Zweites Kapitel
Die Geheimrätin mit den spitzen Fingern.

Als die Seitentür aufging und die Geheimrätin Schwägerin hereinrauschte.

Rauschte, sage ich, denn ihr hellseidenes Kleid, obgleich die Schleppe abgeschnitten, bauschte noch immer in reichen Falten hinter ihr.

»Ich hoffe doch nicht zu derangieren«, sagte die Dame, als der Geheimrat in einiger Verlegenheit aufsprang und die Spanioldose auf die Erde fiel. Wenn Charlotte sich in Verlegenheit gefühlt, fand sie die Gelegenheit, sie zu verbergen, indem sie die Dose auflangte und mit dem zusammengefegten Tabak in der Schürze das Zimmer verließ.

»Wie kann meine teure Frau Schwägerin mich überraschen!« sagte der Überraschte.

»Die Überraschung ist nicht ganz meine Schuld, denn der Herr Schwager hörten in dem konfidentiellen Gespräch, was ich zu meinem Bedauern stören mußte, nicht mein Klopfen. Da mußte ich endlich, ohne auf die Invitation zu warten, eintreten, denn ich liebe nicht das Lauschen.«

Er drückte in verbindlicher Weise ihre Finger an die Lippen und führte sie auf das Kanapee.

Ob die Finger besonders spitz waren, kann ich für jetzt nicht sagen, denn sie waren in Trikothandschuhen versteckt, und während die eine Hand an den Lippen des Geheimrats ruhte, umfaßte die andere den Fächer, um das Spiel zu beginnen, was bei einer Konversation auf dem Kanapee notwendig ist.

Aber das ganze Gesicht war, was man spitz nennt. Vielleicht hätte man auch die kleine Gestalt der Dame so nennen mögen, indes war ein Etwas darin, entweder nenne ich es Anmut oder Elastizität, was diesen Eindruck verwischte. Alabasterarbeit, hätte ein Dichter oder Künstler gesagt, der erst der Hauch des Gedankens oder Gefühls Farbe und Bewegung gibt. Weder jung noch alt, weder schön noch eigentlich hübsch, konnten doch ihre dunkeln kleinen beweglichen Augen, wenn sie aus den blonden Augenbrauen besondere Blicke schossen, anziehen. Es war schwer zu sagen, wovon diese Blicke sprachen, ob von Verstand, Gefühl, Sinnlichkeit, ob sie stachen, suchten, lockten, ob sie aus einer beglückten oder zerrissenen Brust kamen. Sie konnten einen sehr verschiedenen Glanz annehmen, nur nicht den der ursprünglichen Wahrheit, jenen Glanz, der auf den ersten Blick einnimmt und überzeugt. Man sah in diesen Augen, daß sich die Gedanken und Gefühle erst sammeln mußten, um ihren Blicken den Ausdruck zu geben, den sie wollte. Es war überhaupt etwas Besonderes in der Frau; es lag in ihrem Wesen Ruhe und Unruhe. Man konnte sie in diesem Augenblick für sehr bedeutend, im nächsten für ein gewöhnliches Weib halten. Ihre Kleidung war einfach, aber gesucht; zwischen der zu Grabe getragenen Rokokomode und dem griechischen Ideal, das Mode geworden. Kurze, enganschmiegende Ärmel, ein weit ausgeschnittenes Kleid mit kurzer Taille, die eine rosaseidne Schärpe noch mehr hervorhob, aber ein Überwurf um die Schultern und die langen Handschuhe suchten die Entfaltung der griechischen Nacktheit wieder zu verbergen.

