückziehen, ein neuer Riß in die große deutsche Gemeinschaft gemacht werden. Der Ortswechsel soll freilich nur eine Schwenkung sein, um von dem Süden aus den Norden für die Verfassung zu erobern; aber ich fürchte, wir machen die Schwenkung, ohne durch sie die Eroberung zu machen. Mit dieser Erwägung hängt eine andere genau zusammen. Die Mitgliederzahl dieser Versammlung hat sich in dem Maße vermindert, daß wir durch verschiedene Beschlüsse und Einleitungen ernstlich dafür sorgen mußten, sie nicht völlig versiegen zu lassen. Wir haben bereits für die Beschlußfähigkeit eine Zahl festgesetzt, unter die nicht weiter herabgegangen werden kann. Denn die Vertretung einer großen Nation erfordert auch einen Körper, sie kann nicht als bloße Idee lebendig und wirksam sein. Ich besorge nun sehr, wir würden uns selbst auf die Seite schieben, würden durch den Beschluß, von hier abzuziehen, einen weiteren Theil der Versammlung gänzlich austreiben, einen sehr achtbaren Theil, der hier ausgehalten hat und hier aushalten will, auch nachdem er sich beträchtlich in der Minderheit befindet. Wir haben wahrhaftig nicht Ursache, uns noch weiter zu vermindern, vielmehr müssen wir uns zu mehren und zu stärken suchen. Darum haben wir auch ferner beschlossen und dringend aufgefordert, daß durch Ersatzmänner und Neuwahlen die gebrochenen Lücken so viel möglich wieder ausgefüllt werden. Dieser Aufruf wird aber in manchen Gegenden Deutschlands um so weniger fruchtbar sein, je mehr wir uns durch die veränderte Stellung diese Gegenden entfremden. Wir dürfen uns nicht verhehlen, es wird sich, wenn auch ohne zureichenden Grund, die Vorstellung bilden, als sei die deutsche Nationalvertretung zu einem unfreien, die Bewegungen des südlichen Deutschland keineswegs leitenden, sondern von ihr beherrschten und bewältigten Winkelconvent geworden. So würde die Verlegung, die zur Aufrechthaltung und Kräftigung der deutschen Nationalvertretung dienen soll, gerade in das Gegentheil umschlagen.« Uhlands Abmahnen wurde nicht beachtet, sondern die Verlegung mit 71 gegen 64 Stimmen beschlossen und Uhland folgte, wenn auch mit schwerem Herzen, nach Stuttgart. Dort wurde gleich in der ersten Sitzung eine Regentschaft von fünf Personen an die Stelle der Centralgewalt vorgeschlagen. Römer, Schott, Uhland, Vischer, Klett, Giskra und einige Andere stimmten gegen die Regentschaft, welche aber in der nächsten Sitzung gewählt wurde. Uhland und die Obigen enthielten sich der Abstimmung.

Die Unmacht der Regentschaft zeigte sich bald bei dem der Versammlung vorgelegten und von ihr angenommenen Gesetz für Bildung der Volkswehr, zur Durchführung der Reichsverfassung. Von einem Abgeordneten wurde ausgesprochen, wenn Römer nicht zur Durchführung dieses Gesetzes behülflich sei, so sei er ein Verräther.

Uhland nahm nun das Wort: »Ich habe weder die Kundgebungen des württembergischen Ministeriums, noch die Beschlüsse der württembergischen Kammer zu vertreten, aber das ist meine Ueberzeugung, daß, so wie die Verhältnisse liegen, die Regierung, die Kammer, das Volk von Württemberg ohne vorgängige Prüfung nicht gedanken- und willenlos sich allen und jeden Anforderungen der Nationalversammlung und der von ihr eingesetzten Regentschaft zu fügen haben, selbst dann, wenn ihnen vor Augen läge, daß die Erfüllung solcher Anforderungen, ohne dem Allgemeinen zu helfen, die Zerspaltung und Zerrüttung des Landes herbeiführen müßten. Ich erkenne den rechtlichen Fortbestand der Nationalversammlung bei einem Minimum von 100 anwesenden Mitgliedern fortwährend an; wenn ich dieß nicht thäte, so wäre ich nicht hier. Ich bezweifle auch nicht die Berechtigung der Versammlung, eine Regentschaft zu wählen, wie sie gethan hat, und ich habe gegen diese neue Executivgewalt darum gestimmt, weil ich sie, so wie sie gestaltet ist, weder für heilbringend, noch für wirksam halten kann. Allein dieselbe Nothwendigkeit, die für diese Abweichung von einem früheren Beschlüsse dieser Versammlung geltend gemacht wurde, dieselbe Nothwendigkeit, welche schon früher zu den wichtigsten Beschlüssen geführt hat, eben diese Nothwendigkeit ist auch jetzt, wo Deutschland mit seinen obersten Gewalten überall aus den Fugen gegangen ist, diese gebieterische Notwendigkeit liegt für Württemberg vor, von sich abzuwehren, was zu seinem offenbaren Verderben gereichen würde. Indem ich diese meine Ansicht offen ausspreche, glaube ich ebenso wenig einen Treubruch oder Hochverrath zu begehen, als ich meinen Freund Römer eines solchen schuldig erachten kann, wenn er nicht Land und Volk Württemberg eiligst und unbedingt zu Handen und Banden der neuen Reichsgewalt stellen will. Man mag mir persönliche Befangenheit vorwerfen, und Eines ist, was ich aufrichtig bekenne: die deutsche Bewegung hat in größerer Anzahl Talente hervorgerufen und entwickelt als Charaktere. Um so weniger bin ich geneigt, einen Charakter, den ich einmal als einen gesunden, tüchtigen erkannt und erprobt habe, leichtfertig wegzuwerfen. Ich werde mein Urtheil dem seinigen nicht dienstbar machen, aber ich werde, was von ihm ausgeht, genau ansehen, bevor ich verdamme – – Römer ist ein Charakter, lauter wie Gold und fest wie Stahl, ich weiß nicht, ob seine Nachfolger von edlerem Metalle sein werden.«

