Dreiundzwanzigstes Kapitel

»In meinem Ende ist mein Anbeginn«

8. Februar 1587

En ma fin est mon commencement, diesen damals noch nicht ganz verständlichen Spruch hatte Maria Stuart vor Jahren in eine brokatene Arbeit eingestickt. Nun wird ihre Ahnung wahr. Erst ihr tragischer Tod ist der wahre Anbeginn ihres Ruhms, nur er wird vor den Augen der Nachwelt ihre jugendliche Schuld tilgen, ihre Fehler verklären. Mit Umsicht und Entschlossenheit bereitet sich die Verurteilte seit Wochen auf diese äußerste Prüfung vor. Zweimal hatte sie selbst als junge Königin zusehen müssen, wie ein Edelmann unter dem Beil stirbt, also früh schon erfahren, daß das Grauen eines solchen unrettbaren unmenschlichen Aktes nur überwunden werden kann durch heroische Haltung. Die ganze Welt und die Nachwelt, Maria Stuart weiß es, werden ihre Haltung prüfen, wenn sie als die erste gesalbte Königin den Nacken über den Block beugt, jedes Zucken, jedes Zaudern, jedes feige Erblassen in dieser entscheidenden Minute wäre Verrat an ihrem königlichen Ruhm. So sammelt sie still in diesen Wochen des Wartens all ihre innere Kraft. Auf nichts im Leben hat sich die sonst impulsive Frau so ruhig und zielbewußt vorbereitet wie auf diese ihre letzte Stunde.

Kein Zeichen des Erschreckens oder nur des Erstaunens ist darum bei ihr wahrzunehmen, als Dienstag, den 7. Februar, ihre Diener melden, die Lords Shrewsbury und Kent seien mit einigen Magistratspersonen eingetroffen. Vorsorglich befiehlt sie ihre Frauen und die meisten ihres Gesindes heran. Erst dann empfängt sie die Abgesandten. Denn für jeden einzelnen Augenblick wünscht sie von nun ab die Gegenwart ihrer Getreuen, damit sie dereinst bezeugen können, daß die Tochter James' V., die Tochter Marias von Lothringen, daß sie, in deren Adern das Blut der Tudors und der Stuarts fließt, auch das Schwerste aufrecht und glorreich zu bestehen vermochte. Shrewsbury, der Mann, in dessen Hause sie nahezu zwanzig Jahre gewohnt, beugt das Knie und das graue Haupt. Ein wenig schwankt ihm die Stimme, da er ankündigt, Elisabeth habe nicht umhin können, den dringlichen Bitten ihrer Untertanen nachzugeben und den Vollzug des Urteils anzuordnen. Maria Stuart scheint nicht erstaunt über die schlimme Nachricht; ohne das geringste Zeichen von Bewegung – sie weiß, jede Geste zeichnet sich in das Buch des Geschichte ein – läßt sie sich das Todesurteil vorlesen, dann bekreuzigt sie sich gelassen und sagt: »Gelobt sei Gott für die Nachricht, die Sie mir überbringen. Ich könnte keine bessere empfangen, da sie mir das Ende meiner Leiden ankündigt und die Gnade, die Gott mir erweist, für die Ehre seines Namens und seiner Kirche, der römisch-katholischen, zu sterben.« Mit keinem Wort bestreitet sie mehr das Urteil. Nicht mehr als Königin will sie sich gegen das von einer andern Königin verhängte Unrecht wehren, sondern als Christin das Leiden auf sich nehmen, und vielleicht liebt sie ihr Märtyrertum schon als den letzten Triumph, der ihr in diesem Leben noch geblieben ist. Nur zwei Bitten hat sie: daß ihr Beichtiger mit geistlichem Troste ihr beistehen dürfe und daß die Urteilsvollstreckung nicht schon am nächsten Morgen stattfinde, damit ihr Gelegenheit bleibe, ihre letzten Verfügungen mit Sorgfalt zu treffen. Beide Bitten werden abgeschlagen. Sie brauche keinen Priester der Irrlehre, antwortet der Graf von Kent, ein fanatischer Protestant, aber gerne wolle er einen reformierten Geistlichen senden, damit er sie in der wahren Religion unterweise. Selbstverständlich lehnt Maria Stuart ab, in der Stunde, da sie durch ihren Tod vor der ganzen katholischen Welt für ihr Bekenntnis zeugen will, sich noch Lektionen über den wahren Glauben von einem Ketzerpriester erteilen zu lassen. Weniger grausam als diese törichte Zumutung an eine Todgeweihte ist die Ablehnung der Bitte um Aufschub der Hinrichtung. Denn da nur eine Nacht zur Vorbereitung ihr gewährt wird, sind die wenigen ihr noch verstatteten Stunden dermaßen überfüllt, daß für Angst oder Unruhe kein Raum bleibt. Immer, und das ist ein Geschenk Gottes an den Menschen, wird einem Sterbenden die Zeit zu eng.