Der Geheimrat entschuldigte sich wegen seiner Toilette. Er hatte Ursach. Die Geheimrätin sagte lächelnd, sie hätte für dieses Äußerliche keinen Sinn. Aber während er seine Füße in den Pantoffeln zu verstecken suchte, ohne sich doch der Bemerkung enthalten zu können, daß er sich von ihnen nicht trennen könne, weil sie noch von seiner seligen Frau gestickt wären, verbarg die Geheimrätin keineswegs ihre sehr zierlichen Füße auf dem Schemel, als sie mit der sanften, fast süßen Stimme, durch die nur zuweilen ein feiner, schneidender Ton fuhr, sagte:

»Man muß gestehen, daß der Herr Schwager die Treue gegen die selige Geheimrätin bis zum Exzeß kultivieren.«

»Und wie geht es denn meinem teuern Bruder, dem Geheimrat?« seufzte er. »Wir haben uns so lange nicht gesehen. Ach Gott, wir Geschäftsmänner!«

»Er ist in seinen Büchern vergraben.«

»Er kultiviert nicht das Leben«, fiel der Hausherr ein. »Ich hatte immer gehofft, daß eine so spirituelle Frau ihm einen Elan geben würde.«

»Passons là-dessus«, sagte die Geheimrätin, mit einer eigentümlichen Bewegung des Fächers. »Ich begreife freilich zuweilen nicht, warum eigentlich die Männer auf der Welt sind, die sich nichts aus ihr machen. Aber ich bin gewissermaßen in seinem Auftrage hier.«

»Von einem Gelehrten wie er weiß ich diese Attention zu schätzen. Warum mußte er aber neulich wieder ablehnen? Zu einer einfachen Suppe, à la fortune du pot, ein paar gute Freunde nur.«

»Lupinus sagt, er verdirbt sich immer bei Ihnen den Magen.«

»Scherz, Scherz! Spartanische Suppen kann ich freilich nicht vorsetzen, auch ist mein Malaga, mein Hochheimer kein Falerner. Nichts, als was ein armer Mann bieten kann. Müssen uns alle nach der Decke strecken, aber herzlich gegeben und – gut gekocht.«

»Wenn Ihre Charlotte will, kocht sie trefflich«, sagte die Geheimrätin mit einem jener Blicke, von denen wir sprachen. – »Sie werden sich schwer von ihr trennen können«, setzte sie langsam hinzu. »Sie werden sich vielleicht nie von ihr trennen wollen.«

Der Blick und die Beobachtung hatten für den Geheimrat etwas, was ihn aus seiner Ruhe brachte. »Liebste Schwägerin, in meiner Lage – in meinen Dienstverhältnissen, begreifen Sie, muß ich dann und wann kleine Diners arrangieren – man muß sich Freunde – man muß die Gönner warmhalten. Einer hilft dem andern. Es geht einmal nicht anders.«

»Das begreife ich vollkommen«, sagte die Schwägerin mit dem gedehnteren Tone, »aber zu Ihren Diners bestellen Sie ja die Schüsseln beim Koch Corsika.«

»Das wohl, in der Regel wenigstens – indessen –«

»Essen Sie auch gern zu Hause gut. Und damit Sie immer gut gekocht bekommen, ist Ihnen darum zu tun, daß Charlotte immer bei guter Laune ist. Der Kalkül ist richtig, nur verdenken Sie es Ihrer Familie nicht, wenn sie einen andern macht –«

»Welchen, meine verehrteste Schwägerin?«

»Mon beau-frère«, sagte die Geheimrätin, mit dem Fächer einige kurze, bedeutungsvolle Schläge durch die Luft führend, »die Familie hofft, daß Sie ihr nicht den Chagrin antun werden, die Person zu heiraten!«

Der Geheimrat wurde rot, aber nicht sehr, er klatschte mit beiden flachen Händen auf die Knie und seufzte: »Ja – man wird doch auch mit jedem Jahr älter. Und eine Pflege, wie ich sie nur wünschen kann.«

»Herr Geheimrat, aber eine Mesalliance!«

»Mais, ma belle-sœur! Adam war unser aller Vater. Neulich am Klavier, ich hätte meine Schwester embrassieren mögen, Sie sangen es zu allerliebst:

Als Adam grub und Eva spann,
Wer war denn da – der erste Geheimrat?«

Er begleitete es durch ein angenehmes Gelächter.