Die Sorge um Aufrechthaltung des Friedens im Lande nöthigte bald darauf das Ministerium, dem ferneren Tagen des Parlaments Einhalt zu thun. Römer schrieb dem Präsidenten und ersuchte ihn, »ohne Verzug dahin zu wirken, daß Parlament und Regentschaft sich einen andern Sitz aussuchen und in Stuttgart jeden weiteren officiellen Akt unterlassen möchten.« Dieses Schreiben wurde in der württembergischen Kammer vorgelegt und Römer bemerkte: er habe noch keine Antwort hierauf. Der anwesende Vicepräsident des Parlaments, Schoder, zugleich Kammermitglied, antwortete hierauf: »Die Antwort kann ich geben, um drei Uhr ist Sitzung.« Hierauf ließ Römer militärische Anstalten treffen, um die Sitzung zu verhindern. Uhland war am Vormittag dieses Tages in Berg bei Verwandten und hörte erst nach Tisch, bei einem Freund, von dem Vorgegangenen, und dann den Trommelschlag und das Annähern des Militärs. Er eilte nun in des Präsidenten Löwe Wohnung und als er ihn da nicht antraf, in das Hotel Marquardt, dort war Löwe mit andern Parlamentsgliedern; sie beschlossen nun, sich im Zuge in die Sitzung zu begeben und dort die Gewalt an sich vollziehen zu lassen. Schott und Uhland nahmen den Präsidenten in ihre Mitte und gingen dem Sitzungslokale zu. In der Nähe desselben fanden sie Infanterie aufgestellt, die ihnen das Weitergehen verwehrte. Aus den Reihen des Fußvolks trat der Civilcommissär und erklärte dem Präsidenten: daß keine Sitzung gehalten werden dürfe. Der Präsident wollte sprechen und Protest einlegen, da wurden aber die Trommeln gerührt und als er es auf's Neue versuchte, fielen die Trommeln wieder ein und von der Seite heran rückte die Cavallerie und drängte die Abgeordneten auseinander. Diese wichen nun der Gewalt und kehrten in das Hotel zurück, um dort ein Protokoll über den Vorgang aufzusetzen. Zum Glück kam keine Verwundung vor.

Da übertriebene und widersprechende Berichte in Umlauf kamen, so veröffentlichte Uhland eine Darstellung und Erklärung, deren Schluß hier folgt.

»Es wäre der Nationalversammlung nicht angestanden, auf die bloße Meldung hin, daß die Straßen gesperrt seien, den Gang nach ihrem Sitzungslokale aufzugeben; sie war es sich und dem Volke schuldig, das sie zu vertreten hatte, thatsächlich und augenfällig festzustellen, daß sie nur der äußern Gewalt weiche und zugleich gegen diese Gewalt Verwahrung einzulegen.

Daß hiebei zwei Abgeordnete aus Württemberg zur Seite des Präsidenten mit an der Spitze gingen, war nahezu die einzige Gastfreundschaft, welche der Versammlung geworden ist. Hier kann auch nicht die politische Parteiung in Betracht, sondern einzig das Bewußtsein des Zusammengehörens in dem zuletzt noch aufrecht gebliebenen Bestände der deutschen Nationalvertretung. In dem gemeinsamen Zuge lag weder für die Versammlung selbst noch für den öffentlichen Frieden eine wahrscheinliche Gefahr. Es war nicht zu viel verlangt, wenn man erwartete, der Civilcommissär werde unter Hinweisung auf die vor uns aufgestellten Truppen den Durchgang verweigern und sodann den Präsidenten seine Verwahrung entgegensetzen lassen. Damit wäre der Sache von beiden Seiten Genüge geschehen. Nicht zu erwarten war aber, daß die wiederholten Versuche des Präsidenten, seinen Protest zu erheben, übertrommelt wurden, und noch weniger war es durch die Umstände geboten, daß von der Seite her, und vor den Reihen des Fußvolks, Reiterei heranzog, um, wenn auch nur im Schritt vorrückend, die unbewaffneten Volksvertreter hinwegzudrängen oder abzuschließen. Dadurch erst war die Gefahr hervorgerufen, daß wenn die Entrüstung des obwohl nicht zahlreich versammelten Volkes sich Luft gemacht hätte, die Abgeordneten mitten in den Zusammenstoß gerathen wären.

Die Gerüchte, daß ich selbst körperlich verletzt worden, sind schon anderwärts widerlegt; die einzige Verletzung, die ich davon getragen, ist das bittere Gefühl der unziemlichen Behandlung, welche dem letzten Reste der Nationalversammlung in meinem Heimathlande widerfahren ist.«

In den ersten Tagen nach der Sprengung des deutschen Parlaments reiste Uhland nach Tübingen zurück, nachdem er fünfzehn Monate von Hause entfernt gewesen. Obgleich er sich von Anfang an die Schwierigkeiten, die sich einer glücklichen Neubildung der deutschen Verhältnisse entgegenstellten, nicht verborgen hatte, so mußte ihm der Schiffbruch aller Hoffnungen doch sehr schmerzlich sein.