Mit einer Besonnenheit und Umsicht, wie sie ihr früher verhängnisvollerweise fremd waren, teilt Maria Stuart ihre letzten Stunden ein. Als große Fürstin will sie einen großartigen Tod, und mit dem makellosen Stilgefühl, das sie immer auszeichnete, mit dem ererbten künstlerischen Sinn und der eingeborenen hohen Haltung in gefährlichen Augenblicken, bereitet Maria Stuart ihren Hingang wie ein Fest, wie einen Triumph, wie eine große Zeremonie vor. Nichts soll improvisiert, nichts dem Zufall, der Stimmung überlassen bleiben, alles in seiner Wirkung errechnet, alles königlich prächtig und imposant gestaltet sein. Jede Einzelheit ist genau und sinnvoll eingesetzt als eine rührende oder mächtig erschütternde Strophe in das Heldengedicht eines vorbildlichen Märtyrertodes. Etwas früher als sonst hat Maria Stuart, damit ihr Zeit bliebe, die notwendigen Briefe in Ruhe zu schreiben und ihre Gedanken zu sammeln, die Mahlzeit bestellt, und symbolisch gibt sie ihr die feierliche Form eines letzten Abendmahls. Nachdem sie selbst gegessen hat, versammelt sie das Hausgesinde um sich im Kreise und läßt sich einen Becher Wein reichen. Ernst und doch klaren Antlitzes hebt sie den gefüllten Kelch über ihre Getreuen, die alle in die Knie gesunken sind. Sie trinkt auf ihr Wohlergehen und hält dann eine Ansprache, in der sie alle dringlich ermahnt, der katholischen Religion treu zu bleiben und untereinander in Frieden zu leben. Sie bittet – es ist wie eine Szene aus der vita sanctorum – jeden einzelnen von ihnen um Vergebung für alles und jedes Unrecht, das sie ihm jemals bewußt oder unbewußt zugefügt haben sollte. Dann erst übergibt sie jedem ein besonders ausgewähltes Geschenk, Ringe und Steine und Ketten und Spitzen, alle die kleinen Köstlichkeiten, die ihr vergehendes Leben erheitert und geschmückt haben. Auf den Knien, schweigend und schluchzend, nehmen die Beschenkten die Gaben entgegen, und wider ihren Willen wird die Königin selbst erschüttert von der schmerzlichen Liebe ihrer Getreuen.

