Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern

III. Über die Bildung zur Religion

Was ich selbst bereitwillig eingestanden habe als tief im Charakter der Religion liegend, das Bestreben, Proselyten machen zu wollen aus den Ungläubigen: das ist es doch nicht, was mich jetzt antreibt, auch über die Bildung der Menschen zu dieser erhabenen Anlage und über ihre Bedingungen zu euch zu reden.

Zu jenem Endzweck kennen wir Gläubigen kein anderes Mittel, als nur dieses, daß die Religion sich frei äußere und mitteile. Wenn sie sich in einem Menschen mit aller ihrer eigenen Kraft bewegt, wenn sie alle Vermögen seines Geistes in den Strom dieser Bewegungen gebieterisch mit fortreißt: so erwarten wir dann auch, daß sie hindurchdringen werde bis ins Innerste eines jeden Einzelnen, der in solchem Kreise lebt und atmet, das jedes Gleichartige in jedem werde berührt werden, und, von der belebenden Schwingung ergriffen, zum Bewußtsein seines Daseins gelangend, durch einen antwortenden verwandten Ton das harrende Ohr des Auffordernden erfreuen werde. Nur so, durch die natürlichen Äußerungen des eigenen Lebens will der Fromme das Ähnliche aufregen, und wo ihm dies nicht gelingt, verschmäht er vornehm jeden fremden Reiz, jedes gewalttätige Verfahren, beruhigt bei der Überzeugung, die Stunde sei noch nicht da, wo sich hier etwas ihm verschwistertes regen könne. Nicht neu ist uns allen dieser mißlingende Ausgang. Wie oft habe auch ich die Musik meiner Religion angestimmt, um die Gegenwärtigen zu bewegen, von einzelnen leisen Tönen anhebend, und bald durch jugendlichen Ungestüm fortgerissen bis zur vollsten Harmonie der religiösen Gefühle: aber nichts regte sich und antwortete in den Hörern! Von wie vielen werden auch diese Worte, die ich einem größeren und beweglicheren Kreise vertraue, mit allem, was sie Gutes darbieten sollten, traurig zu mir zurückkehren, ohne verstanden zu sein, ja ohne auch nur die leiseste Ahnung von ihrer Absicht erweckt zu haben! Und wie oft werden alle Verkündiger der Religion, und ich mit ihnen, dieses uns von Anbeginn bestimmte Schicksal noch erneuern! Dennoch wird uns dies nie quälen; denn wir wissen, daß es nicht anders begegnen darf, und nie werden wir, aus unserm ruhigen Gleichgewicht herausgerissen, den Versuch machen, unsere Sinnesart aufzudringen auf irgendeinem andern Wege, weder diesem noch dem künftigen Geschlechte. Da jeder von uns nicht weniges an sich selbst vermißt, was zum Ganzen der Menschheit gehört; da so viele vieles empören: welches Wunder, wenn auch die Anzahl derer groß ist, denen die Religion in sich auszubilden versagt wurde! Und sie muß notwendig groß sein: denn wie kämen wir sonst zu einer Anschauung von ihr selbst in ihrem, daß ich so sage, fleischgewordenen, geschichtlichen Dasein, und von den Grenzen, welche sie nach allen Seiten hinaus den übrigen Anlagen des Menschen absteckt, von ihnen wieder auf mannigfaltige Weise begrenzt? Woher wüßten wir, wie weit der Mensch es hier und dort bringen kann ohne sie, und wo sie ihn aufhält und fördert? woher ahnten wir, wie sie, auch ohne daß er es weiß, in ihm geschäftig ist? Besonders ist es der Natur der Dinge gemäß, daß in diesen Zeiten allgemeiner Verwirrung und Umwälzung ihr schlummernder Funke in vielen nicht aufglüht, und, wie liebevoll und langmütig wir sein auch pflegen möchten, doch selbst in solchen nicht zum Leben gebracht wird, in denen er unter glücklicheren Umständen sich durch alle Hindernisse würde hindurchgearbeitet haben. Wo nichts unter allen menschlichen Dingen unerschüttert bleibt; wo jeder grade das, was seinen Platz in der Welt bestimmt und ihn an die irdische Ordnung der Dinge fesselt, in jedem Augenblick im Begriff sieht, nicht nur ihm zu entfliehen und sich von einem andern ergreifen zu lassen, sondern unterzugehen im allgemeinen Strudel; wo die einen nicht nur keine Anstrengung ihrer eigenen Kräfte scheuen, sondern auch noch nach allen Seiten nach Hilfe rufen, um dasjenige festzuhalten, was sie für die Angeln der Welt und der Gesellschaft, der Kunst und der Wissenschaft ansehen, die sich nun durch ein unbegreifliches Schicksal wie von selbst aus ihren innersten Gründen plötzlich emporheben und fallen lassen, was sich so lange um sie bewegt hatte; wo die anderen mit eben dem rastlosen Eifer geschäftig sind, die Trümmer eingestürzter Jahrhunderte aus dem Wege zu räumen, um unter den ersten zu sein, die sich ansiedeln auf dem fruchtbaren Boden, der sich unter ihnen bildet aus der schnell erkaltenden Lava des schrecklichen Vulkans; wo jeder, auch ohne seine Stelle zu verlassen, von den heftigen Erschütterungen des Ganzen so gewaltig bewegt wird, daß er in dem allgemeinen Schwindel froh sein muß, irgend einen einzelnen Gegenstand fest genug ins Auge zu fassen, um sich an ihn halten und sich allmählich überzeugen zu können, daß doch etwas noch stehe: in einem solchen Zustande wäre es töricht, zu erwarten, daß viele geschickt sein könnten, religiöse Gefühle auszubilden und festzuhalten, die am besten in der Ruhe gedeihen. Zwar ist mitten in dieser Gärung der Anblick der sittlichen Welt mehr als je majestätisch und erhaben, und in Augenblicken lassen sich jetzt bedeutendere Züge ablauschen, als sonst wohl in Jahrhunderten: aber wer kann sich retten vor dem allgemeinen Treiben und Drängen? wer kann der Gewalt jedes beschränkteren Interesses entfliehen? wer hat Ruhe genug, um stillzustehen, und Festigkeit, um unbefangen anzuschauen? Jedoch auch die glücklichsten Zeiten vorausgesetzt, und den besten Willen, die Anlagen zur Religion nicht nur da, wo sie ist, durch Mitteilungen aufzuregen, sondern sie auch einzuimpfen und anzubilden auf jedem Wege, der dazu führen könnte: wo gibt es denn einen solchen Weg? Was durch eines anderen Tätigkeit und Kunst in den Menschen gewirkt werden kann, ist nur dieses, ihnen seine Vorstellungen mitteilen, und sie zu einer Niederlage seiner Gedanken machen, sie soweit in die seinigen verflechten, daß er sich deren erinnere zu gelegener Zeit; dieses möchte wohl einer vermögen, aber nie kann einer bewirken, daß andere die Gedanken, welche er will, aus sich hervorbringen. – Ihr seht den Widerspruch, der schon aus den Worten nicht herausgebracht werden kann. Nicht einmal dazu läßt sich einer gewöhnen, daß er auf einen bestimmten Eindruck, so oft er ihm kommt, eine bestimmte Gegenwirkung erfolgen lasse; viel weniger wird man einen dahin bringen, über diese Verbindung hinauszugehen, und eine innere Tätigkeit, welche man will, frei zu erzeugen. Kurz, auf den Mechanismus des Geistes kann jeder wohl