Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern

V. Über die Religionen

Daß der Mensch, in der unmittelbarsten Gemeinschaft mit dem Höchsten begriffen, ein Gegenstand der Achtung ja der Ehrfurcht für euch alle sein muß; daß keiner, der von jenem Zustande noch etwas zu verstehen fähig ist, sich bei der Betrachtung desselben dieser Gefühle enthalten kann: das ist über allen Zweifel hinaus. Verachten mögt ihr jeden, dessen Gemüt leicht und ganz von kleinlichen Dingen angefüllt wird: aber vergebens werdet ihr versuchen, den gering zu schätzen, der das Größte in sich saugt, und sich davon nährt. Lieben oder hassen mögt ihr jeden, je nachdem er auf der beschränkten Bahn der Tätigkeit und der Bildung mit euch oder gegen euch geht: aber auch das schönste Gefühl unter denen, die sich auf Gleichheit gründen, wird nicht in euch haften können in Beziehung auf den, welcher so weit über euch erhaben ist, als derjenige, der in der Welt das höchste Wesen sucht, über jedem steht, der sich nicht mit ihm in demselben Zustande befindet. Ehren müßt ihr, so sagen eure Weisesten, auch wider Willen den Tugendhaften, der nach den Gesetzen der sittlichen Natur das Endliche unendlichen Forderungen gemäß zu bestimmen trachtet: aber wenn es euch auch möglich wäre, in der Tugend selbst etwas Lächerliches zu finden, wegen des Gegensatzes beschränkter Kräfte mit dem unendlichen Beginnen; so würdet ihr doch demjenigen Achtung und Ehrfurcht nicht versagen können, dessen Organe dem Universum geöffnet sind, und der, fern von jedem Streit und Gegensatz, erhaben über jedes unvollendbare Streben, von den Einwirkungen desselben durchdrungen und eins mit ihm geworden, wenn ihr ihn in diesem köstlichsten Moment des menschlichen Daseins betrachtet, den himmlischen Strahl unverfälscht auf euch zurückwirft. Ob also die Idee, welche ich euch gemacht von dem Wesen und Leben der Religion, euch jene Achtung abgenötigt hat, die ihr falschen Vorstellungen zufolge und weil ihr bei zufälligen Dingen verweiltet, so oft von euch versagt worden ist; ob meine Gedanken über den Zusammenhang dieser uns allen inwohnenden Anlage mit dem, was sonst unserer Natur Vortreffliches und Göttliches zugeteilt ist, euch angeregt haben zu einem innigeren Anschauen unseres Seins und Werdens; ob ihr aus dem höheren Standpunkt, den ich euch gezeigt habe, in jener so sehr verkannten, erhabeneren Gemeinschaft der Geister, wo jeder, den Ruhm seiner Willkür, den Alleinbesitz seiner innersten Eigentümlichkeit und ihres Geheimnisses nichts achtend, sich freiwillig hingibt, um sich anschauen zu lassen als ein Werk des ewigen und alles bildenden Weltgeistes: ob ihr in ihr nun das Allerheiligste der Geselligkeit bewundert, das Ungleich-Höhere als jede irdische Verbindung, das Heiligere als selbst der zarteste Freundschaftsbund einzelner sittlicher Gemüter; ob also die ganze Religion in ihrer Unendlichkeit, in ihrer göttlichen Kraft euch hingerissen hat zur Anbetung: darüber frage ich euch nicht; denn ich bin der Kraft des Gegenstandes gewiß, der nur aus seinen entstellenden Verhüllungen befreit werden durfte, um auf euch zu wirken. Jetzt aber habe ich zuletzt ein neues Geschäft auszurichten und einen neuen Widerstand zu besiegen. Ich will euch gleichsam zu dem Gott, der Fleisch geworden ist, hinführen; ich will euch die Religion zeigen, wie sie sich ihrer Unendlichkeit entäußert hat und in oft dürftiger Gestalt unter den Menschen erschienen ist; in den Religionen sollt ihr die Religion entdecken; in dem, was immer nur irdisch und verunreinigt vor euch steht, die einzelnen Züge derselben himmlischen Schönheit aufsuchen, deren Gestalt ich abzubilden versucht habe.

Wenn ihr einen Blick auf den gegenwärtigen Zustand der Dinge werft, wo die Spaltungen der Kirche und die Verschiedenheit der Religion fast überall zusammentreffen, und beide in ihrer Absonderung unzertrennlich verbunden zu sein scheinen, wo es so viel Lehrgebäude und Glaubensbekenntnisse gibt als Kirchen und religiöse Gemeinschaften: so könntet ihr leicht verleitet werden, zu glauben, daß in meinem Urteil über die Vielheit der Kirche zugleich auch das über die Vielheit der Religion ausgesprochen sei; ihr würdet aber darin meine Meinung gänzlich mißverstehen. Ich habe die Vielheit der Kirche verdammt; aber eben, indem ich aus der Natur der Sache gezeigt habe, daß hier alle streng und gänzlich trennenden Umrisse sich verlieren, alle bestimmten Abteilungen verschwinden, und alles nicht nur dem Geist und der Teilnahme nach ein ungetrenntes Ganze sein, sondern auch der wirkliche Zusammenhang sich immer größer ausbilden und immer mehr jener höchsten allgemeinen Einheit nähern soll; so habe ich überall die Vielheit der Religion und ihre bestimmteste Verschiedenheit als etwas Notwendiges und Unvermeidliches vorausgesetzt. Denn warum sollte die innere wahre Kirche eins sein? Nicht auch darum, damit jeder anschauen und sich mitteilen lassen könnte die Religion des andern, die er nicht als seine eigene anschauen kann, weil sie als in allen einzelnen Regungen von der seinigen verschieben gedacht wurde? Warum sollte auch die äußere und uneigentlich sogenannte Kirche nur eine sein? Darum, damit jeder in ihr die Religion in der Gestalt aufsuchen könnte, die dem schlummernden Keim, der in ihm liegt, die angemessene ist, welcher also wohl von einer bestimmten Art sein mußte, wenn er doch nur durch dieselbe bestimmte Art befruchtet und erweckt werden kann. Und unter diesen verschiedenen Erscheinungen der Religion konnten eben deshalb nicht etwa nur Ergänzungsstücke gemeint sein, die bloß numerisch und der Größe nach verschieden, wenn man sie zusammenbrächte ein gleichförmiges und dann erst vollendetes Ganze ausgemacht hätten; denn alsdann würde jeder in seiner natürlichen Fortschreitung von selbst zu demjenigen gelangen, was des anderen ist; die Religion, die er sich mitteilen läßt, würde sich in die seinige verwandeln und mit ihr eins werden, und die Kirche, diese jedem religiösen Menschen, auch zufolge der angegebenen Absicht, als unentbehrlich sich darstellende Gemeinschaft mit allen Gläubigen, wäre nur eine interimistische und sich selbst durch ihre eigene Wirkung nur um so schneller wieder aufhebende Anstalt, wie ich sie doch keineswegs will gedacht oder dargestellt haben. So habe ich die Mehrheit der Religionen vorausgesetzt, und ebenso finde ich sie im Wesen der Religion begründet.

So viel sieht jeder leicht, daß niemand alle Religionen vollkommen in sich selbst besitzen kann; denn der Mensch ist auf eine gewisse Weise bestimmt, die Religion aber auf unendlich viele bestimmbar; allein ebenso wenig kann auch das euch fremd sein, daß sie nicht etwa nur teilweise, so viel eben jeder zu fassen vermag, und aufs Geratewohl unter den Menschen zerstückelt sein kann, sondern daß sie sich in Erscheinungen organisieren muß, welche mehr voneinander verschieden und auch mehr einander gleich sind. Erinnert euch nur an die mehreren Stufen der Religion, auf welche ich euch aufmerksam gemacht habe, daß nämlich die Religion dessen, dem die Welt sich schon als ein lebendiges Ganze zu erkennen gibt, nicht eine bloße Fortsetzung sein kann von der Ansicht dessen, der sie nur erst in ihren scheinbar entgegengesetzten Elementen anschaut, und daß dahin, wo dieser steht, wiederum derjenige nicht auf seinem bisherigen Wege gelangen kann, dem das Universum noch eine chaotische und ungesonderte Vorstellung ist. Ihr mögt diese Verschiedenheiten nun Arten oder Grade der Religion nennen: so werdet ihr doch zugeben müssen, daß sonst überall, wo es solche Verschiedenheiten gibt, das heißt, wo eine unendliche Kraft sich erst in ihren Darstellungen teilt und sondert, sie sich auch in eigentümlichen und verschiedenen Gestalten zu offenbaren pflegt. Ganz etwas anderes ist es also mit der Vielheit der Religionen, als mit der der Kirche. Denn das Wesen der Kirche ist ja dieses, daß sie Gemeinschaft sein will. Also kann ihre Grenze nicht sein die Einerleiheit des Religiösen, weil es ja eben das Verschiedene ist, welches in Gemeinschaft soll gebracht werden. Sondern wenn ihr meint, woran ihr auch offenbar ganz recht habt, daß auch sie in der Wirklichkeit nie völlig und auf gleiche Weise könne eins werden: so kann dies nur darin gegründet sein, daß jede wirklich in Zeit und Raum bestehende Gemeinschaft ihrer Natur nach begrenzt ist, und in sich selbst zerfällt, weil sie zu sehr abnehmen müßte an Innigkeit, wenn sie ungemessen zunähme an Umfang. Die Religion hingegen setzt gerade in ihrer Vielheit die möglichste Einheit der Kirche voraus, indem sie nicht minder für die Gemeinschaft als für den Einzelnen selbst sich in diesem auf das bestimmteste auszubilden strebt. Ihr selbst aber ist diese Vielheit notwendig, weil sie nur so ganz erscheinen kann. Sie muß ein Prinzip sich zu individualisieren in sich haben, weil sie sonst gar nicht da sein und wahrgenommen werden könnte. Daher müssen wir eine unendliche Menge bestimmter Formen postulieren und aufsuchen, in denen sie sich offenbart, und wo wir etwas finden, was eine solche zu sein behauptet, wie denn jede abgesonderte Religion sich dafür ausgibt, müssen wir sie darauf ansehen, ob sie diesem Prinzip gemäß eingerichtet ist, und müssen uns dann das, wodurch sie ein Besonderes sein und darstellen will, klar machen; sei es auch unter welchen fremden Umhüllungen versteckt, und wie sehr entstellt nicht allein von den unvermeidlichen Einwirkungen des Vergänglichen, zu welchem das Unvergängliche sich herabgelassen hat, sondern auch von der unheiligen Hand frevelnder Menschen.

Wollt ihr demnach von der Religion nicht nur im allgemeinen einen Begriff haben, und es wäre ja unwürdig, wenn ihr euch mit einer so unvollkommenen Kenntnis begnügen wolltet; wollt ihr sie recht eigentlich in ihrer Wirklichkeit und in ihren Erscheinungen verstehen; wollt ihr diese selbst religiös auffassen als ein ins Unendliche fortgehendes Werk des Geistes, der sich in aller menschlichen Geschichte offenbart: so müßt ihr den eitlen und vergeblichen Wunsch, daß es nur eine Religion geben möchte, aufgeben; ihr müßt euren Widerwillen gegen ihre Mehrheit ablegen und so unbefangen als möglich zu allen denen hinzutreten, die sich schon in der Menschheit wechselnden Gestalten und während ihres auch hierin fortschreitenden Laufes aus dem ewig reichen Schoße des geistigen Lebens entwickelt haben.