Endlich erhebt sie sich und geht hinüber in ihr Zimmer, wo bereits die Wachskerzen vor dem Schreibtisch brennen. Es ist noch viel zu tun zwischen Nacht und Morgen: das Testament zu überlesen, die Anordnungen für den schweren Gang zu treffen und die letzten Briefe zu schreiben. Der erste, der dringlichste bittet ihren Beichtiger, die Nacht über wach zu bleiben und für sie zu beten; zwar weilt er nur zwei oder drei Zimmer weit im selben Schlosse, aber Graf Kent – Fanatismus ist immer mitleidlos – hat dem Tröster verboten, seinen Wohnraum zu verlassen, damit er nicht Maria Stuart die »papistische« Letzte Ölung erteilen könne. Dann schreibt die Königin an ihre Verwandten, an Heinrich III. und den Herzog von Guise; eine besondere Sorge, aber eine, die ihr auch besondere Ehre macht, bedrückt sie in dieser letzten Stunde: daß nach dem Erlöschen ihrer französischen Witwenpension ihr Hausgesinde unversorgt zurückbleiben sollte. So bittet sie den König von Frankreich, die Pflicht zu übernehmen, ihre Vermächtnisse einzulösen und Seelenmessen lesen zu lassen »für eine allerchristliche Königin, die als Katholikin und aller Habe entblößt« in den Tod geht. An Philipp II., an den Papst hat sie schon vordem Briefe gesandt. Nur an eine Herrin dieser Welt wäre noch zu schreiben, an Elisabeth. Aber an sie richtet Maria Stuart kein Wort mehr. Sie will um nichts mehr bitten und für nichts mehr danken; nur durch stolzes Schweigen kann sie die alte Gegnerin noch beschämen und durch einen großartigen Tod.

Es ist sehr lange nach Mitternacht, da sich Maria Stuart auf das Bett legt. Alles, was im Leben zu tun war, hat sie getan. Nur ein paar Stunden noch hat die Seele jetzt Gastrecht in dem abgemüdeten Leib. In der Ecke des Zimmers knien die Mägde und beten mit stummer Lippe; sie wollen die Schlafende nicht stören. Maria Stuart aber schläft nicht. Offenen Auges blickt sie in die große Nacht; nur die Glieder läßt sie ein wenig ruhen, damit sie morgen aufrechter und starker Seele hinzutreten vermöge vor den noch stärkeren Tod.

Zu vielen Festen hat sich Maria Stuart gekleidet, zu Krönung und Taufe, zu Hochzeit und ritterlichem Spiel, zu Fahrten und Krieg und Jagd, zu Empfängen und Bällen und Turnieren, immer in Prunk gehüllt und wissend um die Macht, die das Schöne auf Erden verbreitet. Aber zu keinem Anlaß hat sie sich sorgfältiger angetan als für die größte Stunde ihres Schicksals, für ihren Tod. Tage und Wochen vorher muß sie das würdigste Ritual des Sterbens sich ausgedacht und jede Einzelheit absichtsvoll gewählt haben. Stück für Stück muß sie ihre Garderobe durchgemustert haben nach einer würdigsten Etikette für diesen noch nie gebotenen Anlaß: es ist, als wollte sie auch als Frau in einer letzten Eitelkeit für alle Zeiten das Vorbild geben, wie vollendet eine Königin auch dem Schafott entgegenzuschreiten hat. Zwei Stunden, von sechs bis acht Uhr morgens, kleiden sie ihre Dienerinnen. Nicht wie eine arme Sünderin, schlotternd in schlechtem Gewande, will sie vor den Block treten; ein Festkleid, ein Feiertagskleid wählt sie für ihren letzten Gang, ihr ernstestes und bestes aus dunkelbraunem Samt mit Zibelinmarder verbrämt, hochaufgestellt der weiße Kragen und niederwallend die Ärmel. Ein schwarzseidener Mantel umschließt diese würdevolle Pracht, und so lang schleift ihre schwere Schleppe nach, daß Melville, der Haushofmeister, sie ehrfürchtig nachtragen muß. Ein Witwenschleier weht weiß vom Scheitel bis zur Erde, erlesene Skapuliere und juwelengefaßte Rosenkränze ersetzen allen irdischen Schmuck, Schuhe aus weißem Maroquin sollen den Schritt lautlos machen in der zu erwartenden Stille, wenn sie dem Schafott entgegenschreitet. Eigenhändig hat aus ihrem Schreine die Königin das Taschentuch ausgesucht, mit dem ihr die Augen verbunden werden sollen, ein spinndünnes Gewebe aus feinstem Batist mit goldenen Fransen, wahrscheinlich von ihr selbst gestickt. Jede Spange an ihrem Kleid ist sinnreich gewählt, jede Kleinigkeit geradezu musikalisch auf den Anlaß abgestimmt und vorsorglich sogar daran gedacht, daß sie angesichts fremder Männer diese dunkle Pracht vor dem Block wird abstreifen müssen. Für diese letzte blutige Minute hat Maria Stuart sich blutrote Unterkleidung anlegen und ärmellange brandrote Handschuhe vorbereiten lassen, damit, wenn das Beil ihr in den Nacken fährt, nicht zu kraß die Farbe des vorspringenden Blutes von dem Gewande ableuchte. Nie hat eine verurteilte Frau künstlerischer und hoheitsvoller sich dem Tode bereit gemacht.