Es war vielleicht gut für ihn, daß er zu Hause vielerlei zu besorgen vorfand nach der langen Entfernung. Während des Frankfurter Aufenthaltes hatte er einen geliebten Schwager, den Mann seiner verstorbenen Schwester, durch den Tod verloren; er hatte die Pflegschaft des jüngeren der beiden Söhne zu übernehmen, der ihm nun während seiner Studienjahre ein lieber Hausgenosse wurde und dem er alle Liebe seines treuen Herzens zuwendete. Ludwig Meyer studierte die Rechtswissenschaft, Wilhelm Steudel, der andere Pflegesohn, die Medicin. Die jungen Leute brachten Leben in das stille Haus und erhielten die Verbindung mit der Außenwelt. Uhland wußte, daß seine Tübinger Freunde und Bekannte größtentheils einer andern Ansicht in der Politik angehörten und zog deßhalb vor, in der nächsten Zeit von gesellschaftlichen Vereinigungen ferne zu bleiben. Ueber seine Theilnahme am politischen Leben äußerte er einst: »Es lag nie in meinem Wunsche, eine Stellung als Leiter einer Partei einzunehmen, überhaupt betheiligte ich mich an politischen Verhandlungen nur, weil ich es für Pflicht hielt, mich nicht zu entziehen, wenn ich dazu berufen wurde. Ich wollte aber immer nur als gemeiner Soldat dienen und ließ die hervorragenden Stellen gerne den Andern, die sich dazu drängten. Ohne Rückhalt mich aussprechen, wie meine Ueberzeugung gebot, das wollte ich, in der Ständeversammlung, wie im Parlament. In letzterem hat es leider an den Officieren gefehlt.« Von seinem Verbleiben bis zur Sprengung des Parlaments sagte er: »Der massenhafte Austritt der Preußischgesinnten hat mich so verletzt, daß er mich in dem Entschluß, auszuharren bis zum Aeußersten, befestigte. Auch hätte es mir, der kurz vorher die Proklamation mit der Aufforderung zum Bleiben und zur Vornahme neuer Wahlen verfaßt hatte, am wenigsten angestanden, selbst auszutreten. Auch als Württemberger durfte ich es nicht. Meine wenn auch unmächtige Stimme gegen unsinnige Beschlüsse zu erheben, das war meine Pflicht, aber nicht durch meinen Austritt die Versammlung unvollzählig zu machen, dieß hätte mich angewidert, wie alle die Ansinnen, die deßhalb an mich gemacht wurden. Wir mußten bleiben, dem Volk sein Anrecht an ein Parlament erhalten, bis die faktische Unmöglichkeit constatirt war. Meine Lage war unerträglich, aber nur der Ausbruch des Bürgerkriegs hätte mich berechtigt, zu weichen.«

So wenig Uhland den Aufstand in Baden gebilligt hatte, so konnte er doch den standrechtlichen Urtheilen, die der preußischen Militärgewalt von der wieder eingesetzten Regierung in Baden überlassen wurden, nicht unthätig, ohne seine Stimme dagegen zu erheben, zusehen. Dieß zeigt sein nächster Brief.

Uhland an Professor Mittermaier.

Tübingen, 25. September 1849.

»Hochverehrter Herr!

Noch immer bringen uns die Zeitungsblätter aus Baden standrechtliche Erkenntnisse, meist Todesurtheile, und wo die Milde vorschlägt, Verurtheilungen zu zehnjähriger Zuchthausstrafe. Von Tag zu Tag hat man die Einstellung dieser außerordentlichen Strafrechtspflege erwartet, vergeblich! Wie die gleichgültigste Fristerstreckung wird die Fortdauer des Standrechts je wieder von vier Wochen zu vier Wochen verkündigt. Der Eindruck dieses Verfahrens ist der, daß nicht der gegenwärtige Zustand des badischen Landes die Verlängerung erheische, sondern daß derselbe lediglich verfügt werde, damit nicht die milderen, ordentlichen Gerichte eintreten, bevor Alle, an denen man ein blutiges Beispiel aufstellen zu müssen glaubt, standrechtlich getroffen sind. Umsonst versucht man es, für diese Gerichtsbarkeit überhaupt einen rechtlichen Standpunkt zu ergründen. Es ist auch meines Wissens von der badischen Regierung nirgends ein solcher angegeben worden. Ist es denn auch jemals erhört worden, daß eine Regierung den Stab der Blutgerichte über ihre eigenen Angehörige freiwillig in die Hände einer fremden Militärgewalt übergeben hat? Mußten es Kriegsgerichte sein, war es denn durchaus unmöglich, aus einem neuen Kerne des badischen Heeres ordnungsmäßig solche herzustellen? Und war dieß wirklich nicht ausführbar, wäre man wirklich genöthigt gewesen, alle jene Processe an den ordentlichen gemeinen Richter zu verweisen, und hätte man dann auch nach früheren Erfahrungen von den Geschworenen nur parteiische Lossprechungen erwarten zu dürfen gemeint, so fragt es sich noch immer (und dieß ist der politische Gesichtspunkt) auf welcher Seite lag das größere Unheil? Lag es darin, daß keine Hinrichtungen stattgefunden hätten, der strafenden Gerechtigkeit nicht ihr Opfer geworden wäre, oder liegt es nicht vielmehr in einer Maßregel, welche die Wunden des zerrütteten Landes nicht heilen läßt, weil sie täglich neu aufgerissen werden? Es ist wahrlich nicht abzusehen, wie eine Regierung sich befestigen kann, die den ernstesten Theil des Richteramts verfassungswidrig auf eine Weise hingibt, wodurch bei der besiegten Partei fortwährend der Schrei der Rache geweckt, und auch bei Solchen, die nicht zu dieser Partei zählen, der Groll des Widerwillens und der Entrüstung erzeugt wird. Ja, verehrter Mann, Sie erinnern sich, denn Sie haben in erster Reihe daran gearbeitet, mit welchem Eifer, mit welcher ängstlichen Sorgfalt wir in den Grundrechten des deutschen Volkes und noch bei Berathung des letzten Ausnahmartikels der Verfassung die Strafrechtspflege unabhängig und unantastbar hinzustellen bemüht waren. Und nun, in einem Lande, dessen Regierung die Grundrechte verkündet, die Verfassung anerkannt, diese Behandlung des Strafrechts! Die Zerrüttung, ich erkenne das an, ist in Baden nicht von der Regierung ausgegangen, aber durch solche Maßregeln pflanzt sie die Zerrüttung fort, verdirbt sich gründlich ihre Stellung, bringt sich um Zuneigung und Glauben im eigenen Land und im deutschen Gesammtwesen; denn welcher Vaterlandsfreund sollte sich nicht tief verletzt, gedemüthigt fühlen, daß nach den Erwartungen und Anstrebungen des Jahres 1848 in einem deutschen Staate dieser Zustand, und dazu noch mit dem harmlosen Anspruch auf rechtliche Gültigkeit, seit Monaten sich erhalten kann!