Positive Religionen nennt ihr diese vorhandenen bestimmten religiösen Erscheinungen, und sie sind unter diesem Namen schon lange der Gegenstand eines ganz vorzüglichen Hasses gewesen; dagegen ihr bei allem Widerwillen gegen die Religion überhaupt, etwas, was ihr zum Unterschiede von jenen die natürliche Religion nennt, immer leichter geduldet und sogar mit Achtung davon gesprochen habt. Ich stehe nicht an, euch das innere meiner Gesinnungen hierüber gleich mit einem Worte zu eröffnen, indem ich nämlich für mein Teil diesen Vorzug gänzlich ableugne und erkläre, daß es für alle, welche überhaupt Religion zu haben und sie zu lieben vorgeben, die gröbste Inkonsequenz wäre, einen solchen Vorzug einzuräumen, und daß sie dadurch in den offenbarsten Widerspruch mit sich selbst geraten würden. Ja ich für mein Teil würde glauben, alle meine Mühe verloren zu haben, wenn ich nichts gewönne, als euch jene natürliche Religion zu empfehlen. Für euch hingegen, welchen die Religion überhaupt zuwider war, habe ich es immer sehr natürlich gefunden, wenn ihr zu ihren Gunsten einen Unterschied machen wolltet. Die sogenannte natürliche Religion ist gewöhnlich so abgeschliffen und hat so metaphysische und moralische Manieren, daß sie wenig von dem eigentümlichen Charakter der Religion durchschimmern läßt; sie weiß so zurückhaltend zu leben, sich einzuschränken und sich zu fügen, daß sie überall wohl gelitten ist: dagegen hat jede positive Religion gewisse starke Züge und eine sehr kenntlich gezeichnete Physiognomie, so daß sie bei jeder Bewegung, welche sie macht, wenn man auch nur einen flüchtigen Blick auf sie wirft, jeden unfehlbar an das erinnert, was sie eigentlich ist. Wenn dies, so wie es der einzige ist, der die Sache selbst trifft, so auch der wahre und innere Grund eurer Abneigung ist: so müßt ihr euch jetzt von ihr losmachen und ich sollte eigentlich nicht mehr gegen sie zu streiten haben. Denn wenn ihr nun, wie ich hoffe, ein günstigeres Urteil über die Religion überhaupt fällt? wenn ihr einseht, daß ihr eine besondere und edle Anlage im Menschen zum Grunde liegt, die folglich auch, wo sie sich zeigt, muß gebildet werden: so kann es euch doch nicht zuwider sein, sie in den bestimmten Gestalten anzuschauen, in denen sie schon wirklich erschienen ist, und ihr müßt vielmehr diese um so lieber eurer Betrachtung würdigen, je mehr das Eigentümliche und Unterscheidende der Religion in ihnen ausgebildet ist.

Aber diesen Grund nicht eingestehend, werdet ihr vielleicht alle alten Vorwürfe, die ihr sonst der Religion überhaupt zu machen gewohnt wäret, jetzt auf die einzelnen Religionen werfen und behaupten, daß gerade in dem, was ihr das Positive in der Religion nennt, dasjenige liegen müsse, was diese Vorwürfe immer aufs neue veranlaßt und rechtfertigt: und daß eben deswegen dies die natürlichen Erscheinungen der wahren Religion, wie ich sie euch darzustellen versucht habe, nicht sein können. Ihr werdet mich aufmerksam darauf machen, wie sie alle ohne Unterschied voll sind von dem, was meiner eigenen Aussage nach nicht das Wesen der Religion ist, und daß also ein Prinzip des Verderbens tief in ihrer Konstitution liegen müsse; ihr werdet mich daran erinnern, wie jede unter ihnen sich für die einzig wahre, und gerade ihr Eigentümliches für das schlechthin Höchste erklärt; wie sie sich von einander gerade durch dasjenige als durch etwas Wesentliches unterscheiden, was jede so viel als möglich von sich hinaustun sollte; wie sie ganz gegen die Natur der wahren Religion beweisen, widerlegen und streiten, es sei nun mit den Waffen der Kunst und des Verstandes, oder mit noch fremderen, wohl gar unwürdigen; ihr werdet hinzufügen, daß ihr gerade, inwiefern ihr die Religion achtet und für etwas Wichtiges anerkennet, ein lebhaftes Interesse daran nehmen müßtet, daß sie die größte Freiheit sich nach allen Seiten aufs mannigfaltigste auszubilden überall genieße: und daß ihr also nur um so lebhafter jene bestimmten religiösen Formen hassen müßtet, welche alle, die sich zu ihnen bekennen, an derselben Gestalt und demselben Wort festhalten, ihnen die Freiheit, ihrer eigenen Natur zu folgen, entziehen, und sie in unnatürliche Schranken einzwängen; wogegen ihr mir in allen diesen Punkten die Vorzüge der natürlichen Religion vor den positiven kräftig anpreisen werdet.

Ich bezeuge noch einmal, daß ich in allen Religionen Mißverständnisse und Entstellungen nicht leugnen will, und daß ich gegen den Widerwillen, welchen diese euch einflößen, nichts einwende. Ja ich erkenne in ihnen allen jene viel beklagte Ausartung und Abweichung in ein fremdes Gebiet; und je göttlicher die Religion selbst ist, um desto weniger will ich ihr Verderben ausschmücken und ihre wilden Auswüchse bewundernd pflegen. Aber vergeßt einmal diese doch auch einseitige Ansicht; und folgt mir zu einer anderen. Bedenkt, wie viel von diesem Verderben auf die Rechnung derer kommt, welche die Religion aus dem Innern des Herzens hervorgezogen haben in die bürgerliche Welt; gesteht, daß vieles überall unvermeidlich ist, so bald das Unendliche eine unvollkommene und beschränkte Hülle annimmt, und in das Gebiet der Zeit und der allgemeinen Einwirkung endlicher Dinge, um sich von ihr beherrschen zu lassen, herabsteigt. Wie tief aber auch dieses Verderben in ihnen eingewurzelt sein mag, und wie sehr sie darunter gelitten haben mögen: so bedenkt wenigstens auch, daß, wenn es die eigentliche religiöse Ansicht aller Dinge ist, auch in dem, was uns gemein und niedrig zu sein scheint, jede Spur des Göttlichen, Wahren und Ewigen aufzusuchen, und auch die entfernteste noch anzubeten, gerade dasjenige am wenigsten des Vorteils einer solchen Betrachtung entbehren darf, was die gerechtesten Ansprüche darauf hat, religiös gerichtet zu werden. Jedoch ihr werdet mehr finden als nur entfernte Spuren der Göttlichkeit. Ich lade euch ein, jeden Glauben zu betrachten, zu dem sich Menschen bekannt haben, jede Religion, die ihr durch einen bestimmten Namen und Charakter bezeichnet, und die vielleicht nun längst ausgeartet ist in eine gedankenlose Folge leerer Gebräuche, in ein System abstrakter Begriffe und Theorien: ob ihr nicht, wenn ihr sie an ihrer Quelle und nach ihren ursprünglichen Bestandteilen untersucht, dennoch finden werdet, daß alle toten Schlacken einst glühende Ergießungen des inneren Feuers waren, daß in allen Religionen mehr oder minder enthalten ist von dem wahren Wesen derselben, wie ich es euch dargestellt habe; und daß sonach jede gewiß eine von den besonderen Gestalten war, welche in den verschiedenen Gegenden der Erde und auf den verschiedenen Stufen der Entwickelung die Menschheit in dieser Beziehung notwendig annehmen mußte. Damit ihr aber nicht aufs ohngefähr in diesem unendlichen Chaos umherirrt – denn ich muß Verzicht darauf tun, euch in demselben regelmäßig und vollständig herumzuweisen; es wäre das Studium eines Lebens, und nicht das Geschäft eines Gespräches –, damit ihr, ohne durch die herrschenden unrichtigen Begriffe verführt zu werden, nach einem richtigen Maßstabe den wahren Gehalt und das eigentliche Wesen der einzelnen Religionen abmessen, und durch ein bestimmtes und festes Verfahren das Innere von dem Äußerlichen, das Eigene von dem Erborgten und Fremden, das Heilige von dem Profanen scheiden möget: so vergeßt fürs erste jede einzelne, und das, was für ihr charakteristisches Merkmal gehalten wird, und sucht von innen heraus erst eine allgemeine Ansicht darüber zu gewinnen, auf welche Weise eigentlich das Wesen einer positiven Religion aufgefaßt und bestimmt werden muß. Ihr werdet alsdann finden, daß gerade die positiven Religionen die bestimmten Gestalten sind, unter denen die Religion sich darstellen muß, und daß eure sogenannte natürliche gar keinen Anspruch darauf machen kann, etwas Ähnliches zu sein, indem sie nur ein unbestimmter dürftiger und armseliger Gedanke ist, dem in der Wirklichkeit nie eigentlich etwas entsprechen kann; ihr werdet finden, daß in jenen allein eine wahre individuelle Ausbildung der religiösen Anlage möglich ist, und daß sie, ihrem Wesen nach, der Freiheit ihrer Bekenner darin gar keinen Abbruch tun.

Warum habe ich angenommen, daß die Religion nicht anders als in einer großen Mannigfaltigkeit möglichst bestimmter Formen vollständig gegeben werden kann? Nur aus Gründen, welche sich aus dem von dem Wesen der Religion Gesagten von selbst ergeben. Nämlich die ganze Religion ist freilich nichts anderes als die Gesamtheit aller Verhältnisse des Menschen zur Gottheit in allen möglichen Auffassungsweisen, wie jeder sie als sein unmittelbares Leben inne werden kann; und in diesem Sinne gibt es freilich eine allgemeine Religion, weil es wirklich nur ein armseliges und verkrüppeltes Leben wäre, wenn nickt überall, wo Religion sein soll, auch alle jene Verhältnisse vorkämen. Aber keineswegs werden alle sie auf dieselbe Weise auffassen, sondern auf ganz verschiedene, und eben weil nur diese Verschiedenheit das Unmittelbar-Gefühlte sein wird und das Allein-Darstellbare, jene Zusammenfassung aller Verschiedenheiten aber nur das Gedachte: so habt ihr unrecht mit eurer einen allgemeinen Religion, die allen natürlich sein soll, sondern keiner wird seine wahre und rechte Religion haben, wenn sie dieselbe sein soll für alle. Denn schon weil wir Wo sind, gibt es unter diesen Verhältnissen des Menschen zum Ganzen ein Näher und Weiter, und durch diese Relation zu den übrigen wird notwendig jedes Gefühl jedem im Leben ein anders bestimmtes. Dann aber auch, weil wir Wer sind, ist in jedem eine größere Empfänglichkeit für einige religiöse Wahrnehmungen und Gefühle vor anderen, und auch auf diese Weise ist jedes überall ein anderes. Nun aber kann doch offenbar nicht durch eine einzelne dieser Beziehungen jedem Gefühl sein Recht widerfahren, sondern nur durch alle insgesamt, und daher eben kann die ganze Religion unmöglich anders vorhanden sein, als wenn alle diese verschiedenen Ansichten jedes Verhältnisses, die auf solche Art entstehen können, auch wirklich gegeben werden: und dies ist nicht anders möglich, als in einer unendlichen Menge verschiedener Formen, deren jede durch das verschiedene Prinzip der Beziehung in ihr hinreichend bestimmt, und in deren jeder dasselbe religiöse Element eigentümlich modifiziert ist, das heißt, welche sämtlich währe Individuen sind. Wodurch nun diese Individuen bestimmt werden und sich voneinander unterscheiden, und was auf der anderen Seite das Zusammenhaltende, was das Gemeinschaftliche in ihren Bestandteilen ist, oder das Anziehungsprinzip, dem sie folgen, und wonach man also von jeder gegebenen religiösen Einzelheit beurteilen müßte, welcher Art von Religion sie angehöre, das liegt schon in dem Gesagten. Allein von den uns geschichtlich vorliegenden Religionen, an denen sich doch erstere Ansicht allein bewähren kann, wird behauptet, daß dies alles in ihnen anders sei, und sie sich nicht so gegen einander verhielten, und dies müssen wir noch untersuchen.