Um acht Uhr morgens klopft es an die Tür. Maria Stuart antwortet nicht, noch kniet sie vor ihrem Betstuhl und liest laut die Gebete für Sterbende. Erst nach vollendeter Andacht erhebt sie sich, und dem zweiten Pochen wird aufgetan. Der Sheriff tritt ein, den weißen Stab in der Hand – bald wird er zerbrochen sein –, und sagt respektvoll mit einer tiefen Verbeugung: »Madame, die Lords erwarten Sie und haben mich zu Ihnen gesandt.« »Gehen wir«, antwortet Maria Stuart. Sie macht sich bereit.

Nun beginnt der letzte Weg. Gestützt zur Rechten und zur Linken von einem ihrer Diener, schreitet sie langsam mit ihren rheumatisch gelähmten Gliedern aus. Dreifach hat sie sich bewehrt mit den Waffen des Glaubens, daß kein Ansturm der Angst sie zu erschüttern vermöge; um den Hals trägt sie ein goldenes Kruzifix, vom Gürtel hängt juwelenbesetzt eine Paternosterschnur herab, in der Hand trägt sie das fromme Schwert eines elfenbeinernen Kreuzes: die Welt soll sehen, wie eine Königin im katholischen Glauben und für den katholischen Glauben stirbt. Vergessen soll sein, welche Schuld und Torheit auf ihrer Jugend lastete und daß sie als Mitwisserin eines beabsichtigten Mordes vor den Henker geführt wird: für alle Zeiten will sie dartun, daß sie als Märtyrerin der katholischen Sache fällt, ein Schlachtopfer ihrer ketzerischen Feinde.

Nur bis zur Tür, so ist es berechnet und vereinbart, begleiten sie und stützen sie ihre eigenen Diener. Denn es soll nicht den Anschein haben, als ob sie teilhätten an der verhaßten Tat und ihre Herrin selbst hinführten zum Schafott. Nur im eigenen Raum wollen sie ihr helfen und dienen, nicht aber Helfershelfer werden bei ihrem grausamen Tod. Von der Tür bis zum Fuß der Treppe müssen es zwei Untergebene Amyas Poulets übernehmen, sie zu stützen: ausschließlich Feinde, Gegner dürfen es sein, welche teilnehmen an dem Verbrechen, eine gesalbte Königin zum Richtblock zu führen. Unten, an der letzten Stufe der Treppe, vor dem Eingang in die große Halle, wo die Hinrichtung stattfinden soll, kniet Andrew Melville, ihr Haushofmeister; ihm als schottischen Adeligen fällt die Aufgabe zu, ihrem Sohn von der vollzogenen Hinrichtung Nachricht zu geben. Die Königin hebt ihn von den Knien empor und umarmt ihn. Willkommen ist ihr der treue Zeuge, denn seine Gegenwart kann sie nur bestärken in der festen Haltung, die sie sich zugeschworen. Und wie Melville sagt: »Es wird für mich die schwerste Aufgabe meines Lebens sein, mitzuteilen, daß meine verehrte Königin und Herrin tot ist«, antwortet sie ihm: »Du sollst dich vielmehr freuen, daß ich am Ende meiner Mühsal angelangt bin. Bringe nur die Nachricht, daß ich getreu meiner Religion gestorben bin, eine wahre Katholikin, eine wahre Schottin, eine wahre Prinzessin. Gott möge jenen verzeihen, die mein Ende verlangt haben. Und sage meinem Sohn, daß ich niemals etwas getan habe, was ihm hätte Schaden bringen können, und nie unser Hoheitsrecht preisgegeben habe.«

