Das Geheimnis ihres Lebens und ihres Todes

Erinnerungen derer, die Mata Hari kannten

Paul Olivier und die Bajadere

Paul Olivier, der hervorragende Publizist und Journalist, schickte mir folgende Notizen über Mata Hari. Für eine Wiederherstellung ihrer Psychologie enthalten sie sehr viele interessante Einzelheiten:

Nachdem ich sie im Jahre 1912 kennengelernt hatte, blieb ich mit Mata in Verbindung. Sie lud mich zu einem Besuch bei sich ein. Sie besaß bekanntlich eine prachtvolle Villa in Neuilly. Obgleich ich sehr gern mit ihr plauderte, konnte ich von der Einladung doch nur zwei- oder dreimal Gebrauch machen, weil ich in anderer Weise zu sehr in Anspruch genommen war. Dagegen besuchte sie mich häufig in meinem Pariser Bureau, mindestens einmal die Woche. Im Spätfrühling 1913 hörten diese Besuche aber auf; sie hatte eingesehen, daß ich ihre hochgradige Neugierde in bezug auf politische Affären, Kulissengeheimnisse der Presse und Tagesereignisse nur schlecht befriedigte. Außerordentlich schien sie sich dafür zu interessieren, wie der Nachrichtendienst der großen Zeitungen eingerichtet ist. Ich erklärte ihr das, so gut ich konnte. Dann wollte sie von mir genaue Auskünfte haben über den Berliner Korrespondenten einer Pariser Zeitung, aber auch das gelang ihr nur halb, denn ich kannte den betreffenden Journalisten kaum. Sehr gern wäre sie mit einigen meiner Kollegen in Verbindung getreten; aber das journalistische Leben bringt es mit sich, daß wir beständig auf Reisen sind, und so fiel auch dieser Plan ins Wasser. Im Herbst 1913 besuchte sie mich noch ein- oder zweimal. Dann wurde ich krank, reiste nach dem Süden und kehrte erst acht Monate später nach Paris zurück.

Der Garten ihrer Villa in Neuilly war von hohen Mauern umgeben, die sie vor unberufenen Blicken schützten. So konnte sie, sie hat es selbst gesagt, oft der Laune folgen, hier nachts bei Mondschein ganz nackt zu tanzen. Zu ihrem und ihres intimen Kreises Vergnügen ... Als ich sie kennenlernte, versicherte sie mir, sie läge gerade in Scheidung. Anfang 1913 kam sie eines Tages mit verweintem Gesicht zu mir; ihr Mann hätte sie blutig geschlagen, sagte sie. Ihr Körper zeigte tatsächlich blutunterlaufene Flecke. Sie fragte mich um Rat, wie sie die Scheidungsformalitäten abkürzen könnte. Ich gab ihr ein paar Zeilen für einen mir befreundeten Rechtsanwalt. Sie hat ihn nie aufgesucht. Es handelte sich um eine einfache Komödie, deren Triebfeder ich im Augenblick nicht ausfindig zu machen versuchte; später kam mir der Gedanke, ob sie nicht vielleicht beabsichtigt hatte, mir Mitleid einzuflößen, um mich inniger mit ihrem Leben zu verknüpfen, in der Hoffnung so leichter hinter die Kulissen der Pariser Presse gelangen zu können. Wie dem auch sei, in jedem Fall hatte sie sich schwer verrechnet, denn in den Redaktionsstuben erfährt man keine endgültigen politischen Tatsachen.

Ihre Verführungskunst, halb zierlichste Feinheit, halb ungestüme Heftigkeit, war einzigartig. Soeben noch ganz große Dame, gefiel sie sich eine Minute später in den derbsten Ausdrücken, und wenn sie dazu noch lachte, glich sie fast einer Straßendirne. Gelegentlich trat eine ganz lyrische Seite zutage. Ich erinnere mich, wie sie Stellen aus den großen indischen Gedichten vortrug ohne Übertreibung, aber mit echtem Schwung, der eine tiefe Liebe für das Schöne verriet. Ab und zu deutete sie dann gleichzeitig einen Tanz an, der mit den gesprochenen Versen harmonierte, und das Ganze wirkte majestätisch, ungezwungen, rhythmisch und graziös.

Sie hatte die schönsten Arme, die ich jemals in meinem Leben sah.

