Achtes Kapitel.

Letztes Lebensjahr und Tod.

Seit Kaiser Karl mit König Franz den Frieden von Crespy geschlossen hatte, richtete sich seine Politik vollends ganz auf die kirchlichen Angelegenheiten hin. Der Papst konnte unter seinem Andrängen das Conzil nicht mehr länger verschieben; eine Bulle vom November 1544 berief es auf den folgenden März nach Trient. Hinsichtlich der Türken suchte der Kaiser durch friedliche Abmachungen und Zugeständnisse freie Hand zu bekommen. Er knüpfte 1545 Verhandlungen mit ihnen an, bei denen ein französischer Gesandter ihn unterstützte; sie führten endlich dahin, daß die Türken, die bisher noch von ihm behaupteten festen Plätze an der Grenze, welche sie ihm abgefordert hatten, ihm gegen einen Tribut beließen und einen Waffenstillstand auf anderthalb Jahre annahmen. »So,« rief Luther aus, »führt man Krieg gegen den, welchen man so viele Jahre lang als Feind des christlichen Namens ausgeschrieen und gegen welchen der römische Satan so viel Geld mit Ablässen und unendlichem anderen Raub zusammengescharrt hat!«

Inzwischen hatte Kurfürst Johann seine Theologen beauftragt, das Reformgutachten, das nach den Beschlüssen von Speier vorgelegt werden sollte, zu verfassen. Am 14. Januar 1545 übersandten sie ihm einen Entwurf aus Melanchthons Feder. An ihrer Spitze unterzeichnete Luther. Es war eine letzte große friedliche Urkunde von seiner Hand. Der Entwurf trug klar und bestimmt die evangelisch-kirchlichen Grundsätze vor, wünschte aber, daß die Bischöfe der katholischen Kirche ihr Amt thun möchten, und erbot sich, falls sie das reine Evangelium zuließen und förderten, zum Gehorsam gegen sie. Dem Kurfürsten war derselbe zu gemäßigt. Kanzler Brück aber versicherte ihm, daß Luther und die Andern alle mit Melanchthon einig seien, obgleich man »Doctoris Martini rumorenden Geist« in dieser Schrift nicht spüre.

Luther forderte hier auch mit Bezug auf die Abendmahlslehre nicht den stärksten Ausdruck, welchen er selbst der Lehre von der Gegenwart des Leibes Christi im Sacramente gab. Es wurde dort nur kurz »von Nießung des wahren Leibes und Blutes Christi« und vom Zweck und Nutzen dieses Genusses für die Seele und den Glauben geredet.

Aber um so voller und stürmischer entlud sich Luther eben jetzt vollends gegen den Papst und das Papstthum, von welchem jener Entwurf geschwiegen hatte. Im Januar 1545 wurde ihm das Schreiben des Papstes bekannt, in welchem der heilige Vater seinem Sohne, dem Kaiser, mit salbungsvoller Entrüstung Vorstellungen über die Beschlüsse von Speier gemacht hatte. Er hielt das Anfangs ernstlich nur für eine Fälschung, ein Pasquill, bis er namentlich auch durch seinen Kurfürsten von der Echtheit dieses und noch eines ähnlichen Schreibens versichert und zu einem öffentlichen Schritte dagegen angeregt wurde. Er meinte, wenn das Breve echt sei, so werde der Papst lieber noch den Türken, ja den Teufel selbst öffentlich anbeten, als jemals in eine Reform nach Gottes Wort sich fügen. Demgemäß verfaßte er seine Schrift »Wider das Papstthum zu Rom, vom Teufel gestiftet«. Hier sprach einmal wieder ganz sein rumorender Geist; sein Zorn ergoß sich mit den heftigsten, gröbsten Ausdrücken wohl noch stärker als in irgend einer seiner früheren Kundgebungen gegen den römischen Antichrist. Gleich das erste Wort der Schrift giebt dem Papst den Titel »Der allerhöllischst' Vater«. Luther wundert sich nicht, daß diesem und seinem Hof die Worte »frei christlich deutsch Conzil« eitel Gift, Tod und Hölle seien. Er fragt ihn aber, wozu denn ein Conzil sein solle, wenn der Papst sich im Voraus anmaße, Conzilsbeschlüsse zu ändern und zu zerreißen, wie seine Decrete brüllen; da würde man besser Unkosten und Mühe eines solchen Gaukelspiels sich ersparen und sagen: wir wollen ohne alle Conzilia euer Höllischheit glauben und anbeten. Das Spitzbubenstück, das der Papst mit seiner eigenen Conzilsankündigung gegen Kaiser und Reich vorhabe, sei auch nichts Neues; von Anfang an haben sie teuflische Bosheit, Verrätherei und Mord gegen deutsche Kaiser geübt; auch daran erinnert Luther hier, wie ein Papst das edle Blut Konradin habe öffentlich mit dem Schwert hinrichten lassen. Bei der Zurechtweisung, welche Papst Paul III. dort seinem »Sohn«, dem Kaiser Karl, ertheilte, hatte er mit frommer Miene auf das Exempel des Hohenpriesters Eli verwiesen, der gestraft worden sei, weil er seine Söhne nicht vermahnt habe über ihre Sünde. Da weist Luther ihn auf seinen, des Papstes, wirklichen natürlichen Sohn hin, den derselbe mit Gütern zu bereichern beflissen war: er fragt, ob denn der Vater Paulus an diesem nichts zu strafen hätte; man wisse, wie auch er selbst, der unersättliche Geizwanst Paulus, sammt seinem Sohn mit der Kirche Gütern umgehe. Weiter hält er dem Papst seine Cardinäle und sein Gesinde vor, die ja wohl keiner Vermahnung bedürften, während sie in abscheulichen sodomitischen Lastern leben. Aber freilich, der liebe Sohn Carolus habe dem deutschen Vaterland guten Frieden und Einigkeit in der Religion verschaffen, ein christlich Conzil haben und, weil er hiemit vom Papst vierundzwanzig Jahre lang wie ein Narr geäfft worden sei, endlich ein Nationalconzil ansetzen wollen. Das sei seine Sünde vor dem Papst, der ganz Deutschland im eigenen Blut ersoffen sehen möchte; das könne ihm der Papst nicht vergeben, daß er solch gräulichen Willen hindere. Lange ergeht sich Luther zum Eingang seiner Schrift in solchen Ausführungen und sagt endlich. »Ich muß hie aufhören, denn mein Kopf ist schwach, und bin doch noch nicht an das gekommen, das ich mir vorgenommen habe in diesem Büchlein zu schreiben.« Das waren die drei Stücke: ob's wahr sei, daß der Papst das Haupt der Christenheit sei, daß ihn Niemand richten und absetzen könne und daß er das römische Reich an die Deutschen gebracht habe, wie er über alle Maßen hievon stolziere und poche. Ueber diese Punkte aber verbreitet sich dann Luther in seinem Buche noch einmal mit eingehender Begründung. Beim letzten Punkt hören wir aus ihm auch noch einmal recht den Deutschen reden. Er wünschte, daß die Kaiser dem Papst seine Schmiere und Krönung gelassen hätten; denn nicht durch diese, sondern durch die Wahl der Fürsten werde einer Kaiser. Zum Reich habe der Papst nicht ein Haarbreit gegeben, wohl aber mit Lug und Trug und Abgötterei unmäßig viel davon gestohlen. Das Buch schließt: »Die teufelische Päpsterei ist das letzte Unglück auf Erden und das Näheste, so alle Teufel thun können mit alle ihrer Macht. Gott helfe uns, Amen.«