»Es ist also vollkommener Ernst!«

»Ernst, teuerste Schwägerin! Ich hielt es für einen deliziösen Scherz, wenn es von der Kanzel stürzte: Der königliche Herr Geheimrat Lupinus mit der ehrsamen Jungfrau Charlotte Philippine Katharine, Tochter des ehrbaren –, was weiß ich, wer ihr Vater war, wenn sie einen hat. Ma belle-sœur, wie hätten sie die Köpfe zusammengesteckt, wie wären sie aus dem Dom gestürzt! Diese Gruppen unter den Pappeln, nachmittags die Kaffeeklatsche. Und nun denken Sie sich, Schwägerin, Charlotte und ich im Wagen und unsre Vorfahrvisiten! Vierzehn Tage kein ander Gespräch. Und das Hochzeitsmenuett! Sanft gebannt – an ihre Hand durchs Leben – schweben!«

Die Dame war sehr ruhig geworden. »Mais mon beau-frère, warum haben Sie es aufgegeben?«

»Mon Dieu, wer sagt Ihnen, daß ich es aufgab!«

»Ein witziger Einfall, über den man nachdenkt, ist keiner mehr.«

»Es geht doch nichts über einen sublimen Verstand. Ich werde mich hüten, sie zu heiraten.«

»Ich bin jetzt ganz getröstet, wenn Sie es tun. Wirklich, lieber Schwager. Die Person hat gute Eigenschaften, und Ihre Erziehung –«

»Wenn ich sie heirate, ist die Erziehung aus«, zischelte er ihr laut ins Ohr. »Sobald der Hochmutsteufel in sie schießt, kocht sie nicht mehr, pflegt sie mich nicht mehr, kurzum, sie ist nicht mehr, was sie ist, und darum müßte mich ja der – Excüs! wenn ich meine gute Charlotte aufgäbe, um eine schlechte Geheimrätin draus zu machen. – Man wirft so gemütliche Redensarten hin, möglich, es könnte sein – wenn nur nicht das und das wäre, wünscht ihr den besten Mann, aber klopft ihr auf die Schulter, sich nicht zu übereilen, es würde sich wohl noch alles anders und besser finden, als mancher denkt. Et cetera.«

Nach einer Pause, während sie auf ihre spitzen Finger gesehen, sagte die Geheimrätin: »Aber die Person ist auch klug. Sie merkt es. Lieber Schwager, kein Mann ist so klug, daß nicht eine Frau, die er beständig um sich hat, ihm die schwache Stunde abmerkt. Schlingen sind nun einmal die Waffen unserer Schwäche; es ist in der Natur. Entweder entschließen Sie sich und heiraten sie, oder brechen Sie schnell.«

»Das kann ich nicht, c'est absolument impossible! 's ist wahr, Corsika kocht gut, 's kocht keiner so in Berlin. Das heißt en général – mais –! Was hilft mir das, wenn die Gäste fortgehen und sagen: ›Es war alles recht fein, aber man weiß von nichts Besonderem zu sprechen, nichts hat einen Eindruck hinterlassen.‹ Das ist gleichsam ein verlorner Tag. In der Charlotte, verzeihen Sie mir, ist ein Genie. 's ist nicht zu leugnen, manches verdirbt sie, aber plötzlich mit einem Elan hat sie eine Komposition gefunden, parbleu! Erinnern Sie sich noch des Rebhühnerfrikassees mit farcierten Trüffeln? Da war doch nur eine Stimme. Noch acht Tage drauf, als wir bei Exzellenz Schulenburg-Kehnert am Tische saßen, sprach Lombard davon. Sein Koch hat's versucht, der englische Gesandte auch, es schickten noch mehrere ihre Köche. Warten Sie – ça ne fait rien. Es hat's keiner rausgekriegt. Und wär's auch nur um Lombards willen. Es war ein glücklicher Tag, als er mir beim Abschied die Hand drückte. Ich weiß es, Lombard hat viele Feinde, aber in der Freundschaft und – und in gewissen Ideen hat er eine gewisse constance, persévérance. Man kann wohl sagen, 's ist ein Mann von einem nobeln Esprit, ein Mann comme il faut.«

