Fünfzehntes Kapitel.
Wallensteins Lager.

Kaum ließ sich während der Darstellung das Mitspielen des Publikums zurückhalten. Die Iffland, Unzelmann, Mattausch, Herdt, Bessel, Gern, Labes, Kaselitz erschienen in ihren Waffenröcken und Wehrgehenken nicht wie Schauspieler, welche das Bild einer zweihundertjährigen Vorzeit den Zuschauern hinzaubern wollten, sondern wie Repräsentanten dieser Zuschauer selbst, die, jedem Kunstausdruck, jedem Verse, der auf das Ergreifen der Waffen deutete, zujubelnd, ihre eigene kriegerische Stimmung aushauchten. Das war ein Bravorufen, Klatschen, so kräftig, sonor, wie man es in diesen der ernsten Kunst geweihten Räumen selten gehört. Der Kunstenthusiasmus erlaubte sich in Berlin wohl Tränen und Entzückungen, auch Verzückungen, aber noch nicht, mit dem Feuer zu spielen, das er später verschwenderisch über seine Lieblinge ausschüttete, einen flammenden Glorienschein, der oft zur verzehrenden Flamme werden sollte für den Ruf des Gefeierten.

Das Reiterlied war gesungen; tiefe Spannung auf allen Gesichtern, ein banges Schweigen in dem gedrängt vollen Hause. Da trat Kaselitz als Dragoner von Piccolomini vor und verteilte ein gedrucktes Lied zum Lobe des Krieges unter seine Kameraden. Die Pappenheimer, die Panduren, Illos Kroaten, alle verstanden deutsch zu lesen, das Orchester hub an, und nach der Schulzeschen Melodie: »Am Rhein, am Rhein!« ward ein Lied gesungen, von dem überlebende Zeitgenossen uns versichern, daß es gewirkt wie ein Tyrtäischer Kriegsgesang. Das Publikum erhob sich. Man streckte die Arme nach der Bühne, um den Text zum Mitsingen zu erhalten, die Schranken des Orchesters fielen. Da aber regnete es schon von gedruckten Blättern aus dem Amphitheater. Das Parterre stimmte ein, Jubel oder Rührung, es war zweifelhaft, was größer war. Die Damen in den Logen wehten mit den Tüchern; ernsten Männern, bei deren gefurchtem Gesicht man einen Eid hätte ablegen mögen, daß sie nie geweint, standen Tränen im Auge.

Die letzte Strophe mußte wiederholt werden. »Das ist ein Lied!« – »Das ein Gesang!« – »Ein Dichter!« – Von Mund zu Munde ging sein Name geflüstert hin: »Es sind der Herr Major von Knesebeck!« Dort schrie einer dem andern zu: »Donner und Wetter, der Knesebeck ein Dichter!« Man wollte, man mußte sich näherkommen. Die in jener Zeit nicht so strenge Billettordnung ward gebrochen, man besuchte sich in den Logen, schüttelte sich die Hände; aus den Logen ging man ins Parterre, und unversehens hatten einige Allzeitfertige aus Brettern und Stühlen eine Art Treppe nach der Bühne gebaut. Das Stück war ja zu Ende, nur den Vorhang hatte man herunterzulassen vergessen – oder auch nicht vergessen. Während junge Enthusiasten hinaufsprangen, den Schauspielern die Hände zu schütteln, winkten andere den Darstellern, herabzukommen. Bald sah man Iffland in seiner stattlichen Armatur als Wachtmeister im Kreise der Offiziere, seiner Freunde. Er spielte nicht den Wachtmeister, er war es. Er war ein Patriot von Herzen, und von Herzen redete er feierliche Worte von Aufopferung und Treue. Seine jungen Verehrer drängten sich, ihm in die Hand zu schlagen als Gelöbnis, daß sie leben oder sterben wollten für König und Vaterland.

