Georg Simmel

Moltke als Stilist

Abseits der großen Straße, auf der heute die Geister ganz Deutschlands wallfahren, um seinem größten Feldherrn den Tribut der Verehrung darzubringen, liegt ein engerer Pfad; eine kleine Schaar schreitet auf ihm hin, die mit ihrer bewundernden Dankbarkeit nicht nur den großen Feldherrn, sondern auch den großen Schriftsteller Moltke sucht, der vor dem überragenden Bilde Jenes für die Augen der Menge bisher fast verschwunden ist. Wie der Feldherr ein Mehrer des Reichs war, so kann der Schriftsteller ein Lehrer des Reichs sein, an dem die stilistische Anarchie des heutigen Deutschlands, die Zerfahrenheit und Launenhaftigkeit der Sprache, die als genial und interessant gilt, so viel zu lernen hätte, wie ein verschrobener Barockkünstler von der edlen Ruhe und Kraft einer griechischen Statue.

Ob es wahr ist, daß der Stil der Mensch ist? Für unser papierenes Zeitalter oft deshalb nicht, weil auch der Aermste von den Meistern und Mustern des Stils für die eigene Armuth wenigstens das Gewand des Reichthums borgen kann; für Moltke vielleicht nicht, weil er größer ist als sein Stil – aber das zeigt nur, wie groß, wie alle einzelne Bethätigung überragend das Ganze dieser Persönlichkeit ist. Ich will hier nicht von der Fülle von Aufklärungen sprechen, die seine Schriften enthalten, die uns z.B. über gewisse Theile der vorderasiatischen Geographie ganz neue Vorstellungen gebracht haben; nicht von der erstaunlichen Kenntniß wissenschaftlicher Gebiete, mag es sich nun um römische Geschichte oder um Geologie handeln, ganz zu geschweigen von der Zahl der Wissenschaften, die sich in der Strategie treffen; nicht von dem selbstständigen und feinsinnigen Unheil, mit dem er den schwierigsten Persönlichkeiten, wie etwa Louis Napoleon oder dem Sultan Mahmud II., aber auch den ästhetischen Fragen der Architektur gegenübersteht; ich spreche nur von der Form, in welche diese werthvollen Inhalte sich kleiden – denn wenn er Meister ist in dem, was er sagt, so ist er nicht weniger Meister darin, wie er es sagt. Aber nichts so Aeußerliches ist ihm doch der Ausdruck, wie das Gewand dem Körper ist, sondern vielmehr von so tiefen Beziehungen, wie der Körper sie zur Seele hat. Denn das ist das Meistergeheimnis seines Stiles, daß das Gesagte sich aufs Genaueste mit dem zu Sagenden deckt. Von allen Anforderungen an den Schriftsteller ist zwar diese, selbstverständlich klingende, die zuerst gestellte aber die zuletzt erfüllte; und ich wüßte keinen Autor in irgend einer Literatur, der sie vollständiger erfüllte, als Moltke. Nirgends ist bei ihm jenes Hinausragen des Ausdrucks über den Inhalt zu bemerken, durch das die Künstler des Worts so oft den Schein eines vollendeten Stils erregen, bis die zurückbleibende Leere im Kopfe des Lesers sie verräth; nirgends auch umgekehrt das Ueberhängen des Sinnes über das Wort, durch das der Gelehrte häufig seinen Gedanken die künstlerische Form entzieht. Er verfügt über den Stil, in dem Kraft und Weichheit sich durchdringen, und der dem Auge schon jenen Wohlklang vorklingen läßt, den er beim Anhören dem Ohre bietet; ich wähle zu seiner Kenntlichmachung einige Absätze aus einem Werke über die Umgebungen Roms, das Moltke im Jahre 1846 begann, aber unvollendet lassen mußte: »Geschichtliche Begebenheiten gewinnen einen eigenthümlichen Reiz, wenn wir die Oertlichkeit kennen, wo sie sich zutrugen. In den lebendigsten Farben treten sie Dem vor die Seele, welcher sich auf ihrem eigentlichen Schauplatz befindet, und wie wir einen regeren Antheil nehmen an den Schicksalen eines Mannes, dessen Gesichtszüge wir kennen, ebenso prägen sich dem Gedächtniß die Vorgänge tiefer ein, deren räumliche Bedingungen wir anschauten. Geschichte und Ortskunde ergänzen sich wie die Begriffe von Zeit und Raum. Die Oertlichkeit ist das von einer längst vergangenen Begebenheit übrig gebliebene Stück Wirklichkeit. Sie ist sehr oft der fossile Knochenrest, aus dem das Gerippe der Begebenheit sich herstellen läßt, und das Bild, welches die Geschichte in halb verwischten Zügen überliefert, tritt durch sie in klarer Anschauung hervor.

Jahrtausende freilich, welche die festesten Bauten umstürzen, gehen nicht spurlos vorüber an der größten aller Ruinen, der Muttererde. Der Anbau glättet ihre Oberfläche aus, Wälder verschwinden, Bäche versiegen und tarpejische Felsen ebnen sich zu sanfteren Hängen ab. Aber dies Alles ändert, wir möchten sagen, nur die Hautfarbe der Alma mater, ohne ihre Gesichtszüge unkenntlich zu machen. Wo die Naturkräfte gewaltsam mitwirkten, wo Vulkane und Erdbeben, Ueberschwemmungen und Versumpfungen in geschichtlicher Zeit den Boden umwandelten, da geschah es doch nur auf beschränktem und wohl bekanntem Gebiet. Von vielen Gegenden darf man aber behaupten, daß sie seit Jahrtausenden wirklich unverändert geblieben sind. Das Meer in der steten Wandelbarkeit seiner Wogen stellt sich uns in derselben großartigen Einfachheit dar, wie einst den Argonauten. Der Beduine tränkt seine Rosse und Kameele noch an den nämlichen Quellen und weidet seine Heerden auf denselben grünen Flächen, wie Abraham und Muhamed. Die mit Basalttrümmern überschütteten Ebenen am mittleren Euphrat bieten dem heutigen Wanderer eben den trostlosen Anblick dar, wie den Grenzwächtern des römischen Reichs, und viele der Thäler um Jerusalem zeigen sich unserem Blick gewiß gerade so, wie sie dem Erlöser erschienen, als er noch auf Erden wandelte.«