Cranach ließ im Anschluß an den Inhalt dieses Buches auch eine Reihe von Schmachbildern gegen das Papstthum erscheinen, die zum Theil eine höchst cynische Grobheit zeigen, übrigens den Deutschen auch jenen Konradin vorführen, wie der Papst selbst ihm den Kopf abschlägt, ferner einen deutschen Kaiser, den derselbe auf den Nacken tritt. Luther gab kurze deutsche Reime zu denselben. Eines der ihm vorgelegten Bilder mißbilligte er jedoch, weil es dem weiblichen Geschlecht eine Unehre angethan habe.

Wir haben schon gehört, wieviel Luther auf ein vom Papst ausgeschriebenes Conzil hielt. Eine Zusage, sich dem in Trient zu unterwerfen, konnten die Protestanten natürlich nimmermehr geben. Andererseits war ihre Forderung, daß das Conzil ein freies und ein in ihrem Sinn christliches sein müsse, für den Kaiser und die Katholiken eine Unmöglichkeit; denn es war damit nicht blos eine Unabhängigkeit vom Papst gemeint, die dieser nicht zugab, sondern auch ein freies Zurückgehen auf die einzige Norm der heiligen Schrift mit einem möglichen Widerspruch gegen die Tradition und die Beschlüsse bisheriger Conzile. Der Kaiser gab dann nur zum Scheine den protestantischen Ständen noch etwas nach, indem er für den Januar 1546 noch einmal ein Religionsgespräch in Regensburg veranstaltete. Dem Papst ließ er im Juni 1545 sagen, er könne sich erst für's nächste Jahr zum Kriege gegen die Protestanten anheischig machen. Das Conzil begann dann wirklich im Dezember 1545, ohne Theilnahme der Protestanten.

Währenddem blieb für Luther die neu aufgerissene Kluft zwischen ihm und den Schweizern in ihrer ganzen Schroffheit bestehen. Gegen sein »kurzes Bekenntniß« erschien im Frühjahr 1545 eine scharfe, von Bullinger verfaßte Erwiderung. Sie konnte keinesfalls versöhnlich wirken; denn sie führte zwar eine ruhige Sprache im Gegensatz zu der Luthers, that sich aber darauf selbst zu viel zu gute, während sie zugleich, wie ihr z. B. auch Calvin vorwarf, vieles an Luther mit Unrecht übertrieb, ihm wegen seiner Redeweise Rügen ertheilte und zu einer dogmatischen Verständigung nichts beitrug. Vom Eindruck, den sie auf Luther machte, fürchtete man wieder sogar für Melanchthon, der mit Bullinger noch freundschaftlich correspondirt hatte, und besonders gerieth Melanchthon selbst wieder in Angst. Aber auch jetzt wieder sprach Luther nach dieser Seite hin kein verletzendes, argwöhnisches oder herausforderndes Wort. Den Zürichern wollte er nur kurz und nebenbei antworten: denn er habe überflüssig genug gegen Zwingli und Oekolampad geschrieben und wolle sich diese Zeit seines Alters nicht mehr mit so hochmüthigen und müssigen Kläffern verderben. Er hat dann nur nachher in eine Reihe von Thesen, mit denen er im Spätsommer des Jahres ein neues Verdammungsurtheil der Löwener Theologen über ihn beantwortete, einen Satz gegen die Zwinglianer eingereiht, daß nämlich sie und alle die Sacramentsschänder, welche den mündlichen Empfang des wahren Leibes Christi im Sacrament leugnen, gewißlich Ketzer und von der heiligen christlichen Kirche abgesondert seien. Vom schmalkaldischen Bund blieben vermöge dieses Gegensatzes der Bekenntnisse auch jetzt, wo ihm die kriegerische Probe bevorstand, die Schweizer ausgeschlossen.

Luther blieb dabei, den Drohungen gegenüber dem Gotte zu vertrauen, der bisher geholfen habe, und fand in den neuesten Zeichen der Zeit noch gesteigerte Hinweisung auf das Ende, welches dieser werde anbrechen lassen. Jetzt nämlich sah er auch in jener kläglichen Erniedrigung des deutsch-römischen Reiches vor den Türken ein Zeichen vom nahen Sturze desselben; ebenso auch in der Unmacht, welche die Reichsregierung kleinen Händeln im Reich gegenüber zeige: da sei keine Gerechtigkeit mehr, kein Regiment, es sei ein Reich ohne Reich. Und er freute sich, daß mit dem Ende dieses Reiches der jüngste Tag, der Tag des Heiles, bevorstehe.

