Achtes Kapitel

Betragen gegen Hauswirte, Nachbarn und solche, die mit uns in demselben Hause wohnen

1.

Wenn wir in der Ordnung von den ersten und natürlichsten Verhältnissen ausgehen und immer von den einfachen zu den zusammengesetzteren fortschreiten, so denken wir, nach den bis dahin betrachteten Verhältnissen, nun zuerst an die Verbindung mit Nachbarn und Hausgenossen.

Unsre neuere Philosophie überspringt zwar diese engen Verhältnisse; allein ich bin dazu noch nicht aufgeklärt genug und schreibe also aus Überzeugung den Satz hin: Nächst den Personen Deiner Familie bist Du am ersten Deinen Nachbarn und Hausgenossen Rat, Tat und Hilfe schuldig. Es ist sehr süß, sowohl in der Stadt als auf dem Lande, wenn man mit lieben, wackern Nachbarn eines zwanglosen, freundschaftlichen und vertraulichen Umgangs pflegen darf. Es kommen im menschlichen Leben so manche Fälle, wo augenblickliche kleine Hilfe uns Wohltat ist, wo wir uns zur Erholung von ernsthaften Arbeiten, wenn Sorgen uns drücken, nach der Gegenwart eines guten Menschen sehnen, den wir nicht erst weit zu suchen brauchen – also vernachlässige man seine Nachbarn nicht, wenn sie irgend von geselliger, wohlwollender Gemütsart sind. Ich habe die Wohltat eines solchen Umgangs drei Jahre hindurch in meiner Einsamkeit bei Frankfurt am Main geschmeckt und werde mich lebenslang mit Dankbarkeit und Freude der fröhlichen Stunden erinnern, die mir an der Seite einer liebenswürdigen Familie, die neben mir an wohnte, nur zu schnell entflohn sind. Da war es, wo die verständigen und muntern Gespräche dieser edeln Leute mich aufheiterten, mich wieder mit den Menschen aussöhnten, mich so manches Ungemach vergessen machten. In großen Städten pflegt man zu glauben, es gehöre zu dem guten Ton, nicht einmal zu wissen, wer mit uns in demselben Hause wohnt. Das finde ich sehr abgeschmackt, und ich weiß nicht, was mich bewegen sollte, eine halbe Meile weit zu fahren, wenn ich die Unterhaltung oder die Langeweile, welcher ich nachrenne, ebensogut zu Hause finden könnte, oder um einen Freundschaftsdienst die ganze Stadt zu durchjagen, wenn neben mir an ein Mensch wohnt, der mir denselben gern erzeigen würde, insofern ich mir seine Freundschaft und sein Zutraun erworben hätte. Schämen würde ich mich, wenn es der Fall wäre, daß die Mietkutscher und Straßenbuben mich besser als meine Nachbarn kennten.

2.

Man soll sich aber hüten, sowohl sich denen aufzudrängen, diejenigen zu überlaufen, die, wenn sie mit uns unter einem Dache wohnen, uns nicht ausweichen können, als auch besonders ihre Handlungen auszuspähn, uns in ihre häuslichen Angelegenheiten zu mischen, ihren Schritten, die uns nichts angehn, nachzuspüren, und kleine mißfällige Dinge, die wir an ihnen bemerken, unter die Leute zu bringen. Da vor allem das Gesinde hierzu sehr geneigt zu sein pflegt, so soll man seine Domestiken davon abzuhalten und den Geist von Klatscherei aus seinem Hause zu verbannen suchen.

3.

Es gibt kleine Gefälligkeiten, die man denen schuldig ist, mit welchen man in demselben Hause, denen man gegenüber wohnt oder deren Nachbar man ist; Gefälligkeiten, die an sich geringe scheinen, doch aber dazu dienen, Frieden zu erhalten, uns beliebt zu machen, und die man deswegen nicht verabsäumen soll. Dahin gehört: daß wir Poltern, Lärmen, spätes Türzuschlagen im Hause vermeiden, andern nicht in die Fenster gaffen, nichts in fremde Höfe oder Gärten schütten und dergleichen mehr.

4.

Manche Menschen denken so wenig fein, daß sie glauben, gemietete Häuser, Gärten und Hausgeräte brauchten gar nicht geschont zu werden, und es sei bei Bestimmung der Mietsumme schon auf die Abnutzung und Verwüstung mitgerechnet worden. Ohne zu erwähnen, daß dies wenigstens nicht immer der Fall ist, so denke ich auch, ein Mann, der Erziehung hat, kann kein Vergnügen daran finden, mutwilligerweise etwas zu verderben, das nicht sein ist, wodurch er jemand betrübt und sich verhaßt macht. Es wird sehr bald bekannt, wenn man pünktlich im Bezahlen, nicht grob, dabei ordentlich und reinlich ist, und man wird dann lieber und um billigern Preis zum Mietmanne aufgenommen als mancher viel Vornehmere und Reichre. Solange ich Hausvater bin, habe ich nebst den Meinigen nie auch nur den kleinsten Streit mit meinen Hauswirten und Nachbarn gehabt, und ich darf es sagen, sie haben sich mehrenteils mit Tränen in den Augen von uns getrennt.

Der Wirt soll aber gleichfalls gegen seinen Mietsmann gefällig sein, mit Billigkeit verfahren und nicht über jede Kleinigkeit zanken, die nicht weniger vorgefallen sein würde, wenn er selbst sein Haus bewohnt hätte.

5.

Wenn unter Leuten, die zusammen in demselben Hause wohnen oder sonst täglich miteinander leben müssen, Verstimmungen oder Mißverständnisse entstehen, so tut man wohl, die Erläuterung zu beschleunigen; denn nichts ist peinlicher, als mit Personen unter einem Dache zu leben, gegen die man einen Widerwillen hegt.

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