einigermaßen wirken, aber in die Organisation desselben, in diese geheiligte Werkstätte des Universum, kann keiner nach Willkür eindringen: da vermag keiner irgendetwas zu ändern oder zu verschieben, wegzuschneiden oder zu ergänzen; nur vielleicht gewaltsam zurückhalten läßt sich, eben vermöge des Mechanismus, die Entwickelung des Geistes. So kann man denn freilich einen Teil des Gewächses gewaltsam verstümmeln, bilden aber nicht, denn eben aus diesem jeder Gewalt unerreichbaren Innersten seiner Organisation muß alles hervorgehen, was zum wahren Leben des Menschen gehören und ein immer reger und wirksamer Trieb in ihm sein soll. Und von dieser Art ist die Religion; in dem Gemüt, welches sie bewohnt, ist sie ununterbrochen wirksam und lebendig, macht alles zu einem Gegenstande für sich, und jedes Denken und Handeln zu einem Thema ihrer himmlischen Phantasie. Eben deshalb also liegt sie, wie alles, was, wie sie, ein immer Gegenwärtiges und Lebendiges sein soll im menschlichen Gemüt, weit außer dem Gebiet des Lehrens und Anbildens. Darum ist jedem, der die Religion so ansieht, Unterricht in ihr, in dem Sinn, als ob die Frömmigkeit selbst lehrbar wäre, ein abgeschmacktes und sinnleeres Wort. Unsere Meinungen und Lehrsätze können wir anderen wohl mitteilen, dazu bedürfen wir nur der Worte, und sie nur der auffassenden und nachbildenden Kraft des Verstandes: aber wir wissen sehr wohl, daß das nur die Schatten unserer religiösen Erregungen sind: und wenn unsere Schüler diese nicht mit uns teilen, so haben sie, auch wenn sie das Mitgeteilte als Gedanken wirklich verstehen, doch daran keinen wahrhaft lohnenden Besitz. Denn dieses Insich-Ergriffensein und darin Seinselbst-Innewerden läßt sich nicht lehren; ja auch der Erregteste, der, vor welchen Gegenständen er sich auch befinde, dennoch überall das ursprüngliche Licht des Universum aus ihnen einzusaugen weiß in sein Organ, vermag doch nicht durch das Wort der Lehre die Kraft und Fertigkeit dazu aus sich in andere zu übertragen. Es gibt zwar ein nachahmendes Talent, welches wir in einigen vielleicht soweit aufregen können, daß es ihnen leicht wird, wenn heilige Gefühle ihnen in kräftigen Tönen dargestellt werden, einige Regungen in sich hervorzubringen, die dem von ferne gleichen, wovon sie unsere Seele erfüllt sehen: aber durchdringt das ihr innerstes Wesen? ist das im wahren Sinne des Wortes Religion? Wenn ihr den Sinn für das Universum mit dem für die Kunst vergleichen wollt, so müßt ihr diese Inhaber einer passiven Religiosität – wenn man es so nennen will – nicht etwa denen gegenüberstellen, die, ohne selbst Kunstwerke hervorzubringen, dennoch von jedem, was zu ihrer Anschauung kommt, gerührt und ergriffen werden. Denn die Kunstwerke der Religion sind immer und überall ausgestellt; die ganze Welt ist eine Galerie religiöser Ansichten, und ein jeder befindet sich mitten unter ihnen. Sondern denen müßt ihr sie vergleichen, die nicht eher zur Empfindung gebracht werden, bis man ihnen Kommentare und Phantasien über Werke der Kunst als ärztliche Reizmittel für das abgestumpfte Lebensgefühl beibringt, und die auch dann in einer übel verstandenen Kunstsprache nur einige unpassende Worte herlallen wollen, die nicht ihr eigen sind. So weit, und weiter nicht könnt ihr es bringen durch die bloße Lehre; dies ist das Ziel alles absichtlichen Bildens und Übens in diesen Dingen. Zeigt mir jemand, dem ihr Urteilskraft, Beobachtungsgeist, Kunstgefühl oder Sittlichkeit angebildet und eingeimpft habt; dann will ich mich anheischig machen, auch Religion zu lehren. Es gibt freilich in ihr ein Meistertum und eine Jüngerschaft, es gibt Einzelne, an welche Tausende sich anschließen; aber dieses Anschließen ist keine blinde Nachahmung, und Jünger sind das nicht, weil ihr Meister sie dazu gemacht hat, sondern er ist ihr Meister, weil sie ihn dazu gewählt haben. Wer aber auch durch die Äußerungen seiner eigenen Religion sie in andern aufgeregt hat, der hat nun doch diese nicht mehr in seiner Gewalt, sie bei sich festzuhalten: frei ist auch ihre Religion, sobald sie lebt, und geht ihres eigenen Weges. Sobald der heilige Funken aufglüht in einer Seele, breitet er sich aus zu einer freien und lebendigen Flamme, die aus ihrer eigenen Atmosphäre ihre Nahrung saugt. Mehr oder weniger erleuchtet sie der Seele den ganzen Umfang der Welt, und nach eigenem Triebe kann diese sich ansiedeln, auch fern von dem Punkt, auf welchem sie zuerst entzündet ward für das neue Leben. Nur vom Gefühl ihres Unvermögens und ihrer Endlichkeit, von einer ursprünglichen, inneren Bestimmtheit gedrungen, sich in irgendeine bestimmte Gegend niederzulassen, wählt sie, ohne deshalb undankbar zu werden gegen ihren ersten Wegweiser, jedes Klima, welches ihr am besten zusagt; da sucht sie sich einen Mittelpunkt, bewegt sich durch freie Selbstbeschränkung in ihrer neuen Bahn, und nennt den ihren Meister, der diese ihre Lieblingsgegend zuerst aufgenommen und in ihrer Herrlichkeit dargestellt hat, seine Jüngerin durch eigene Wahl und freie Liebe. Nicht also, als ob ich euch oder andere bilden wollte zur Religion, oder euch lehren, wie ihr euch selbst absichtlich oder kunstmäßig dazu bilden möget: nein, ich will nicht aus den Gebiet der Religion herausgehen, was ich somit tun würde, sondern noch länger mit euch innerhalb desselben verweilen. Das Universum bildet sich selbst seine Betrachter und Bewunderer, und wie das geschehe, wollen wir nur anschauen, soweit es sich anschauen läßt.

Ihr wißt: die Art, wie jedes einzelne Element der Menschheit einem Individuum einwohnt, gibt sich daran zu erkennen, wie es durch die übrigen begrenzt oder freigelassen wird; nur durch diesen allgemeinen Streit erlangt jedes in jedem eine bestimmte Gestalt und Größe, und dieser wiederum wird nur durch die Gemeinschaft der Einzelnen und durch die Bewegung des Ganzen unterhalten. So ist jeder und jedes in jedem ein Werk des Ganzen, und nur so kann der fromme Sinn den Menschen auffassen. Auf diesen Grund der unleugbaren, von euch gepriesenen, von mir aber beklagten, religiösen Beschränkung unserer Zeitgenossen möchte ich euch zurückführen; ich möchte euch deutlich machen, warum wir so und nicht anders sind, und was geschehen müßte, wenn, wie es mir hohe Zeit scheint, unsere Grenzen auf dieser Seite wieder sollten erweitert werden. Und ich wollte nur, ihr könntet euch hierbei bewußt werden, wie auch ihr durch euer Sein und Wirken zugleich Werkzeuge des Universum seid, und wie euer auf ganz andere Dinge gerichtetes Tun Einfluß hat auf die Religion und ihren nächsten Zustand.