Noch tiefer aber als Gewaltdrohungen von katholischer Seite und als Angriffe auf seine Lehre, die ihm durch sein Wort längst widerlegt schienen, bewegten und reizten ihn, dem man auf katholischer Seite wegen seiner Heilslehre so gern einen Mangel an sittlicher Strenge vorwirft, jetzt fortwährend jene Zustände Wittenbergs und der Universität, gegen welche er schon seit Jahren vergebliche Strafreden gerichtet hatte: wir hören da von dem alten Laster im Trinken und Essen, von zunehmender Unmäßigkeit und Ueppigkeit, besonders bei Hochzeiten und Taufen, von Hoffarth in der Kleidung und schandbarer Frauentracht mit ausgeschnittenen Kleidern, von wüstem Lärm auf den Straßen, vom Treiben schlechter Dirnen, durch welche besonders die Studenten vergiftet werden, von Ueberforderung, Betrug und Wucher im Handel, dazu von Unthätigkeit und Gleichgiltigkeit der Obrigkeit und Polizei gegen Unsitte und Unzucht. Dinge, über welche damals bei deutschen Städten und Universitäten insgemein und in steigendem Maße geklagt wurde, wurden dem greisen Reformator, der hier in seinem nächsten Kreis nicht durchzudringen vermochte, unerträglich.

Im Sommer 1545 quälten ihn auch neue Anfälle seines Steinleidens. Am Johannisfeiertag hatte ihn, wie er einem Freund berichtete, sein Peiniger, der Stein, schon umgebracht, wenn es nicht Gott noch anders gewollt hätte; er fügte bei: »lieber wünsche ich mir den Tod, als einen solchen Tyrannen.«

Ein paar Wochen nachher suchte er auf einer Reise Erholung für Leib und Gemüth. Er fuhr zuerst mit seinem Collegen Cruziger über Leipzig nach Zeitz, wo dieser einen Streit zwischen Geistlichen beilegen sollte. Unterwegs that es ihm wohl, von verschiedenen Bekannten freundlich aufgenommen zu werden. In Zeitz nahm er auch an jenen amtlichen Verhandlungen theil. Weiter wollte er nach Merseburg gehen; denn sein Freund, Georg von Anhalt, hatte die Gelegenheit ergriffen ihn dringend zu sich einzuladen, damit er, wie wir schon früher erwähnten, von ihm die Weihe empfinge. Aber das Aergerniß, welches er an Wittenberg genommen hatte, verfolgte ihn unterwegs und wurde durch manches, was er auf dem Land über diese Stadt hörte, noch vermehrt. Da schrieb er am 28. Juli aus Zeitz seiner Frau: »Ich wollts gerne so machen, daß ich nicht dürft wieder gen Wittenberg kommen; mein Herz ist erkaltet, daß ich nicht gern mehr da bin; – – will also umher schweifen und ehe das Bettelbrod essen, ehe ich mein arm alte letzte Tage mit dem unordigen Wesen zu Wittenberg martern will mit Verlust meiner sauren theuren Arbeit.« Ja er wollte schon, daß sie das kleine Haus, Garten und Acker in Wittenberg verkaufen und sich in Zulsdorf setzen möge; der Kurfürst werde ihm ja wohl wenigstens für ein Jahr seines zu Ende gehenden Lebens noch den Sold belassen, womit man dann jenes Gütlein aufbessern könne. Solches möge sie, wenn sie wolle, den Bugenhagen und Melanchthon wissen lassen.

Die Aufwallung war insoweit doch, wie man hoffen durfte, nur eine vorübergehende. Um ihn zu beschwichtigen, wurden von der Universität sogleich Bugenhagen und Melanchthon, vom Wittenberger Magistrate der Bürgermeister, vom Kurfürsten sein Leibarzt Ratzeberger an Luther abgeschickt. Der Kurfürst erinnerte ihn auch freundlich, daß er ihm vorher sein Reisevorhaben hätte anzeigen sollen, damit er nämlich von ihm mit lebendigem Geleit und Zehrung hätte versehen werden mögen. Die abgesandten Wittenberger Theologen wohnten nun in Merseburg, wo sie Luther trafen, am 2. August auch der feierlichen Weihe Georgs bei. Luther blieb bei diesem noch ein paar Tage auf Besuch, während deren er auch in dem benachbarten Halle predigte und hier vom Rathe der Stadt mit einem goldenen Becher beehrt wurde. Die Reise blieb eine Erholungsreise. Nachdem er auch noch den Kurfürsten auf seinen Wunsch in Torgau besucht hatte, kam er am 16. des Monats nach Wittenberg zurück, wo jetzt ein Versuch mit einer polizeilichen Ordnung gegen die von ihm gerügten Unsitten gemacht wurde.

Er nahm jetzt auch seine Vorlesungen wieder auf, in denen er noch immer mit der Genesis, d. h. dem 1. Buch Mose, beschäftigt war und die er dann endlich am 17. November glücklich zum Schlusse brachte. Auch predigte er in Wittenberg noch mehrere Male des Nachmittags, was er ja des Morgens wegen seines leiblichen Befindens nicht mehr wagen durfte. Ferner ging er damit um, jenem ersten Buch gegen das Papstthum noch ein zweites folgen zu lassen, und dachte jetzt doch auch noch an eine Schrift wider die Sacramentirer.

Mit dem Herbste dieses Jahres aber kam nun ein neuer Handel, der mit Religion und Glauben nichts zu thun hatte, von Mansfeld her an ihn und rief ihn von Wittenberg weg. Die dortigen Grafen haderten schon seit längerer Zeit mit einander wegen gewisser Rechte und Einkünfte, namentlich mit Bezug auf's Kirchenpatronat. Sie waren auch schon früher von Luther mit der herzlichen Bitte angegangen worden, sich um Gottes willen freundlich zu verständigen. Jetzt einigten sie sich endlich dahin, ihn selbst um seine Vermittlung zu ersuchen, wozu sie auch beim Kurfürsten die Erlaubniß für ihn auswirkten, obgleich derselbe ihn lieber damit verschont gesehen hätte. Luther hatte zeitlebens ein warmes und dankbares Herz für diese seine Heimath bewahrt. Er nannte, während er für's große deutsche Vaterland arbeitete, doch speziell sie sein Vaterland. Der arbeitsmüde Mann war sogleich entschlossen ihr noch zu dienen.