Eine bestimmte Form der Religion kann dies zuerst unmöglich insofern sein, als sie etwa ein bestimmtes Quantum religiösen Stoffes enthält. – Dies ist eben das gänzliche Mißverständnis über das Wesen der einzelnen Religionen, welches sich häufig unter ihre Bekenner selbst verbreitet und vielfältig gegenseitige falsche Beurteilungen veranlaßt hat. Sie haben eben gemeint, weil doch so viele Menschen sich dieselbe Religion zueignen, so müßten sie auch dasselbe Maß religiöser Ansichten und Gefühle, und so auch ihres Meinens und Glaubens haben, und eben dies Gemeinschaftliche müsse das Wesen ihrer Religion sein. Es ist freilich überall nicht leicht möglich, das eigentlich Charakteristische und Individuelle einer Religion mit Sicherheit zu finden, wenn man sich dabei an das Einzelne halten will; aber hierin, so gemein auch der Begriff ist, kann es doch am wenigsten liegen, und wenn auch ihr etwa glaubt, das deswegen die positiven Religionen der Freiheit des Einzelnen in der Ausbildung seiner Religion nachteilig sind, weil sie eine bestimmte Summe von religiösen Anschauungen und Gefühlen fordern, und andere ausschließen, so seid ihr im Irrtum. Einzelne Wahrnehmungen und Gefühle sind, wie ihr wißt, die Elemente der Religion, und diese nur so als einen zusammengerafften Haufen zu betrachten, wie viele ihrer und namentlich, was für welche vorhanden sind, das kann uns unmöglich auf den Charakter eines Individuum der Religion führen. Wenn sich, wie ich euch schon zu zeigen gesucht, die Religion deswegen auf vielfache Weise besonders gestalten muß, weil von jedem Verhältnis verschiedene Ansichten möglich sind, je nachdem es auf die übrigen bezogen wird: so wäre uns freilich mit einem solchen ausschließlichen Zusammenfassen mehrerer unter ihnen, wodurch ja keine von jenen möglichen Ansichten bestimmt wird, gar nichts geholfen; und wenn die positiven Religionen sich nur durch eine solche Ausschließung unterschieden, so könnten sie allerdings die individuellen Erscheinungen nicht sein, welche wir suchen. Daß dies aber in der Tat nicht ihr Charakter ist, erhellt daraus, weil es unmöglich ist, von diesem Gesichtspunkt aus zu einem bestimmten Begriff von ihnen zu gelangen; und ein solcher muß doch von ihnen unmöglich sein, weil sie in der Erscheinung beharrlich gesondert sind. Denn nur was ineinander fließt, kann auch im Begriff nicht gesondert werden. Denn es leuchtet ein, daß nicht auf eine bestimmte Weise die verschiedenen religiösen Wahrnehmungen und Gefühle voneinander abhängen und durch einander erregt werden; sondern wie jedes für sich besteht, so kann auch jedes durch die verschiedensten Kombinationen auf jedes andere führen. Daher könnten gar nicht verschiedene Religionen lange Zeit nebeneinander bestehen, wenn sie nur so unterschieden wären; sondern jede würde sich bald zur Gleichheit mit allen übrigen ergänzen. Daher ist auch schon in der Religion jedes einzelnen Menschen, wie sie sich im Laufe seines Lebens bildet, nichts zufälliger, als die in ihm zum Bewußtsein gekommene Summe seines religiösen Stoffes. Einzelne Ansichten können sich ihm verdunkeln, andere können ihm aufgehen und sich zur Klarheit bilden, und seine Religion ist von dieser Seite immer beweglich und fließend. Und so kann ja noch viel weniger die Begrenzung, die in jedem Einzelnen so veränderlich ist, das Feststehende und Wesentliche in der mehreren gemeinschaftlichen Religion sein; denn wie höchst zufällig und selten muß es sich nicht ereignen, daß mehrere Menschen auch nur eine Zeit lang in demselben bestimmten Kreise von Wahrnehmungen stehen bleiben, und auf demselben Wege der Gefühle fortgehen. Daher ist auch unter denen, die ihre Religion so bestimmen, ein beständiger Streit über das, was zu derselben wesentlich gehöre, und was nicht; sie wissen nicht, was sie als charakteristisch und notwendig festsetzen, was sie als frei und zufällig absondern sollen; sie finden den Punkt nicht, aus dem sie das Ganze übersehen können, und verstehen die religiöse Erscheinung nicht, in der sie selbst zu leben, für die sie zu streiten wähnen, und zu deren Ausartung sie beitragen, eben weil sie vom Ganzen derselben zwar ergriffen sind, selbst aber wissentlich nur das Einzelne ergreifen. Glücklich also, daß der Instinkt, den sie nicht verstehen, sie richtiger leitet als ihr Verstand, und daß die Natur zusammenhält, was ihre falschen Reflexionen und ihr darauf gegründetes Tun und Treiben vernichten würden. Wer den Charakter einer besonderen Religion in ein bestimmtes Quantum von Wahrnehmungen und Gefühlen setzt, der muß notwendig einen inneren und objektiven Zusammenhang annehmen, der gerade diese untereinander verbindet und alle andern ausschließt. Und diese irrige Vorstellung hängt freilich genau genug zusammen mit der gewöhnlichen, aber dem Geist der Religion gar nicht angemessenen Art, die religiösen Vorstellungen zusammenzustellen und zu vergleichen. Ein Ganzes nun, welches wirklich so gebildet wäre, wäre freilich nicht ein solches, wie wir es suchen, wodurch die Religion ihrem ganzen Umfange nach eine bestimmte Gestalt gewinnt, sondern es wäre statt eines Ganzen nur ein willkürlicher Ausschnitt aus dem Ganzen, und nicht eine Religion, sondern eine Sekte, weil es fast nur entstehen kann, indem es die religiösen Erfahrungen eines Einzelnen, und zwar auch nur aus einem kurzen Zeitraum seines Lebens, zur Norm für eine Gemeinschaft annimmt. – Aber die Formen, welche die Geschichte hervorgebracht hat, und welche wirklich vorhanden sind, sind auch nicht Ganze von dieser Art. Alles Sektieren, es sei nun spekulativ, um einzelne Anschauungen in einen philosophierenden Zusammenhang zu bringen, oder asketisch, um auf ein System und eine bestimmte Folge von Gefühlen zu dringen, arbeitet auf eine möglichst vollendete Gleichförmigkeit aller, die an demselben Stück Religion Anteil haben wollen. Wenn es nun denen, die von dieser Wut angesteckt sind, und denen es gewiß an Tätigkeit nicht fehlt, noch nie gelungen ist, irgend eine positive Religion bis zur Sekte herabzusetzen: so werdet ihr doch gestehen, daß letztere, da sie doch auch einmal, und zwar die größten durch Einzelne entstanden sind, und insofern sie trotz jener Angriffe noch existieren, nach einem andern Prinzip gebildet worden sein und einen anderen Charakter haben müssen. Ja, wenn ihr an die Zeit denkt, wo sie entstanden sind, so werdet ihr dies noch deutlicher einsehen: denn ihr werdet euch erinnern, das jede positive Religion während ihrer Bildung und ihrer Blüte, zu der Zeit also, wo ihre eigentümliche Lebenskraft am jugendlichsten und frischesten wirkt und auch am sichersten erkannt werden kann, sich in einer ganz entgegengesetzten Richtung bewegt, nicht sich konzentrierend und vieles aus sich ausscheidend, sondern wachsend nach außen, immer neue Zweige treibend, und immer mehr religiösen Stoffes sich aneignend, um ihn ihrer besonderen Natur gemäß auszubilden. Nach jenem falschen Prinzip also sind sie nicht gestaltet; es ist nicht eins mit ihrer Natur; es ist ein von außen eingeschlichenes Verderben, und da es ihnen ebenso wohl zuwider ist, als dem Geist der Religion überhaupt, so kann ihr Verhältnis gegen dasselbe, welches ein immerwährender Krieg ist, eher beweisen als widerlegen, daß sie so wirklich gebildet sind, wie wahrhaft individuelle Erscheinungen der Religion müssen gebildet sein.

Ebensowenig konnten jemals jene Verschiedenheiten in der Religion überhaupt, auf welche ich euch bisher hier und da aufmerksam gemacht habe, oder andere hinreichen, um eine durchaus und als ein Individuum bestimmte Form hervorzubringen. Jene drei so oft angeführten Arten, des Seins und seiner Allheit inne zu werden, als Chaos, als System und in seiner elementarischen Vielheit, sind weit davon entfernt, ebenso viel einzelne und bestimmte Religionen zu sein. Ihr werdet wissen, daß, wenn man einen Begriff einteilt, so viel man will und bis ins Unendliche fort, man doch dadurch nie auf Individuen kommt, sondern immer nur auf weniger allgemeine Begriffe, die unter jenen enthalten sind, auf Arten und Unterabteilungen, die wieder eine Menge sehr verschiedener einzelner unter sich begreifen können: um aber den Charakter der Einzelwesen selbst zu finden, muß man aus dem allgemeinen Begriff und seinen Merkmalen herausgehen. Jene drei Verschiedenheiten in der Religion sind aber in der Tat nichts anderes, als eine solche gewöhnliche und überall wiederkommende Einteilung nach dem allen geläufigen Schema von Einheit, Vielheit und Allheit. Sie sind also Arten der Religion, aber nicht religiöse Einzelwesen, und das Bedürfnis, weswegen wir diese suchen, würde auch dadurch, daß Religion auf diese dreifache Weise vorhanden ist, gar nicht befriedigt werden. Es liegt aber hinlänglich am Tage, daß, wenn gleich, wie es allerdings sein muß, jede bestimmte Form der Religion sich zu einer von diesen Arten bekennt, sie dadurch keineswegs eine einzelne, in sich völlig bestimmte wird. Denn ihr seht ja auf jedem von diesen Gebieten eine Mehrheit solcher Erscheinungen, die ihr unmöglich für etwa nur dem Scheine nach verschieden halten könnt. Also kann es dieses Verhältnis ebenfalls nicht sein, welches die einzelnen Religionen gebildet hat. Ebensowenig sind offenbar der Personalismus und die ihm entgegengesetzte pantheistische Vorstellungsart in der Religion zwei solche individuelle Formen. Denn auch diese gehen ja durch alle drei Arten der Religion hindurch, und können schon um deswillen keine Individuen sein. Sondern sie sind nur eine andere Art der Unterabteilung, indem, was unter jene drei gehört, sich entweder auf diese oder auf jene Art darstellen kann. Denn das wollen wir allerdings nicht vergessen, worüber wir schon neulich waren übereingekommen, daß dieser Gegensatz nur auf der Art beruht, wie das religiöse Gefühl selbst wieder betrachtet und seinen Äußerungen ein gemeinsamer Gegenstand gesetzt wird: so daß, wenn sich auch die eine besondere Religion mehr zu dieser, die andere mehr zu jener Art der Darstellung und des Ausdruckes neigt, doch hierdurch unmittelbar auch die Eigentümlichkeit einer Religion ebensowenig als ihre Würde und die Stufe ihrer Ausbildung kann bestimmt werden. Auch bleiben, ob ihr das eine oder das andere setzt, alle einzelnen Elemente der Religion in Absicht auf ihre gegenseitige Beziehung ebenso unbestimmt, und keine von den vielen Ansichten derselben wird dadurch realisiert, daß der eine oder der andere Gedanke sie begleitet; wie ihr das an allen religiösen Darstellungen sehen könnt, welche rein deistisch sind, und doch für völlig bestimmt möchten gehalten sein. Denn ihr werdet da überall finden, daß alle religiösen Gefühle, und besonders – welches der Punkt ist, um den sich in dieser Sphäre alles zu drehen pflegt – die Ansichten von den Bewegungen der Menschheit im Einzelnen, und von ihrer höchsten Einheit in dem, was über ihre Willkür hinaus liegt, in ihrem Verhältnis gegeneinander völlig im Unbestimmten und Vieldeutigen schweben. So sind demnach auch diese beiden selbst als Darstellung nur allgemeinere Formen, welche auf mancherlei Weise näher bestimmt und individualisiert werden können; und wenn ihr auch eine nähere Bestimmung dadurch versuchen wollt, daß ihr sie mit einer von den drei bestimmten Arten der Anschauung einzeln verbindet, so werden auch diese aus verschiedenen Einteilungsgründen des Ganzen zusammengesetzte Formen doch nur engere Unterabteilungen sein, aber keineswegs durchaus bestimmte und einzelne Ganze. Also weder der Naturalismus – ich verstehe darunter das Innewerden der Welt, welches sich auf die elementarische Vielheit beschränkt, ohne die Vorstellung von persönlichem Bewußtsein und Willen der einzelnen Elemente –, noch der Pantheismus, weder die Vielgötterei, noch der Deismus, sind einzelne und bestimmte Religionen, wie wir sie suchen, sondern nur Arten, in deren Gebiet gar viele eigentliche Individuen sich schon entwickelt haben, und noch mehrere sich entwickeln werden.