Der Mensch wird mit der religiösen Anlage geboren, wie mit jeder anderen, und wenn nur sein Sinn für seines eigenen Wesens innerste Tiefe nicht gewaltsam unterdrückt, wenn nur nicht jede Gemeinschaft zwischen ihm und dem Urwesen gesperrt und verrammelt wird – denn dies sind eingestanden die beiden Elemente der Religion – so müßte sie sich auch in jedem unfehlbar auf seine eigene Art entwickeln: aber das ist es eben, was leider von der ersten Kindheit an in so reichem Maße geschieht in unserer Zeit. Mit Schmerzen sehe ich es täglich, wie die Wut des Berechnens und Erklärens den Sinn gar nicht aufkommen läßt, und wie alles sich vereinigt, den Menschen an das Endliche und an einen sehr kleinen Punkt desselben zu befestigen, damit das Unendliche ihm soweit als möglich aus den Augen gerückt werde. Wer hindert das Gedeihen der Religion? Nicht ihr, nicht die Zweifler und Spötter: wenn ihr auch, wie diese, gern den Willen mitteiltet, keine Religion zu haben, so störet ihr doch, weil eure Einwirkungen erst später einen empfänglichen Boden finden, die Natur nicht, indem sie aus dem innersten Grunde der Seele die Frömmigkeit herausarbeiten will. Auch nicht die Sittenlosen hindern am meisten das Gedeihen der Religion, wie man wohl meint; ihr Streben und Wirken ist einer ganz anderen Kraft entgegengesetzt als dieser. Aber die verständigen und praktischen Menschen von heutzutage, diese sind in dem jetzigen Zustande der Welt das Feindselige gegen die Religion, und ihr großes Übergewicht ist die Ursache, warum sie eine so dürftige und unbedeutende Rolle spielt. Von der zarten Kindheit an mißhandeln sie den Menschen und unterdrücken sein Streben nach dem Höheren. Mit großer Andacht kann ich der Sehnsucht junger Gemüter nach dem Wunderbaren und Übernatürlichen zusehen. Wie freudig sie auch den bunten Schein der Dinge in sich aufnehmen, doch suchen sie zugleich etwas anderes, was sie ihm entgegensetzen können; auf allen Seiten greifen sie umher, ob nicht etwas über die gewohnten Erscheinungen und das leichte Spiel des Lebens hinausreiche; und wie viel auch ihrer Wahrnehmung irdische Gegenstände dargeboten werden, es ist immer, als hätten sie außer diesen Sinnen noch andere, welche ohne Nahrung vergehen müßten. Das ist die erste Regung der Religion. Eine geheime unverstandene Ahndung treibt sie über den Reichtum dieser Welt hinaus; daher ist ihnen jede Spur einer andern so willkommen; daher ergötzen sie sich an Dichtungen von überirdischen Wesen, und alles, wovon ihnen am klarsten ist, das es hier nicht sein kann, umfassen sie am stärksten mit jener eifersüchtigen Liebe, die man einem Gegenstande widmet, auf welchen man ein tief gefühltes, aber nicht äußerlich geltend zu machendes Recht hat. Freilich ist es eine Täuschung, das Unendliche gerade außerhalb des Endlichen, das Geistliche und Höhere außerhalb des Irdischen und Sinnlichen zu suchen; aber ist sie nicht höchst natürlich bei denen, welche auch das Endliche und Sinnliche selbst nur noch ganz von der Oberfläche kennen? und ist es nicht die Täuschung ganzer Völker und ganzer Schulen der Weisheit? Wenn es Pfleger der Religion gäbe unter denen, die sich des jungen Geschlechtes annehmen, wie leicht wäre dieser von der Natur selbst veranstaltete Irrtum hernach berichtigt, und wie begierig würde dann in helleren Zeiten die junge Seele sich den Eindrücken des Unendlichen in seiner Allgegenwart überlassen! Ehedem ließ man hierin das Leben selbst ruhig walten; der Geschmack an grotesken Figuren meinte man, sei der jungen Phantasie eigen in der Religion wie in der Kunst; man befriedigte ihn in reichem Maß, ja man knüpfte unbesorgt genug die ernste und heilige Mythologie, das, was man selbst für das innerste Wesen der Religion hielt, unmittelbar an diese luftigen Spiele der Kindheit an: der himmliche Vater, der Heiland und die Engel waren nur eine andere Art von Feen und Silfen. Und wurde auch durch manches in diesen kindlichen Vorstellungen bei vielen der Grund gelegt zu einer leichteren Herrschaft eines unzureichenden und toten Buchstabens, wenn die früheren Bilder erbleichten, das Wort aber, als der leere Rahmen, in dem sie befestigt gewesen waren, hängen blieb: dennoch blieb bei jener Behandlung der Mensch mehr sich selbst überlassen, und leichter fand ein gradsinniges, unverdorbenes Gemüt, das sich frei zu halten wußte von dem Kitzel des Grübelns und Klügelns, zu rechter Zeit den natürlichen Ausgang aus diesem Labyrinth. Jetzt hingegen wird jene Neigung von Anfang an gewaltsam unterdrückt, alles Geheimnisvolle und Wunderbare ist geächtet, die Phantasie soll nicht mit luftigen Bildern angefüllt werden; man kann ja, sagen sie, unterdes ebenso leicht das Gedächtnis mit wahren Gegenständen anfüllen, und Vorbereitungen treffen aufs Leben. So werden die armen jugendlichen Seelen, die nach ganz anderer Nahrung verlangt, mit moralischen Geschichten gelangweilt, und sollen lernen, wie schön und nützlich es ist, fein artig und verständig zu sein; von einzelnen Dingen, die ihnen bald genug von selbst entgegen treten würden, werden ihnen die überall geläufigen Vorstellungen, als ob es große Eile damit hätte, je eher je lieber eingeprägt; und ohne Rücksicht auf das zu nehmen, was ihnen fehlt, reicht man ihnen noch immer mehr von dem, wovon sie nur gar zu bald zu viel haben werden. In dem Maß, als der Mensch sich mit dem Einzelnen auf eine beschränkte Weise beschäftigen muß, regt sich auch, damit die Allgemeinheit des Sinnes nicht untergehe, in jedem der Trieb, die herrschende und jede ähnliche Tätigkeit ruhen zu lassen, und nur alle Organe zu öffnen, um von allen Eindrücken durchdrungen zu werden; und durch eine geheime, höchst wohltätige Sympathie ist dieser Trieb gerade dann am stärksten, wann sich das allgemeine Leben in der eigenen Brust und in der umgebenden Welt am vernehmlichsten offenbart: aber daß es ihnen nur nicht vergönnt wäre, diesem Triebe in behaglicher untätiger Ruhe nachzuhängen! Denn aus dem Standpunkt des bürgerlichen Lebens wäre dies Trägheit und Müßiggang. Absicht und Zweck muß in allem sein; sie müssen immer etwas verrichten, und wenn der Geist nicht mehr dienen kann, mögen sie den Leib üben; Arbeit und Spiel, nur keine ruhige, hingegebene Beschauung. – Die Hauptsache aber ist die, daß sie alles zerlegend erklären sollen, und mit diesem Erklären werden sie völlig betrogen um ihren Sinn; denn so, wie jenes betrieben wird, ist es diesem schlechthin entgegengesetzt. Der Sinn sucht sich Gegenstände selbsttätig auf, er geht ihnen entgegen und bietet sich ihren Umarmungen dar; er teilt ihnen etwas mit, was sie auch wieder als sein Eigentum, als sein Werk bezeichnet, er will finden und sich finden lassen; jenes Erklären aber weiß nichts von dieser lebendigen Aneignung, von dieser lichtenden Wahrheit und diesem wahrhaftigen Erfindungsgeist in der kindlichen Anschauung. Sondern von Anfang an sollen sie alle Gegenstände als ein Schlechthin-Gegebenes nur genau abschreiben in Gedanken, so wie sie ja wirklich, Gott sei Dank, da sind, für alle immer dasselbe, ein wohlerworbenes, angeerbtes Gut für jedermann, wer weiß wie lange schon in guter Ordnung aufgezählt und nach allen ihren Eigenschaften bestimmt. Darum nehmt sie nur, wie das Leben sie bringt; denn gerade die, die es bringt, müßt ihr verstehen, selbst aber suchen und gleichsam lebendiges Gespräch mit den Dingen führen wollen, ist exzentrisch und hochfahrend; es ist ein vergebliches Treiben, nichts fruchtend im menschlichen Leben, wo alles nur so angesehen und behandelt wird, wie es sich euch schon von selbst darbietet. Freilich nichts fruchtend dort, nur daß ein reges Leben, auf wahrer, innerer Bildung ruhend, nicht gefunden wird ohne dies. Der Sinn strebt, den ungeteilten Eindruck von etwas Ganzem zu fassen; was und wie etwas für sich ist, will er erschauen, und jedes in seinem eigentümlichen Charakter erkennen: daran ist ihnen für ihr Verstehen nichts gelegen; das Was und Wie liegt ihnen zu weit, es ist nur das Woher und Wozu, in welchem sie sich ewig herumdrehen, nicht an und für sich, sondern nur in bestimmten, einzelnen Beziehungen, und eben darum nicht ganz, sondern nur stückweise wollen sie etwas begreifen. Denn freilich danach fragen oder gründlich untersuchen, ob und wie das, was sie verstehen wollen, ein Ganzes ist: das würde sie viel zu weit führen, und wenn sie dies begehrten, würden sie auch so ganz ohne Religion wohl nicht abkommen; sondern gebrauchen wollen sie nur zu was immer für trefflichen Zwecken, und zum Behuf des