Nach diesen Worten wendet sie sich an die Grafen Shrewsbury und Kent und stellt das Ersuchen, daß auch die Frauen ihres Gefolges bei ihrer Hinrichtung anwesend sein dürften. Der Graf von Kent macht Einwendungen: die Frauen würden mit Weinen und Schreien Unruhe verursachen und vielleicht auch Ärgernis, indem sie Taschentücher in das Blut der Königin tauchten. Aber Maria Stuart läßt sich ihren letzten Willen nicht entwinden. »Ich nehme es auf mein Wort«, erwiderte sie, »sie werden nichts dergleichen tun, und ich bin sicher, daß Ihre Herrin nicht einer andern Königin verweigern würde, ihre Frauen im letzten Augenblick zur Beihilfe mit sich zu haben. Es ist ausgeschlossen, daß sie so harten Befehl erteilt hat. Selbst wenn ich von geringerem Rang wäre, würde sie mir dies bewilligen, und ich bin ihre nächste Verwandte, bin vom Blute Heinrichs VII., Königinwitwe von Frankreich und gesalbte Königin von Schottland.«

Die beiden Grafen beraten; schließlich wird ihr zugebilligt, sie dürfe sich von vieren ihrer Diener und zweien ihrer Frauen begleiten lassen. Das genügt Maria Stuart. Von dieser erlesensten und getreuesten Schar und Andrew Melville gefolgt, der ihre Schleppe trägt, betritt sie hinter dem Sheriff und Shrewsbury und Kent die große Halle von Fotheringhay.

Die ganze Nacht ist in dieser Halle gehämmert worden. Man hat die Tische und Stühle weggeräumt, am Ende des Saales ist eine Plattform errichtet, zwei Fuß hoch und mit schwarzer Leinwand überdeckt wie ein Katafalk. Vor dem schwarz ausgeschlagenen Block in der Mitte steht bereits vorsorglich ein schwarzer Schemel mit schwarzem Kissen, hier hat die Königin niederzuknien, um den tödlichen Schlag zu empfangen. Zur Rechten und zur Linken wartet je ein Sessel für die Grafen von Shrewsbury und Kent als Amtswalter Elisabeths, an der Wand aber stehen starr wie Erz, in schwarzen Samt gekleidet und mit schwarzen Masken verlarvt, zwei Gestalten ohne Gesichter: der Henker und sein Gehilfe. Diese grauenhaft großartige Bühne dürfen nur das Opfer und die Henker betreten: in der Tiefe des Saales jedoch drängt sich die Zuschauerschaft. Von Poulet und seinen Soldaten bewacht, ist dort eine Barriere gespannt, hinter der zweihundert Edelleute stehen, in aller Eile aus der Nachbarschaft gekommen, um das einmalige und bisher unerhörte Schauspiel zu sehen, wie eine gesalbte Königin hingerichtet wird. Vor den verschlossenen Türen des Schlosses drängen außerdem Hunderte und aber Hunderte des niederen Volkes, angelockt durch die Nachricht: aber ihnen ist der Zutritt verwehrt. Nur adeliges Blut darf zusehen, wie königliches vergossen wird.