Demnach bleibt, daß ich's kurz sage, kein anderer Weg übrig, wie eine wirklich individuelle kann zustande gebracht worden sein, als dadurch, daß irgendeines von den großen Verhältnissen der Menschheit in der Welt und zum höchsten Wesen, auf eine bestimmte Art, welche, wenn man nur auf die Idee der Religion sieht, als reine Willkür erscheinen kann, sieht man aber auf die Eigentümlichkeit der Bekenner, vielmehr die reinste Notwendigkeit in sich trägt, und nur der natürliche Ausdruck ihres Wesens selbst ist, zum Mittelpunkt der gesamten Religion gemacht, und alle übrigen auf diese eine bezogen werden. Dadurch kommt sogleich ein bestimmter Geist und ein gemeinschaftlicher Charakter in das Ganze; alles bekommt feste Haltung, was vorher vieldeutig und unbestimmt war; von den unendlich vielen verschiedenen Ansichten und Beziehungen einzelner Elemente, welche alle möglich waren und alle dargestellt werden sollten, wird durch jede solche Formation eine durchaus realisiert; alle einzelnen Elemente erscheinen nun von einer gleichnamigen Seite, von der, welche jenem Mittelpunkt zugekehrt ist, und alle Gefühle erhalten eben dadurch einen gemeinschaftlichen Ton und werden lebendiger und eingreifender ineinander. Nur in der Totalität aller in einem solchen Sinne möglichen Formen kann die ganze Religion wirklich gegeben werden, und sie wird also nur in einer unendlichen Reihe, in verschiedenen Punkten des Raumes sowohl als der Zeit sich allmählich entwickelnder Gestalten dargestellt, und nur was in einer von diesen Formen liegt, trägt zu ihrer vollendeten Erscheinung etwas bei. Jede solche Gestaltung der Religion, wo in Beziehung auf ein alle anderen gleichsam vermittelndes oder in sich aufnehmendes Verhältnis zur Gottheit alles gesehen und gefühlt wird, wo und wie sie sich auch bilde, und welches immer dieses vorgezogene Verhältnis sei, ist eine eigene positive Religion; in Beziehung auf die Gesamtheit der religiösen Elemente, um ein Wort zu gebrauchen, das wieder sollte zu Ehren gebracht werden, eine Häresis, weil unter vielen gleichen eines zum Haupte der übrigen gleichsam gewählt wird; in Rücksicht aber auf die Gemeinschaft aller Teilhaber und ihr Verhältnis zu dem, der zuerst ihre Religion gestiftet hat, weil er zuerst jenen Mittelpunkt zu einem klaren Bewußtsein erhoben hat, eine eigene Schule und Jüngerschaft. Wenn aber nun, wie wir hoffentlich einig geworden sind, nur in und durch solche bestimmte Formen die Religion dargestellt wird; so hat auch nur der, welcher sich mit der seinigen in einer solchen niederläßt, eigentlich einen festen Wohnsitz, und, daß ich so sage, ein wohlerworbenes Bürgerrecht in der religiösen Welt; nur er kann sich rühmen, zum Dasein und zum Werden des Ganzen etwas beizutragen; nur er ist eine vollständige religiöse Person, auf der einen Seite einer Sippschaft angehörig durch gemeinsame Art, auf der anderen sich eigentümlich unterscheidend durch feste und bestimmte Züge.

Vielleicht aber möchte hier mancher, der schon ein Interesse nimmt an den Angelegenheiten der Religion, mit Bestürzung oder auch ein Widriggesinnter mit Hinterlist fragen, ob denn nun jeder Fromme an eine von den vorhandenen, auf eine solche Weise eigentümlich bestimmten Formen der Religion sich anschließen müsse. Dem würde ich vorläufig antworten: mitnichten; sondern nur das sei notwendig, daß seine Religion ebenfalls eine solche eigentümlich bestimmte und in sich ausgebildete sei; ob aber auf eine gleiche Weise mit irgendeiner im großen schon vorhandenen und an Anhängern reichen Form, dies sei nicht ebenso notwendig. Und erinnern würde ich ihn, wie ich nirgend von zwei oder drei bestimmten Gestalten geredet und gesagt habe, daß sie die einzigen bleiben sollen. Vielmehr mögen sich immerhin unzählige entwickeln von allen Punkten aus, und derjenige, der sich nicht in eine von den schon vorhandenen schickt, ich möchte sagen, der nicht imstande gewesen wäre, sie selbst zu machen, wenn er sie noch nicht gefunden hätte, der dürfte schon deshalb zu keiner von ihnen gehören, sondern eine neue in sich selbst hervorzubringen gehalten sein. Bleibt er allein damit und ohne Jünger: es schadet nicht. Immer und überall gibt es Keime desjenigen, was noch zu keinem weiter ausgebreiteten Dasein gelangen kann: auf dieselbe Weise existiert auch die Religion eines solchen, und hat ebensogut eine bestimmte Gestalt und Organisation, ist ebensogut eine eigene positive Religion, als ob er die größte Schule gestiftet hätte. Und hieraus würde er wohl sehen, daß nach meiner Meinung diese vorhandenen Formen an und für sich keinen Menschen durch ihr früheres Dasein hindern sollen, sich eine Religion seiner eigenen Natur und seinem Sinne gemäß auszubilden. Sondern ob jeder in einer von ihnen wohnen, oder eine eigene erbauen werde, das hänge lediglich davon ab, ob das nämliche Verhältnis oder ein anderes sich ihn ihm als Grundgefühl und Mittelpunkt aller Religionen entwickeln werde. So würde ich jenem vorläufig antworten; wollte er aber genaueres von mir hören, so würde ich hinzufügen, es wäre wohl nicht leicht zu besorgen, daß einer in einen solchen Fall geriete, wenn es nicht aus Mißverstand geschähe. Denn daß sich eine neue Offenbarung bilde, sei nie etwas Geringfügiges, bloß Persönliches, sondern es liege Größeres und Gemeinschaftliches dabei zum Grunde. Daher es auch nie einem, der wirklich eine neue Religion aufzustellen berufen war, an Anhängern und Glaubensgenossen gefehlt hat. So würden also die meisten in dem Falle sein, ihrer Natur nach einer vorhandenen Form anzugehören, und nur wenige in dem, daß ihnen keine genügte; was ich aber vorzüglich habe zeigen wollen, sei eben dieses, daß wegen der allen gleichen Befugnis jene meisten nicht minder frei sind, als diese wenigen, noch auch weniger in dem Falle, ein Eigenes selbst gebildet zu haben. Denn verfolgen wir in einem jeden die Geschichte seiner Religiosität: so finden wir zuerst dunkle Ahndungen, welche, ohne das Innere des Gemüts ganz zu durchdringen, unerkannt wieder verschwinden und wohl jeden Menschen oft und früher umschweben, welche, irgendwie vielleicht vom Hörensagen entstanden, zu keiner bestimmten Gestalt gelangen und nichts Eigentümliches verraten. Später erst geschieht es dann, daß der Sinn fürs Universum in einem klaren Bewußtsein für immer aufgeht, dem einen von diesem, dem andern von jenem bestimmten Verhältnis aus, auf welches er hernach alles bezieht, um welches her sich alles für ihn gestaltet, so daß ein solcher Moment eigentlich eines jeden Religion bestimmt; und ich hoffe, ihr werdet nicht meinen, die Religion eines Menschen sei deshalb weniger eigentümlich und weniger die seinige, weil sie in einer Gegend liegt, wo schon mehrere versammelt sind, und werdet keineswegs in dieser Gleichheit einen mechanischen Einfluß des Angewöhnten oder Ererbten, sondern wie ihr auch in anderen Fällen tut, nur ein gemeinsames Bestimmtsein aus höheren Gründen erkennen. Aber so gewiß als gerade in dieser Gemeinschaftlichkeit, gleichviel, ob einer der erste ist oder der spätere, die Gewährleistung der Natürlichkeit und Wahrheit liegt, ebenso gewiß erwächst daraus kein Nachteil für die Eigentümlichkeit. Denn wenn auch Tausende vor ihm, mit ihm und nach ihm ihr religiöses Leben auf dasselbe Verhältnis beziehen: wird es deswegen in allen dasselbe sein, und wird sich die Religion in allen gleich bilden? Erinnert euch doch nur an das eine, daß jede bestimmte Form der Religion dem Einzelnen unerschöpflich ist; nicht nur, weil sie auf ihre bestimmte Weise das Ganze umfassen soll, welches dem Einzelnen zu groß ist, sondern auch, weil in ihr selbst eine unendliche Verschiedenheit der Ausbildung stattfindet, untergeordnet zwar, aber doch ähnlich der Art, wie sie selbst eine eigentümliche Gestalt der Religion im allgemeinen ist. Ist nicht schon dadurch jedem Arbeit und Spielraum genug angewiesen? Ich wenigstens wüßte nicht, daß es schon einer einzigen dieser Religionen gelungen wäre, ihr ganzes Gebiet so in Besitz zu nehmen, und alles darin so ihrem Geiste gemäß zu bestimmen und darzustellen, daß irgendeinem einzelnen Bekenner von ausgezeichnetem Reichtum und Eigentümlichkeit des Gemütes nichts mehr übrig geblieben wäre zur Ergänzung beizutragen; sondern wenigen unserer geschichtlichen Religionen nur ist es vergönnt gewesen, in der Zeit ihrer Freiheit und ihres besseren Lebens wenigstens, das Nächste am Mittelpunkt recht auszubilden und zu vollenden, und nur in wenigen verschiedenen Gestalten den gemeinschaftlichen Charakter wieder eigen auszuprägen. Die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige. Ein unendliches Feld ist eröffnet in jeder dieser Religionen, worin Tausende sich zerstreuen mögen; unbebaute Gegenden genug werden sich dem Auge eines jeden darstellen, der etwas Eigenes zu schaffen und hervorzubringen fähig ist.