Gebrauchs zerstückeln und anatomieren. Und auf diese Art gehen sie sogar mit demjenigen um, was vorzüglich dazu da ist, den Sinn auf seiner höchsten Stufe zu befriedigen, mit dem, was gleichsam ihnen zum Trotz ein Ganzes ist in sich selbst, ich meine, mit allem, was Kunst ist in der Natur und in den Werken des Menschen: sie vernichten es, ehe es seine Wirkung tun kann, weil sie es im Einzelnen erklären, es durch Auflösung erst seines Kunstcharakters berauben, und dann dies und jenes aus abgerissenen Stücken lehren und eindrücklich machen wollen. Ihr werdet zugeben müssen, daß dies in der Tat die Praxis unserer verständigen Leute ist; ihr werdet gestehen, daß ein reicher und kräftiger Überfluß an Sinn dazu gehört, wenn auch nur etwas davon dieser feindseligen Behandlung entgehen soll, und daß schon um deswillen die Anzahl derer nur gering sein kann, welche sich zu einer solchen Betrachtung irgendeines Gegenstandes zu erheben vermögen, die etwas Religiöses in ihnen aufregen kann. Noch mehr aber wird diese Entwickelung dadurch gehemmt, daß nun noch das Mögliche geschieht, damit der Sinn, welcher noch übrig blieb, sich nur nicht aufs Universum hinwende. In den Schranken des bürgerlichen Lebens muß die Jugend festgehalten werden mit allem, was in ihr ist. Alles Handeln soll sich ja doch auf dieses beziehen, und so, meinen sie, bestehe auch die gepriesene innere Harmonie des Menschen in nichts anderem, als daß*** sich alles wieder auf sein Handeln beziehe. Nur bedenken sie nicht, daß doch das Sein eines jeden im Staate ihm auch lebendig, und aus dem Ganzen, wie der Staat selbst entstanden ist, muß entstanden sein, wenn es ein wahres und freies Leben sein soll. Sondern in eine blinde Vergötterung des gegebenen bürgerlichen Lebens versunken, sind sie auch überzeugt, daß in demselben jeder Stoff genug finde für seinen Sinn und reiche Gemälde vor sich sähe, und daß sie deshalb schon recht hätten, lieber zu verhüten, daß nicht einer noch etwas anderes suche und ungenügsam heraustrete aus diesem Gesichtspunkt, der zugleich sein natürlicher Stand- und Drehpunkt ist. Daher dünken ihnen alle Erregungen und Versuche, welche hiermit nichts zu tun haben, gleichsam unnütze Ausgaben, die nur erschöpfen, und von denen die Seele möglichst abgehalten werden muß durch zweckmäßige Tätigkeit. Daher ist reine Liebe zur Dichtung und zur Kunst, ja auch zur Natur ihnen eine Ausschweifung, die man nur duldet, weil sie nicht ganz so arg ist als andere, und weil manche darin Trost und Ersatz finden für allerlei Übel. So wird auch das Wissen mit einer weisen und nüchternen Mäßigung, und nie ohne Beziehung auf das Leben betrieben, damit es diese Grenzen nicht überschreite; und indem auch das Kleinste, was auf diesem Gebiet Einfluß hat, nicht aus der Acht gelassen wird, verschreien sie, eben weil es weiter zielt, das Größte, als wäre es etwas Geringes oder Verkehrtes. Daß es dem ohnerachtet Dinge giebt***, die bis auf eine gewisse Tiefe erschöpft werden müssen, ist ihnen ein notwendiges Übel; und dankbar gegen die Götter, daß sich hierzu immer noch Einige aus unbezwinglicher Neigung hergeben, betrachten sie diese als freiwillige Opfer mit heiligem Mitleid. Daß es Gefühle gibt, die sich nicht zügeln lassen wollen durch ihre äußerlich gebietenden Formeln und Vorschriften, und daß so viele Menschen bürgerlich unglücklich oder unsittlich werden auf diesem Wege – denn auch die rechne ich zu dieser Klasse, die ein wenig über den Gewerbfleiß hinausgehen, und denen die sittliche Seite des bürgerlichen Lebens alles ist –, das ist der Gegenstand ihres herzlichsten Bedauerns, und sie nehmen es für einen der tiefsten Schäden der Menschheit, dem sie doch bald möglichst abgeholfen zu sehen wünschten. Das ist das große Übel, daß die guten Leute meinen, ihre Tätigkeit sei alles und erschöpfe die Aufgabe der Menschheit, und wenn man tue, was sie tun, bedürfe man auch keines Sinnes weiter, als nur für das, was man tut. Darum verstümmeln sie alles mit ihrer Schere, und nicht einmal eine eigentümliche Erscheinung, die ein religiöses Interesse erregen könnte, möchten sie aufkommen lassen; sondern was von ihrem Punkt aus gesehen und umfaßt werden kann, das heißt alles, was sie gelten lassen wollen, ist nur ein kleiner und unfruchtbarer Kreis ohne Wissenschaft, ohne Sitten, ohne Kunst, ohne Liebe, ohne Geist, ja ich möchte fast sagen, zuletzt wahrlich auch ohne Buchstaben, kurz: ohne alles, von wo aus sich die Welt entdecken ließe, wohl aber mit viel hochmütigen Ansprüchen auf alles dieses. Sie freilich meinen, sie hätten die wahre und wirkliche Welt, und sie wären es eigentlich, die alles in seinem rechten Zusammenhange faßten und behandelten. Möchten sie doch einmal einsehen, daß man jedes Ding, um es als Element des Ganzen anzuschauen, notwendig in seiner eigentümlichen Natur und in seiner höchsten Vollendung muß betrachtet haben. Denn im Universum kann es nur etwas sein durch die Totalität seiner Wirkungen und Verbindungen; auf diese kommt alles an, und um ihrer inne zu werden, muß man jede Sache nicht von einem Punkt außer ihr, sondern von ihrem eigenen Mittelpunkt aus, und von allen Seiten in Beziehung auf ihn betrachtet haben, das heißt in ihrem abgesonderten Dasein, in ihrem eigenen Wesen. Nur einen Gesichtspunkt zu wissen für alles, ist gerade das Gegenteil von dem, alle zu haben für jedes, es ist der Weg, sich in gerader Richtung vom Universum zu entfernen, und, in die jämmerlichste Beschränkung versunken, ein handlangender Leibeigener des Flecks zu werden, auf dem man eben von ohngefähr steht. – Es gibt in dem Verhältnis des Menschen zu dieser Welt gewisse Übergänge ins Unendliche, durchgehauene Aussichten, vor denen jeder vorübergeführt wird, damit sein Sinn den Weg finde zum Ganzen, und bei deren Anblick, wenn auch nicht unmittelbar Gefühle von bestimmtem Gehalt hervorgebracht werden, so doch eine allgemeine Erregbarkeit für alle religiösen Gefühle. Auch diese Aussichten verstopfen sie weislich, und stellen in die Öffnung irgendeine philosophische Karrikatur, wie man ja auch sonst einen unansehnlichen Platz mit einem schlechten Bilde zu verdecken pflegt; und wenn ihnen, wie es doch bisweilen geschieht, damit auch an ihnen die Allgewalt des Universum offenbar werde, irgendein Strahl zwischendurch in die Augen fällt, und ihre Seele sich einer schwachen Regung von jenen Empfindungen nicht erwehren kann: so ist das Unendliche nicht das Ziel, dem sie zufliegt, um daran zu ruhen, sondern, wie das Merkzeichen am Ende einer Rennbahn, nur der Punkt, um welchen sie sich, ohne ihn zu berühren, mit der größten Schnelligkeit herumbewegt, um nur je eher je lieber auf ihren alten Platz zurückkehren zu können. – Geboren werden und sterben sind solche Punkte, bei deren Wahrnehmung es uns nicht entgehen kann, wie unser eigenes Ich überall vom Unendlichen umgeben ist, und die trotz ihrer Alltäglichkeit, sobald sie uns näher berühren, alle mal eine stille Sehnsucht und eine heilige Ehrfurcht erregen; auch das Unermeßliche der sinnlichen Anschauung ist doch eine Hindeutung wenigstens auf eine andere und höhere Unendlichkeit; aber ihnen wäre eben nichts lieber, als wenn man den größten Durchmesser des Weltsystems ebenso brauchen könnte zu Maß und Gewicht im gemeinen Leben, wie jetzt den größten Kreis der Erde; und wenn die Bilder von Leben und Tod ihnen einmal nahe treten, glaubt mir, wie viel sie auch dabei sprechen mögen von Religion, es liegt ihnen nichts so sehr am Herzen, als bei jeder Gelegenheit dieser Art einige unter den jungen Leuten zu gewinnen für die Behutsamkeit und Sparsamkeit im Gebrauch ihrer Kräfte, und für die edle Kunst der Lebensverlängerung. Gestraft sind sie freilich genug; denn da sie auf keinem so hohen Standpunkte stehen, daß sie wenigstens diese Lebensweisheit, an der sie hängen, von Grund aus selbst zu bauen vermöchten; so bewegen sie sich sklavisch und ehrerbietig in alten Formen, oder ergötzen sich an kleinlichen Verbesserungen. Dies ist das Extrem des Nützlichen, zu dem das Zeitalter mit raschen Schritten hingeeilt ist von der unnützen, scholastischen Wortweisheit; eine neue Barbarei, als ein würdiges Gegenstück der alten; dies ist die schöne Frucht der väterlichen, eudämonistischen Politik, welche die Stelle des rohen Despotismus eingenommen und alle Verzweigungen des Lebens durchdrungen hat. Wir alle sind dabei hergekommen, und im frühen Keim hat die Anlage zur Religion gelitten, daß sie nicht gleichen Schritt halten kann in ihrer Entwickelung mit den übrigen.