Zu Anfang Octobers machte er mit Melanchthon und Jonas eine Reise dorthin, die vergeblich war, weil die Grafen, ehe er etwas bei ihnen erreichen konnte, zum Felddienst weg mußten. Er blieb aber zu einem zweiten Versuche bereit.

In der Zwischenzeit faßte Luther rasch noch eine kleine Schrift ab mit Bezug auf jenen Herzog von Braunschweig, der vor drei Jahren durch den Landgrafen Philipp und die sächsischen Fürsten aus seinem Lande vertrieben und jetzt plötzlich in dieses wieder eingefallen war, aber der Streitmacht der verbündeten Fürsten, in deren Gefolge eben auch die Mansfelder waren, erlag und sich selbst ihnen gefangen geben mußte. Veranlaßt nämlich durch den Kanzler Brück und im Einverständniß mit seinem Kurfürsten, richtete Luther ein Sendschreiben an diesen und den Landgrafen und gab es in den Druck, worin er warnte, daß man ja nicht, wie Philipp aus verschiedenen Rücksichten zu thun geneigt schien, einen so gefährlichen Gefangenen frei geben und hiemit Gott versuchen möge. Hinter demselben sah er den Papst und die Papisten stehen, ohne die jener seinen Kriegszug nicht in's Werk zu setzen vermocht hätte: man müsse jedenfalls zusehen, bis da der Herzen Gedanken noch weiter offenbar würden. Nicht minder übrigens verwarnte er die Sieger vor Selbstüberhebung.

Noch einmal feierte er dann seinen Geburtstag im Kreise seiner Freunde, des Melanchthon, Bugenhagen, Cruciger und einiger anderer. Gerade vor demselben war ein sehr reiches Geschenk an Wein und Fischen vom Kurfürsten an ihn gelangt. Heiter war er mit jenen zusammen, konnte jedoch auch trübe Gedanken an einen Abfall vom Evangelium, der nach seinem Tod bei Vielen erfolgen möchte, nicht zurück halten.

Zum Schlusse jener Vorlesung sagte er am 17. November: »das ist nun die liebe Genesis; unser Herr Gott geb', daß man's nach mir besser mache, ich kann nicht mehr, ich bin schwach, bittet Gott, daß er mir ein gutes, seliges Stündlein verleihe«. Eine neue Vorlesung begann er nicht mehr.

Ueber Weihnachten und bei grimmiger Winterkälte reiste dann Luther wieder mit Melanchthon nach Mansfeld. Er wollte, wie er dem Grafen Albrecht schrieb, trotz vieler anderer Arbeit doch gerne noch die Mühe und Zeit dran wagen, um sich mit Freuden in seinen Sarg zu legen, wo er zuvor seine lieben Landesherren mit einander vertragen hätte. Auch jetzt aber konnte er die Sache noch nicht zu Ende bringen. Die Sorge um die Gesundheit des leidenden Melanchthon trieb ihn hinweg, indem er ein neues Wiederkommen zusagte. Auf der Rückreise predigte er trotz der anhaltenden Kälte abermals in Halle, bemerkte übrigens am Schlusse: »Wohlan, dieweil es kalt ist, so laß ich's hie enden; so habt ihr auch sonst gute und treue Prediger u.s.w.

Mit Sorgen hatte er seinen Melanchthon zurückgebracht. Als jetzt das neue Religionsgespräch in Regensburg gehalten und ein Wittenberger Theologe dazu entsandt werden sollte, bat er den Kurfürsten, für das »nichtige und vergebliche Colloquium« nicht wieder jenen zu verwenden, zumal unter den Gegnern kein Mann sei, der etwas werth wäre. Er schrieb: »Wie wollte man thun, wenn M. Philippus todt oder krank wäre, als er wahrlich ist, daß ich froh bin, daß ich ihn von Mansfeld heimbracht habe; es ist sein hinfort wohl zu schonen, so thut er hier mehr nutz auf dem Bette als dort im Colloquio; – die jungen Doctor müssen auch hinan und nach uns das Wort führen.« Von den Gegnern sagte er damals mit Bezug auf die von ihnen noch vorgenommenen Verhandlungen: »Sie halten uns für Esel, die ihre groben und albernen Anschläge nicht verstünden.«

Sein eigenes Befinden bezeichnete er in einem Brief vom 17. Januar mit den Worten: »Alt, abgelebt, träge, müde, kalt und nun auch einäugig schreibe ich.« Es muß ihm jetzt also auch ein Auge den Dienst versagt haben, ohne daß wir näheres drüber wüßten. Gleich darauf meinte er indessen, für sein Greisenalter sei sein Befinden immer noch leidlich gut.

Dem Melanchthon wurde, wie der Gang nach Regensburg, so auch die dritte Reise nach Mansfeld erlassen. Luther wagte sie noch im Januar. Er nahm jetzt seine drei Söhne nebst ihrem Hauslehrer, seinem Famulus, mit, damit auch sie sein liebes Vaterland kennen lernten. Als kurz zuvor etliche Studenten an seinem Tisch von einem seltsamen und wohl bedeutsamen schweren Fall hörten, den eine Schlaguhr um Mitternacht gethan habe, sprach er: »Erschrecket nicht, dieser Fall bedeutet mich, daß ich bald sterben werde; – ich bin der Welt müde, so scheiden wir uns desto lieber, wie ein reifer Gast aus einer gemeinen Herberge.«


Abb. 59: Luther i. J. 1546 nach einem Holzschnitt Cranachs.

Am 23. d. Mon. verließ er Wittenberg, wo er am letztvergangenen Sonntag dem 17. zum letzten Mal gepredigt hatte.


