Kilchberg und sein Vetter.

1899.

Kilchberg und sein Vetter Martin waren in derselben Stadt geboren und wuchsen dort zusammen auf. Frühzeitig ward der Freundschaftsbund der Beiden geschlossen, die ihr Leben in fortwährender Beziehung aufeinander verbringen sollten. Es war noch mehr eine Wahl- als eine Blutsverwandtschaft, obwohl Kilchberg und sein Vetter so vervettert waren, wie es selten vorkommt. Sie waren die Söhne von Zwillingsschwestern, die am gleichen Tage die Zwillingsbrüder Kilchberg die Aelteren geheiratet hatten.

Die beiden Jungen, Kilchberg und sein Vetter Martin, hatten also Alles gemeinsam, Blut und Namen, Jugend und Erziehung. Sie gingen zusammen in die Schule oder daneben; Einer stieg nicht ohne den Andern über Nachbars Zaun, wenn die Aepfel im Laube lachten und gestohlen sein wollten, und Alles teilten sie brüderlich. Man nannte sie schon früh die Zwillingsvettern. Als Kilchberg die erste Zigarre bei den großen Steinhaufen vor der Stadt rauchte, hielt Martin ihm den Kopf. Als Martin seine erste Liebe liebte, erwies ihm Kilchberg einen ähnlichen Dienst, denn er ließ sich Martins Gedichte vorlesen. Die Sympathie der Jünglingsjahre erreichte den Höhepunkt, als Kilchberg mit seinem Vetter zugleich durch das Abiturienten-Examen fiel. Die Legende wollte wissen, daß Einer von den Beiden sich dem Andern bei dieser Gelegenheit aus Freundschaft geopfert habe. Kilchbergs Vater war bei der schrecklichen Kunde schmerzerfüllt zu Martins Vater gelaufen und hatte diesem jammernd gesagt: »Denke Dir, mein Sohn ist durchgefallen!« Worauf der Andere entgegnete: »Tröste Dich, meiner auch!«

Welcher von beiden aus Großmut eine ungenügende Prüfung abgelegt hatte, das konnte nie mit voller historischer Verläßlichkeit klargestellt werden. In der böswilligen Ecke der Familie – bekanntlich gibt es in jeder Familie eine böswillige Ecke, und manche besteht überhaupt nur aus solchen Ecken – wurde diese Opferungsgeschichte zwar für eine sinnreiche Fabel erklärt; aber den Vätern war es doch ein anhaltender Trost, daß der Bruderssohn auch nicht mehr tauge. Jeder ließ übrigens in Gespräche durchschimmern, daß sein Sprößling aus jugendlichem Zartgefühl den Vetter nicht habe beschämen wollen. Kilchberg und sein Vetter waren nun von weiterem Kopfzerbrechen befreit und durften sich dem kaufmännischen Berufe zuwenden. Der Bund litt natürlich keineswegs darunter. Anstatt den Thukydides mißzuverstehen, drangen sie selbander in die Geheimnisse der doppelten Buchführung ein und erlernten den Stil flotter Geschäftsbriefe, die man »mit Bezug auf Ihr Wertes vom sovielten« beginnt und »ohne Mehranlaß mit Achtung« schließt. Sie wurden zwei gediegene Schwengel, lebten sich rasch in die Routine hinein und wurden allmählich respektabel.