Die Legende vom verstümmelten Busen

In den Lebensbeschreibungen Mata Haris findet sich eine Episode, die die Beharrlichkeit erklärt, womit diese Frau, eigentlich immer geneigt, sich zu entkleiden, ebenso sorgsam darauf bedacht war, ihre Brüste mit zwei kleinen Filigranschützern zu bedecken.

– Mein Gatte, Hauptmann Mac Leod, war so eifersüchtig – sagt sie – daß er mir sehr oft drohte, er wolle mich verunstalten, damit niemand sich in mich verlieben könne. Was seine Raserei in unseren Liebesnächten dem Wahnsinn nahe brachte, war der Gedanke, meine kleinen, straffen Brüste, korinthischen Schalen gleich, könnten von anderen Händen gestreichelt, von anderen Lippen geküßt werden. »Lieber reiße ich sie dir aus« – murmelte er, indem er seine Finger in meine Brust krampfte. Ich mußte dann alle meine Reize spielen lassen, um sein wildes Verlangen zu stillen und ihn sogar vor meinem Leibe auf die Knie zwingen. Eines Abends nach langem Schweigen näherte er sich mir in unserem Bett und küßte innig und anhaltend meine Brüste. Plötzlich, von einer wilden Regung hingerissen, biß er mir die linke Brustwarze ab und verschlang sie. Deshalb habe ich hinfort meinen Körper niemals jemand ganz nackt gezeigt ...

So berichtet sie. Ganz anders jedoch der berühmte Maler Guillaumet, der mir über seine Bekanntschaft mit Mata Hari einen Brief schrieb. Danach ist diese Geschichte vom verstümmelten Busen nur eine Legende, die eine natürlichere und mit weniger Leidenschaft durchtränkte Tatsache verbergen sollte.

Mit Erlaubnis des Schreibers veröffentliche ich hier den Brief:

»Zu einer Zeit, die ich kaum noch genau nennen, die man aber doch ungefähr feststellen könnte, denn sie fiel ziemlich zusammen mit der Premiere der ›Messalina‹ von Moreau und Isidore de Lara in der Gaîté (also etwa in den Jahren 1905–1906), stellte sich in meinem Atelier eine Frau vor mit den Worten:

– Ich möchte Modell stehen.

– Gut, antwortete ich, zeigen Sie mir Ihren Körper.

– O nein, nur für den Kopf. Ich bin die Witwe eines in Indien gestorbenen Hauptmanns; ich habe zwei Söhne und besitze nicht die Mittel, sie zu erziehen. Ich heiße Frau Mac Leod.

– Da Sie hübsch sind, wird es Ihnen nicht schwer fallen, auch als Kopfmodell Beschäftigung zu finden; aber man würde Sie natürlich viel besser bezahlen, wenn Sie sich zum Aktstehen entschließen könnten, denn, soviel ich sehe, müssen Sie sehr gut gebaut sein. Doch ich will nicht in Sie dringen.

Darauf fing Frau Mac Leod an zu klagen, das wäre ein zu großes Opfer für sie und eine zu schreckliche Zumutung für ihr Schamgefühl, es wäre eine Beleidigung für den klingenden Namen, den sie trug usw. Als ich darauf erwiderte, sie möge das halten wie sie wollte, entkleidete sie sich plötzlich schleunigst.

Und nun sah ich im reinen Atelierlicht ihre schönen Schultern, ihre schönen Arme, ihre über alle Maßen schönen Beine. Aber, um Gottes willen, was für eine welke Brust! ... Ihre Hüften waren breit wie die eines Pferdes, ihr Leib reichlich unkeusch, aber das Schlimmste blieb doch diese schlaffe Brust ... (Das hat mir erklärt, warum sie dann immer zwei Metallschalen an einer Kette um den Hals trug.)

Höflich, allerdings ohne meine Enttäuschung völlig verbergen zu können, riet ich ihr, es wäre für sie tatsächlich vorteilhafter, wenn sie sich nur als Kopfmodell vermietete. Diese Worte riefen einen Nervenanfall hervor. Ihr Schamgefühl derart bloßgestellt zu haben, war für sie ein unerträglicher Gedanke. Meine Frau eilte ihr zu Hilfe, rieb ihr die Schläfe mit Kölnisch Wasser ein und hielt ihr ein Riechfläschchen unter die Nase. Ich nahm sie als Modell für ein Plakat zu ›Messalina‹. Dann schickte ich sie meinem Freunde, dem Maler Assire, der lange Zeit mit ihr Gesicht- und Kostümstudien arbeitete. Sie erzählte ihm ganz merkwürdige Dinge, die er Ihnen gern mitteilen wird; ich vermag nichts weiter über sie zu sagen.«

 

Dr. Bizard's Bericht über die Exekution Mata Haris

Der ergreifende Bericht des Dr. Bizard (er war der Kollege von Dr. Bralez im Gefängnis von Saint-Lazare) über die Hinrichtung Mata Haris hat folgenden Schluß:

– Der inzwischen verstorbene Direktor Estach flüstert mir zu: »Man ergreift die letzten Maßnahmen ...«

Alle Anwesenden sprechen leise und sind bleich.