»Schade, daß Lombard verreist ist«, sagte die Geheimrätin, »ich meine, schade für Sie.«

Es war wieder ein so eigner Ton, eiskalt und bitter wie der Blick, der den Geheimrat traf – und sie brach so scharf ab, daß die Wärme und Gemütlichkeit, welche die Erinnerung der Trüffeln und Rebhühner angeregt, plötzlich gedämpft war.

»Mein Gott, belle-sœur, Sie kommen –«

»Von meinem Mann geschickt. Was ist denn das mit den Gefangenen in der Vogtei und den eingeschmissenen Fensterscheiben? Mein Mann hofft, daß Sie dabei außer dem Spiele sind.«

Wir wissen, daß diese Erinnerung für den Geheimrat zu den unangenehmen gehörte. Die Rosenlinien der Freude verzogen sich auf seinem Gesicht in graue Runzeln. Er schlug auch etwas die Augen nieder.

»Ma belle-sœur wissen, daß ich immer ein Herz habe für die Leiden der Menschheit. Was an mir ist, tue ich, um das Schicksal der armen Gefangenen zu erleichtern.«

»Unter denen auch der abscheuliche Bankerottier ist, der so viele Leute um ihr alles gebracht.«

»Er ist ein Mensch wie wir, meine Schwester.«

»Ganz doch nicht«, sagte die Schwägerin und zog den Arm etwas zurück, auf den er seine Hand gedrückt. »Man sagt, es sind sehr viele schlechte Menschen grade jetzt in der Vogtei.«

»Wenn einer nicht bezahlen kann, hat er darum aufgehört, mein Bruder zu sein?«

»Die Gefangenen sollen unerhörte Freiheiten genießen. Neulich bei Präsident Kircheisen ward behauptet, sie kämen abends frei zusammen und spielten Hasardspiele, ja einer hielte förmlich Bank.«

»Um die Humanität zu fördern, drücke ich ein Auge zu. Die innern Türen lassen sie sich zuweilen aufschließen. Es ist nicht gut, daß der Mensch allein ist, und unter Gottes Himmel sind wir alle –«

»Und zwischen den Mauern der Vogtei!« fiel die Geheimrätin ein. »Gestern abend –«

»Sehn Sie, teuerste Schwägerin, da hatte ich eine rechte Freude. Sie schickten eine Deputation an mich mit der Bitte, ihnen eine kleine, gewissermaßen religiöse Zelebration zu gestatten. Da morgen, als heute, ein menschliches Mitwesen, eine irrende Schwester, gewaltsam aus dieser Welt gerissen werden sollte, wollten sie den Abend nicht ohne stille, ich möchte sagen, sympathetische Betrachtung hingehen lassen. Ich war wirklich gerührt über dieses Zeichen edler Empfindung unter meinen Kindern, wie ich sie gern nenne.«

»Sie waren also selbst bei dem – sogenannten Festin?«

»Sie erzeugten mir die Ehre, mich einzuladen. Ach, aber so bescheiden. Und ich versichere Sie, ich fand eine Stimmung, die einer Kirche Ehre gemacht. Und die Arrangements so sinnreich und einfach. Der Regimentsquartiermeister, der bei der Lichtenau da im Marmorpalais als Dekorateur und Maschinist gearbeitet hatte – ein unglücklicher Mensch, er mag geirrt haben, wer irrt nicht! –, konnte um lumpige zehntausend Taler die Quittungen nicht aufweisen! – Lieber Gott, wenn man für alles Quittungen verlangte, was zur Zeit der Komteß Lichtenau ausgegeben ist! Ein charmanter Mann sonst, sage ich Ihnen, von so philosophischer Ruhe. – Das kleine Zimmer war griechisch drapiert, et aussi un peu gothique. Hinten ein Opferaltar; in Spiritus brannten die Flammen empor zu dem Triangel, aus welchem das Auge der Allwissenheit auf uns herabblickte. Der Rendant vom Salzsteueramt –«