Diese Menschen, die gebrechlichen Stützen einer baufälligen Zeit – euch, mit denen ich rede, kann ich sie gar nicht beigesellen, wie ihr selbst euch ihnen auch wohl nicht gleichstellen wollt; denn sie verachten die Religion nicht, obgleich sie sie, soviel an ihnen ist, vernichten, und sie sind auch nicht Gebildete zu nennen, obwohl sie das Zeitalter bilden und die Menschen aufklären, und dies gern tun möchten bis zur leidigen Durchsichtigkeit –; diese sind immer noch der herrschende Teil, ihr und wir ein kleines Häufchen.

Ganze Städte und Länder werden nach ihren Grundsätzen erzogen; und wenn die Erziehung überstanden ist, findet man sie wieder in der Gesellschaft, in den Wissenschaften und in der Philosophie: ja auch in dieser, denn nicht nur die alte – ihr wißt wohl, man teilt jetzt die Philosophie mit viel historischem Geist nur in die alte, neue und neueste – ist ihr eigentlicher Wohnsitz, sondern selbst die neue haben sie in Besitz genommen. Durch ihren mächtigen Einfluß auf jedes weltliche Interesse und durch den falschen Schein von Philantropie, welcher auch die gesellige Neigung blendet, hält diese Denkungsart noch immer die Religion im Druck, und widerstrebt jeder Bewegung, durch welche sich irgendwo ihr Leben offenbaren will, mit voller Kraft. Nur mit Hilfe des stärksten Oppositionsgeistes gegen diese allgemeine Tendenz kann sich also jetzt die Religion emporarbeiten, und nirgend kann sie fürs erste in einer anderen Gestalt erscheinen, als in der, welche jenen am meisten zuwider sein muß. Denn so wie alles dem Gesetz der Verwandtschaft folgt, so kann auch der Sinn nur da die Oberhand gewinnen, wo er einen Gegenstand in Besitz genommen hat, an dem jenes ihm feindselige Verhältnis nur lose hängt, und den er also sich am leichtesten und mit einem Übermaß freier Kraft zueignen kann. Dieser Gegenstand aber ist die innere Welt, nicht die äußere. Die erklärende Psychologie, dieses Meisterstück jener Art des Verstandes, hat zuerst sich durch Unmäßigkeit erschöpft und fast um allen guten Namen gebracht, und so hat auf diesem Gebiete zuerst der berechnende Verstand wieder der reinen Wahrnehmung das Feld geräumt. Wer also ein religiöser Mensch ist, der ist gewiß in sich gekehrt, mit seinem Sinn in der Betrachtung seiner selbst begriffen, aber dabei der innersten Tiefe zugewendet, und alles Äußere, das intellektuelle sowohl als das physische, für jetzt noch den Verständigen überlassend zum großen Ziel ihrer Untersuchungen. Ebenso entwickelt sich nach demselben Gesetz das Gefühl für das Unendliche am leichtesten in denen, die von dem Zentralpunkt aller jener Gegner des allgemeinen, vollständigen Lebens durch ihre Natur am weitesten abgetrieben werden. Daher kommt es, daß seit langem her alle wahrhaft religiösen Gemüter sich durch einen mystischen Anstrich auszeichnen, und daß alle phantastischen Naturen, die zu luftig sind, um sich mit den derben und starren weltlichen Angelegenheiten zu befassen, wenigstens Regungen von Frömmigkeit haben. Dies ist der Charakter aller religiösen Erscheinungen unserer Zeit, dies sind die beiden Farben, aus denen sie immer, wenn gleich in den verschiedensten Mischungen, zusammengesetzt sind. Erscheinungen, sage ich, denn mehr ist schwerlich zu erwarten in dieser Lage der Dinge. Den phantastischen Naturen gebricht es an durchdringendem Geist, an Fähigkeit, sich des Wesentlichen zu bemächtigen. Ein leichtes, abwechselndes Spiel von schönen, oft entzückenden, aber immer nur zufälligen und ganz subjektiven Kombinationen genügt ihnen, und ist ihr Höchstes; ein tiefer und innerer Zusammenhang bietet sich ihren Augen vergeblich dar. Sie suchen eigentlich nur die Unendlichkeit und Allgemeinheit des reizenden Scheines, die, je nachdem man es nimmt, weit weniger oder auch weit mehr ist, als wohin ihr Sinn wirklich reicht; aber an Schein sind sie einmal gewohnt sich zu halten, und daher gelangen sie, statt zu einem gesunden und kräftigen Leben, nur zu zerstreuten und flüchtigen Regungen des Gefühls. Leicht entzündet sich ihr Gemüt, aber nur mit einer unstäten, gleichsam leichtfertigen Flamme; sie haben nur Regungen von Religion, wie sie sie haben von Kunst, von Philosophie, und allem Großen und Schönen, dessen Oberfläche sie einmal an sich zieht. Denjenigen dagegen, zu deren innerem Wesen die Religion zwar vorzüglich gehört, deren Sinn aber immer in sich gekehrt bleibt, weil er sich eines Mehreren in der gegenwärtigen Lage der Welt nicht zu bemächtigen weiß, diesen gebricht es zu bald an Stoff, um ihr Gefühl zu einer selbständigen Frömmigkeit auszubilden. Es giebt eine große, kräftige Mystik, die auch der frivolste Mensch nicht ohne Ehrerbietung und Andacht betrachten kann, und die dem Vernünftigsten Bewunderung abnötigt durch ihre heroische Einfalt und ihre stolze Weltverachtung. Nicht eben gesättigt und überschüttet von äußeren Einwirkungen des Alls; aber von jeder einzelnen durch einen geheimnisvollen Zug immer wieder zurückgetrieben auf sich selbst, und sich findend als den Grundriß und Schlüssel des Ganzen; durch eine große Analogie und einen kühnen Glauben überzeugt, daß es nicht nötig sei, sich selbst zu verlassen, sondern daß der Geist genug habe an sich, um auch alles dessen, was man ihm von außen geben könne, inne zu werden: verschließt er durch einen freien Entschluß die Augen auf immer gegen alles, was nicht er ist; aber diese Verachtung ist keine Unbekanntschaft, dieses Verschließen des Sinnes ist kein Unvermögen.