Abb. 60: Jonas' Glas (wann die darauf befindlichen Bilder von Luther und Jonas, der lateinische Vers und eine Uebersetzung desselben aufgemalt worden sind, ist fraglich). a) Luther. bb) gereimte Uebertragung der Verse Luthers: cc) Dat vitrum vitro Jonae vitrum ipse Luitherus, – Ut vitro fragili similem se noscat uterque. d) Jonas.

In Halle kehrte er am 25. bei Jonas ein. Damals wohl hat er diesem das feine weiße venetianische Becherglas, das noch in Nürnberg aufbewahrt wird, zum Geschenke gebracht mit einem lateinischen Vers:

»Jonas, dem Glas, giebt Luther ein Glas, der selber ein Glas ist,
Daß sie beid' es wissen, sie sei'n zerbrechlichem Glas gleich.«

Ein Eisgang mit großer Ueberschwemmung und gewaltigen Fluthen hielt ihn drei Tage lang dort fest. Gleich am Tag nach seiner Ankunft predigte er wieder. Seiner Frau berichtete er, daß er mit den Freunden bei gutem Torgauischen Bier und Rheinwein sich tröste, bis die Saale auszürnen wolle. Zu diesen aber sprach er beim heiteren Zusammensein: »Lieben Freunde, wir sind mächtige gute Gesellen, wir essen und trinken miteinander, es wird aber auch einmal Sterbens geben; ich ziehe jetzt dahin nach Eisleben, will die Grafen von Mansfeld, meine Landesherren, helfen vertragen; nun kenne ich die Leute wie sie gesinnt sind; da Christus den himmlischen Vater und das menschliche Geschlecht versöhnen und vertragen wollte, kriegte er Scheidens Theil davon, mußte darüber sterben; Gott gebe, daß es mir auch so gehe.«

Am 28. setzten die Reisenden, denen sich jetzt Jonas anschloß, bei der Burg Giebichenstein, wo die Saale in der Nähe der Stadt am engsten zusammengedrängt ist, über den immer noch Gefahr drohenden Strom und erreichten so an diesem Tag Eisleben, wo die Mansfelder Grafen mit mehreren anderen Herren auf Luther warteten. Von der Grenze zwischen dem Halleschen und Mansfeldischen Gebiet an geleitete ihn eine Schaar von mehr als hundert Reisigen in schwerer Rüstung. Unmittelbar vor dem Eintritt in die Stadt aber bekam er noch einen beängstigenden Anfall von Schwindel und Ohnmacht, wobei er sein Herz zusammengedrückt fühlte und Athemnoth hatte. Er selbst schrieb dies einer Erkältung zu, da er kurz vorher eine Strecke zu Fuß gemacht und dann im Schweiß den Wagen wieder bestiegen hatte; es ging ihm, wie er in einem Briefe vom 1. Februar seiner Frau erzählte, beim Dorf Rißdorf hart vor Eisleben ein so kalter Wind von hinten durchs Barett auf den Kopf, als sollte ihm das Hirn zu Eis werden. Schon in diesem Brief scherzte er übrigens wieder mit seiner »herzlieben Hausfrau, Doctorin, Zulsdorferin« u.s.w.: »aber jetzt bin ich Gott Lob wohl geschickt, ausgenommen, daß die schönen Frauen mich so hart anfechten.« Ja schon drei Tage nach dem Anfall predigte er in Eisleben.

Luther wurde gut im Drachstedtschen Hause einquartiert, das vom Rathe der Stadt angekauft und vom Stadtschreiber Albrecht bewohnt war.

Die Verhandlungen begannen sogleich. Sie wurden in ebendemselben Haus abgehalten. Aber mit großen Schwierigkeiten und viel Verdruß für Luther zogen sie sich hin. Einen Weg nach dem andern versuchte er, um einen Ausgleich zu finden. Am 6. Februar ließ er brieflich durch Melanchthon um ein Kurfürstliches Schreiben bitten, das ihn zurückrufen sollte, um hiedurch noch einen Druck auf die Grafen zu üben, und Tags darauf wollte er, wie er an seine Frau schrieb, schon im Zorn seinen Wagen schmieren, aber der Jammer seines Vaterlandes hielt ihn zurück. Er erschrak über den seelenverderblichen Geiz, der die Streitenden beherrsche. Auch auf die Juristen zürnte er, bei denen jeder Theil hochmüthig aufs vermeintliche Recht sich steife; er, welcher nun auch Jurist hat werden müssen, will als Poltergeist unter sie kommen, der ihren Stolz durch Gottes Gnade hemme.

Nebenbei war ihm auch die Menge der Juden, die er in Eisleben und der Umgegend traf, ein Aergerniß. Er wollte nicht, daß die Grafen ihnen so viel einräumten, die Jesum und Mariä lästern, die Christen Wechselbälge nennen, sie aussaugen, ja wohl gar, wenn's ihnen möglich wäre, sie alle tödten möchten. Auch die Gemeinde ermahnte er, als ein Landeskind, unverworren mit ihnen zu sein.

Unter die Verhandlungen hinein hielt er doch vier Predigten, nahm auch zwei Mal an der Beichte und dem Abendmahl theil und ordinirte zwei Geistliche.

An seine Frau, die sich viel Sorge um ihn und sein Befinden machte, schrieb er von Eisleben aus in vierzehn Tagen fünf Mal[1]. Zu ihr spricht er, auch wenn er das Unangenehme zu berichten hat, doch immer in freundlichster Laune, herzlich und beruhigend. Der Anreden, die er da gebrauchte, haben wir schon oben gedacht. Er erzählte ihr, wie gut er's doch habe mit essen und trinken. Er verwies sie auf ihren Gott, an dessen Statt sie sorgen wolle, auf die Bibel und den kleinen Katechismus, über welchem sie ja selbst einmal geäußert habe, daß alles darin von ihr gesagt sei. Auch von Gefahren hat er ihr zu melden, von denen er gerade unter diesem ihrem Sorgen überfallen worden sei. Es war nämlich Feuer im Kamin neben seiner Stube ausgebrochen, und am 9. Februar wäre, wie er ihr schreibt, aus Kraft ihrer Sorge im heimlichen Gemach seines Hauses ein Stein, so lang wie ein Kissen und zwei Hand breit, ihm fast auf den Kopf gefallen, um ihn wie in einer Mausefalle zu zerquetschen. So sorgt denn er jetzt: »Wo du nicht aufhörest zu sorgen, möchte uns zuletzt die Erde verschlingen und alle Elemente verfolgen.«


Abb. 61: Aufschrift von Luthers Brief vom 7. Februar (»Meiner lieben Hausfrawen Katharin Lutherin Doctorin Säumärkterin zu Wittemberg meiner gnedigen Frawen zu Handen und Fußen«).