Es liegt nahe, an eine enge Beziehung solcher Leistungen zu der hauptsächlichen Thätigkeit Moltkes zu denken; wie seine Größe als Feldherr darauf beruht, daß er in völliger Freiheit von jeder hergebrachten Formel und jedem Thema seine Entschlüsse mit wunderbarer Biegsamkeit der stets wechselnden, nie voraus zu berechnenden Lage anpaßt, so weiß seine Schreibart, frei von jeder Schablone, von deren Bann sonst kaum einer ganz unabhängig ist, den Ausdruck zur genau-esten Deckung mit jeder Forderung der Sache, jeder Abschattung des Gedankens zu bringen; wenn er den Grundsatz: getrennt marschiren, vereint schlagen – zu seiner höchsten Entwicklung gebracht hat, so bietet seine schriftstellerische Darstellungsweise gleichsam ein Abbild davon, indem sie von verschiedenen von einander unabhängigen Seiten sich dem Gegenstande nähert, bis dann auf einmal alle diese Strahlen, sich einheitlich zusammenschließend, uns das Bild der Sache vor Augen stellen; und wie die Strategie eigentlich eine Wissenschaft ist, die die Erfolge bestimmter Maßnahmen zu berechnen sucht, schließlich aber sich doch als Kunst darstellt, weil allein das persönliche Genie die richtige Anwendung der strategischen Normen bewirken und verbürgen kann: so ist, was Moltke schreibt, zwar dem Inhalte nach Wissenschaft, wahrend sich das Ganze dann doch als künstlerische Leistung giebt, weil nur die höchste Stilkunst dem wissenschaftlichen Gedanken diese Erscheinung sichern kann. Aber es ist überflüssig, von der einen Bethätigung einer solchen Persönlichkeit das Verständniß für die andere zu borgen; beide vielmehr quellen aus dem Urgrund einer unerschöpflichen Kraft, die nach jeder Wegerichtung hin, die sie einschlägt, an das letzterreichbare Ziel gelangt.

Wie es in der Natur nur eine große Kraftsumme ist, aus der all ihre mannigfaltigen Formen und Bewegungen hervorgehen, so hat man bei einem wahrhaft großen Menschen den Eindruck, als sei die Fülle seiner Leistungen nur wechselnde Form, darin eine einheitliche Kraft sich ausgestaltet, und als gäbe es keine menschliche Thätigkeit, in deren Gestalt diese Kraft sich nicht kleiden könnte.

Eine ruhige Größe bezeichnet auch auf dem schriftstellerischen Gebiet Alles, was er schafft; völlig fremd ist ihm die Geistreichheit, die ihren Erfolg im Spiel der Wörter statt im Ernst der Gedanken sucht und dem Leser statt der Wahrheit des Gesagten nur den Geist dessen, der es sagt, recht zum Bewußtsein bringen will. Die Schlichtheit seines Wesens, die Folge von der völligen Hingabe seiner Person an die Leistung, und die stille Sicherheit, mit der das Vorgenommene vollendet wird, spiegeln sich unmittelbar in der stilistischen Form seiner Schriften. Durch diese Gleichmäßigkeit vollendeter Schöpfungen auf so entgegengesetzten Gebieten bildet er eine gewaltige Mahnung in unserer Zeit des Spezialistenthums, in der die Hingabe an eine Thätigkeit jede andere auszuschließen pflegt, einen unwiderleglichen Beweis, daß die Verbohrung in ein einseitiges Fach keineswegs die Bedingung der großen Leistung ist. Es scheint fast, als ob in der Verbindung von Schwert und Feder gerade für solche Geister ein besonderer Reiz läge, die hoch genug stehen, um die Gesammtheit menschlicher Bethätigung von den entgegengesetzten Polen her zu umfassen; ich brauche nur an Cäsar und Friedrich den Großen zu erinnern.

So erst vollendet sich das Bild seiner Persönlichkeit, so erst stellt er sich als einer jener Aus erwählten dar, denen es gelingt, »die letzten Enden aller Dinge zusammenzuknüpfen«. Denn so groß er wäre, wenn er nur Stratege oder nur Schriftsteller wäre – das Wunderbarste, das gleichsam noch über der Summe beider steht, liegt gerade darin, daß er beides ist. Man soll nicht von einem einzigen Gebiete des Thuns auf den ganzen Menschen schließen, sondern wie ein Punkt in der Meßkunst erst dadurch bestimmt wird, daß mehrere Linien in ihm sich treffen, so wird der Mensch erst aus der Mehrheit seiner Leistungen recht erkennbar, in deren Kreuzungspunkte er steht. Erst wenn wir den Feldherrn auch von der Seite kennen, die uns hier zu kennen vergönnt ist, verstehen wir ganz diesen seltenen Menschen, der in den Schriften, die er schreibt, denselben hohen, klaren und vornehmen Stil zeigt, wie in dem Leben, das er lebt.

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