In der Erhebung des Augenblicks fand niemand darin Seltsames, daß der Schauspieler den Ernst des Lebens repräsentierte; aber auch heitere Szenen mischten sich in diesen heroisch theatralischen Ernst. Es hat sich von je an gefügt, seit es Offiziere gab und Juden, daß beide in gewissen Verhältnissen zueinander stehen, Verhältnisse, die, in der Jugend sehr intim, sich oft erst im Alter lösten, zuweilen auch gar nicht. Da sah man einen bekannten jüdischen Handelsmann, welcher später, vielleicht auch damals schon, den Namen Gans führte und für einen witzigen Mann galt, an den Armen zweier Lieutenants umherstolzieren, oder besser, er umschlang sie mit seinen Armen, und den Begegnenden versicherte er, in diesen beiden Freunden opferte er seine teuersten Erinnerungen dem Vaterlande! Unzelmann, als Trompeter, streifte am Arm eines hübschen Kavallerieoffiziers durch das Parterre. Wer dafür noch Sinn hatte, blickte neugierig verwundert nach. Der junge blonde Offizier nahm das spöttische Lächeln seelenvergnügt hin, Unzelmanns komische Miene deutete aber an, daß ihn der Sinn nicht verletze. »Unzelmann und Quast Arm in Arm!« – »Unzelmann spielt heute seine Frau.« Er rief den Spöttern nach: »›Beschämte Eifersucht‹ wird nicht mehr gespielt, meine Herren«, – »denn Eifersucht ist das größte Ungeheuer!« replizierte ein junger Schöngeist, der die alten Spanier studierte.

»Und gegen das größte Ungeheuer«, fiel der Schauspieler ebenso schnell ein, »ziehen unsere braven Truppen. Auch ›Menschenhaß und Reue‹, meine Herren, wird nicht mehr gegeben, denn wir brauchen allen Menschenhaß gegen die Franzosen.« – »Und«, setzte ein dritter Witzbold hinzu, »ein Lump, wer nicht sein Bestes und sein Schlechtestes mit seinem Alliierten teilt.«

Anspielungen, die damals jeder verstand, auch viele Jahrzehnte nachher hat sich die Erinnerung erhalten; nicht wert um ihrer selbst willen, aber von Wert zur Charakteristik einer Zeit, die längst von den Springfluten der Geschichte fortgespült und von ihrem mächtigen Strome auf immer verschüttet scheint. Nicht die Frivolität ist begraben, aber in dem luftigen Kleide von damals darf sie sich der Gesellschaft, in keinem ihrer Kreise, mehr zeigen.

Enthusiasmus, wohin man sah, aber es fehlte noch etwas; ein Schluß, der dem Anfang entsprach, ein Siegel auf die fertige Urkunde gedrückt. Wozu die ganze Aufregung ohne ein Ziel? Aus dem Theater sind später Revolutionen hervorgegangen, aus der »Stummen von Portici« stürzten die berauschten Zuschauer, um die Funken des Bühnenfeuers als Brand auf den Markt zu tragen. Dazu war hier nicht der Ort, nicht die Zeit, nicht die Menschen. In den geschlossenen Theaterräumen hallte der Ruf: »Krieg! Krieg! Zu den Waffen!« trefflich; aber wären sie hinausgestürzt, was dann? Wie klein wäre die Zahl gewesen, wie bald zerstreut auf den breiten Straßen! Hätte jeder sich gern in der Gesellschaft der andern erblickt, die vielleicht ihnen da zuströmten? Und was sollten sie tun? Vor das Palais des Königs rücken, dort Fackeln schwingen, wild schreien: Krieg! Krieg! Was würde dieser König, der, dem Ungewöhnlichen, Exaltierten abhold, seine Person scheu von aller Repräsentation zurückzog, zu einem brüllenden Haufen sagen, der ihn zu einer Handlung zwingen wollte, die er vielleicht schon beschlossen hatte! Würde es nicht gerade das Mittel gewesen sein, das Wort, das sich von den Lippen lösen wollte, in die tiefste Brust zurückzuschrecken? Er mußte zürnen, und erzürnen wollte niemand den geliebten Monarchen.