Ganz gleich waren sie allerdings nicht mehr. Kilchberg war der Bedeutendere von den Beiden. Er hatte kühnere Ideen, träumte auch zuerst davon, sich selbständig zu machen und die Stadt durch seine Unternehmungen in Staunen zu versetzen. Indessen war Martin der solidere Rechner, tat nie einen Fuß vor den andern, ohne sich vorher die Tragweite dieses Schrittes wohl überlegt zu haben. Aber sie harmonierten doch noch vollständig. Sie tauschten nach wie vor ihre sämtlichen Gedanken aus, die freilich immer mehr in Ziffern ausgedrückt waren. Es galt als ausgemacht, daß sie sich im geeigneten Zeitpunkte zusammen etablieren würden. Ueber die kommende Firma stritt man ein wenig. Martin war in seiner gemessenen Art für etwas Gewöhnliches und Unauffälliges. Beispielsweise: »Kilchberg & Comp.« Der Andere aber wünschte ein originelles Schild, wie »Kilchberg und Kilchberg«, oder vielleicht »Kilchberg und Vetter«. Gegen diesen letzteren Gedanken sprach sich Martin mit Heftigkeit aus, denn er witterte dahinter Kilchbergs Präpotenz; er, Martin, sollte wohl als Anhängsel, als stillerer Gesellschafter mitgeschleppt werden. Bei »Kilchberg und Kilchberg« blieb es wenigstens in der Schwebe, wer der Erste war. Bei »Kilchberg und Vetter« waren Zweifel möglich. Ueberhaupt hatte Kilchberg durch sein sicheres Auftreten in der Gesellschaft die Leute schon daran gewöhnt, daß man ihn, Martin, nur als den Herrn Martin oder Vetter Martin, oder gar nur als »den Vetter« kannte. Als ob er keinen eigenen Wert gehabt hätte und nur der Mond des leuchtenderen Kilchberg gewesen wäre. Aus den Gesellschaften und Weibern machte sich Martin nicht viel, obwohl er auch wie Kilchberg ans Heiraten dachte. Es kränkte ihn nicht übermäßig, wenn er auf Hausbällen und Picknicks nur der Vetter Martin war, es klang sogar gemütlicher. Aber im Geschäftsleben, nein! Da war er selbst Herr Kilchberg, mindestens so sehr wie der Andere, und da er einen solideren Zug als der Andere hatte, war es nicht ausgeschlossen, daß mit der Zeit in der Firma »Kilchberg & Comp.« Martin als der eigentliche Kilchberg gelten würde.

So standen die Dinge, als Kilchberg auf einem Tanzkränzchen die Tochter eines wohlhabenden Eisenfabrikanten kennen und das Geschäft ihres Vaters lieben lernte. Kilchberg wußte es so einzurichten, daß man ihn einlud, ins Haus zu kommen. Kilchberg war kein schöner Mann, aber er trug immer herrliche Krawatten, so daß die holde Jungfrau sich in aller Stille ausrechnete, er würde auch ihr an der Toilette nichts absparen. Dann stellte sie sich vor, wie es wäre, wenn man sie Frau Kilchberg nennte. Auf diese Art verliebte sie sich in ihn. Ihr Vater wollte jedoch den jungen Mann vorher »auskosten«, wie er sagte. Kilchberg müsse sich selbständig zeigen, und zu diesem Behufe vertraute er ihm eine Niederlage seiner industriellen Erzeugnisse an; zuerst das Eisen von seinem Eisen, bevor an das Fleisch von seinem Fleisch gedacht werden konnte.

Kilchberg war großmütig genug, seinen Vetter in den eisernen Teil der Kombination mit einbeziehen zu wollen. Es spielte dabei allerdings auch die Erwägung mit, daß der Vetter durch seine Tüchtigkeit dem Geschäfte den inneren Halt geben würde und er, der größere Kilchberg, frei bliebe für die Repräsentation nach Außen und den Aufflug zu Unternehmungen. Der bornierte Vetter erhob aber Schwierigkeiten. Martin empfand es ohnehin als eine Demütigung des Schicksals, daß ihm noch keine wohlhabende Jungfrau gelächelt hatte. Nun sollte er in die Firma »Kilchberg und Vetter« als zweiter Mann, als Vetter für Lebenszeit eintreten. Dagegen bäumte sich sein Stolz auf. Zugeständnisse wollte Kilchberg in dieser Frage nicht machen. Wem gehörte das eiserne Mädchen, auf das die Niederlage sozusagen gegründet wurde? Ihm! Nun also. Von einer vollkommenen Gleichberechtigung konnte doch unter diesen Umständen nicht mehr die Rede sein. Es geht im Leben nicht anders. Der Eine ist mehr und hat mehr, als der Andere. Darin muß man sich finden und in eine so vetterlich, ja brüderlich hingehaltene Hand einschlagen.