Plötzlich fährt eine kräftige Stimme dazwischen. Ein Hauptmann sagt: Es ist Zeit, meine Herren, wir müssen hinaufgehen.

Hastig drängt die Menge hinter ihm her und ballt sich zu beiden Seiten des Tores, um den Zugang zum Inneren des Gefängnisses frei zu lassen.

Eine äußerst vornehme Erscheinung, der Oberst der Garde, Semprou, der mit unantastbarer Sachlichkeit und Ansehen die Verhandlungen vor dem Kriegsgericht geführt hat, befiehlt, als er dieses Andrangs gewahr wird, kurz und streng, daß nur die wenigen bevollmächtigten Personen zur Gefängniszelle hinaufsteigen dürfen; alle anderen werden unten warten, er selbst gebe das Beispiel hierfür.

In diesem Augenblick dringt ein kleiner Greis, kein anderer als Clunet, bis zum Hauptmann vor und interpelliert ihn mit zitternder Stimme: – Entschuldigen Sie, Hauptmann, ich fühle nicht den Mut, hinaufzugehen; aber bitte sagen Sie ihr, ich sei in der Nähe; sie könne versichert sein, ich werde sie bis zum Ende nicht aufgeben. –

– Ich bin nicht Ihr Vermittler, Herr Rechtsanwalt, antwortet hart der Offizier; was Sie dieser Frau zu sagen haben, das müssen Sie selbst tun. – Darauf folgt der Advokat mit schlotternden Beinen dem kleinen Zuge.

Man kommt zunächst in die Kanzlei des ersten Stocks; sie hat den Beinamen »die Brücke von Avignon«; hier muß jeder vorüber, der die weitverzweigten Räume von Saint-Lazare betreten will.

Dann muß man über einen langen Korridor gehen; eine offene Gasflamme verbreitet schwaches Licht; um jedes Geräusch, das der Verurteilten Verdacht einflößen könnte, zu ersticken, haben die guten Schwestern Teppiche und Matten unter unseren Füßen ausgebreitet.

Schwester Léonide öffnet die Zelle; der Offizier fragt beim Anblick der drei Frauen in ihren Betten: – Welche? – Die in der Mitte, antwortet die Nonne.

Mata Hari, die auf meine Veranlassung am Abend vorher die doppelte Dosis Chloral genommen hatte, schläft fest; die beiden Mitinhaftierten haben begriffen und springen schluchzend aus ihrem Bett.

Die Schwester, die den Nachtdienst hat, kniet und betet; ihr Wachsgesicht ist von dem flackernden Schein einer Nachtlampe beleuchtet.

Der Hauptmann rüttelt die Verurteilte wach; sie reißt die Augen auf, versucht zu sprechen; sie richtet sich zum Sitzen auf, indem sie sich auf ihre rückwärts eingestemmten Fäuste stützt; in dieser Stellung hört sie den Offizier an, der in festem Ton, wenn auch nicht ohne Erregung, zu sprechen beginnt: – Zelle, zeigen Sie Mut, der Präsident der Republik hat Ihr Gnadengesuch verworfen, Ihre letzte Stunde ist gekommen. –

Eine tiefe Stille tritt ein. Im Halbschatten sieht man nur zwei funkelnde Augen.

Mit zunächst matter Stimme, die aber schnell erstarkt, wiederholt Mata Hari mindestens zehnmal: Das ist unmöglich, das ist unmöglich!

Schnell gewinnt sie ihre Fassung wieder; Schwester Leonide bemüht sich um sie, beugt sich zu ihr herab, ermutigt sie. Mata antwortet:

– Fürchten Sie nichts, liebe Schwester, ich kann sterben, ohne schwach zu werden, Sie sollen einen schönen Tod sehen. –

Ich biete ihr zur Stärkung Riechsalz an. – Danke, lieber Doktor, sagt sie, Sie sehen, ich brauche es nicht. – Dagegen nimmt sie ein Glas Grog an, das ihr Dr. Bralez reicht. Dann beginnt sie sich anzukleiden oder vielmehr sie läßt es zu, daß man sie ankleidet, wobei die meisten Anwesenden rücksichtsvoll hinausgehen.