So aber ist es leider heutiges Tages mit den Unsrigen: sie haben nicht gelernt, sich der Natur öffnen, das lebendige Verhältnis zu ihr ist ihnen verleidet durch die schlechte Art, wie ihnen immer nur das Einzelne mehr vorgezeichnet worden ist, als gezeigt; sie haben nun weder Sinn noch Licht genug übrig von ihrer Selbstbeschauung, um diese alte Finsternis zu durchdringen, und zürnend mit dem Zeitalter, dem sie Vorwürfe zu machen haben, mögen sie gar nicht mit dem zu schaffen haben, was sein Werk in ihnen ist. Darum ist das höhere Gefühl in ihnen ungebildet und dürftig, krankhaft und beschränkt ihre wahre innere Gemeinschaft mit der Welt; und allein, wie sie sind, mit ihrem Sinn, gezwungen, sich in einem allzuengen Kreise ewig umher zu bewegen, stirbt ihr religiöser Sinn, nach einem kränklichen Leben, aus Mangel an Reiz an indirekter Schwäche. Für die, deren Sinn für das Höchste, sich kühn nach außen wendend, auch dort sein Leben mehr auszubreiten und zu erneuern sucht, gibt es ein anderes Ende, das ihr Mißverhältnis gegen das Zeitalter nur zu deutlich offenbart, einen sthenischen Tod, eine Euthanasie also, wenn ihr wollt, aber eine furchtbare: den Selbstmord des Geistes, wenn er, nicht verstehend die Welt zu fassen, deren inneres Wesen, deren großer Sinn ihm fremd blieb unter den kleinlichen Ansichten, auf die ein äußerer Zwang ihn beschränkte; getäuscht von verwirrten Erscheinungen, hingegeben zügellosen Phantasieen, suchend das Universum und seine Spuren da, wo es nimmer war, endlich unwillig den Zusammenhang des Innern und Äußern gänzlich zerreißt, den ohnmächtigen Verstand verjagt und in einem heiligen Wahnsinn endet, dessen Quelle fast niemand erkennt; ein laut schreiendes, und doch nie verstandenes Opfer der allgemeinen Verachtung und Mißhandlung des Innersten im Menschen. Aber doch nur ein Opfer, kein Held; wer untergeht, wenn auch nur in der letzten Prüfung, kann nicht unter die ge: zählt werden, welche die innersten Mysterien empfangen haben.

Diese Klage, daß es keine beständigen und vor der ganzen Welt anerkannten Repräsentanten der Religiosität unter uns gibt, soll dennoch nicht zurücknehmen, was ich früher, wohl wissend, was ich sagte, behauptet habe: daß nämlich auch unser Zeitalter der Religion nicht ungünstiger sei, als jedes andere. Gewiß, die Masse derselben in der Welt ist nicht verringert: aber zerstückelt und zu weit auseinander getrieben durch einen gewaltigen Druck, offenbart sie sich nur in kleinen und leichten, aber häufigen Erscheinungen, welche mehr die Mannigfaltigkeit des Ganzen erhöhen und das Auge des Beobachters ergötzen, als daß sie für sich einen großen und erhabenen Eindruck hervorbringen könnten. Die Überzeugung, daß es viele giebt, die den frischesten Duft des jungen Lebens in heiliger Sehnsucht und Liebe zum Ewigen und Unvergänglichen ausatmen, und spät erst, vielleicht nie ganz von der Welt überwunden werden; daß es keinen giebt, dem nicht einmal wenigstens der hohe Weltgeist erschienen wäre, und dem Beschämten über sich selbst, dem Errötenden über seine unwürdige Beschränktheit einen von jenen tiefdringenden Blicken zugeworfen hätte, die das niedergesenkte Auge fühlt, ohne sie zu sehen; – hier stehe sie noch einmal, und das Bewußtsein eines jeden unter euch möge sie lichten. Nur an Heroen der Religion, an heiligen Seelen, wie man sie ehedem sah, denen sie alles ist, und die ganz von ihr durchdrungen sind, fehlt es diesem Geschlecht, und muß es ihm fehlen. Und so oft ich darüber nachdenke, was geschehen, und welche Richtung unsere Bildung nehmen muß, wenn religiöse Menschen in einem höheren Stil wieder erscheinen sollen, als seltene zwar, aber doch natürliche Produkte ihrer Zeit; so finde ich, daß ihr durch euer ganzes Streben – ob mit eurem Bewußtsein, möget ihr selbst entscheiden – einer Palingenesie der Religion nicht wenig zu zuhilfe kommt, und daß teils euer allgemeines Wirken, teils die Bestrebungen eines engeren Kreises, teils die erhabenen Ideen einiger außerordentlicher Geister im Gange der Menschheit benutzt werden zu diesem Endzwecke.

Die Stärke und der Umfang, sowie die Reinheit und Klarheit jeder Wahrnehmung hängt ab von der Schärfe und Tüchtigkeit des Sinnes; und der Weiseste, aber ohne geöffnete Sinne, wenn es einen solchen geben könnte, aber wir haben uns ja wohl immer auch solche abgezogene, in sich beschlossene Weise gedacht, ein solcher wäre der Religion nicht näher als der Törichtste und Leichtfertigste, der nur einen offenen und treuen Sinn hätte. Alles also muß davon anheben, daß der Sklaverei ein Ende gemacht werde, worin der Sinn der Menschen gehalten wird zum Behuf jener Verstandesübungen, durch die nichts geübt wird, jener Erklärungen, die nichts hell machen, jener Zerlegungen, die nichts auflösen; und dies ist ein Zweck, auf den ihr alle mit vereinten Kräften bald hinarbeiten werdet. Denn es ist mit den Verbesserungen der Erziehung gegangen wie mit allen Revolutionen, die nicht aus den höchsten Prinzipien angefangen wurden; sie gleiten allmählich wieder zurück in den alten Gang der Dinge, und nur einige Veränderungen im Äußern erhalten das Andenken der – anfangs für Wunder wie groß gehaltenen – Begebenheit. So auch unsere verständige und praktische Erziehung von heute unterscheidet sich nur noch wenig – und dies Wenige liegt weder im Geiste noch in der Wirkung – von der alten mechanischen. Dies ist euch nicht entgangen; sie fängt an, allen wahrhaft Gebildeten ebenso verhaßt zu werden, als sie es mir ist; und eine reinere Idee verbreitet sich von der Heiligkeit des kindlichen Alters und von der Ewigkeit der unverletzlichen Freiheit, auf deren Äußerungen man auch bei den noch in der ersten Entwicklung begriffenen Menschen schon warten und lauschen müsse. Bald werden diese Schranken gebrochen werden, die anschauende Kraft wird von ihrem ganzen Reiche Besitz nehmen, jedes Organ wird sich auftun, und die Gegenstände werden sich auf alle Weise mit dem Menschen in Berührung setzen können. Mit dieser wiedergewonnenen Freiheit des Sinnes kann aber sehr wohl bestehen eine Beschränkung und feste Richtung der Tätigkeit. Dies ist die große Forderung, mit welcher die Besseren unter euch jetzt hervortreten an die Zeitgenossen und an die Nachwelt. Ihr seid müde, das fruchtlose encyklopödische Herumfahren mit anzusehen, ihr seid selbst nur auf dem Wege dieser Selbstbeschränkung das geworden, was ihr seid, und ihr wißt, daß es keinen andern gibt, um sich zu bilden; ihr dringt also darauf, jeder solle etwas Bestimmtes zu werden suchen, und sollte irgendetwas mit Stätigkeit und ganzer Seele betreiben. Niemand kann die Richtigkeit dieses Rates besser einsehen als der, welcher schon zu einer gewissen Allgemeinheit des Sinnes herangereift ist; denn er muß wissen, daß es auch für die Wahrnehmung keine Gegenstände geben würde, wenn nicht alles gesondert und beschränkt wäre. Und so freue auch ich mich dieser Bemühungen, und wollte, sie wären schon weiter gediehen. Der Religion werden sie trefflich zunutze kommen. Denn gerade diese Beschränkung der Kraft, wenn er nur nicht selbst auch beschränkt wird, bahnt dem Sinn desto sicherer den Weg zum Unendlichen, und eröffnet wieder die so lange gesperrte Gemeinschaft. Wer vieles angeschaut hat und kennt, und sich dann entschließen kann, etwas Einzelnes mit ganzer Kraft und um sein selbst willen zu tun und zu fördern, der kann doch nicht anders, als auch das übrige Einzelne für etwas erkennen, was um sein selbst Willen gemacht werden und da sein soll, weil er sonst sich selbst widersprechen würde: und wenn er dann, was er wählte, so hoch getrieben hat, als er kann, so wird es ihm gerade auf dem Gipfel der Vollendung am wenigsten entgehen, daß dies eben nichts ist ohne das übrige. Dieses einem sinnigen Menschen sich überall aufdringende Anerkennen des Fremden und Vernichten des Eigenen, dieses zu gelegener Zeit abwechselnd geforderte Lieben und Verachten alles Endlichen und Beschränkten ist nicht möglich, ohne eine dunkle Ahndung der Welt und Gottes, und muß notwendig eine lautere und bestimmtere Sehnsucht nach dem Einen in allem herbeiführen.