Sie haben wohl gelesen, daß in Württemberg von vielen Seiten, auch von den conservativen Gemeindebehörden, dringende Aufforderungen an unsere Regierung ergehen, sich mit allen ihr zu Gebot stehenden Mitteln für die Aufhör des badischen Standrechts überhaupt, und namentlich auch in Beziehung auf dort verhaftete Württemberger zu verwenden. Ich weiß nicht, ob dem württembergischen Ministerium die Mittel einer wirksamen Verwendung zu Gebot stehen, ob nicht alle volksmäßigen Kundgebungen in dieser Sache von den Gewalthabern in Baden nur für Parteigetrieb angesehen werden. Unbekannt ist mir auch, was in Ihrem Lande selbst in dieser Richtung geschehen, ob insbesondere etwas dem Aehnliches versucht worden ist, was ich Ihrer Erwägung hier vorzulegen mir gestatte. Wenn angesehene Rechtskundige, Sie, Welcker, Mohl und andere Männer, die außerhalb der schroffen Parteiung stehen, und dafür anerkannt sind, die als badische Staatsbürger und Volksvertreter den nächsten, dringendsten Beruf der Beteiligung haben, wenn diese ungesäumt und öffentlich vor Baden und vor der ganzen deutschen Nation ihr nach allen Seiten rückhaltloses Rechtsgutachten, ihren entschiedenen Rechtsausspruch darüber abgäben, gegenüber jenen Ausnahmgerichten: was Verfassung, Gesetz, selbst die allgemeinsten Rechtsgrundsätze fordern und verwerfen, ich denke mir, eine solche Stimme würde nicht wirkungslos verhallen.

In dieser quälenden Zeit sinnt Jeder an seinem Theil auf Rath und Abhülfe; nehmen Sie auch meinen Gedanken, dem Sie vielleicht auf anderem Wege schon werkthätig vorgegriffen haben, mit derselben freundlichen Gesinnung auf, der ich mich durch alle Wechselfälle der Frankfurter Versammlung von Ihnen zu erfreuen hatte.

In aufrichtiger Hochschätzung

L. U.«

Auch in das württembergische Blatt, »Der Beobachter,« schickte er folgenden Aufsatz ähnlichen Inhalts am 16. October ein:

Das Standrecht in Baden:

Die Auflehnungen der öffentlichen Meinung gegen das rastlos fortarbeitende Blutgericht in Baden sind nicht blos Ausdruck des natürlichen Gefühls oder der politischen Parteiung, es steht ihnen das strenge, tiefverletzte Rechtsbewußtsein zur Seite. Wohl hätte sich erwarten lassen, daß im rechtsgelehrten Deutschland gerade dieser Standpunkt nachdrücklicher, entschiedener eingenommen würde. Dem Schreiber dieser Zeilen ist nicht bekannt, was nach solcher Seite in Baden selbst durch angesehene Rechtskundige, Volksvertreter, Reichstags-Abgeordnete, die zu den Grundrechten mitgewirkt haben, öffentlich und mit dem vollen Gewicht ihres Namens geschehen ist. Wenn die Genossen der besiegten Partei dort ihre Stimme nicht erheben können, wohl auch nur zu ihrem Nachtheil erheben würden, so ist jetzt eben die rechte Zeit für das abwehrende Einschreiten der Gemäßigten, Unverdächtigen, und wenn der Parteiruf verstummen muß, ist es stille Luft für die Schärfe des juristischen Urtheils. Aber es handelt sich auch nicht lediglich um eine badische Angelegenheit. Mag die Reichsgewalt zerfallen, das Vaterland mehr als je zerrissen sein, dennoch ist es eine gemeinsam deutsche Sache, daß nicht auch die Rechtsbegriffe untergehen, daß an keinem einzelnen Orte die Rechtsordnung und mit ihr die deutsche Bildung und Nationalehre zu Boden liege. Lebhaft hat sich an dieser Angelegenheit Württemberg betheiligt; aber auch hier ist weniger der streng rechtliche Gesichtspunkt festgehalten worden. Zu Gunsten derjenigen Württemberger, die in Baden wegen Theilnahme an dem dortigen Aufstand gefangen und dem standrechtlichen Verfahren ausgesetzt sind, ist die Ansicht und Thätigkeit des württembergischen Ministeriums in folgender Weise kund geworden. Die allgemeine Rechtsregel, daß den Gerichten des Landes, in welchem ein Verbrechen begangen worden, auch dessen Bestrafung zustehe, gestatte dem Ministerium nicht, die Auslieferung jener Gefangenen zu verlangen, es könne sich nur dafür verwenden. Es habe darum auch nicht dieselben reklamirt, wohl aber für sie dringend sich verwendet, und es sei Hoffnung vorhanden, daß bei weitem der größte Theil derselben an Württemberg werde ausgeliefert werden. Diese Hoffnung ist bis jetzt nicht in Erfüllung gegangen, und wenn sie auch im bezeichneten Maße sich verwirklicht, so werden doch unter jenem größeren Theile gerade die am meisten Beschwerten und Gefährdeten kaum begriffen sein.