»Ich will aber von Deiner Großmut nichts wissen«, schrie Martin, in dem ein Vorgefühl des Klassenunterschiedes zu rumoren begann. »Gleich und Gleich oder gar nicht!«

»Lieber Martin«, bemerkte Kilchberg darauf mit Ueberlegenheit, »Gleich und Gleich gibt es in der Welt nicht. Denn nicht einmal wir, die wir von gleichen Eltern abstammen und dieselben Erinnerungen, Anschauungen und Wünsche haben, sind oder können jemals gleich sein. Aus dem Unterschied unserer Anlagen erwächst eine Verschiedenheit unserer Verhältnisse. Das wirst Du gütigst nicht leugnen wollen, denn es drückt sich in etwas aus, wovor Du ebensoviel Respekt hast wie ich selbst: in Ziffern.«

Martin entgegnete bitter: »Du sprichst schon in Deiner Eigenschaft als Protz, obwohl das noch ziemlich verfrüht ist. Uebrigens erkenne ich daraus, welche Rolle Du mir zudenkst. Aber lieber will ich bei fremden Leuten dienen, als Dein Schleppträger werden, der Du nur der Mann Deiner Frau sein wirst.«

»Das nimmst Du zurück!« forderte Kilchberg.

Das nehme ich nicht zurück«, erklärte Martin, der froh war, ein verwundendes Wort gefunden zu haben, weil er seit der Geschichte mit der eisernen Dame innerlich von Neid ganz und gar zerfressen war.

»Dann kenne ich Dich nicht mehr«, sagte Kilchberg.

Und Martin schloß: »Recht so, Du behandelst mich schon als armen Verwandten.«

Sie kamen auseinander. Der Streit war nicht einmal besonders groß gewesen. Als Jungen hatten sie sich oft geprügelt, als Jünglinge einander nicht selten brüderlich beschimpft, als Männer manchen Hader gehabt. Immer war die Versöhnung leicht und bald erfolgt. Aber diesmal wollte das nicht kommen. Jeder wartete auf die Zerknirschung des Andern. Keiner machte den ersten Schritt. Kilchberg nicht, weil es ihm besser ging; sein Vetter nicht, weil es ihm schlechter ging. Kilchberg richtete sich ein und nahm, was Martin als Provokation, als unverzeihbare Bosheit ansah, einfach die Firma »Kilchberg« an. Kilchberg kurzweg, als ob es keinen zweiten Menschen dieses Namens gäbe. Und so war es auch in der Stadt. Man kannte nur noch einen Kilchberg. Gerade das, was Martin hatte vermeiden wollen, trat ein. Wer ihn überhaupt beachtete, sprach von ihm nur als dem Vetter des einzigen, des wirklichen Kilchberg. Und während dieser scheinbar mit raschen Schritten aufstieg, hoch lebte und seine eiserne Braut heimführte, mußte Martin sich kümmerlich durchfristen. So sah es wenigstens aus, weil er keine Lustbarkeit mitmachte, sich von Allem zurückzog und in ärmlichen Kleidern einherging.

Indessen kam auch der Vetter heimlich vorwärts. Jahr um Jahr legte er sich von seinem wachsenden Gehalte größere Ersparnisse zurück. Er hatte seinen festen Gedanken, den er um jeden Preis ausführen wollte. Rache wollte er nehmen. An wem, wofür? An Kilchberg, für dessen unverdientes, demütigendes Glück, für alle Kränkungen und Beschämungen, die nach und nach aus dem Unterschiede der Verhältnisse hervorgequollen waren. Denn kein Haß ist so inbrünstig, wie der von ärmeren Verwandten, selbst wenn man sie nicht durch Wohltaten aufs äußerste gereizt hat.