So ganz unbegründet demnach ist der Vorwurf, als ob, wer in eine positive Religion sich aufnehmen läßt, nur ein Nachtreter derjenigen würde, welche diese geltend gemacht, sich selbst aber nicht mehr eigentümlich ausbilden könne: daß wir vielmehr auch hier nicht anders urteilen können, als auf dem Gebiete des Staates und der Geselligkeit. Hier nämlich erscheint es uns krankhaft und abenteuerlich, wenn einer behauptet, er habe nicht Raum in einer bestehenden Verfassung, sondern um sich seine Eigentümlichkeit zu bewahren, müsse er sich ausschließen von der Gesellschaft. Vielmehr sind wir überzeugt, jeder Gesunde werde von selbst einen großen nationalen Charakter mit vielen gemein haben, und, gerade in diesem festgehalten und durch ihn bedingt, werde sich auch am genauesten und schönsten seine Eigentümlichkeit ausbilden. So auch auf dem Gebiete der Religion kann es nur krankhafte Abweichung sein, welche einen von dem gemeinschaftlichen Leben mit allen, unter welche ihn die Natur gesetzt hat, so ausschließt, daß er keinem größeren Ganzen angehört; sondern von selbst wird jeder, was für ihn Mittelpunkt der Religion ist, auch irgendwo im Großen so dargestellt finden, oder selbst darstellen. Aber jeder solchen gemeinsamen Sphäre schreiben wir ebenfalls eine unergründlich tief ins einzelne gehende Bildsamkeit zu, vermöge deren aus ihrem Schoß die Eigentümlichkeiten aller hervorgehen, wie denn in diesem Sinne mit Recht die Kirche die allgemeine Mutter aller genannt wird. Um euch dies an dem nächsten deutlich zu machen, so denket euch das Christentum als eine jener bestimmten individuellen Formen der höchsten Ordnung, und ihr findet darin zu unserer Zeit zuerst zwar die bekannten, äußerlich auf das bestimmteste heraustretenden Gegensätze; dann aber teilt sich auch jedes dieser untergeordneten Gebiete in eine Menge verschiedener Ansichten und Schulen, deren jede eine eigentümliche Bildung darstellt, von Einzelnen ausgegangen und mehrere um sich versammelnd, aber offenbar so, daß noch für jeden übrig bleibt die letzte und eigenste Bildung der Religiosität, welche mit seinem gesamten Dasein so sehr in eins zusammenfällt, daß sie vollkommen so niemanden eignen kann, als ihm allein. Und diese Stufe der Bildung muß die Religion in einem jeden um so mehr erreichen, als er durch sein ganzes Dasein Anspruch darauf hat, euch, den Gebildeten, anzugehören. Denn hat sich sein höheres Gefühl allmählich entwickelt, so muß es auch mit seinen übrigen Anlagen zugleich, wenn doch diese gebildet sind, ein eigentümliches geworden sein. Oder hat es sich dem Anscheine nach plötzlich entwickelt nach vielleicht unerkannter Empfängnis und unter schnell vorübergehenden Geburtsschmerzen des Geistes: so ist auch dann seinem religiösen Leben nicht nur eine eigene Persönlichkeit mitgeboren, ein bestimmter Zusammenhang mit einem Vorher, einem Jetzt und Nachher, eine Einheit des Bewußtseins vermittelt, indem auf diese Art an diesen Moment, und an den Zustand, in welchem er das Gemüt überraschte, wie an seinen Zusammenhang mit dem früheren dürftigeren Dasein das ganze folgende religiöse Leben sich anknüpft und sich gleichsam genetisch daraus entwickelt. Sondern in diesem ersten anfänglichen Bewußtsein muß schon ein eigentümlicher Charakter liegen, da es ja nur in einer durchaus bestimmten Gestalt und unter bestimmten Verhältnissen in ein schon gebildetes Leben so plötzlich eintreten konnte: welchen eigentümlichen Charakter dann jeder folgende Augenblick ebenso an sich trägt, so daß er der reinste Ausdruck des ganzen Wesens ist. Daher, so wie, indem der lebendige Geist der Erde, gleichsam von sich selbst sich losreißend, sich als ein Endliches an einen bestimmten Moment in der Reihe organischer Evolutionen anknüpft, ein neuer Mensch entsteht, ein eigenes Wesen, dessen abgesondertes Dasein unabhängig von der Menge und der objektiven Beschaffenheit seiner Begebenheiten und Handlungen, in der eigentümlichen Einheit des fortdauernden und an jenen ersten Moment sich anschließenden Bewußtsein ruht, und in der eigenen Beziehung jedes spätern auf jenen sich bewährt: so entsteht auch in jenem Augenblick, in welchem in irgendeinem einzelnen Menschen ein bestimmtes Bewußtsein von seinem Verhältnis zum höchsten Wesen gleichsam ursprünglich anhebt, ein eigenes religiöses Leben. Eigen, nicht etwa durch unwiderrufliche Beschränkung auf eine besondere Anzahl und Auswahl von Anschauungen und Gefühlen, nicht etwa durch die Beschaffenheit des darin vorkommenden religiösen Stoffs, den vielmehr jeder mit allen gemein hat, welche mit ihm zu derselben Zeit und in derselben Gegend der Religion geistig geboren sind: sondern durch das, was er mit keinem gemein haben kann, durch den immerwährenden Einfluß der besonderen Art und Weise des Zustandes, in welchem sein Gemüt zuerst vom Universum begrüßt und umarmt worden ist; durch die eigene Art, wie er die Betrachtung desselben und die Reflexion darüber verarbeitet; durch den Charakter und Ton, in welchen die ganze folgende Reihe seiner religiösen Ansichten und Gefühle sich hineinstimmt, und welcher sich nie verliert, wie weit er auch hernach in der Gemeinschaft mit dem ewigen Urquell fortschreite über das hinaus, was die erste Kindheit seiner Religion ihm darbot. Wie jedes intellektuelle endliche Wesen seine geistige Natur und seine Individualität dadurch beurkundet, daß es euch auf jene, daß ich so sage, in ihm vorgegangene Vermählung des Unendlichen mit dem Endlichen zurückführt, wobei eure Phantasie euch versagt, wenn ihr sie aus irgendetwas Einzelnem oder Früheren, sei es Willkür oder Natur, erklären wollt: ebenso müßt ihr jeden, der so den Geburtstag seines geistigen Lebens angeben und eine Wundergeschichte erzählen kann vom Ursprung seiner Religion, die als eine unmittelbare Einwirkung der Gottheit und als eine Regung ihres Geistes erscheint, auch dafür ansehen, daß er etwas Eigenes sein, und das etwas Besonderes mit ihm gesagt sein soll: denn so etwas geschieht nicht, um eine leere Wiederholung hervorzubringen im Reich der Religion. Und so, wie jedes organisch entstandene und in sich beschlossene Wesen nur aus sich erklärt und nie ganz verstanden werden kann, wenn ihr nicht seine Eigentümlichkeit und seine Entstehung eine durch die andere als eins und dasselbe begreift: so könnt ihr auch den Religiösen nur verstehen, wenn ihr, wofern er euch einen merkwürdigen Augenblick als den ersten seines höheren Lebens darbietet, in diesem das Ganze zu entdecken, so wie, wenn er sich nur als eine schon gebildete Erscheinung darstellt, den Charakter derselben bis in die ersten dunkelsten Zeiten des Lebens zurück zu verfolgen wißt.

Dies alles wohl überlegt, glaube ich, daß es euch nicht länger ernst sein kann mit dieser ganzen Klage gegen die positiven Religionen, sondern wenn ihr dabei beharrt, ist sie wohl nur ein vorgefaßtes Urteil; denn ihr seid viel zu sorglos um den Gegenstand, als daß ihr zu einer solchen Klage durch eure Beobachtung solltet berechtiget sein. Ihr habt wohl nie den Beruf gefühlt, euch anzuschmiegen an die wenigen religiösen Menschen, die ihr vielleicht sehen könnt, obgleich sie immer anziehend und liebenswert genug sind, um etwa durch das Mikroskop der Freundschaft, oder der näheren Teilnahme, die jener wenigstens ähnlich sieht, genauer zu untersuchen, wie sie für das Universum und durch dasselbe organisiert sind. Mir, der ich sie fleißig betrachtet habe, der ich sie ebenso mühsam aufsuche, und mit eben der heiligen Sorgfalt beobachte, welche ihr den Seltenheiten der Natur widmet: mir ist oft eingefallen, ob nicht schon das euch zur Religion führen könnte, wenn ihr nur acht darauf gäbet, wie allmächtig die Gottheit den Teil der Seele, in welchem sie vorzüglich wohnt, in welchem sie sich in ihren unmittelbaren Wirkungen offenbart und sich selbst beschaut, auch als ihr Allerheiligstes ganz eigen und abgesondert erbaut von allem, was sonst im Menschen gebaut und gebildet wird, und wie sie sich darin durch die unerschöpflichste Mannigfaltigkeit der Formen in ihrem ganzen Reichtum verherrlicht. Ich wenigstens bin immer aufs neue erstaunt über die vielen merkwürdigen Bildungen auf dem so wenig bevölkerten Gebiet der Religion, wie sie sich voneinander unterscheiden durch die verschiedensten Abstufungen der Empfänglichkeit für den Reiz desselben Gegenstandes, und durch die größte Verschiedenheit dessen, was in ihnen gewirkt wird; durch die Mannigfaltigkeit des Tons, den die entschiedene Übermacht der einen oder der anderen Art von Gefühlen hervorbringt, und durch allerlei Idiosynkrasien der Reizbarkeit und Eigentümlichkeiten der Stimmung, indem bei jedem fast unter anderen Verhältnissen die religiöse Ansicht der Dinge vorzüglich hervortritt. Dann wieder, wie der religiöse Charakter des Menschen oft etwas ganz Eigentümliches in ihm ist, streng geschieden für den gewöhnlichem Blick von allem, was sich in seinen übrigen Anlagen entdeckt; wie das sonst ruhigste und nüchternste Gemüt hier des stärksten, der Leidenschaft ähnlichen Affektes fähig ist; wie der für gemeine und irdische Dinge stumpfste Sinn hier innig fühlt bis zur Wehmut, und klar sieht bis zur Entzückung und Weissagung; wie der in allen weltlichen Angelegenheiten schüchternste Mut von heiligen Dingen und für sie oft bis zum Märtyrertum laut durch die Welt und das Zeitalter hindurch spricht. Und wie wunderbar oft dieser religiöse Charakter selbst geartet und zusammengesetzt ist: Bildung und Roheit, Kapazität und Beschränkung, Zartheit und Härte in jedem auf eine eigene Weise unter einander gemischt und in einander verschlungen. Wo ich alle diese Gestalten gesehen habe? In dem eigentlichen Gebiet der Religion, in ihren individuellen Formen, in den positiven Religionen, die ihr für das Gegenteil verschreit; unter den Heroen und Märtyrern eines bestimmten Glaubens, wie er den Freunden der natürlichen Religion zu starr ist, unter den Schwärmern für lebendige Gefühle, wie jene sie schon für gefährlich halten, unter den Verehrern eines irgendwann neu gewesenen Lichtes und individueller Offenbarungen: da will ich sie euch zeigen zu allen Zeiten und unter allen Völkern. Auch ist es nicht anders, nur da können sie anzutreffen sein. So wie kein Mensch als Einzelwesen zum wirklichen Dasein kommen kann, ohne zugleich durch dieselbe Tat auch in eine Welt, in eine bestimmte Ordnung der Dinge und unter einzelne Gegenstände versetzt zu werden; so kann auch ein religiöser Mensch zu seinem Einzelleben nicht gelangen, er wohne denn durch dieselbe Handlung sich auch ein in ein Gemeinleben, also in irgendeine bestimmte Form der Religion. Beides ist nur eine und dieselbe göttliche Tat, und kann also eins vom anderen nicht getrennt werden. Denn wenn eines Menschen ursprüngliche Anlage zu dieser höchsten Stufe des Bewußtseins nicht Kraft genug hat, sich auf eine bestimmte Weise zu gestalten: so wirkt auch ihr Reiz nicht stark genug, um den Prozeß eines eigenen und rüstigen religiösen Lebens einzuleiten.