Daß ein Staat nicht in die unabhängige Strafrechtspflege des andern einschreiten darf, ist ein unbestrittener Rechtssatz. Aber damit ist der vorliegende Fall rechtlich nicht erschöpft. Wenn die Angehörigen eines Staates in dem andern einer gerichtlichen Behandlung unterworfen werden, welche mit der Verfassung und den Gesetzen des letztern selbst, wie mit den allgemeinsten Rechtsnormen im Widerspruch steht, dann ist nicht bloß eine Verwendung, sondern eine Einsprache, eine Forderung gerechtfertigt, und geboten, das Verlangen, daß jene Angehörige nicht anders als in rechtsgültiger Form untersucht und abgeurtheilt werden. Ist es nun mit der badischen Verfassung, mit den badischen Gesetzen und Einrichtungen, geschweige mit den von Baden verkündigten Grundrechten des deutschen Volkes vereinbar, daß die Strafrechtspflege dieses Landes einseitig von der Regierung desselben – ein wohl niemals erhörter Fall – der Militärgewalt eines andern Staates überantwortet ist? Daß die Standrechte fortdauern, und von Monat zu Monat, als wären es die gleichgültigsten Fristerstreckungen, erneuert werden, nachdem die Grundbedingungen jeder Standrechtsbestellung, Kriegsgefahr, Aufruhr, so augenscheinlich beseitigt sind, daß der größere Theil des eingerückten Heeres zurückgezogen werden konnte? oder wäre Das ein Rechtsgrund für das Fortleben der Standgerichte, daß nur mittelst ihrer Diejenigen, die alle getroffen werden sollen, mit der Todesstrafe getroffen werden können? Wenn das württembergische Ministerium, wie nicht zu zweifeln, sich diese Fragen verneint, so wird es für sein Recht und für seine Aufgabe erkennen, neben der Verwendung, sei es auch ohne bestimmte Aussicht auf Erfolg, verlangend, einsprechend aufzutreten.

Es haftet Gefahr auf dem Verzuge.

L. U.«

Es ist behauptet worden, daß dieser Artikel nicht wirkungslos geblieben sei.

Uhland an Professor ...

Tübingen, 24. November 1849.

Geehrter Herr!

»Auf Ihre freundliche Einladung zur Theilnahme an der neuen politischen Monatschrift säume ich nicht, zu erwiedern, daß ich niemals mich als politischer Schriftsteller versucht habe, die poetische Auffassung aber für mein Gefühl nicht an der Zeit ist. Jetzt erst in die ungewohnte Bahn einzutreten, wäre für mich um so schwieriger, als ich schon in Frankfurt und seitdem noch mehr die herbe Erfahrung gemacht habe, daß ich, wie die Parteien sich gestellt, mit meinen Ansichten und Neigungen sehr vereinsamt stehe.

Achtungsvoll

L. U.«

Uhland an Professor Mühlenhoff in Kiel.

Tübingen, 30. December 1849.

»Sie erhalten hiebei, verehrtester Herr Professor, meinen freilich nicht sehr reichen Apparat zum »Wolfdietrich.« Der »Ambraser Otnit« ist Abschrift von der Hand Bergmanns, der mich freundlich damit beschenkt hat; den dazu gehörigen »Wolfdietrich,« der leider auch in der Handschrift unvollständig ist, ließ ich durch Franz Goldhahn in Wien abschreiben. Die Auszüge aus der ungenügenden Frankfurter Handschrift habe ich selbst gemacht. Es wäre zu wünschen, daß von der Hagen, der, nach dem mit anliegenden Blatte, bedeutendes Material haben muß, Ihnen damit an Hand ginge, vielleicht könnte Maßmann, der ihm näher steht, dieß vermitteln. Ich würde sogleich, als ich durch Pfeiffer von Ihrem Vorhaben hörte, Ihnen die Abschriften angeboten haben, wenn ich nicht damals noch unschlüssig gewesen wäre, welche meiner angefangenen Arbeiten ich nach langer Abwesenheit von Hause zunächst wieder aufnehmen solle. Zu einem Theil derselben wären mir die Collectaneen für »Wolfdietrich« unentbehrlich gewesen. Seitdem habe ich wieder zu den Volksliedern gegriffen, und Ihre Zuschrift kommt jetzt meinen eigenen Gedanken erwünscht entgegen. »Wolfdietrich« war schon in früher Zeit mein Liebling; vor mehr denn vierzig Jahren, als Student, ließ ich in Seckendorfs Musenalmanach einige Übertragungen daraus, nach dem Heldenbuche von 1509, abdrucken, und späterhin, als Universitätslehrer, suchte ich ihn wenigstens im Kreise meiner Zuhörer zur verdienten Anerkennung zu bringen. Es muß von zufälligen Umständen herrühren, daß selbst W. Grimm in der Heldensage und Jacob Grimm in der Mythologie ihm nicht mehr Beachtung geschenkt haben. Nach meiner Ansicht gehört er in mythischer und zumal auch in ethischer Beziehung zu dem Kostbarsten, was uns hoch herab aus dem deutschen Alterthum überliefert ist. Um so mehr bin ich jetzt erfreut, die endliche Herausgabe in den besten Händen zu wissen.