Fortwährend besprach er sich ferner von Eisleben aus mit Melanchthon. An ihn richtete er noch drei Briefe, die letzten Zeugnisse seiner Freundschaft mit ihm. Ein Brief an seine »freundliche liebe Hausfrau« und an Melanchthon, seinen »würdigsten Bruder in Christo«, vom 14. Februar, sind ohne Zweifel die letzten, die er überhaupt geschrieben. Man war in Eisleben auf die Pflege seines kränklichen Leibes wohl bedacht. Er pflegte auch des Abends früh zur Ruhe zu gehen, nachdem er seinem alten Brauch gemäß unter dem Fenster stehend eifrig gebetet hatte. Auch das Steinleiden machte ihm hier nichts zu schaffen, nur war er sehr angestrengt und ermüdet. Seine letzte Predigt, am Sonntag dem 14. Februar, brach er ab mit den Worten: »Das und viel mehr wäre von diesem Evangelio weiter zu sagen, aber ich bin zu schwach, wir wollen's hiebei bleiben lassen.« Sehr bedenklich war ihm, daß er versäumt hatte, eine ätzende Salbe mitzunehmen, mit der er seine Fontanelle offen hielt, und daß diese beinahe ganz zugeheilt war. Er wußte, daß dies nach dem Urtheil der Aerzte sehr gefährlich sei.

Endlich erreichten nun doch seine Bemühungen bei seinen »Landesherren« noch einen über Erwarten glücklichen Erfolg. Schon an jenem 14. Februar war für die Hauptpunkte eine Vereinigung erzielt, und die verschiedenen Mitglieder des gräflichen Geschlechtes freuten sich selbst, die verschiedenen jungen Herren und Fräulein belustigten sich miteinander. »Also,« schrieb Luther an Käthe, »muß man greifen, daß Gott ist exauditor precum (Erhörer des Gebets).« Ihr selbst schickte er Forellen als Dank von der Gräfin Albrecht. Er kündigte ihr an: »Wir hoffen diese Woche wieder heimzukommen, ob Gott will.«

Am 16. und 17. d. Mon. kam der Vergleich über sämmtliche Streitpunkte vollends zum förmlichen Abschluß. Es waren darin namentlich auch Bestimmungen über Einkünfte von Kirchen und Schulen enthalten, denen diese noch in der Gegenwart eine reiche Ausstattung verdanken. – Am 16. äußerte Luther im Tischgespräch: »Ich will nun nicht länger verziehen, ich will mich nach Wittenberg machen und da mich in einen Sarg legen und den Würmern einen feisten Doctor zu essen geben.«

Schon am Morgen des 17. jedoch sahn sich die Herren durch Luthers Befinden zur Bitte veranlaßt, daß er nicht mehr selbst zu ihrer Verhandlung sich bemühen möchte, und er gab dann nur noch seine Unterschrift dazu. Gegen Jonas und den gräflichen Hofprediger Cölius, die ihm Gesellschaft leisteten, sprach er auch schon einen Gedanken daran aus, daß er in Eisleben, wo er geboren sei, wohl auch bleiben solle. Vor dem Abendessen empfand er einen Druck auf der Brust, weshalb er sich mit warmen Tüchern reiben ließ. Er fühlte sich jedoch hiedurch erleichtert, ging zum Essen aus seinem Stüblein noch eine Treppe hinunter in ein gemeinsames Speisezimmer, weil Alleinsein nicht Fröhlichkeit bringe, war dann auch noch fröhlich mit den andern über Tisch und ließ sich nach seiner Weise in scherzenden, wie in ernsten, sinnigen und frommen Reden vernehmen.