Ich bleibe in der Nähe; sie liegt noch im Bett; man reicht ihr die Kleidungsstücke; ihr Hemd, nicht aus grober Leinwand, wie man behauptet hat, sondern aus dem Bestand ihrer eigenen Leibwäsche, die man ihr belassen, hebt sich bei einer Bewegung und entblößt ihren Körper. Eine Nonne will sich deckend vor sie stellen: – Oh, lassen Sie nur, liebe Schwester, die Scham hat in diesem Augenblick hier nichts mehr zu suchen – sagt sie ablehnend.

Nach und nach nimmt Mata Haris Gesicht einen harten und zornigen Ausdruck an; während man fortfährt sie anzukleiden, hält sie andauernd Selbstgespräche: – Diese Franzosen! ... Wenn ich nur wüßte, was es ihnen nützen soll, mich aus der Welt zu schaffen ... Wenn sie damit wenigstens den Krieg gewinnen könnten! ... Nun, sie werden ja sehen! ... Darum also habe ich mich ihretwegen so abgemüht ... ich, die ich gar nicht Französin bin ...

– Liebe Schwester, bitte, geben Sie mir mein wärmstes Kleid, ich fühle, es ist heute morgen recht kalt. Geben Sie mir auch meine hübschen, kleinen Schuhe; gut beschuht zu sein, dafür habe ich immer gesorgt. Während dieses Gespräches pudert sich die Tänzerin in aller Ruhe. Dann sagt sie plötzlich ernst: – Ich habe mit dem Pastor zu sprechen. –

Pastor Darboux nähert sich; er erbittet ein wenig Wasser; man füllt einen Gefangenenbecher, er nimmt ihn mit zitternder Hand. Auf seinen Wunsch läßt man ihn allein mit der Tänzerin. So empfing offenbar Mata Hari in extremis die Taufe.

Während diese höchst einfache Zeremonie vor sich geht, bleibe ich in Gesellschaft Clunets vor der Tür der Zelle.

– Ist es nicht ein Jammer, sagt der ehrwürdige Rechtsgelehrte, sehen zu müssen, wie man in der Blüte der Jahre solch eine Frau tötet: sie war doch eine starke Intelligenz; es wäre wahrlich besser gewesen, man hätte es verstanden, sich ihrer Fähigkeiten zum Nutzen unseres Landes zu bedienen, statt sie auf diese Weise zu beseitigen! –

In diesem Augenblick öffnet sich die Tür; der Pastor, die Augen voller Tränen, tritt heraus; stumm fordert er uns auf, wieder einzutreten.

Mata, kerzengerade, ohne Stütze, mit stolzer Miene, steht empfangsbereit in der Mitte des Zimmers. Sie trägt ein elegantes blaues Kostüm mit langer Jacke, weiß eingefaßt; auf dem Kopf bereits einen Hut mit breiter Krämpe und Straußfedern; in aller Ruhe zieht sie ihre Handschuhe an.

– Ich bin bereit, sagt sie mit Bestimmtheit, dann wendet sie sich zunächst an mich: – Ich danke Ihnen noch ein letztes Mal, lieber Doktor, für alle Ihre Mühe und Fürsorge. – Dann an Schwester Leonide: – Ich bin viel gereist, liebe Schwester; nun also, diesmal trete ich meine letzte Reise an. Ich fahre nach dem großen Bahnhof, der keine Rückkehr kennt ... Liebe kleine Mutter, sehen Sie mich an und tun Sie wie ich, weinen Sie nicht! –

Ein Offizier nähert sich ihr und fragt sie, wie das Gesetz es verlangt, ob sie noch etwas zu sagen habe.

– Nichts, versetzt sie trocken – und wenn dem so wäre, würde ich, wie Sie sich wohl denken können, es für mich behalten.

Das Gesetz verlangt ferner, daß man ihr noch eine andere letzte Frage stellt, nämlich, ob sie Ursache hätte, sich schwanger zu glauben. – »Oh, durchaus nicht,« antwortet sie fast lächelnd. »Ich bedaure.« – Im Code penal, Buch I, Kapitel I, Artikel 27, liest man: »Wenn eine zum Tode verurteilte Frau erklärt und es sich als wahr erweist, daß sie schwanger ist, darf sie der Strafe erst nach ihrer Entbindung verfallen.« Irgendwo wird übrigens berichtet, Matas Advokat habe auf dem Richtplatz im letzten Augenblick diesen Artikel angerufen. In dieser Form ist die Episode reine Erfindung.