Für das gütig überschickte Programm bin ich noch meinen herzlichen Dank schuldig; möchte bald die Fortsetzung dieser schönen Abhandlung zu Tage treten.

Die Zurücksendung der beifolgenden Mittheilungen kann bis gegen den Sommer hin anstehen, und wenn ich ihrer auch dann nicht bedürfen sollte, noch weiterhin, denn ich wünschte Ihnen zu ersparen, daß Sie nicht erst Abschriften davon nehmen zu lassen brauchten, sondern die meinigen unmittelbar zur Bereinigung des Textes benützen könnten.

Mit aufrichtiger Hochachtung

Ihr ergebenster

L. U.

Uhland an Professor Häßler in Ulm.

Tübingen, 31. December 1849.

»Sie haben mich sehr erfreut, verehrtester Freund, indem Sie meiner literarischen Anliegen so treulich gedenken. Sämmtliche Lieder näher kennen zu lernen, wird mir von Interesse sein und nicht minder die Veesenmaier'sche Handschrift, die ich in den Abgrund der Meusebach'schen Sammlungen versunken glaubte und nun zu meiner Befriedigung in Ihrem Besitze weiß. Wollen Sie mir all' dieß gütig zukommen lassen, so geht meine Ungenügsamkeit noch weiter, wenn ich Sie bitte, ein Lied auf Herzog Ulrich, von dem Sie mir sagten, im Fall es sich auch wieder vorgefunden hat, gleichmäßig beizulegen. Manches, was sich mir nicht in die Liedersammlung selbst eignet, zu der ich übrigens Nachträge zu geben denke, kann mir für die Abhandlung über die ältern deutschen Volkslieder nützlich sein, an der ich jetzt arbeite. Eben diese Beschäftigung muß mich auch entschuldigen, daß ich Ihre früheren Mittheilungen noch in Händen habe; ich werde sie aber nunmehr erledigen und mit den neu zu hoffenden wohl bewahrt zurückliefern.

Eine Arbeit dieser stillen Art setzt sich freilich dem Vorwurf aus, daß sie in der jetzigen Lage des Vaterlandes nicht an der Zeit sei. Ich betrachte sie aber nicht lediglich als eine Auswanderung in die Vergangenheit, eher als ein rechtes Einwandern in die tiefere Natur des deutschen Volkslebens, an dessen Gesundheit man irre werden muß, wenn man einzig die Erscheinungen des Tages vor Augen hat, und dessen edleren reineren Geist geschichtlich herzustellen um so weniger unnütz sein mag, je trüber und verworrener die Gegenwart sich anläßt.

Die Gefangenen in Augsburg sind nun doch noch zu Weihnachten frei geworden. Ich verweilte dort nur einen halben Tag, da Herberger verreist war. In Nördlingen, wonach Sie fragen, fand ich auf der Stadt- oder Gymnasial-Bibliothek nur einige ältere Drucke von Fischart etc. Dagegen wurde mir von der fürstlich Wallersteinischen in der Nachbarschaft gesprochen, die ich vielleicht auf's Frühjahr besuchen werde.

Nun, theurer Freund, noch meine besten Wünsche zum angehenden Jahre; möge es Ihre Gesundheit völlig herstellen und in lichteren Ausblicken für das Vaterland auch dem Vaterlandsfreunde froheren Muth bringen.

Der Ihrige

L. U.«

Uhland an Professor Moritz Haupt in Leipzig.

Tübingen, 10. Februar 1850.

»Sie haben durch Ihr gütiges Anerbieten, mir die wieder aufgetauchten Liederbücher zugehen zu lassen, mich freudig überrascht. Meine Reise nach Sachsen im Jahr 1843, auf der ich von Ihnen so gastfreundlich aufgenommen war, hatte besonders auch den Zweck, jenen Liederbüchern nachzuforschen. Was damals nicht gelang, soll jetzt in gelegenster Zeit in Erfüllung gehen. Nachdem ich fünfzehn Monate von Haus und von den Studien entfernt war, und bei der Rückkehr so mancherlei zu ordnen vorgefunden hatte, bin ich endlich, wenn es auch nachschwingt, dazu gelangt, mir die vorbereiteten, angefangenen, halbausgeführten Arbeiten wieder anzusehen, und ich habe nun zunächst wieder zu den Volksliedern gegriffen. Es soll ein Band der Abhandlung zum Drucke zugerüstet werden, und ich dachte zugleich darauf, einen Nachtrag zur Liedersammlung aus dem später Gewonnenen und noch zu Erreichenden beizugeben. Sie sehen hieraus, wie doppelt erfreulich mir eben jetzt die anerbotene Mittheilung kommen wird. Ich werde dieselbe mit achtsamer Sorge benützen und zurückbeordern.

Möge doch über dem Meusebach'schen Nachlaß ein günstiger Stern walten, damit nicht eine Sammlung in's Elend gehe, oder kläglich zerstreut werde, die so recht dem eigensten Leben des deutschen Volkes angehört und, einmal verschleudert, nicht mehr zu ersetzen wäre.

Nehmen Sie meinen besten Dank für die schöne Erläuterung zum Parcival, die zuletzt an den Berg anknüpft, der eben in der Morgensonne vor mir liegt.

In treuer Ergebenheit

Ihr

L. U.«

Uhland an Rechtsanwalt ... in Münster.

Tübingen, 21. März 1850.

»Hochgeehrter Herr!