Fünf Jährchen mochten so vergangen sein, seit die Zwillingsvettern sich mit einander überworfen hatten. Da war Martin endlich mit seinen Spar- und Kriegsvorbereitungen fertig. Er stellte sich als Konkurrent seines Vetters auf und führte den Geschäftsnamen Martin Kilchberg auf dem Schilde. Martin unterstrichen, Martin überall nachdrücklich hervorgehoben, gleichsam als stille Verwahrung gegen jeden Versuch einer Verwechslung mit dem andern Kilchberg, den es übrigens um diese Zeit anfing, schlecht zu gehen. Er hatte es im Hausgebrauch zu groß getrieben, daneben vielerlei Verwegenes unternommen, war plötzlich in Stockung geraten und nur durch den Vater seiner Frau vor dem gänzlichen Zusammenbruche bewahrt worden. Aber mit dem Prestige des Hauses Kilchberg war es vorbei, während Martin Kilchbergs Stern sich erhob. Der Erste war nicht abgeneigt, in dieser zufälligen Folge eine ursächliche zu erblicken. Martin war schuld an seinem Niedergange, und wenn Kilchberg seinen beschränkten Vetter bisher nur aus der Höhe verachtet hatte, begann er ihn jetzt aus der Tiefe bitterlich zu hassen. Kamen sie an einander vorbei, so warfen sie sich Blicke wie vergiftete Dolche zu. Der Unterschied ihrer Verhältnisse mochte sie noch höhnischer ergrimmen, weil es jetzt der umgekehrte war. Kilchberg wurde zusehends ärmer, wie sein Vetter von Tag zu Tag reicher. In der Stadt aber ward es ein Sprichwort, wenn man Todfeindschaft zwischen zwei Leuten bezeichnen wollte: Sie hassen einander, wie Kilchberg und sein Vetter.

Da trat nach mehreren Jahren eine neue Wendung ein. Kilchbergs Schwiegervater starb und hinterließ ein unerwartet großes Vermögen, das er aus Furcht vor dem waghalsigen Unternehmungsgeiste seines Tochtermannes verheimlicht hatte. Nun hatte Kilchberg wieder Wasser auf der Mühle, und nun wollte er an seinem Vetter die langgenährte Rache nehmen. Nun sollte man in der Stadt sehen, wer der eigentliche Kilchberg war. Aber nicht mehr mit der Unvorsichtigkeit seiner jugendlichen Zeit ging er zu Werke, Kilchberg hatte aus seinem Auf- und Niederstiege gelernt. Er war unerschrocken geblieben, aber umsichtig geworden. Und es entbrannte ein mächtiger Wettkampf zwischen den zornerfüllten Geschwisterkindern. War Kilchberg bei aller Kühnheit besonnen geworden, so entwickelte sein zäher Vetter in sich einen ungeahnten Wagemut. Es war ein Ringen, wie man es in der Stadt, im Lande noch nie gesehen hatte. Die feindlichen Vettern bekriegten einander mit epischer Wucht. Die ganze Energie ihres Lebens war darauf gerichtet, den Nebenbuhler zu überwältigen. Schlau und rücksichtslos und rastlos gingen sie an die Arbeit. Keiner von ihnen kannte mehr eine Erholung oder Freude. Alle Kraft wurde in dem immer sinnloseren Wettstreit angespannt. Es kam davon ein neues Sprichwort in ihrem Kreise auf. Man sagte von verwilderten Mitbewerbern: sie machen einander Konkurrenz wie Kilchberg und sein Vetter.

Aber Keiner trug den Sieg davon, oder richtiger beide. Denn beide erstarkten in diesem Ringen, das sie zwang, den höchsten Scharfsinn, die letzte Willensmacht fort und fort aufzubieten. Sie wurden beide sehr reich, ja es war auch kein erheblicher Unterschied in ihrem Vermögen. Und sie wußten das, weil sie einander wie eifersüchtige Mächte auskundschafteten. Es gab eine Zeit, wo sie genau die gleiche Stufe einnahmen, im Ansehen, im Reichtum. Und wie es am Anfang ihres Lebens gewesen war, so wurde es wieder. Die Zwillingsvettern befanden sich in einer Zwillingslage, die Verhältnisse des Einen so glücklich wie die des Andern. Längst waren die Ursachen der Feindschaft hinweggeräumt. Keiner stand über dem Andern, Keiner brauchte den Andern zu beneiden. Der Augenblick zum Friedensschlusse schien endlich gekommen zu sein. Es bemühten sich auch viele der Freunde, an denen es reichen Leuten nicht fehlt, um die Aussöhnung der Geldmagnaten. Aber Kilchberg pflegte auf solche Vorschläge zu antworten: »Bis er zu mir betteln kommt!« Und sein Vetter: »Nicht bevor er zugrunde geht!«

Sie hatten die Gewohnheit angenommen, einander zu hassen, und sie haßten einander fort, über alle Wechselfälle des Schicksals hinweg. Es wäre darin auch niemals ein Wandel eingetreten ohne den letzten großen Streich Kilchbergs.