Und nun ich euch diese Rechenschaft abgelegt habe, so sagt mir doch auch, wie es in eurer gerühmten natürlichen Religion um diese Ausbildung und Individualisierung steht? Zeiget mir doch unter ihren Bekennern auch eine so große Mannigfaltigkeit stark gezeichneter Charaktere. Denn ich muß gestehen, ich selbst konnte dergleichen unter ihnen niemals finden; und wenn ihr rühmt, daß diese Art der Religion ihren Anhängern mehr Freiheit gewähre, sich nach eigenem Sinne religiös zu bilden: so kann ich mir nichts anderes darunter denken als, wie denn das Wort oft so gebraucht wird, die Freiheit, auch ungebildet zu bleiben, die Freiheit von jeder Versuchung, nur überhaupt irgendetwas Bestimmtes zu sein, zu sehen und zu empfinden. Die Religion spielt doch in ihrem Gemüt eine gar zu dürftige Rolle. Es ist, als ob sie gar keinen eigenen Puls, kein eigenes System von Gefäßen, keine eigene Zirkulation, und also auch keine eigne Temperatur und keine assimilierende Kraft für sich hätte, und eben daher auch keinen eigenen Charakter und keine eigne Darstellung; vielmehr zeigt sie sich überall abhängig von eines jeden besonderer Art von Sittlichkeit und natürlicher Empfindsamkeit; in Verbindung mit denen, oder vielmehr ihnen demütig nachtretend, bewegt sie sich träge und sparsam, und ist nur wahrzunehmen, indem sie gelegentlich tropfenweise abgeschieden wird von jenen. Zwar ist mir mancher achtungswerte und kräftige religiöse Charakter vorgekommen, den die Bekenner der positiven Religionen, nicht ohne sich über das Phänomen zu verwundern, für einen Bekenner der natürlichen ausgaben: aber, genau betrachtet, erkannten ihn dagegen die letzteren nicht für ihresgleichen: er war immer schon etwas von der ursprünglichen Reinheit der Vernunftreligion abgewichen und hatte einiges Willkürliche, wie sie es nennen, und Positive in die seinige aufgenommen, was nur jene nicht erkannten, weil es von dem Ihrigen zu sehr verschieden war. Warum mißtrauen aber die Verehrer der natürlichen Religion gleich jedem, der etwas Eigentümliches in seine Religion bringt? Sie wollen eben auch gleichförmig sein, nur entgegengesetzt dem Extrem auf der andern Seite, den Sektierern, meine ich, alle gleichförmig im Unbestimmten. So wenig ist an eine besondere persönliche Ausbildung zu denken durch die natürliche Religion, das ihre echtesten Verehrer nicht einmal mögen, daß die Religion des Menschen eine eigene Geschichte haben und mit einer Denkwürdigkeit anfangen soll. Das ist ihnen schon zuviel: denn Mäßigkeit ist ihnen Hauptsache in der Religion; und wer etwas zu rühmen weiß von plötzlich aus den Tiefen des Innern sich entwickelnden religiösen Erregungen, der kommt schon in den üblen Geruch, daß er einen Ansatz habe zur leidigen Schwärmerei. Nach und nach soll der Mensch religiös werden, wie er klug und verständig wird, und alles Andere, was er sein soll; durch den Unterricht und die Erziehung soll ihm das alles kommen; nichts muß dabei sein, was für übernatürlich oder auch nur für sonderbar könnte gehalten werden. Ich will nicht sagen, daß mir das, von wegen des Unterrichts und der Erziehung, die alles sein sollen, den Verdacht beibringt, als sei die natürliche Religion ganz vorzüglich von jenem Übel einer Vermischung ja gar einer Verwandlung in Metaphysik und Moral befallen: aber das wenigstens ist klar, daß ihre Verehrer nicht von irgendeiner lebendigen Selbstbeschauung ausgegangen sind, und daß auch keine ihr fester Mittelpunkt ist, weil sie gar nichts als Kennzeichen ihrer Denkart aufstellen unter sich, wovon der Mensch auf eine eigene Weise müßte ergriffen werden. Der Glaube an einen persönlichen Gott, mehr oder minder menschenähnlich gebildet, und an eine persönliche Fortdauer, mehr oder weniger entsinnlicht und sublimiert, diese beiden Sätze, auf welche alles bei ihnen zurückgeht: das wissen sie selbst, hängen von keiner besonderen Ansicht und Auffassungsweise ab; darum fragen sie auch keinen, der sich zu ihnen bekennt, wie er zu seinem Glauben gekommen sei; sondern wie sie ihn demonstrieren zu können meinen, so setzen sie auch voraus, er müsse allen andemonstriert sein. Sonst einen anderen und bestimmteren Mittelpunkt, den sie hätten, möchtet ihr wohl schwerlich aufzeigen können. Das wenige, was ihre magere und dünne Religion enthält, steht für sich in unbestimmter Vieldeutigkeit da; sie haben eine Vorsehung überhaupt, eine Gerechtigkeit überhaupt, eine göttliche Erziehung überhaupt, und alles dies erscheint ihnen gegeneinander bald in dieser, bald in jener Perspektive und Verkürzung, und jedes gilt ihnen bald dies, bald jenes. Oder wenn ja eine gemeinschaftliche Beziehung auf einen Punkt darin anzutreffen ist, so liegt dieser Punkt außerhalb der Religion, und es ist eine Beziehung auf etwas Fremdes, darauf, daß die Sittlichkeit ja nicht gehindert werde, und daß der Trieb nach Glückseligkeit einige Nahrung erhalte, oder sonst etwas, wonach wahrhaft religiöse Menschen bei der Anordnung der Elemente ihrer Religion niemals gefragt haben; Beziehungen, wodurch ihr kärgliches religiöses Eigentum noch mehr zerstreut und auseinandergetrieben wird. Sie hat also für ihre religiösen Elemente keine Einheit einer bestimmten Ansicht, diese natürliche Religion; sie ist also auch keine bestimmte Form, keine eigene individuelle Darstellung der Religion, und die, welche nur sie bekennen, haben keinen bestimmten Wohnsitz in diesem Gebiet, sondern sind Fremdlinge, deren Heimat, wenn sie eine haben, woran ich zweifle, anderswo liegen muß. Sie gemahnt mich wie die Masse, welche zwischen den Weltsystemen dünn und zerstreut schweben soll, hier von dem einen, dort von dem andern ein wenig angezogen, aber von keinem stark genug, um in seinen Wirbel fortgerissen zu werden. Wozu sie da ist, mögen die Götter wissen; es müßte denn sein, um zu zeigen, daß auch das Unbestimmte auf gewisse Weise existieren kann. Eigentlich aber ist es doch nur ein Warten auf die Existenz, zu der sie nicht anders kommen könnten, als wenn eine Gewalt stärker als jede bisherige und auf andere Weise sie ergriffe. Denn mehr kann ich ihnen nicht zugestehen, als die dunkeln Ahndungen, welche jenem lebendigen Bewußtsein vorangehen, mit welchem sich dem Menschen sein religiöses Leben auftut. Es gibt gewisse dunkle Regungen und Vorstellungen, die gar nicht mit der Eigentümlichkeit eines Menschen zusammenhängen, sondern gleichsam nur die Zwischenräume derselben ausfüllen, und, wie sie ihren Ursprung nur in dem Gesamtleben haben, auch in allen gleichförmig eben dasselbe sind; so ist ihre Religion nur der unvernehmliche Nachklang von der Frömmigkeit, die sie umgibt. Höchstens ist sie natürliche Religion in dem Sinne, wie man auch sonst, wenn man von natürlicher Philosophie und natürlicher Poesie redet, diesen Namen solchen Erzeugnissen beilegt, denen auch das Ursprüngliche fehlt, und die, wenn auch nicht bewußte ungeschickte Nachahmungen, doch nur rohe Äußerungen oberflächlicher Anlagen sind, die man eben durch jenen Beinamen von der lebendig gestaltenden Wissenschaft und Kunst und deren Werken unterscheidet. Aber auf jenes Bessere, was sich nur in den religiösen Gemeinschaften und deren Erzeugnissen findet, warten sie nicht etwa mit Sehnsucht und achten es um so höher im Gefühl, es nicht erreichen zu können; sondern sie widersetzen sich ihm aus allen Kräften. Das Wesen der natürlichen Religion besteht ganz eigentlich in der Verleugnung alles Positiven und Charakteristischen in der Religion, und in der heftigsten Polemik dagegen. Darum ist sie auch das würdige Produkt des Zeitalters, dessen Steckenpferd jene erbärmliche Allgemeinheit und jene leere Nüchternheit war, die mehr als irgendetwas in allen Dingen der wahren Bildung entgegenarbeitet. Zweierlei hassen sie ganz vorzüglich: sie wollen nirgends beim Außerordentlichen und Unbegreiflichen anfangen, und was sie auch sein und treiben mögen, so soll nirgends eine Schule hervorschmecken. Das ist das Verderben, welches ihr in allen Künsten und Wissenschaften findet; es ist auch in die Religion gedrungen, und sein Produkt ist dies gehaltleere und formlose Ding. Autochthonen und Autodidakten möchten sie sein in der Religion: aber sie haben nur das Rohe und Ungebildete von diesen; das Eigentümliche hervorzubringen, haben sie weder Kraft noch Willen. Sie sträuben sich gegen jede bestimmte Religion, welche da ist, weil sie doch zugleich eine Schule ist; aber wenn es möglich wäre, daß ihnen selbst etwas begegnete, wodurch eine eigne Religion sich ihnen gestalten wollte, würden sie sich ebenso heftig dagegen auflehnen, weil doch eine Schule daraus entstehen könnte. Und so ist ihr Sträuben gegen das Positive und Willkürliche zugleich ein Sträuben gegen alles Bestimmte und Wirkliche. Wenn eine bestimmte Religion nicht mit einer ursprünglichen Tatsache anfangen soll, kann sie gar nicht anfangen; denn ein gemeinschaftlicher Grund muß doch da sein, weshalb irgendein religiöses Element, mehr als sonst, besonders hervorgezogen und in die Mitte gestellt wird, und dieser Grund kann nur eine Tatsache sein. Und wenn eine Religion nicht eine bestimmte sein soll, so ist sie gar keine: denn nur lose, unzusammenhängende Regungen verdienen den Namen nicht. Erinnert euch, was die Dichter von einem Zustande der Seelen vor der Geburt reden; wenn sich eine solche gewaltsam wehren wollte, in die Welt zu kommen, weil sie eben nicht dieser und jener sein möchte, sondern ein Mensch überhaupt: diese Polemik gegen das Leben ist die Polemik der natürlichen Religion gegen die positiven, und dies ist der permanente Zustand ihrer Bekenner. Zurück also, wenn es euch ernst ist, die Religion in ihren be: stimmten Gestalten zu betrachten, von dieser erleuchteten natürlichen zu jenen verachteten positiven Religionen, wo alles wirksam, kräftig und fest erscheint; wo jede einzelne Anschauung ihren bestimmten Gehalt und ihr eigenes Verhältnis zu den übrigen, jedes Gefühl seinen eigenen Kreis und seine besondere Beziehung hat; wo ihr jede Modifikation der Religiosität irgendwo antrefft, und jeden Gemütszustand, in welchen nur die Religion den Menschen versetzen kann; wo ihr jeden Teil derselben irgendwo ausgebildet, und jede ihrer Wirkungen irgendwo vollendet findet; wo alle gemeinschaftlichen Anstalten und alle einzelnen Äußerungen den hohen Wert beweisen, der auf die Religion gelegt wird, bis zum Vergessen fast alles übrigen; wo der heilige Eifer, mit welchem sie betrachtet, mitgeteilt, genossen wird, und die kindliche Sehnsucht, mit welcher man neuen Offenbarungen himmlischer Kräfte entgegensieht, euch dafür bürgen, daß keines von ihren Elementen, welches von diesem Punkt aus schon wahrgenommen werden konnte, übersehen worden, und keiner von ihren Momenten verschwunden ist, ohne ein Denkmal zurückzulassen. Betrachtet alle die mannigfaltigen Gestalten, in welchen jede einzelne Art der Gemeinschaft mit dem Universum schon erschienen ist; laßt euch nicht zurückschrecken, weder durch geheimnisvolle Dunkelheit, noch durch wunderbar scheinende groteske Züge, und gebet dem Wahn nicht Raum, als möchte alles nur Einbildung sein und Dichtung; grabet nur immer tiefer, wo euer magischer Stab einmal angeschlagen hat, ihr werdet gewiß das Himmlische zutage fördern. Aber daß ihr ja auch auf das Menschliche seht, was die Göttliche annehmen mußte! daß ihr ja nicht aus der Acht laßt, wie sie überall die Spuren von der Bildung jedes Zeitalters, von der Geschichte jeder Menschenart an sich trägt, wie sie oft in Knechtsgestalt einhergehen mußte, an ihren Umgebungen und an ihrem Schmuck die Dürftigkeit ihrer Schüler und ihres Wohnsitzes zur Schau tragend, damit ihr gebührend absondert und scheidet! Daß ihr ja nicht übersehet, wie sie oft beschränkt worden ist in ihrem Wachstum, weil man ihr nicht Raum ließ, ihre Kräfte zu üben, wie sie oft in der ersten Kindheit kläglich vergangen ist an schlechter Behandlung und übelgewählten Nahrungsmitteln! Und wenn ihr das Ganze umfassen wollt, so bleibet ja nicht allein bei dem stehen in den verschiedenen Gestalten der Religion, was jahrhundertelang geglänzt und große Völker beherrscht hat, und durch Dichter und Weise vielfach verherrlicht worden ist, sondern bedenkt, daß, was historisch und religiös das Merkwürdigste war, oft nur unter wenige geteilt und dem gemeinen Blick verborgen geblieben ist. Wenn ihr aber auch auf diese Art die rechten Gegenstände und diese ganz und vollständig ins Auge faßt, wird es immer noch ein schwieliges Geschäft sein, den Geist der Religionen zu entdecken und sie durchaus zu verstehen. Noch einmal warne ich euch, ihn nicht etwa so nur im allgemeinen abziehen zu wollen aus dem, was allen, die eine bestimmte Religion bekennen, gemeinschaftlich ist: ihr verirrt euch in tausend vergeblichen Nachforschungen auf diesem Wege und kommt am Ende immer, anstatt zum Geiste der Religion, auf ein bestimmtes Quantum von Stoff. Ihr müßt euch erinnern, daß keine je ganz wirklich geworden ist, und daß ihr sie nicht eher kennt, bis ihr, weit entfernt, sie in einem beschränkten Räume zu suchen, selbst imstande seid, sie zu ergänzen und zu bestimmen, wie dies und jenes in ihr geworden sein müßte, wenn ihr Gesichtskreis so weit gereicht hätte; und wie dies von jeder positiven Religion überhaupt gilt, so gilt es auch von jeder einzelnen Periode und jeder untergeordneten Formation einer jeden. Ihr könnt es euch nicht fest genug einprägen, daß alles darauf nur ankommt, das Grundverhältnis einer jeden zu finden, daß euch alle Kenntnis vom Einzelnen nichts hilft, so lange ihr dieses nicht habt, und daß ihr es nicht eher habt, bis euch alles Einzelne in Einem fest verbunden ist. Und selbst mit dieser Regel der Untersuchung, die doch nur ein Prüfstein ist, werdet ihr tausend Verirrungen ausgesetzt sein; vieles wird sich euch in den Weg stellen, um euer Auge auf eine falsche Seite zu lenken. Vor allen Dingen bitte ich euch, den Unterschied ja nicht aus den Augen zu lassen zwischen dem, was das Wesen einer einzelnen Religion ausmacht, sofern sie eine bestimmte Form und Darstellung der Religion überhaupt ist, und dem, was ihre Einheit als Schule bezeichnet und sie als solche zusammenhält. Religiöse Menschen sind durchaus historisch; das ist nicht ihr kleinstes Lob, aber es ist auch die Quelle großer Mißverständnisse. Der Moment, in welchem sie selbst von dem Bewußtsein erfüllt worden sind, welches sich zum Mittelpunkt ihrer Religion gemacht hat, ist ihnen immer heilig; er erscheint ihnen als eine unmittelbare Einwirkung der Gottheit, und sie reden nie von dem, was ihnen eigentümlich ist in der Religion, und von der Gestalt, die sie in ihnen gewonnen hat, ohne auf ihn hinzuweisen. Ihr könnt also denken, wie viel heiliger noch ihnen der Moment sein muß, in welchem diese unendliche Anschauung überhaupt zuerst in der Welt als Fundament und Mittelpunkt einer eigenen Religion aufgestellt worden ist, da an diesen die ganze Entwicklung dieser Religion in allen Generationen und Individuen sich ebenso historisch anknüpft, und dieses Ganze der Religion und die religiöse Bildung einer großen Masse der Menschheit doch etwas unendlich Größeres ist als ihr eigenes religiöses Leben und die kleine Spiegelfläche dieser Religion, welche sie persönlich darstellen. Dieses Faktum verherrlichen sie also auf alle Weise, häufen darauf allen Schmuck der religiösen Kunst, beten es an als die reichste und wohltätigste Wunderwirkung des Höchsten, und reden nie von ihrer Religion, stellen nie eins von ihren Elementen auf, ohne es in Verbindung mit diesem Faktum zu setzen und so darzustellen. Wenn also die beständige Erwähnung desselben alle Äußerungen der Religion begleitet und ihnen eine eigene Farbe gibt: so ist nichts natürlicher, als dieses Faktum mit der Grundanschauung der Religion selbst zu verwechseln; dies hat nur (nicht) alle verführt, und die Ansicht fast aller Religionen verschoben. Vergeßt also nie, daß die Grundanschauung einer Religion nichts sein kann als irgendeine Anschauung des Unendlichen im Endlichen, irgendein allgemeines religiöses Verhältnis, welches in allen anderen Religionen eben auch vorkommen darf, und wenn sie vollständig sein sollten, vorkommen müßte, nur daß es in ihnen nicht in den Mittelpunkt gestellt ist. – Ich bitte euch, nicht alles, was ihr bei den Heroen der Religion oder in den heiligen Urkunden findet, für Religion zu halten, und den unterscheidenden Geist der ihrigen darin zu suchen. Nicht Kleinigkeiten meine ich damit, wie ihr leicht denken könnt, noch solche Dinge, die nach jedes Ermessen der Religion ganz fremd sind, sondern das, was oft mit ihr verwechselt wird. Erinnert euch, wie absichtslos jene Urkunden verfertigt sind, daß unmöglich darauf gesehen werden konnte, alles daraus zu entfernen, was nicht Religion ist, und bedenkt, wie jene Männer in allerlei Verhältnissen gelebt haben in der Welt, und unmöglich bei jedem Wort, was sie niederschrieben, sagen konnten: dies gehört aber nicht zum Glauben; und wenn sie also Weltklugheit und Moral reden, oder Metaphysik und Poesie, so meint nicht sogleich, das müsse auch in die Religion hineingezwängt werden, und darin müsse auch ihr Charakter zu suchen sein. Die Moral wenigstens soll doch wohl überall nur eine sein, und nach ihren Verschiedenheiten, welche also immer etwas sind, das hinweggetan werden soll, können sich die Religionen nicht unterscheiden, die nicht überall eine sein sollen. – Mehr als alles aber bitte ich euch, laßt euch nicht verführen von den beiden feindseligen Prinzipien, die überall und fast von den ersten Zeiten an den Geist jeder Religion haben zu entstellen und zu verstecken gesucht. Überall hat es sehr bald teils solche gegeben, die ihn in einzelnen Lehrsätzen haben umgrenzen und das, was noch nicht zur Übereinstimmung mit diesen gebildet war, von ihr ausschließen wollen; teils auch solche, die, es sei nun aus Haß gegen die Polemik, oder um die Religion den Irreligiösen angenehmer zu machen, oder aus Unverstand und Unkenntnis der Sache und aus Mangel an Sinn alles Eigentümliche als toten Buchstaben verschrieen, um aufs Unbestimmte loszugehen. Vor beiden hütet euch! Bei steifen Systematikern, bei seichten Indifferentisten werdet ihr den Geist einer Religion nicht finden, sondern bei denen, die in ihr leben als in ihrem Element, und sich immer weiter in ihr bewegen, ohne den Wahn zu nähren, daß sie sie ganz umfassen könnten.