Die verehrliche Zuschrift vom 14./19. d. M., worin Sie als Vertheidiger des Herrn Oberappellationsgerichts-Directors Temme mich zum Zeugniß über dessen Verhalten in den Clubversammlungen zu Frankfurt und Stuttgart auffordern, säume ich nicht, mit Folgendem zu beantworten:

Während der ganzen Dauer des Parlaments in Frankfurt war ich niemals Mitglied eines Clubs. Einzelnen Clubversammlungen, aber auch dieß nicht häufig, habe ich angewohnt, namentlich in solchen Fällen, wo über bedeutendere Fragen, welche der Nationalversammlung zur Entscheidung vorlagen, die verschiedenen Fractionen der Linken, oder auch des linken Centrums, zu einer Vorberathung zusammentraten.

Auch an den vorberathenden Zusammenkünften in Stuttgart habe ich, in Folge meiner politischen Stellung zu der Mehrheit des dahin übergesiedelten Parlamentes, nur wenig Theil genommen. Insbesondere aber kann ich mich durchaus nicht erinnern, daß in irgend einer derartigen Versammlung, soweit ich gegenwärtig war, Herr Temme als Sprecher aufgetreten wäre. Ich weiß nicht einmal mit Bestimmtheit, welchem Club er sich angeschlossen.

Unter diesen Umständen vermag ich über einen positiven Inhalt dessen, was Herr Temme in Clubversammlungen zu Frankfurt oder Stuttgart geäußert, lediglich nichts auszusagen. Das aber kann ich mit bestem Gewissen bezeugen, daß ich in den von mir besuchten Versammlungen oder Vorberathungen niemals ein Wort vernommen habe, wodurch Herr Temme zum Verlassen des gesetzlichen Bodens oder zur Aufregung des Volkes gerathen hätte.

Eine Aeußerung dieser Art, deren übrigens Temme gar nicht beschuldigt zu sein scheint, würde sich meinem Gedächtniß um so gewisser eingeprägt haben, als die Erscheinung des vielgeprüften Mannes vielmehr den entgegengesetzten Eindruck, den Eindruck einer milden und ernsten Persönlichkeit auf mich gemacht hat.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Dr. L. Uhland.«

Aehnliche Anfragen und Anforderungen wie die in dem letzten Briefe beantworteten, schmälerten die Zeit, die Uhland nach der langen Unterbrechung so gerne ungetheilt seiner Arbeit zugewendet hätte. Eine leidige Einberufung zum Staatsgerichtshof, in welchen er im Jahr 1848 von der zweiten Kammer gewählt worden war, hatte im Juli 1850 statt. Herr Bibliothekar Dr. Klüpfel berichtet darüber Folgendes:

»Der damalige provisorische Vorstand des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten, Freiherr von Wächter, später Justizminister, war wegen des Beitritts zum sogenannten Interim, d. h. der interimistischen Bundescentralcommission, welche 1840 durch Oestreich und Preußen eingesetzt wurde, und wegen der Theilnahme am sogenannten Münchner Dreikönigsbund in Anklagestand versetzt worden, weil er diese politischen Acte nicht, wie der Verfassung gemäß hätte geschehen sollen, den Ständen vorgelegt hatte. Uhland mußte nicht nur seinen Sitz im Staatsgerichtshof einnehmen, sondern wurde auch zum Correferenten bestellt. Er unterzog sich dieser schwierigen und unter damaligen Verhältnissen, wo das fragliche Bündniß bereits keine practische Bedeutung mehr hatte, undankbaren Arbeit mit der gewohnten Sorgfalt und Gründlichkeit und verfaßte einen ausführlichen Bericht. Sein Votum ging dahin, daß allerdings eine Verfassungsverletzung vorliege, während der andere Referent auf Abweisung der Klage und Freisprechung des Angeklagten antrug. Letzteres Votum erhielt die Majorität.« Die nächstfolgenden Briefe schrieb Uhland während dieser Arbeit von Stuttgart aus an seine Frau.

Stuttgart, 22. Juli 1850.

»Liebste!

Meine Hoffnung, daß der vierte Bericht über das gerichtliche Verfahren, mit dem ich jetzt beschäftigt bin, meine letzte schriftliche Arbeit in dieser widerwärtigen Sache sein werde, ist leider nicht in Erfüllung gegangen. Es sollen auch für die Hauptfragen die gleichen Referenten bleiben. Da die Parteien Revision ergreifen könnten, für welchen Fall dann beim nämlichen Gerichtshof neue Referenten bestellt werden müßten, so sollen nicht vier Mitglieder schon zum Voraus abgenützt werden.

Am Freitag hatte ich wieder den ganzen Tag zu arbeiten, und am Samstag war Sitzung von neun bis halb zwei Uhr. Nun ist man so weit, daß gestern die Anklageschrift dem Beklagten mitgetheilt und ihm zu seiner vorläufigen Vernehmlassung eine Frist von acht Tagen gegeben wurde. Man hört, daß ihm sehr an baldiger Erledigung gelegen sei und er sich deßhalb so schleunig erklären dürfte, daß man übermorgen vielleicht wieder Sitzung halten könnte. Dann wäre aber ein fernerer Termin etwa auch von acht Tagen für die öffentliche Verhandlung anzuberaumen, hierauf vom Referenten der Hauptbericht auszuarbeiten und mir zum Correferat zu geben, sofort vom Gerichtshof über Schuld und Strafe zu berathen und zu beschließen, endlich eine abermalige öffentliche Sitzung zu Verkündung des Urtheils zu veranstalten. Wird nun, wie zu hoffen, auch nicht noch Revision verlangt, so geht doch immer noch eine mühselige Zeit bis zu meiner Erlösung vorüber.