Drei verschiedene Gebiete des Sinnes kennt jeder aus seinem eigenen Bewußtsein, in welche sich die verschiedenen Äußerungen desselben teilen. Das eine ist das Innere des Ich selbst; dem andern gehört alles Äußere zu, inwiefern es ein in sich Unbestimmtes und Unvollendetes ist, ihr mögt es Masse nennen, Stoff oder Element, oder wie ihr sonst wollt; das dritte endlich scheint beide zu verbinden, indem der Sinn, in ein stetes Hin- und Herschweben zwischen den Richtungen nach innen und nach außen versetzt, nur in der Annahme ihrer unbedingten, innigsten Vereinigung Ruhe findet; dies ist das Gebiet des Individuellen, des in sich Vollendeten, oder alles dessen, was Kunst ist in der Natur und in den Werken des Menschen. Nicht jeder Einzelne ist allen diesen Gebieten gleich befreundet, aber von jedem derselben gibt es einen Weg zu frommen Erhebungen des Gemütes, die nur eine eigentümliche Gestalt annehmen nach der Verschiedenheit des Weges, auf welchem sie gefunden worden sind. – Schaut euch selbst an mit unverwandter Anstrengung, sondert alles ab, was nicht euer Ich ist, fahrt so immer fort mit immer schärfer auf das rein Innere gerichtetem Sinn: und je mehr, indem ihr alles Fremde in Abrechnung bringt, eure Persönlichkeit und euer abgesondertes Dasein euch verringert erscheinen, ja beinahe ganz selbst verschwinden, desto klarer wird das Universum vor euch dastehen, desto herrlicher werdet ihr belohnt werden für den Schreck der Selbstvernichtung des Vergänglichen durch das Gefühl des Ewigen in euch. Schaut außer euch, auf irgend eines von den weitverbreiteten Elementen der Welt, und faßt es auf in seinem eigensten Wesen, aber sucht es auch auf überall, wo es ist, nicht nur an und für sich, sondern in diesem und jenem, in euch und überall; wiederholt euren Weg vom Umkreise zum Mittelpunkte immer öfter und in weiteren Entfernungen! so werdet ihr, indem ihr jedes überall wiederfindet, und indem ihr es nicht anders erkennen könnt als im Verhältnis zu seinem Gegensatz, bald alles Einzelne und Abgesonderte verlieren, und das Universum gefunden haben. Welcher Weg nun aber zur Religion führe aus dem dritten Gebiet, dem des Kunstsinns, dessen unmittelbarer Gegenstand doch auch keineswegs das Universum selbst ist, sondern ebenfalls Einzelnes nur, aber in sich selbst Vollendetes und Abgeschlossenes, was ihn befriedigt, von welchem aus also das in jedem einzelnen Genuß befriedigte und sich ruhig darin versenkende Gemüt nicht zu einer solchen Fortschreitung getrieben wird, wodurch das Einzelne gleichsam allmählich verschwindet, und das Ganze an seine Stelle geschoben wird; oder ob es vielleicht einen solchen Weg überall nicht gibt, sondern dieses Gebiet abgeschlossen für sich bleibt, und die Künstler vielleicht deshalb verurteilt sind, irreligiös zu sein; oder ob nur ein ganz anderes Verhältnis stattfindet zwischen Kunst und Religion als das obige: dies sollte ich wohl lieber euch als Aufgabe zur eigenen Lösung aufstellen, als es ebenso bestimmt wie das Vorige euch darlegen. Denn mir wäre wohl die Untersuchung zu schwer und zu fremd; ihr aber wißt euch nicht wenig mit eurem Sinn für die Kunst und eurer Liebe zu ihr, sodaß ich euch auch gern allein gewähren lasse auf eurem heimischen Boden. Eins nur wünschte ich, möchte nicht bloß Wunsch sein und Ahndung, sondern Einsicht und Weissagung, was ich hierüber denke; sehet aber zu, was es sein mag. Wenn es nämlich wahr ist, daß es schnelle Bekehrungen gibt, Veranlassungen, durch welche dem Menschen, der an nichts weniger dachte, als sich über das Endliche zu erheben, in einem Moment, wie durch eine innere, unmittelbare Erleuchtung der Sinn für das Höchste aufgeht, und es ihn überfällt mit seiner Herrlichkeit: so glaube ich, daß mehr als irgend etwas anderes der Anblick großer und erhabener Kunstwerke dieses Wunder verrichten kann; und daß also auch ihr, ohne daß eine allmähliche Annäherung vorangeht, vielleicht plötzlich einmal von einem solchen Strahl eurer Sonne getroffen, umkehrt zur Religion.