Darauf tritt sie hinaus auf den langen Korridor und scheint den kleinen Zug, der sie umgibt und ihr folgt, zu führen.

Da glaubt der Oberwärter plötzlich sich auf sie stürzen zu müssen. Schon will er sie am Arm packen. Aber mit einem Ruck stößt sie ihn zurück und fährt ihn barsch an: – Lassen Sie mich los, rühren Sie mich nicht an, ich dulde es nicht; beachten Sie wohl, ich bin keine Diebin; ... was fällt Ihnen ein! ... – Auf der Stelle gehorcht der Oberwärter. – Meine liebe Mutter, bitte, reichen Sie mir Ihren Arm und verlassen Sie mich nicht. –

– Ich reichte ihr meinen Arm und hielt ihre Hand krampfhaft fest. Ich umklammerte sie mit aller Kraft, weil ich Angst hatte, sie könnte im letzten Augenblick noch irgendeine Dummheit begehen. So erzählte mir später Schwester Léonide.

Wir steigen die Treppe herab und sehen die Eingangstür halb geöffnet. Dort stehen für gewöhnlich ein paar friedliche Wächter. Jetzt gewahrt man draußen die Menge. Die Tänzerin lächelt: – Nein, so viele Leute! Was für ein Erfolg! – Gelassen durchquert sie den Gang und betritt die Kanzlei, wo die letzte Eintragung, das Ende ihrer Haft bezeichnend, vorgenommen wird. Zelle, Margarethe Gertrud, genannt Mata Hari, wird in die Hände der Militärgewalt zurückgegeben, um in Vincennes mit dem Tode bestraft zu werden. Die Strafe lautet auf Erschießen.

Jetzt bittet sie noch ein paar Briefe schreiben zu dürfen. Man gewährt ihr diese Gunst. Mata Hari streift ihren rechten Handschuh ab und schreibt mit ihrer bekannten großen ruhigen Schrift gelassen drei Briefe, setzt die Adressen auf die Umschläge und übergibt sie dem Direktor. Lächelnd fügt sie hinzu: – Geben Sie acht, daß Sie die Adressen nicht verwechseln. Das gäbe eine schöne Geschichte! –

Während dieser zehn Minuten halte ich mich kaum einen Meter von ihr entfernt und spähe nach irgendeinem Zug von Schwäche, aber ich entdeckte keine Spur davon.

– Ich bin fertig, sagt sie. Die Gendarmen nehmen die Gefangene in ihre Mitte und bringen sie an den Wagen; außer ihnen steigen noch Schwester Léonide und der Pastor ein.

Während der Fahrt ist der Pastor so bewegt, daß er kaum sprechen kann.

Mata Hari nimmt Abschied und wiederholt: – Nun fahre ich also nach dem großen Bahnhof, der keine Rückkehr kennt. Und sie fügt hinzu: – Oh, diese Franzosen! –

Schwester Léonide ermahnt sie zum Verzicht und zum Verzeihen. – Im Augenblick, wo man vor Gott erscheinen soll – sagt die Nonne – darf man gegen niemand Gefühle des Hasses hegen. – Aber den Franzosen kann ich nicht verzeihen – antwortet Mata. – Doch, meine Tochter, du mußt es. – Wenn Sie es wünschen, gut, ich will verzeihen – antwortet jetzt leise Mata Hari.

Der Wagen hat Vincennes erreicht. Die Exekution ist auf sechseinviertel Uhr festgesetzt; der Tag beginnt kaum zu dämmern.

Die Truppen sind in drei Reihen aufgestellt und als der Wagen am äußersten Ende des Karrees, gegenüber dem Pflock, hält, schmettern sie eine Fanfare.

Dann herrscht eindrucksvolles Schweigen. Mata Hari steigt aus dem Wagen, reicht Schwester Léonide die Hand, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein und faßt sie unter den Arm. Von den Gendarmen begleitet, gehen die mit lauter Stimme betende Nonne und die dem Tod Verfallene langsam über den Platz.