Wilhelms Ankunft hat mich gestern herzlich erfreut. Ich war bei Neeffs über Mittag und ging dann Abends mit ihm nach Gaisburg. Sein Aussehen ist gut, und ich hoffe, daß ihm diese Lebenserfahrung[1] nicht unzuträglich sein werde.

Meine Uebersiedlung in den Großfürsten führte ich gleich nach Deiner Abreise aus. Ich kann hier im Hause wohl zufrieden sein; heute war Wilhelm bei mir zu Gaste, er kann sagen, ob es ihm wohl geschmeckt hat.

Heute Abend wollen wir zusammen auf der Eisenbahn nach Untertürkheim fahren. Solche Abendausflüge in's Neckarthal, diesen Morgen auch ein Neckarbad, sind meine Erholung. Morgen soll ich bei Roser mit seinen Kindern zu Abend essen.

Das Päckchen mit Wäsche ist richtig angelangt. Für die öffentliche Sitzung werde ich die seidene Weste nöthig haben, doch keineswegs, wie unser Präsident andeutete, eine weiße Halsbinde.

Nun sei bestens gegrüßt, grüße Ludwig, Mayer und die Seinigen.

Ist von Mappes keine Nachricht gekommen?

Innig Dein

L.«

Stuttgart, 15. August.

»Liebste Emma!

Mappes und seine Kinder sind sehr vergnügt mit ihrem Tübinger Aufenthalt hier angekommen und es haben mir gestern Nachmittag alle zusammen einen Besuch gemacht. Später hatte ein Abendessen bei Marquart für den Frankfurter Freund statt; es waren acht Gedecke; außer mir: Römer, Sternenfels, Frisch, Murschel, Kreuser und Duvernoy.

Als ich am Montag von meinem Ausflug zu Euch wieder ankam, war noch nichts für mich vorhanden. Doch brauchte ich nicht ärgerlich zu werden, denn als ich mich gegen vier Uhr eben zum Taufschmause festlich ankleiden wollte, kamen zehn Bogen Referat, die ich vor Allem durchzulesen für nöthig fand und deßhalb erst um sechs Uhr noch zum Nachtische bei Ferdinands eintraf. Es war dort, des Champagners unerachtet, kein großer Lärm, doch freute mich's, die Geschwister zu sehen; die Getaufte heißt Anna.

Da das Stück Referat, welches ich bis jetzt erhalten habe, sich noch nicht über dasjenige erstreckt, was ich für die Hauptsache halte, so wird noch ein starker Nachschub kommen, und es wird daher, wenn ich gleich jetzt schon arbeite, vor Ende nächster Woche von einer Sitzung nicht die Rede sein können, so daß also diese unerträgliche Geschichte wohl nicht vor Anfang Septembers zu Ende geht.

Die Gedichte des Herrn ... in Hohenheim werden, ein zusammengelegtes Papierheft, wahrscheinlich auf dem Kommödchen in meinem Arbeitszimmer unter Büchern und Brochüren liegen. Ich hatte die Absicht, sie ihm schon vor meiner Abreise zu schicken; aber gehetzt, wie ich bin, vergaß ich es, und Du wirst mir einen Gefallen thun, wenn Du sie, vielleicht mit ein paar Worten von Dir oder einem der jungen Leute, daß ich schon lange von Hause abwesend sei, ihm zugehen läßst; die Welt wird den Druck derselben erwarten können.

Von Herzen Dein L.«

Stuttgart, 21. August 1850.

»Liebste Emma!

Du wirst mir allerdings einen Gefallen thun, wenn Du nach Pfullingen schreibst, wie Du nach Deinem letzten Brief im Sinne hattest. Wenn von Rechtsconsulent Traub inzwischen nicht die Rechnungen gekommen sind, so wirst Du wohl auch gegen die Theilungsbehörde erwähnen, daß solche Passiva noch von dort zu erwarten sind.

Jetzt arbeite ich anhaltend an meinem Correferat; da übrigens das Referat, von dein ich sechszehn Bogen in Händen habe, noch nicht ganz abgeschlossen ist, obgleich nur Weniges noch fehlen wird, und da überhaupt die Sache doch weitläufiger ist, als man meinen möchte, so werde ich noch diese Woche und einen Theil der nächsten vollauf zu thun haben. Der Vortrag der Referate wird kaum in einer Sitzung beendigt werden können, dann die Berathung, die doch auch ausführlicher werden wird, endlich noch eine Tagfahrt zur Verkündigung des Erkenntnisses, das gibt Wohl noch vierzehn Tage der Trübsal.

Nichte es nun mit der Reise nach Hedelfingen ein, wie Du es am besten findest; eher etwas mehr Luft werde ich haben, wenn einmal die schriftliche Arbeit abgestoßen ist; die Sitzungen werden mir dann, da ich lange genug vorbereitet bin, weniger zu schaffen machen.

Daß mich Professor Liebrecht verfehlt hat, thut mir leid, da er ein in meinen Fächern kundiger und thätiger Mann ist. Grüße unsere Leute und freue Dich, nicht Mitglied des Staatsgerichtshofs zu sein wie

Dein mühseliger L.

Am Sonntag, Mittags zwölf Uhr, war Adolf Neeffs Trauung in der Hospitalkirche; ich war mit Ferdinand und Weigelin auf der Emporkirche und sah in lebendiger Erinnerung auf die Stufen herab, auf denen einst auch wir knieten,«

Nach Beendigung der lästigen Arbeit am Staatsgerichtshof, der letzten politischen von Uhland, machte er eine kurze Schweizerreise an den Vierwaldstädter-See und auf den Gotthard.

__________________
Anmerkungen:
  1. Die militärische Dienstleistung.
 Top