»Der in Hamburg ergriffen ward, als er sich einschiffen wollte?«

»Ein Opfer der Mißverständnisse. Er hatte die beste Absicht, von London aus den kleinen Irrtum auszugleichen – sonst ein Mann von Charakter, sublimen Ideen, ist auch Maçon. In einem weißen Talar, eine Binde um die Stirn, hielt er eine Rede; ich wünschte, Sie hätten sie gehört; wie ließ er die irrende Schwester beten! Ach, aber wie das kleine Kind, das der Mutter voraufgegangen, die Arme ausbreitete und im Namen der Allmacht sprach: ›Mutter, dir ist vergeben! die Seligen warten auf dich!‹ – da blieb kein Auge trocken.«

»Und nachher haben sie getrunken?«

»Die Gesellschaft hat einige Flaschen besorgt. Das Herz schloß sich unwillkürlich auf. Man durfte sich doch nicht lumpen lassen. Ich ließ ein Dutzend Hochheimer bringen. Ich sage Ihnen, diese Empfindungen, die sich da aufschlossen! Da war doch kein böser Gedanke, nichts als die reinste allgemeine Menschenliebe, und wäre nicht der verlorne Mensch, der Sohn des Geheimrats Bovillard, dazwischengekommen, so wäre auch alles ganz gut abgelaufen.«

»Läßt ihn der Vater noch immer einsperren?«

»Nein, er sitzt jetzt wegen des letzten Skandals mit dem Gendarmerieoffizier. Dieser Taugenichts verdirbt mir eigentlich die Harmonie in meiner Gesellschaft. Indessen hat man doch Rücksichten wegen des Vaters.«

»Gewiß, und sehr ernste.«

»Und unser Hofrat Süßring, Sie kennen den exzentrischen Kopf – bös ist er nicht, nur wenn er etwas im Kopfe hat. Ich vergaß, Ihnen zu sagen, man war so froh geworden, man sah das Opferfeuer brennen. Man wollte sich daran wärmen. Man machte den Vorschlag, an der Flamme das Getränk der Freiheit zu brauen, das aromatische der Engländer, das unser Schiller so herrlich besungen hat –

Vier Elemente, innig gesellt!«

»Man kochte eine Bowle Punsch. das weiß ich auch, und sehr starken.«

»Süßring, der eigentlich in Glatz sitzen soll, aber er ist kränklich und kann die freie Bergluft nicht vertragen. Belle-sœur wissen ja, durch welche Konnexionen – und er ist auch eigentlich unschuldig. Es war nur der Punsch. Sprang er plötzlich auf den Tisch –«

»Und hielt eine seiner bekannten republikanischen Reden.«

»Es sollten keine Kerker und Festungen mehr sein, die Eisenstäbe sollte man zerbrechen und die Schwerter auch, und als er das Lied sang und wir einfielen:

Allen Sündern soll vergeben
Und die Hölle nicht mehr sein!«

»Da schmissen sie mit den Gläsern die Fenster ein.«

»Nein, da sprang Bovillard erst auf den Tisch. Den eigentlichen Zusammenhang weiß ich wirklich nicht mehr, aber in seiner Barocksprache rief der tolle junge Mensch: wenn wir die Hölle zerstörten, wo wir denn bleiben wollten! Nun, ich sage Ihnen, einen Galimathias plein de romantique, daß uns Hören und Sehen verging.«