Am Pflock angekommen, macht Mata Hari mit einem Ruck sich von der Schwester frei. – Umarmen Sie mich und lassen Sie mich jetzt allein; treten Sie auf die rechte Seite. Dorthin werde ich schauen. Leben Sie wohl! –

Während ein Offizier das Urteil verliest, hat die Tänzerin sich selbst an den Pflock gestellt. Als man ihr die Augen verbinden will, weist sie dieses Ansinnen mit Entschiedenheit zurück. Auch gestattet sie nicht, daß man den Strick um ihre Hüfte, der sie am Pflock befestigen soll, zusammenknüpft ...

Das Exekutionspeloton besteht aus zwölf Jägern zu Fuß. Aus vier Soldaten, vier Korporalen, vier Unteroffizieren. Sie stehen zehn Meter von ihr entfernt ... Mata Hari lächelt noch der knienden Schwester Léonide zu und winkt zum Abschied.

Der das Kommando führende Offizier hebt den Degen, die Schüsse krachen laut, es folgt leiser der vorgeschriebene Gnadenschuß, und die tote Tänzerin bricht mit dem Kopf vornüber zusammen, eine schlaffe blutüberströmte Masse.

Mit klingendem Spiel defilieren die Truppen vor der Leiche; nur ein kleiner Soldat, der während der Hinrichtung gerade vor mir stand, kann nicht mittun. Ich mußte ihn ohnmächtig auf den Rasen legen.

Ein Munitionswagen fährt heran; zwei Trainsoldaten heben eine aus Fichtenstämmen roh gezimmerte Bahre herunter, worauf sie den bereits erkalteten Körper legen. Nach einer Scheinbestattung wird er der Anatomie überwiesen.

Mata Haris letzte Worte

Hiermit veröffentliche ich einen bisher unbekannten Bericht über Mata Haris Tod. Auch er stammt von einem Augenzeugen, nämlich von dem Oberleutnant aus dem 26. Jägerbataillon, der das Hinrichtungspeloton kommandierte.

– Ich tat Tagesdienst beim Zuavenbataillon im Fort Rosny-sous-Bois, Sonntag den 14. Oktober, als mich der Platzkommandant von Vincennes telephonisch anrief, um mich zu benachrichtigen, ich möchte mich bereithalten, Montag den 15. Oktober frühmorgens ein Exekutionspeloton zu kommandieren. Er schärfte mir ein, ich hätte absolut sichere, vertrauenswürdige Leute zu wählen in Anbetracht ganz besonderer Umstände. Nähere Erklärungen gab er mir nicht, aber ich begriff sofort, daß es sich um Mata Hari handelte. Eine gewisse Unruhe beschlich mich, denn bei einer Frau konnte man allerhand erwarten, Tränen, Schreie, Widerstand, vielleicht sogar einen Nervenschock. Ich sammelte zwölf Zuavenunteroffiziere, die sämtlich an der Front gekämpft hatten. Nur vier davon durften die Abzeichen ihres Ranges tragen, die zweiten vier durften sich Korporalslitzen an den Mantel heften, die letzten vier mußten die Litzen abtun. So verlangte es die Vorschrift, wonach das Peloton sich zusammensetzen muß aus vier Unteroffizieren, vier Korporalen, vier Gemeinen.

Das Spalier setzte sich zusammen aus Dragonern, Artillerie von Vincennes und einem Linienregiment der Pariser Garnison.

Meine Befürchtungen vom Tage vorher zerstreuten sich, als ich Mata Hari erscheinen sah. Ihr Auftreten zwischen den beiden sie begleitenden Nonnen war von unglaublichem Stolz und, fast möchte ich sagen, ein wenig theatralisch. Sie umarmte ihren Verteidiger und schickte, während sie das Truppenkarree durchschritt, viele Abschiedskußhände nach der Richtung, wo zahlreiche offizielle Persönlichkeiten standen.

Sie ließ sich übrigens ziemlich oberflächlich an den Pflock binden von den Gendarmen, denen dieses Geschäft oblag. Als aber ein kleiner Jäger zu Fuß sich ihr näherte, um ihr die Augen zu verbinden, wies sie das mit Heftigkeit zurück.

Im Augenblick, wo ich meinen Degen hob, um Feuer zu kommandieren, sah sie mir fest ins Auge und sagte: – Ich danke Ihnen, mein Herr. –

Elf Kugeln hatten getroffen. Der Dragonerunteroffizier, an den der Befehl ergangen war, die zwölfte Kugel zu feuern, den Gnadenstoß zu versetzen, konnte seinen Flintenlauf nur gegen die Schläfe einer Toten richten. –

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