Sobald er aber nach seiner Stube zurückgegangen war und sein gewöhnliches Abendgebet gethan hatte, wurde ihm wieder sehr wehe und bange. Nachdem man ihn von Neuem mit warmen Tüchern gerieben und ein vom Grafen Albrecht selbst herbeigebrachtes Mittel eingegeben hatte, legte er sich dort gegen neun Uhr auf ein ledernes Ruhebett und genoß anderthalb Stunden lang eines sanften Schlafes. Daraus erwacht ging er mit den (lateinisch gesprochenen) Worten: »In deine Hände befehle ich meinen Geist, du hast mich erlöset, Herr du treuer Gott« nach seinem Bett in der anstoßenden Kammer, wo er wieder mit natürlichem Athem bis ein Uhr schlummerte. Da wachte er auf, rief seinem Famulus, er möge die Stube heizen, die übrigens schon warm gehalten war, und klagte dann dem Jonas: »Ach, Herre Gott, wie ist mir so wehe; ach, ich achte, ich werde hie zu Eisleben, da ich geboren und getauft bin, bleiben.« In dieser Bangigkeit stand er auf, schritt noch ohne Beihilfe in die Stube, indem er mit denselben Worten wie vorhin seinen Geist Gott befahl, ging hier noch ein Mal auf und ab und legte sich dann mit neuer Klage über den Druck der Brust wieder aufs Ruhebett. Bei ihm waren die ganze Nacht seine beiden Söhne Martin und Paul, welche vorher die meiste Zeit bei den Verwandten in Mansfeld zugebracht, nun aber bei ihm sich wieder eingefunden hatten (Hans war noch abwesend), sein Famulus und Jonas. Jetzt eilte auch Cölius wieder herbei, der im Haus geblieben war, dann der auch mit den Grafen befreundete junge Theologe Johann Aurifaber, der mit Jonas und Cölius in Luthers Gesellschaft zu sein pflegte, weiter der Stadtschreiber und seine Frau, zwei Aerzte, Graf Albrecht mit seiner Frau, die besonders eifrig um die Pflege des Kranken sich bemühte, später auch noch ein Graf von Schwarzburg mit Frau, die bei den Mansfeldern auf Besuch waren. Das Reiben und Auflegen warmer Tücher und die Arzneien fruchteten nichts mehr gegen die Beklemmungen bei Luther. Er gerieth jetzt in Schweiß. Die Freunde wollten sich freuen, weil dieser ihm Besserung bringen werde, er aber erwiderte: »Es ist ein kalter, todter Schweiß, ich werde meinen Geist aufgeben.« Hierauf hub er an, laut Gott zu danken, der seinen Sohn ihm geoffenbart habe, welchen er bekannt und geliebt habe, und welchen die Gottlosen und der leidige Papst schänden und verfolgen. Zu Gott und dem Herrn Jesu rief er: »Nimm mein Seelichen in deine Hände! ob ich schon diesen Leib lassen muß, weiß ich doch, daß ich bei dir ewig bleibe.« Dazu sprach er biblische Worte, namentlich drei Mal den Spruch Joh. 3 »also hat Gott die Welt geliebet u.s.w.« Nachdem ihm Cölius noch einen Löffel Arznei eingegeben, sagte er abermals »ich fahr' dahin, werde meinen Geist aufgeben«, und drei Mal schnell nach einander die lateinischen Worte: »Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist, du hast mich erlöset, du treuer Gott.« Von da an wurde er ganz still und schloß die Augen, ohne denen, welche mit jenen Mitteln um ihn beschäftigt waren und ihn ansprachen, mehr zu erwidern. Jonas und Cölius aber riefen, nachdem man seinen Puls mit stärkenden Wassern bestrichen hatte, ihm noch die Frage ins Ohr: »Reverende pater (ehrwürdiger Vater), wollet ihr auf Christum und die Lehre, wie ihr sie gepredigt, beständig bleiben?« Und darauf antwortete er noch ein vernehmliches Ja. Dann wandte er sich auf die rechte Seite und schlief ein. Noch gegen eine Viertelstunde lag er so da, seine Füße und seine Nase wurden kalt, er holte noch einmal tief und sanft Athem und war entschlafen. Es war zwischen zwei und drei Uhr in der Frühe des 18. Februars, eines Donnerstages.


Abb. 62: Luther im Tode, sogenanntes Cranach'sches Bild.

Die Leiche wurde in einem weißen Gewand auf ein Bett und dann in einen schleunig hergestellten zinnernen Sarg gelegt. Viele Hunderte, Hoch und Niedrig, kamen herbei, um sie hier zu sehen. Noch am ersten Vormittag wurde sie von einem Eislebener Maler, am darauf folgenden von Lukas Fortenagel aus Halle abgemalt. Fortenagels Bild liegt wohl denjenigen zu Grunde, welche wir an verschiedenen Orten unter Cranachs Namen finden, und welche wohl auch wirklich aus Cranachs Werkstatt hervorgegangen sind.

Kurfürst Johann Friedrich drang sogleich darauf, daß die sterblichen Reste Luthers in Wittenberg ruhen müßten. Die Mansfelder Grafen wollten ihnen wenigstens noch die letzten Ehren anthun. Nachdem sie schon am Nachmittag des 19. in die Andreaskirche gebracht und hier eine Predigt von Jonas an diesem Tag und eine von Cölius am Morgen des folgenden gehalten worden waren, brach am Mittag des 20. ein feierlicher Trauerzug mit dem Sarg auf. Voran ging eine Schaar von gegen fünfzig leicht gewappneten Reitern mit zwei Söhnen der Grafen, um die Leiche bis an ihren Bestimmungsort zu begleiten. Bis zum Thor von Eisleben folgten die sämmtlichen Grafen und Gräfinnen mit ihren Besuchen, worunter auch ein Fürst von Anhalt war, der Magistrat, die Schuljugend, die Masse der Bevölkerung.


Abb. 63: Luthers Todtenmaske in Halle.

In den Dörfern auf dem Wege läuteten die Glocken, Alt und Jung lief herbei. – In Halle wurde der Sarg, nachdem man ihn mit gleicher Feierlichkeit in Empfang genommen hatte, für die Nacht vom 20. auf den 21. in der städtischen Hauptkirche niedergestellt. Hier nahm man vom Todten auch noch eine Maske ab in Wachs. Diese ist dann im Bibliothekssaal der Kirche wie das Bild eines Lebenden aufgestellt worden, wobei freilich die ursprünglichen Züge durch Einsetzen der Augen und Nachbessern am Mund Aenderungen erlitten haben. Zur Vervollständigung unseres Bildes von Luthers äußerer Erscheinung dient uns hier besonders die starke Stirne, welche auf den Cranach'schen Bildern Luthers bei seinem aufgerichteten Antlitz oft unverhältnißmäßig zurücktritt. Die beiden Darstellungen des todten Luthers, die wir noch besitzen, behalten ihren Werth, wenn wir auch bedauern, daß nicht noch geschicktere Hände, als die des Halleschen Malers und Wachsbildners an ihnen gearbeitet haben.

Am 21. wurde die Leiche noch bis Kemberg geführt, nachdem sie an der Grenze des kursächsischen Gebietes von Beauftragten des Kurfürsten aufgenommen worden war. Erst am Morgen des 22. erreichte sie vollends Wittenberg. Hier wurde sie sogleich feierlich durch die ganze Länge der Stadt nach der Schloßkirche gebracht. Es war ein langer, wehmüthiger Aufzug. Die Geistlichen und die Lehrer und Schüler der Stadt eröffneten ihn mit den üblichen christlichen Gesängen. Dann kamen vor dem Sarge die vom Kurfürsten dazu verordneten Herren und die Mansfeldischen Reiter und jungen Grafen, hinter dem Sarg die Wittwe in einem kleinen Wagen mit anderen Frauen, Luthers Söhne und sein Bruder Jakob nebst anderen Verwandten aus Mansfeld, dann Universität, Rath, Bürgerschaft von Wittenberg. In der Kirche hielt Bugenhagen eine Predigt, Melanchthon, der schon gleich nach Ankunft der Trauerbotschaft in einem Anschlag für die Studenten seinen Schmerz ausgedrückt hatte, als Vertreter der Universität eine lateinische Rede. Darauf wurde die Leiche hier, wo der Reformator einst seine Thesen angeschlagen hatte, ins Grab gesenkt.