Auf dem ersten Wege, dem der abgezogensten Selbstbetrachtung das Universum zu finden, war das Geschäft des uralten morgenländischen Mystizismus, der mit bewundernswerter Kühnheit, und nahe genug der neueren Erscheinung des Idealismus unter uns, das Unendlich-Große unmittelbar anknüpfte an das Unendlich-Kleine, und alles fand dicht an der Grenze des Nichts. Von der Betrachtung der Massen und ihrer Gegensätze aber ging offenbar jede Religion aus, deren Schematismus der Himmel war, oder die elementarische Natur; und das vielgötterige Ägypten war lange die vollkommenste Pflegerin dieser Sinnesart, in welcher – es läßt sich wenigstens ahnen – die reinste Anschauung des Ursprünglichen und Lebendigen in demütiger Duldsamkeit dicht neben der finstersten Superstition und der sinnlosesten Mythologie mag gewandelt haben. Und wenn nichts zu sagen ist von einer Religion, die, von der Kunst ursprünglich ausgegangen, Völker und Zeiten beherrscht hätte: so ist dieses desto deutlicher, daß der Kunstsinn sich niemals jenen beiden Arten der Religion genähert hat, ohne sie mit neuer Schönheit und Heiligkeit zu überschütten und ihre ursprüngliche Beschränktheit freundlich zu mildern. So wurde durch die älteren Weisen und Dichter, und vorzüglich durch die bildenden Künstler der Griechen die Naturreligion in eine schönere und fröhlichere Gestalt umgewandelt, und so erblicken wir in allen mythischen Darstellungen des göttlichen Platon und der Seinigen, die ihr doch selbst mehr für religiös werdet gelten lassen als für wissenschaftlich, eine schöne Steigerung jener mystischen Selbstbeschauung auf dem höchsten Gipfel der Göttlichkeit und der Menschlichkeit, und ein nur, durch das gewohnte Leben im Gebiete der Kunst und durch die ihnen einwohnende Kraft vornehmlich der Dichtkunst bewirktes lebendiges Bestreben, von dieser Form der Religion zu der entgegengesetzten hindurch dringend, beide miteinander zu vereinigen. Daher kann man nur bewundern die schöne Selbstvergessenheit, womit er im heiligen Eifer wie ein gerechter König, der auch der zu weichherzigen Mutter nicht schont, gegen die Kunst redet; denn alles, was nicht dem Verfall gilt, oder ein durch ihn erzeugter Mißverstand ist, galt nur dem freiwilligen Dienst, den sie der unvollkommenen Naturreligion leistete. Jetzt dient sie keiner, und alles ist anders und schlechter. Religion und Kunst stehen nebeneinander wie zwei befreundete Wesen, deren innere Verwandtschaft, wiewohl gegenseitig unerkannt und kaum geahndet, doch auf mancherlei Weise herausbricht. Wie die ungleichartigen Pole zweier Magnete werden sie von einander angezogen, heftig bewegt, vermögen aber nicht bis zum gänzlichen Zusammenstoßen und Einswerden ihren Schwerpunkt zu überwinden. Freundliche Worte und Ergießungen des Herzens schweben ihnen immer auf den Lippen, und kehren immer wieder zurück, weil sie die rechte Art und den letzten Grund ihres Sinnens und Sehnens noch nicht wiederfinden können. Sie harren einer näheren Offenbarung, und, unter gleichem Druck leidend und seufzend, sehen sie einander dulden, mit inniger Zuneigung und tiefem Gefühl vielleicht, aber doch ohne wahrhaft vereinigende Liebe. Soll nur dieser gemeinschaftliche Druck den glücklichen Moment ihrer Vereinigung herbeiführen? Oder wird aus reiner Liebe und Freude bald ein neuer Tag aufgehen für die eine, die euch so wert ist? Wie es auch komme, jede zuerst befreite wird gewiß eilen, wenigstens mit schwesterlicher Treue sich der anderen anzunehmen. – Aber für jetzt entbehren beide Arten der Religion nicht nur der Hilfe der Kunst: auch an sich ist ihr Zustand übler als sonst. Groß und prächtig strömten beide Quellen der Wahrnehmung und des Gefühls vom Unendlichen zu einer Zeit, wo wissenschaftliches Klügeln ohne wahre Prinzipien noch nicht durch seine Gemeinheit der Reinigkeit des Sinnes Abbruch tat, obschon keine für sich reich genug war, um das Höchste hervorzubringen; jetzt sind sie außerdem getrübt durch den Verlust der Einfalt und durch den verderblichen Einfluß einer eingebildeten und falschen Einsicht. Wie reinigt man sie? wie schafft man ihnen Kraft und Fülle genug, um zu mehr als ephemeren Produkten den Erdboden zu befruchten? Sie zusammenzuleiten und in einem Bett zu vereinigen, das ist das Einzige, was die Religion auf dem Wege, den wir gehen, zur Vollendung bringen kann; das wäre eine Begebenheit, aus deren Schoß sie bald in einer neuen und herrlichen Gestalt besseren Zeiten entgegengehen würde.

Sehet da! so ist, ihr möget es nun wollen oder nicht, das Ziel eurer gegenwärtigen höchsten Anstrengungen zugleich die Auferstehung der Religion! Eure Bemühungen sind es, welche diese Begebenheit herbeiführen müssen, und ich feiere euch als die, wenn gleich unabsichtlichen Retter und Pfleger der Religion. Weichet nicht von eurem Posten und eurem Werke, bis ihr das Innerste der Erkenntnis aufgeschlossen und in priesterlicher Demut das Heiligtum der wahren Wissenschaft eröffnet habt, wo allen, welche hinzutreten, und auch den Söhnen der Religion, alles ersetzt wird, was ein halbes Wissen und ein übermütiges Pochen darauf verlieren machte. Die Philosophie, den Menschen erhebend zum Bewußtsein seiner Wechselwirkung mit der Welt, ihn sich kennen lehrend, nicht nur als abgesondertes und einzelnes, sondern als lebendiges, mitschaffendes Glied des Ganzen zugleich, wird nicht länger leiden, daß unter ihren Augen der, seines Zwecks verfehlend, arm und dürftig verschmachte, welcher das Auge seines Geistes standhaft in sich gekehrt hält, dort das Universum zu suchen. Eingerissen ist die ängstliche Scheidewand; alles außer ihm ist nur ein anderes in ihm, alles ist der Wiederschein seines Geistes, sowie sein Geist der Abdruck von allem ist; er darf sich suchen in diesem Wiederschein, ohne sich zu verlieren oder aus sich herauszugehen; er kann sich nie erschöpfen im Anschauen seiner selbst, denn alles liegt in ihm. Die Sittenlehre in ihrer züchtigen, himmlischen Schönheit, fern von Eifersucht und despotischem Dünkel, wird ihm selbst beim Eingang die himmlische Leier und den magischen Spiegel reichen, um das ernste, stille Bilden des Geistes, in unzähligen Gestalten immer dasselbe durch das ganze unendliche Gebiet der Menschheit zu erblicken, und es mit göttlichen Tönen zu begleiten. Die Naturwissenschaft stellt den, welcher um sich schaut, das Universum zu erblicken, mit kühnen Schritten in den Mittelpunkt der Natur, und leidet nicht länger, daß er sich fruchtlos zerstreue und bei einzelnen kleinen Zügen verweile. Das Spiel ihrer Kräfte darf er dann verfolgen bis in ihr geheimstes Gebiet, von den unzugänglichen Vorratskammern des beweglichen Stoffes bis in die künstliche Werkstätte des organischen Lebens; er ermißt ihre Macht von den Grenzen des Welten gebärenden Raumes bis in den Mittelpunkt seines eigenen Ichs, und findet sich überall mit ihr im ewigen Streit und in der unzertrennlichsten Vereinigung, sich ihr innerstes Zentrum und ihre äußerste Grenze. Der Schein ist geflohen und das Wesen errungen; fest ist sein Blick und hell seine Aussicht, überall unter allen Verkleidungen dasselbe erkennend und nirgends ruhend, als in dem Unendlichen und Einen. Schon sehe ich einige bedeutende Gestalten, eingeweihet in diese Geheimnisse, aus dem Heiligtum zurückkehren, die sich nur noch reinigen und schmücken, um im priesterlichen Gewande hervorzugehen. Möge denn auch die eine Göttin noch säumen mit ihrer hilfreichen Erscheinung; auch dafür bringt uns die Zeit einen großen und reichen Ersatz. Denn das größte Kunstwerk ist das, dessen Stoff die Menschheit selbst ist, welches die Gottheit unmittelbar bildet, und für dieses muß vielen der Sinn bald aufgehen. Denn sie bildet auch jetzt mit kühner und kräftiger Kunst, und ihr werdet die Neokoren sein, wenn die neuen Gebilde aufgestellt sind im Tempel der Zeit. Leget den Künstler aus mit Kraft und Geist, erklärt aus den früheren Werken die späteren, und diesen aus jenen. Laßt uns Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umschlingen, eine endlose Galerie der erhabensten Kunstwerke, durch tausend glänzende Spiegel ewig vervielfältigt. Laßt die Geschichte, wie es derjenigen ziemt, der Welten zu Gebote stehen, mit reicher Dankbarkeit der Religion lohnen, als ihrer ersten Pflegerin, und der ewigen Macht und Weisheit wahre und heilige Anbeter erwecken. Seht, wie das himmliche Gewächs ohne euer Zutun mitten in euren Pflanzungen gedeiht, zum Beweise von dem Wohlgefallen der Götter und von der Unvergänglichkeit eures Verdienstes. Stört es nicht und rauft es nicht aus! es ist ein Schmuck, der sie ziert, ein Talisman der sie schützt.

 Top