Gelassen betritt Maria Stuart die Halle. Königin seit ihrem ersten Lebensjahr, hat sie von allem Anbeginn gelernt, sich königlich zu halten, und diese hohe Kunst verläßt sie auch nicht in diesem schwersten Augenblick. Erhobenen Hauptes steigt sie die zwei Stufen zum Schafott empor. So ist sie fünfzehnjährig emporgeschritten zu dem Thronsessel Frankreichs, so die Stufen des Altars von Reims. So wäre sie emporgeschritten zum Thronsessel Englands, wenn andere Gestirne über ihrem Geschick gestanden hätten. So demütig und stolz zugleich war sie niedergekniet an der Seite eines Königs von Frankreich, an der Seite eines Königs von Schottland, um den Segen des Priesters zu empfangen, wie sie jetzt ihr Haupt beugt, um des Todes Segnung hinzunehmen. Gleichgültig hört sie zu, wie der Sekretär noch einmal das Todesurteil verliest. Und ihre Züge zeigen dabei einen so freundlichen und fast freudigen Ausdruck, daß selbst Wingfield, ein grimmiger Gegner, in seinem Bericht an Cecil erwähnen muß, sie hätte der Verkündigung ihres Todesurteils zugehört wie einer Gnadenbotschaft.

Aber eine harte Probe steht ihr noch bevor. Maria Stuart will diese letzte Stunde rein und groß gestalten; als ein Fanal des Glaubens, als eine große Flamme katholischen Märtyrertums soll sie über die Welt leuchten. Doch den protestantischen Lords liegt daran, zu verhindern, daß die letzte Geste ihres Lebens sich zu einem eindrucksvollen Bekenntnis einer frommen Katholikin erhebe; so versuchen sie noch im letzten Augenblick, die Hoheitshaltung Maria Stuarts durch kleine Gehässigkeiten zu verkleinern. Mehrmals hatte die Königin auf dem knappen Weg aus ihrem Zimmer in die Hinrichtungshalle sich umgesehen, ob nicht doch ihr Beichtiger unter den Anwesenden sei, damit sie wenigstens durch ein stummes Zeichen Absolution und Segen empfangen könne. Jedoch vergebens. Ihr Beichtiger durfte sein Zimmer nicht verlassen. Nun aber, da sie sich schon vorbereitet, ohne religiösen Zuspruch die Hinrichtung zu erleiden, erscheint plötzlich auf dem Schafott der reformierte Pfarrer von Peterborough, Dr. Fletcher; bis in die letzte Sekunde des Lebens drängt sich der grauenhaft-grausame Kampf der beiden Religionen, der ihre Jugend verstört und ihr Schicksal zerstört hat. Zwar wissen die Lords aus ihrer dreimalig wiederholten Weigerung zur Genüge, daß die gläubige Katholikin Maria Stuart lieber ohne geistlichen Beistand sterben wolle als mit dem eines ketzerischen Priesters. Aber so wie vor dem Schafott Maria Stuart ihre Religion, wollen auch die Protestanten die eigene zu Ehren bringen, auch sie fordern ihres Gottes Gegenwart. Unter dem Vorwand zärtlicher Sorge für ihr Seelenheil beginnt der reformierte Pfarrer einen höchst mittelmäßigen Sermon, den Maria Stuart, ungeduldig, nur rasch zu sterben, vergebens zu unterbrechen sucht. Drei- bis viermal bittet sie Dr. Fletcher, er möge sich nicht bemühen, sie beharre im römisch-katholischen Glauben, für dessen Verteidigung sie jetzt durch Gottes Gnade ihr Blut vergießen dürfe. Aber das kleine Pfarrerchen hat wenig Ehrfurcht vor dem Willen einer Sterbenden und sehr viel Eitelkeit. Er hat seinen Sermon sauber vorbereitet und fühlt sich hochgeehrt, ihn vor so vornehmer Zuhörerschaft an den Mann zu bringen. Er schwätzt und leiert weiter, schließlich weiß Maria Stuart kein anderes Mittel gegen das widrige Gepredige, als daß sie wie eine Waffe in eine Hand ihr Kruzifix nimmt, in die andere ihr Gebetbuch, sich auf die Knie wirft und laut und lateinisch betet, um mit den heiligen Worten des Gesalbader zu übertönen. Statt gemeinsam für die Seele eines geopferten Menschen zum gemeinsamen Gott die Stimme zu erheben, kämpfen zwei Schritte vom Schafott die beiden Religionen gegeneinander; wie immer ist die Gehässigkeit stärker als die Ehrfurcht vor fremder Not. Shrewsbury und Kent und mit ihnen die meisten der Versammlung beten englisch. Maria Stuart und ihr Hausgesinde aber lateinisch. Erst da der Pfarrer endlich schweigt und es wieder still wird, nimmt Maria Stuart gleichfalls in englischer Sprache das Wort und spricht eine laute Fürbitte für die getroffene Kirche Christi. Sie sagt Dank für das Ende ihrer Leiden, laut bekennt sie, das Kruzifix an die Brust pressend, daß sie hoffe, durch das Blut Jesu Christi gerettet zu werden, dessen Kreuz sie in Händen halte und für den sie ihr Blut zu vergießen bereit sei. Noch einmal versucht der fanatische Earl of Kent ihre reine Andacht zu stören, er ermahnt sie, diese »popish trumperies«, diese papistischen Betrügereien, beiseite zu lassen. Aber zu weit ist diese Sterbende schon von allem irdischen Streit. Keinen Laut, keinen Blick gibt sie zur Antwort, sondern vernehmlich hebt sie die Stimme über den Saal, sie vergebe von ganzem Herzen allen ihren Feinden, die so lange nach ihrem Blut getrachtet, und bitte Gott, sie zur Wahrheit zu führen.