Kilchberg, der immer zum Gigantismus geneigt hatte, kam auf der Höhe seiner Erfolge, am Abend seines Lebens, auf den Gedanken, einen Ring der Produzenten nach amerikanischer Art zu schaffen. Kaum hatte sein Vetter davon erfahren, begann er, ihm mit aller Macht entgegenzuarbeiten. Jäh war das Gefecht im Gange. Was sie bisher streitend unternommen hatten, war Spiel und Tändelei gegen diesen Feldzug. Es war ein Feldzug, dessen Schilderung einer berufeneren Feder aus der Eisenbranche vorbehalten bleiben mag. Genug, der Eisenmarkt erzitterte unter den Stößen, die Kilchberg und sein Vetter einander versetzten. Martin hatte des Gegners Kräfte sorgsam berechnet, bevor er sich auf den Kampf einließ, und er war nahezu sicher, den Ring zu sprengen. Welcher Triumph! Doch nein, zum erstenmale in seinem Leben verrechnete sich der Vetter. Kilchberg hatte durch unbekannte Kombinationen plötzlich viel größere Mittel zur Verfügung, als angenommen werden konnte, und sein Vetter wurde gefangen, erdrückt. Er kämpfte, wie der Heldendichter sagen würde, mit Konkursverachtung; es half ihm nichts, er wurde vernichtet. Aber bald nach ihm nahm eine größere Macht den Kampf gegen Kilchbergs Ring auf, und nun unterlag auch dieser mit Schimpf und Schande. Kilchberg und sein Vetter waren Bettler. Da begab sich das Wunderbare. Niemand bemühte sich darum, die alten, deklassierten armen Feinde zusammenzubringen. Was konnte auch gleichgültiger sein, als ob sich Kilchberg und sein Vetter jetzt noch die leeren Hände reichten oder nicht. Und dennoch fanden sie sich wieder. Dies geschah, nachdem sie schon einige Zeit in der Armut verbracht hatten. Zuerst waren sie nämlich lichtscheu gewesen, wie alle gesunkenen Leute. Dann bemerkten sie, daß sich Keiner mehr um sie kümmerte. Da schlichen sie aus, verbrachten ihre beschäftigungslosen Tage als Gaffer vor Schaufenstern und mit anderen Unterhaltungen, die nichts kosten. So gerieten sie auch zufällig beide in eine Volksversammlung, in der stark von Brüderlichkeit die Rede war. Diese Worte gefielen ihnen gar wohl, und sie blickten einander aus der Entfernung wie auf ein Zeichen an, nicht mehr mit Haß, eher schüchtern und vorwurfsvoll. Beim Ausgang trafen sie zusammen, und sie gingen wie auf eine Verabredung Seite an Seite fort. Gingen ganz wortlos, denn sie hatten so lange nicht mit einander gesprochen, daß sie sich nichts zu sagen wußten. Sie fühlten nur, daß sie wieder gut waren, Freunde, mehr als Freunde, die Zwillingsvettern von ehemals.

Kilchberg, nach wie vor der Stärkere, begann mit einer Anspielung auf das eben in der Versammlung Gehörte:

»Der Redner sprach manches wahre Wort.«

»Ja wohl«, sagte Martin nachgiebig wie in der alten Zeit, »manches wahre Wort.«

»Wir sind Brüder, und wir sollten auch immer Brüder bleiben«, fuhr Kilchberg fort. »Bist Du nicht auch derselben Ansicht?«

»Ich bin ganz derselben Ansicht«, entgegnete sein Vetter ernst. »Aber – nimm es mir nicht übel – ich glaube, die richtige Brüderlichkeit haben wir nur dann, wenn wir nichts Anderes haben.«

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