Ob es euch mit diesen Vorsichtsmaßregeln gelingen wird, den Geist der Religionen zu entdecken, weiß ich nicht; aber ich fürchte, daß auch Religion nur durch sich selbst verstanden werden kann, und daß euch ihre besondere Bauart und ihr charakteristischer Unterschied nicht eher klar werden wird, bis ihr selbst irgendeiner angehört. Wie es euch glücken mag, die rohen und ungebildeten Religionen entfernter Völker zu entziffern, oder die vielerlei verschiedenen religiösen Erscheinungen auszusondern, welche in der schönen Mythologie der Griechen und Römer eingewickelt liegen, das läßt mich sehr gleichgültig: mögen ihre Götter euch geleiten! Aber wenn ihr euch dem Allerheiligsten nähert, wo das Universum in seiner höchsten Einheit und Allheit wahrgenommen wird, wenn ihr die verschiedenen Gestalten der höchsten Stufe der Religion betrachten wollt, nicht die ausländischen und fremden, sondern die, welche unter uns noch mehr oder minder vorhanden sind: so kann es mir nicht gleichgültig sein, ob ihr den rechten Punkt findet, von dem ihr sie ansehen müßt.

Zwar sollte ich nur von einer reden; denn das Judentum ist schon lange eine tote Religion, und diejenigen, welche jetzt noch seine Farbe tragen, sitzen eigentlich klagend bei der unverweslichen Mumie, und meinen über sein Hinscheiden und seine traurige Verlassenschaft. Auch wandelt mich die Lust, auch von dieser Gestaltung der Religion ein Wort zu euch zu reden, nicht etwa deshalb an, weil sie der Vorläufer des Christentums war: ich hasse in der Religion diese Art von historischen Beziehungen; jegliche hat für sich ihre eigene und ewige Notwendigkeit, und jedes Anfangen einer Religion ist ursprünglich. Sondern mich reizt des Judentums schöner, kindlicher Charakter, und dieser ist so gänzlich verschüttet, und das Ganze ein so merkwürdiges Beispiel von dem Verderbnis und dem gänzlichen Verschwinden der Religion aus einer großen Masse, in der sie sich ehedem befand, daß es deshalb wohl lohnt, einige Worte darüber zu verlieren. Nehmt einmal alles Politische und, so Gott will, Moralische hinweg, wodurch diese Erscheinung gemeiniglich charakterisiert wird; vergeßt das ganze Experiment, den Staat anzuknüpfen an die Religion, daß ich nicht sage, an die Kirche; vergeßt, daß das Judentum gewissermaßen zugleich ein Orden war, gegründet auf eine alte Familiengeschichte, aufrecht erhalten durch die Priester; seht bloß auf das eigentlich Religiöse darin, wozu dies alles nicht gehört, und sagt mir, welches ist das überall hindurchschimmernde Bewußtsein des Menschen von seiner Stellung in dem Ganzen und seinem Verhältnis zu dem Ewigen? Kein anderes als das von einer allgemeinen unmittelbaren Vergeltung, von einer eigenen Reaktion des Unendlichen gegen jedes einzelne Endliche, das aus der Willkür hervorgeht durch ein anderes Endliches, das nicht aus der Willkür hervorgehend angesehen wird. So wird alles betrachtet, Entstehen und Vergehen, Glück und Unglück, selbst innerhalb der menschlichen Seele wechselt immer nur eine Äußerung der Freiheit und Willkür und eine unmittelbare Einwirkung der Gottheit. Alle anderen Eigenschaften Gottes, welche auch angeschaut werden, äußern sich nach dieser Regel und werden immer in der Beziehung auf diese gesehen; belohnend, strafend, züchtigend das Einzelne im Einzelnen, so wird die Gottheit durchaus vorgestellt. Als die Jünger einmal Christum fragten: wer hat gesündigt, diese oder ihre Väter? und er ihnen antwortete: meint ihr, daß diese mehr gesündigt haben als andere? war jenes der religiöse Geist des Judentums in seiner schneidendsten Gestalt, und dieses war seine Polemik dagegen. Daher der sich überall durchschlagende Parallelismus, der keine zufällige Form ist, und das Ansehen des Dialogischen, welches in allem, was religiös ist, angetroffen wird. Die ganze Geschichte, so wie sie ein fortdauernder Wechsel zwischen diesem Reiz und dieser Gegenwirkung ist, wird sie vorgestellt als ein Gespräch zwischen Gott und den Menschen in Wort und Tat, und alles, was darin vereinigt ist, ist es nur durch die Gleichheit in dieser Behandlung. Daher die Heiligkeit der Tradition, in welcher der Zusammenhang dieses großen Gesprächs enthalten war, und die Unmöglichkeit, zur Religion zu gelangen, als nur durch die Einweihung in diesen Zusammenhang; daher noch in späten Zeiten der Streit unter den Sekten, ob sie im Besitz dieses fortgehenden Gesprächs wären. Eben von dieser Ansicht rührt es her, daß in der jüdischen Religion die Gabe der Weissagung so vollkommen ausgebildet ist als in keiner anderen; denn im Weissagen sind doch auch die Christen gegen sie nur Lehrlinge. Diese ganze Idee nämlich ist höchst kindlich, nur auf einen kleinen Schauplatz ohne Verwickelungen berechnet, wo bei einem einfachen Ganzen die natürlichen Folgen der Handlungen nicht gestört oder gehindert werden; je weiter aber die Bekenner dieser Religion vorrückten auf den Schauplatz der Welt, unter die Verbindung mit mehreren Völkern: desto schwieriger wurde die Darstellung dieser Idee, und die Phantasie mußte dem Allmächtigen das Wort, welches er erst sprechen wollte, vorwegnehmen, und sich den zweiten Teil desselben Moments aus weiter Ferne gleichsam vor die Augen zaubern, Zeit und Raum dazwischen vernichtend. Das ist das Wesen der Weissagung; und das Streben danach mußte notwendig so lange noch immer eine Haupterscheinung des Judentums sein, als es möglich war, jene Grundidee desselben und mit ihr die ursprüngliche Form der jüdischen Religion festzuhalten. Der Glaube an den Messias war ihr höchstes Erzeugnis; die großartigste Frucht, aber auch die letzte Anstrengung dieser Natur. Ein neuer Herrscher sollte kommen, um das Zion, worin die Stimme des Herrn verstummt war, in seiner Herrlichkeit wieder herzustellen; und durch die Unterwerfung der Völker unter das alte Gesetz sollte jener einfache Gang der patriarchalischen Zeit wieder allgemein werden in den Begebenheiten der Welt, wie er durch der Völker unfriedliche Gemeinschaft, durch das Gegeneinander-gerichtet-sein ihrer Kräfte und durch die Verschiedenheit ihrer Sitten unterbrochen war. Dieser Glaube hat sich lange erhalten, wie oft eine einzelne Frucht, nachdem alle Lebenskraft aus dem Stamm gewichen ist, bis in die rauheste Jahreszeit an einem welken Stiel hängen bleibt und an ihm vertrocknet. Der eingeschränkte Gesichtspunkt gewährte dieser Religion, als Religion, eine kurze Dauer. Sie starb; als ihre heiligen Bücher geschlossen wurden, da wurde das Gespräch des Jehova mit seinem Volk als beendigt angesehen. Die politische Verbindung, welche an sie geknüpft war, schleppte noch länger ein sieches Dasein, und ihr Äußeres hat sich noch weit später erhalten; die unangenehme Erscheinung einer mechanischen Bewegung, nachdem Leben und Geist längst gewichen ist.