Stille tritt ein. Maria Stuart weiß, was jetzt kommen wird. Noch einmal küßt sie das Kruzifix, schlägt das Kreuz und sagt: »So wie Deine Arme, Jesus Christ, hier auf diesem Kreuz ausgebreitet sind, so empfange auch mich in diese Deine mitleidigen Arme und vergib mir alle Sünden. Amen.«

Das Mittelalter ist grausam und gewalttätig, aber es ist darum nicht seelenlos. Und in manchen seiner Gebräuche hat es ein tieferes Bewußtsein seiner Unmenschlichkeit bewahrt als unsere Zeit. Jede Hinrichtung, so barbarisch sie sein mag, hat damals einen kurzen Augenblick menschlicher Größe inmitten des Grauens; ehe der Henker Hand anlegt, um zu töten oder zu foltern, muß er sein Opfer um Vergebung bitten für das Vergehen an seinem lebendigen Leibe. So knien jetzt der Henker und sein Gehilfe in ihren verlarvten Masken nieder vor Maria Stuart und bitten um Verzeihung für den Tod, den sie ihr zu bereiten gezwungen sind. Und Maria Stuart antwortet: »Ich vergebe Euch von ganzem Herzen, denn ich hoffe, dieser Tod soll all meinen Leiden ein Ende bereiten.« Dann erst stehen der Henker und sein Gehilfe auf und bereiten sich vor für ihr Werk.

Gleichzeitig haben die beiden Frauen begonnen, Maria Stuart zu entkleiden; sie hilft selbst mit, die Kette mit dem Agnus Dei vom Nacken zu nehmen. Sie tut es mit fester Hand und – wie der Bote ihres Feindes Cecil sagt – »mit solcher Eile, als ob sie ungeduldig sei, diese Welt zu verlassen«. Wie der schwarze Mantel, wie das dunkle Kleid von ihren Schultern fällt, leuchtet die rotseidene Unterkleidung auf, und als ihr die Dienerinnen die roten Handschuhe über die Ärmel streifen, steht sie plötzlich da wie eine blutige Flamme, großartige, unvergeßliche Gestalt. Und nun kommt der Abschied. Die Königin umarmt ihre Dienerinnen und mahnt sie, nicht laut zu schluchzen und zu klagen. Dann erst kniet sie nieder auf das Kissen und spricht mit lauter Stimme den lateinischen Psalm: »In te Domine, confido, ne confundar in aeternum.«