»Ich glaube Ihnen wirklich, daß Sie beides nicht mehr konnten.«

»Durch die Unart dieses einen einzigen Menschen ward uns ein Abend gestört – meine Schwester, das Menschenleben ist nicht reich an solchen Abenden voll Harmonie der Seelen. Und der Mond stand draußen und schien so friedlich durchs Gitterfenster.«

»Der Mond wird auch vermutlich stehengeblieben sein«, sagte die Geheimrätin aufstehend, »wo blieben denn aber der Herr Schwager?«

Sie machte Miene zum Gehen, und er beugte sich, um wieder ihre Hand an die Lippen zu führen: »›Homo sum, nil humani a me alienum puto‹, sagt Terenz, teuerste Schwägerin. Fragen Sie meinen Bruder, was das heißt. Im übrigen – abgeschüttelt!«

»Meinen Sie, Geheimrat? In der Stadt ist man andrer Meinung. Man spricht davon, daß Sie die Ihnen obliegende Surveillance über die Gefangenen schlecht beobachtet.«

»Man hat schon viel über mich gesprochen. Qu'importe!«

»Wenn man aber auch bei Hofe davon spricht. Auch im Palais. Auch wenn der König entrüstet ist. Auch wenn Kabinettsrat Beyme auf der Stelle an den Justizminister schreiben müsse, daß die Sache untersucht wird. Herr Schwager, es ist kein Spaß, warum ich hier bin, es handelt sich um Ihre Existenz.«

Der Geheimrat war zusammengefahren wie die Sinnpflanze bei der menschlichen Berührung. Sein Gesicht war blaß, seine Vollmondswangen schienen wie welk herabgesunken. Er öffnete die Lippen und wollte sprechen, aber die Zähne, die in eine unwillkürliche Berührung gerieten, stammelten nur die Formel: »Mein allerdurchlauchtigster König, mein allergnädigster König und Herr!«

»Ist eine Natur, die wir alle eigentlich noch nicht kennen, aber in gewissen Dingen hat er sich außerordentlich streng gezeigt.« So sagte die Geheimrätin Schwägerin, die ruhig vor dem Zerknickten stand.

Der Geheimrat stammelte noch etwas von geheimen Feinden, und nachdem er einige Schritte getan, fiel er auf seinen Armsessel.

»Von Feinden weiß ich nichts«, sagte die Schwägerin, »im Gegenteil, Sie haben sich viele Freunde durch Ihre Diners gemacht, und es trifft sich nur sehr unglücklich, daß Lombard nach Frankreich ist. Aber sich in den Sorgenstuhl zu werfen, ist nicht Zeit, mon beau-frère! Ihre Freunde können wenig, Sie müssen selbst etwas tun, und auf der Stelle. Ihr Zopf ist noch gut, die Frisur passiert für den Abend. Werfen Sie sich in Ihr Habillement.«

»Mein Gott, doch nicht zu Seiner Majestät!« rief er aufspringend und rang die Hände.

»Auch nicht zum Justizminister. Ich rate Ihnen auch nicht, Haugwitz zu inkommodieren. Aber zu Bovillard müssen Sie. Schnell, schnell, Herr Geheimrat. Er vertritt Lombard beim Minister. Mein Mann hat schon etwas vorgearbeitet.«

»Zu Bovillard! ja, zu Bovillard! Aber, mein Gott, was wird er sagen!«

»Wenn Sie von seinem Sohne sprechen, wenn Sie auf ihn die Schuld schieben wollen, würden Sie alles verderben. Sie müssen ihn ganz ignorieren. Verstehen Sie mich; diese Schonung kann nur den Vater gewinnen, denn Vater bleibt er. Daß er von ihm erfahren soll, überlassen Sie andern. Sie exkulpieren sich nur für sich. Das Wie überlaß ich Ihrem Genie, wie Sie jetzt Ihrer Toilette.«

Sie war hinausgerauscht, und der Geheimrat wankte nach seinem Kleiderschrank.

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