Aber etwas mußte geschehen, das fühlte jeder. So konnte man nicht auseinandergehen. Die Logenschließer hatten unter den Enveloppen der Damen Blumenkränze gesehen, oder waren es schon Lorbeerkränze? Auf irgendein Haupt sie zu drücken, dazu waren sie doch mitgenommen. Aber wo war das Haupt, wo der eine, der eine solche Masse wecken, begeistern, führen konnte? – Wohl gab es einen, einen noch jugendlichen, genialen Prinzen von kühnstem Geiste und bewährtem Mute. Sein Schwert hatte Franzosenblut getrunken, ritterlich hatte er sich mehr als einmal in die Scharen der Feinde geworfen und – dem unüberwundenen Helden hätte man alle seine Schwächen vergeben. Er wäre der Mann des Volkes gewesen, und wäre er vorgesprungen da, auf eine Erhöhung, und hätte den Degen blitzen lassen im Scheine der Theaterflammen, nur wenige kräftige Worte – möglich war es, daß es ein Ernst ward, dessen Folgen niemand berechnet. Aber diesen einen fesselten Rücksichten, er knirschte im verhaltenen Grimm in seinen vier Wänden; er zückte den Pallasch, um ihn wieder in die Scheide zu stoßen, er sah nach den Wolken und lauschte auf den Galopp eines Pferdes, ob es die Ordonnanz war, die das heißersehnte Wort brachte. Er hatte sein Wort geben müssen, heut nicht im Theater zu erscheinen. »Scharf geschliffen und von vornherein die Spitze abgebrochen, damit der Stahl nicht verwundet.« – Andre gab es wohl, die von demselben Feuer glühten, Namen von ehernem Klang und altem Ruhm; sollte man aber die Kränze auf eisgraues Haar drücken? Warum nicht lieber auf Friedrichs Büste.

Aber etwas mußte geschehen; die Gärung war zu groß, um sich zu verlaufen. »Es lebe der König!« rief eine Stimme. Tausend riefen es nach. Das Orchester intonierte den neuen Volksgesang, der so rasch Allgemeingut geworden, und das feierliche: »Heil dir im Siegerkranz, Retter des Vaterlands!« hallte wie besänftigend durch den hohen Raum des Schauspielhauses.

Eine der kleineren Logentüren klappte zu, und ein Mann, vor dem sich der Schließer respektvoll neigte, eilte im Surtout die Treppe hinunter.

»Das alte Lied!« sagte sein jüngerer Begleiter; es war Herr Fuchsius; »es klang mir hier wie eine Ironie.«

»Alles Theater, alles gemacht, alles nichts, und daraus wird im Leben nichts!«, erwiderte der andre.

»Seine Exzellenz, der Herr Minister von Stein!«, flüsterten sich die Logenschließer zu.

Aber als das Lied durch neue Hochs, dem Könige gebracht, unterbrochen wurde, klappte wieder eine Logentür, eine Stimme teilte den Vornesitzenden etwas mit, diese sprachen nach links und rechts, und bald lief es wie ein Lauffeuer durch die Logen: »Die Garnison marschiert!« – »Die Berliner Garnison rückt aus!«

Soll das den letzten Drucker geben! schien des Ministers Blick zu seinem Begleiter zu sagen, während der Lärm drinnen sich wieder steigerte. Ein Vorübergehender las den Sinn der ungesprochenen Worte und erwiderte dem Manne, den er nicht kannte: »Sie können es ganz gewiß glauben, mein Herr, diesmal ist es ernst. Die Kriegskasse ist schon fertig, und das Feldlazarett wird gepackt. Ich habe einen Vetter, der dabei ist.«

»Und ich habe es selbst angeordnet«, lächelte der Minister seinem Begleiter zu. »Soll man sie um ihren Glauben beneiden oder bedauern?«

 Top