Nun ist nicht mehr viel zu tun. Nur den Kopf hat sie noch niederzubeugen auf den Block, den sie mit beiden Armen, eine Liebende ihres Todes, umfaßt. Bis zum letzten Augenblick hat Maria Stuart die königliche Größe bewahrt. Mit keiner Regung, mit keinem Wort hat sie Furcht verraten. Würdig hat sich die Tochter der Stuarts, der Tudors, der Guisen bereitet zum Sterben. Aber was hilft alle menschliche Würde, alle erlernte und ererbte Haltung gegen das Grauen, das jedem Morde anhaftet! Niemals kann – und hier lügen alle Bücher und Berichte die Hinrichtung eines lebenden Menschen romantisch und rein ergreifend sein. Immer wird der Tod durch das Henkersbeil zum gräßlichen Schrecknis und zur niedrigen Schlächterei. Der erste Hieb des Scharfrichters hat schlecht getroffen, nicht durch den Nacken ist er gefahren, sondern stumpf auf das Hinterhaupt. Ein Röcheln, ein Stöhnen bricht erstickt aus dem Munde der Gemarterten, aber nicht laut. Der zweite Schlag fährt tief in den Nacken und läßt das Blut grell aufspritzen. Aber erst der dritte löst das Haupt vom Rumpf. Und abermalige Gräßlichkeit: als der Henker das Haupt an den Haaren aufheben und zeigen will, faßt er nur die Perücke, und das Haupt löst sich los. Wie eine Kegelkugel rollt und poltert es blutüberströmt auf den Bretterboden, und da der Henker es jetzt abermals faßt und aufhebt, erblickt man – gespenstiger Anblick – das einer alten Frau mit eisgrau geschorenem Haar. Einen Augenblick lähmt das Entsetzen vor der Schlächterei die Zuschauer, niemand atmet oder spricht. Dann holt endlich der Pfarrer von Peterborough den Ruf mühsam aus sich heraus: »Es lebe die Königin.«

Blaß sieht das fremde, kalkweiße Haupt mit den gebrochenen Augen auf die Edelleute, die, wenn die Würfel anders gefallen, ihre getreuesten Diener und eifrigsten Untertanen gewesen wären. Noch eine Viertelstunde lang zucken konvulsivisch die Lippen, die zu übermenschlich gewaltsam die Angst der Kreatur in sich verpreßt, und die Zähne schlagen gegeneinander. Um das Grauen des Anblicks zu lindern, wirft man rasch ein schwarzes Tuch über den Rumpf und über das medusische Haupt. Und schon wollen inmitten des gelähmten Schweigens die Knechte die dunkle Last wegtragen, da löst ein kleiner Zwischenfall das fahle Entsetzen. Denn im Augenblick, da die Henker den blutüberströmten Rumpf aufheben, um ihn ins Nachbarzimmer zu schaffen, wo er einbalsamiert werden soll, rührt sich etwas unter den Kleidern. Unbemerkt von allen war ihr kleiner Lieblingshund der Königin nachgeschlichen und hatte sich gleichsam in Angst um ihr Schicksal an ihren Körper gedrückt. Jetzt springt er vor, überströmt und naß von dem vergossenen Blut. Er bellt und beißt und keift und kläfft, er will von der Leiche nicht weichen. Mit Gewalt suchen ihn die Henker wegzureißen. Aber er läßt sich nicht fassen und nicht locken, wild springt er die fremden, großen schwarzen Bestien an, die ihn mit dem Blut seiner geliebten Herrin so brennend verwunden. Leidenschaftlicher als alle und besser als ihr Sohn und die Tausende, die ihr Treue geschworen, hat dies kleine Tier für seine Herrin gekämpft.

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