Durch die ganze evangelische Kirche hallte der Ruf der Klage laut wieder. Luther wurde wie ein Prophet Deutschlands beweint, wie ein Elias, der den Götzendienst gestürzt und das lautere Gotteswort wieder aufgerichtet habe. Wie Elisa dem Elias rief ihm Melanchthon nach: »Ach, dahin ist der Lenker und Wagen Israels.« Dagegen verfolgten fanatische Papisten auch seinen Hingang noch mit Lästerung und Lüge: schon ein Jahr ehe er starb war eine alberne Schauergeschichte von seinem Tod bei ihnen verbreitet worden.

Luther selbst ist während seines ganzen Wirkens um Lob und Lästerung von Menschen wenig bekümmert gewesen, vielmehr nach der Weisung seines großen Lehrers Paulus durch Ehre und Schande, durch böse Gerüchte und gute Gerüchte unverrückt den Weg gegangen, auf welchem er sich von oben geführt wußte. So wird auch sein geschichtliches Bild, wenn es einfach und ungeschminkt vor die Gegenwart tritt, jederzeit von selbst für den Werth des großen Mannes zeugen und für die ewigen Aufgaben weiter wirken, welchen er Leib und Leben und auch Ehre und Ruhm vor der Welt zu opfern bereit war.

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Anmerkungen:
  1. Der Inhalt des längsten dieser Briefe, den vom 7. Februar, lautet:

    GVF[Gnade und Frieden] ym Herren, Liese du, liebe Kethe, den Johannem vnd den [auf dem Rand: kleinen] Catechismum, dauon du zu dem mal sagetest, Es ist doch alles ynn dem Buch von mir gesagt. Denn du wilt sorgen für deinen Gott, gerade als were er nicht allmechtig der da kundte zehen Doctor Martinus schaffen, wo der einige alte ersoffe ynn der Saal oder ym offenloch oder auff Wolffes Vogelherd. Las mich ynn Frieden mit deiner Sorge, Ich hab einen bessern sorger denn du vnd alle Engel sind  Der ligt ynn der Krippen, vnd henget an einer Jungfrawen Zitzen. Aber sitzet gleichwol zur rechten Hand Gottes des allmechtigen Vaters, Darumb sei ynn frieden, Amen.

    Ich denke das die Helle vnd gantze welt musse itzt ledig seyn von allen Teuffeln die villeicht alle vmb meinen willen hie zu Eisleben zusammen komen sind: so fest vnd hart stehet die sache  So sind auch hie Jüden bey funfftzig [auf dem Rand: ynn einem Hause] wie ich dir zuvor geschrieben  Itzt sagt man das zu Rißdorff hart vor Eisleben gelegen daselbs ich krank ward ym einfaren sollen aus vnd ein reiten vnd gehen bey vierhundert Jüden Graff Albrecht, der alle Grentze vmb Eisleben her hat, der hat die Jüden so auff seinem eigenthum ergriffen, preigegeben  Noch will yhnen niemandt nichts thun  Die Greffin zu Mansfild witwe, von Solinis [Gräfin Dorothea, Witwe des Grafen Ernst, geborene Gräfin von Solms] wird geachtet als der Juden Schützerin  Ich weis nicht obs war sey  Aber ich hab mich heute lassen hören wo mans merken wolte, was meine meinung sey, groblich gnüg wens sonst helffen solt Bettet, Bettet, Bettet vnd helfft vns das wirs gut machen  Denn ich heute ym willen hatte den wagen zu schmiren in ira mea [in meinem Zorn]. Aber der Jamer so mir fur fiel, meines Vaterlandis hat mich gehalten  Ich bin nu auch ein Jurist worden  Aber es wird yhnen nicht gedeyen. Es wäre besser, sie ließen mich einen Theologen bleiben. Kome ich unter sie, so ich leben sol, ich mocht ein Poltergeisst werden, der yhren Stolz durch Gottes Gnade kemmen [kämmen] mochte. Sie stellen sich als wären sie Gott dauon mochten sie wol vnd billich bey Zeit abtreten  Ehe denn yhre Gottheyt zur Teuffelheyt würde, wie Lucifer geschach der doch ym Hymel für Hoffart nicht bleiben kundte. Wolan Gottes Wille geschehe. Du solt M Philipps diesen Brieff lesen lassen: denn ich nicht Zeit hatte yhm zu schreiben, damit Du Dich tresten kannst, das ich Dich gern lieb hette wenn ich kondte, wie Du weißest. Und er gegen seine Frawen villeicht auch weis, vnd alles wol verstehet.

    Wir leben hier wol vnd der Rat schenkt mir zu iglicher malzeit ein halb Stubigen Reinfall [auf dem Rand: der ist seer gut]  Zuweilen trinck ichs, mit meinen gesellen. So ist der Landwein hie gut, vnd Naumburgesch Bier seer gut, on das mich dunkt es mache mir die brüst vol Phlegmate mit seinem Pech: Der Teuffel hat vns das bier ynn aller Welt mit Pech verderbet vnd bey euch den Wein mit Schwefel. Aber hie ist der wein rein, on was des Lands art gibt.

    Und wisse das alle Brieve die Du geschrieben hast sind anher komen, Vnd heute sind die komen so Du am nehesten Freitag geschrieben hast mit M Philipps Brieven damit du nicht zernest.

    Am Sontag        
    nach Dorotheenstag [7. Februar] 1546.                        
    Dein Liebichen            
    Martinus Luther D.      

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