Herrlicher, erhabener, der erwachsenen Menschheit würdiger, tiefer eindringend in den Geist der systematischen Religion, weiter sich verbreitend über das ganze Universum ist die ursprüngliche Anschauung des Christentums. Sie ist keine andere als die des allgemeinen Entgegenstrebens alles Endlichen gegen die Einheit des Ganzen, und der Art, wie die Gottheit dies Entgegenstreben behandelt, wie sie die Feindschaft gegen sich vermittelt und der größer werdenden Entfernung Grenzen setzt durch einzelne Punkte, über das Ganze ausgestreut, welche zugleich Endliches und Unendliches, zugleich Menschliches und Göttliches sind. Das Verderben und die Erlösung, die Feindschaft und die Vermittlung, das sind die beiden unzertrennlich miteinander verbundenen Grundbeziehungen dieser Empfindungsweise, und durch sie wird die Gestalt alles religiösen Stoffes im Christentum und dessen ganze Form bestimmt. Die geistige Welt ist abgewichen von ihrer Vollkommenheit und unvergänglichen Schönheit mit immer verstärkten Schritten; aber alles Übel, selbst das, daß das Endliche vergehen muß, ehe es den Kreis seines Daseins vollständig durchlaufen hat, ist eine Folge des Willens, des selbstsüchtigen Strebens der vereinzelten Natur, die sich überall losreißt aus dem Zusammenhange mit dem Ganzen, um etwas zu sein für sich; auch der Tod ist gekommen um der Sünde willen. Die geistige Welt ist, vom Schlechten zum Schlimmeren fortschreitend, unfähig, etwas hervorzubringen, worin der göttliche Geist wirklich lebte, verfinstert der Verstand und abgewichen von der Wahrheit, verderbt das Herz und ermangelnd jedes Ruhmes vor Gott, verlöscht das Ebenbild des Unendlichen in jedem Teile der endlichen Natur. Demgemäß wird auch das Walten der göttlichen Vorsehung in allen ihren Äußerungen dargestellt. Nicht auf die unmittelbaren Folgen für die Empfindung ist sie gerichtet in ihrem Tun; nicht das Glück oder Leiden im Auge habend, welches sie hervorbringt; nicht mehr einzelne Handlungen hindernd oder fördernd: sondern nur bedacht, dem Verderben zu steuern in großen Massen; zu zerstören ohne Gnade, was nicht mehr zurückzuführen ist, und neue Schöpfungen mit neuen Kräften aus sich selbst zu schwängern. So tut sie Zeichen und Wunder, die den Lauf der Dinge unterbrechen und erschüttern; so schickt sie Gesandte, in denen mehr oder weniger von dem göttlichen Geiste wohnt, um göttliche Kräfte auszugießen unter die Menschen. Ebenso wird auch die religiöse Welt vorgestellt. Auch indem es mit der Einheit des Ganzen durch sein Selbstbewußtsein in Gemeinschaft treten will, strebt das Endliche ihm entgegen, sucht immer, ohne zu finden, und verliert, was es gefunden hat; immer einseitig, immer schwankend, immer beim Einzelnen und Zufälligen stehenbleibend, und immer noch mehr wollend, als anschauend, verliert es das Ziel aus den Augen. Vergeblich ist jede Offenbarung. Alles wird verschlungen von irdischem Sinn, alles fortgerissen von dem inwohnenden irreligiösen Prinzip; und immer neue Veranstaltungen trifft die Gottheit, immer herrlichere Offenbarungen gehen durch ihre Kraft allein aus dem Schoße der alten hervor, immer erhabenere Mittler stellt sie auf zwischen sich und den Menschen, immer inniger vereinigt sich in jedem späteren Gesandten die Gottheit mit der Menschheit, damit durch sie und von ihnen die Menschen lernen mögen das ewige Wesen erkennen; und nie wird dennoch gehoben die alte Klage, daß der Mensch nicht vernimmt, was vom Geiste Gottes ist. Dieses die Art, wie das Christentum am meisten und liebsten Gottes und der göttlichen Weltordnung in der Religion und ihrer Geschichte inne wird; und daß es so die Religion selbst als Stoff für die Religion verarbeitet, und so gleichsam eine höhere Potenz derselben ist, das macht das Unterscheidendste seines Charakters, das bestimmt seine ganze Form. Eben weil es ein ungöttliches Wesen als überall verbreitet voraussetzt, weil dies ein wesentliches Element des Gefühls ausmacht, auf welches alles Übrige bezogen wird, ist es durch und durch polemisch. – Polemisch in seiner Mitteilung nach außen; denn um sein innerstes Wesen klar zu machen, muß jedes Verderben, es liege in den Sitten oder in der Denkungsart, vor allen Dingen aber die Feindschaft gegen das Bewußtsein des höchsten Wesens, das irreligiöse Prinzip selbst, überall aufgedeckt werden. Ohne Schonung entlarvt es daher jede falsche Moral, jede schlechte Religion, jede unglückliche Vermischung von beiden, wodurch ihre beiderseitige Blöße bedeckt werden soll; in die innersten Geheimnisse des verderbten Herzens dringt es ein und erleuchtet mit der heiligen Fackel eigner Erfahrung jedes Übel, das im Finstern schleicht. So zerstörte es, – und dies war fast seine erste Bewegung, als es erschien, – die letzte Erwartung seiner frommen Zeitgenossen, und nannte es irreligiös und gottlos, eine andere Wiederherstellung zu wünschen oder zu erwarten, als die zum reineren Glauben, zur höheren Ansicht der Dinge und zum ewigen Leben in Gott. Kühn führt es die Heiden hinweg über die Trennung, die sie gemacht hatten zwischen dem Leben und der Welt der Götter und der Menschen. Wer nicht in dem Ewigen lebt, webt und ist, dem ist er völlig unbekannt; wer dies natürliche Gefühl, wer dies innere Bewußtsein verloren hat unter der Menge sinnlicher Eindrücke und Begierden: in dessen beschränkten Sinn ist noch keine Religion gekommen. So rissen seine Herolde überall auf die übertünchten Gräber und brachten die Totengebeine ans Licht; und wären sie Philosophen gewesen, diese ersten Helden des Christentums, sie hätten ebenso polemisiert gegen das Verderben der Philosophie. Nirgends gewiß verkannten sie die Grundzüge des göttlichen Ebenbildes; hinter allen Entstellungen und Entartungen sahen sie gewiß den himmlischen Keim der Religion verborgen: aber als Christen war ihnen die Hauptsache die Entfernung der Einzelnen von der Gottheit, die eines Mittlers bedarf, und so oft sie Christentum sprachen, gingen sie nur darauf. – Polemisch ist aber auch das Christentum, und das ebenso scharf und schneidend, innerhalb seiner eigenen Grenzen und in seiner innersten Gemeinschaft der Heiligen. Nirgends ist die Religion so vollkommen idealisiert als im Christentum und durch die ursprüngliche Voraussetzung desselben; und eben damit zugleich ist immerwährendes Streiten gegen alles Wirkliche in der Religion als eine Aufgabe hingestellt, der nie völlig Genüge geleistet werden kann. Eben weil überall das Ungöttliche ist und wirkt, und weil alles Wirkliche zugleich als unheilig erscheint, ist eine unendliche Heiligkeit das Ziel des Christentums. Nie zufrieden mit dem Erlangten, sucht es auch in seinen reinsten Erzeugnissen, auch in seinen heiligsten Gefühlen noch die Spuren des Irrreligiösen und der der Einheit des Ganzen entgegengesetzten und von ihm abgewandten Tendenz alles Endlichen. Im Ton der höchsten Inspiration kritisiert einer der ältesten Schriftsteller den religiösen Zustand der Gemeinen; in einfältiger Offenheit reden die hohen Apostel von sich selbst; und so soll jeder in den heiligen Kreis treten, nicht nur begeistert und lehrend, sondern auch in Demut das Seinige der allgemeinen Prüfung darbringend; und nichts soll geschont werden, auch das Liebste und Teuerste nicht, nichts soll je träge beiseite gelegt werden, auch das nicht, was am allgemeinsten anerkannt ist. Dasselbe, was eroterisch als heilig gepriesen und als das Wesen der Religion aufgestellt ist vor der Welt, ist immer noch exoterisch einem strengen und wiederholten Gericht unterworfen, damit immer mehr Unreines abgeschieden werde und der Glanz der himmlischen Farben immer ungetrübter erscheine in jeder frommen Regung des Gemütes. Wie ihr in der Natur oft seht, daß eine zusammengesetzte Masse, wenn sie ihre chemischen Kräfte gegen etwas außer ihr gerichtet gehabt hat, sobald dies überwunden oder das Gleichgewicht hergestellt ist, in sich selbst in Gärung gerät, und dies und jenes aus sich abscheidet: so ist es mit einzelnen Elementen und mit ganzen Massen des Christentums; es wendet zuletzt seine polemische Kraft gegen sich selbst; immer besorgt, durch den Kampf mit der äußeren Irreligion etwas Fremdes eingesogen oder gar ein Prinzip des Verderbens noch in sich zu haben, scheut es auch die heftigsten innerlichen Bewegungen nicht, um dies auszustoßen. Dies ist die in seinem Wesen gegründete Geschichte des Christentums. »Ich bin nicht gekommen Frieden zu bringen, sondern das Schwert«, sagt der Stifter desselben; und seine sanfte Seele kann unmöglich gemeint haben, daß er gekommen sei, jene blutigen Bewegungen zu veranlassen, die dem Geist der Religion so völlig zuwider sind, oder jene elenden Wortstreite, die sich auf den toten Stoff beziehen, den die lebendige Religion nicht aufnimmt; nur diese heiligen Kriege, die aus dem Wesen seiner Lehre notwendig entstehen, und die oft ebenso herbe, wie er es beschrieben, die Herzen voneinander reißen und die innigsten Lebensverhältnisse fast auflösen: nur diese hat er vorausgesehen, und indem er sie voraussah, befohlen. – Aber nicht nur die Beschaffenheit der einzelnen Elemente des Christentums ist dieser beständigen Sichtung unterworfen; auch auf ihr ununterbrochenes Dasein und Leben im Gemüt geht das unersättliche Verlangen nach immer strengerer Läuterung, nach immer reicherer Fülle. In jedem Moment, wo das religiöse Prinzip nicht wahrgenommen werden kann im Gemüt, wird das irreligiöse als herrschend gedacht: denn ein anderes Entgegengesetztes gibt es nicht, als nur insofern das, was ist, aufgehoben und auf nichts gebracht ist in seiner Erscheinung. Jede Unterbrechung der Religion ist Irreligion; das Gemüt kann sich nicht einen Augenblick entblößt fühlen von Wahrnehmung und Gefühl des Unendlichen, ohne sich zugleich der Feindschaft und Entfernung von ihm bewußt zu werden. So hat das Christentum zuerst und wesentlich die Forderung gemacht, daß die Frömmigkeit ein beharrlicher Zustand sein soll im Menschen, und verschmäht, auch mit den stärksten Äußerungen derselben zufrieden zu sein, sobald sie nur gewissen Teilen des Lebens angehören und nur diese beherrschen soll. Nie soll sie ruhen und nichts soll ihr so schlechthin entgegengesetzt sein, daß es nicht mit ihr bestehen könne; von allem Endlichen sollen wir aufs Unendliche sehen, allen Empfindungen des Gemütes, woher sie auch entstanden seien, allen Handlungen, auf welche Gegenstände sie sich auch beziehen mögen, sollen wir imstande sein, religiöse Gefühle und Ansichten beizugesellen. Das ist das eigentliche höchste Ziel der Virtuosität im Christentum.

Wie nun die ursprüngliche Ansicht desselben, auf welche alle anderen Verhältnisse bezogen werden, auch im Einzelnen den Charakter seiner Gefühle bestimmt, das werdet ihr leicht finden. Oder wie nennt ihr das Gefühl einer unbefriedigten Sehnsucht, die auf einen großen Gegenstand gerichtet ist und deren Unendlichkeit ihr euch bewußt seid? Was ergreift euch, wo ihr das Heilige mit dem Profanen, das Erhabene mit dem Geringen und Nichtigen aufs innigste gemischt findet? Und wie nennt ihr die Stimmung, die euch bisweilen nötigt, diese Mischung überall vorauszusetzen und überall nach ihr zu forschen? Nicht bisweilen ergreift sie den Christen, sondern sie ist der herrschende Ton aller seiner religiösen Gefühle, diese heilige Wehmut: denn das ist der einzige Name, den die Sprache mir darbietet; jede Freude und jeden Schmerz, jede Liebe und jede Furcht begleitet sie; ja, in seinem Stolz wie in seiner Demut ist sie der Grundton, auf den sich alles bezieht. Wenn ihr euch darauf versteht, aus einzelnen Zügen das Innere eines Gemüts nachzubilden und euch durch das Fremdartige nicht stören zu lassen, das ihnen, Gott weiß woher, beigemischt ist: so werdet ihr in dem Stifter des Christentums durchaus diese Empfindung herrschend finden. Wenn euch ein Schriftsteller, der nur wenige Blätter in einer einfachen Sprache hinterlassen hat, nicht zu gering ist, um eure Aufmerksamkeit auf ihn zu wenden, so wird euch aus jedem Worte, was uns von seinem Busenfreund übrig ist, dieser Ton ansprechen. Und wenn je ein Christ euch in das Heiligste seines Gemütes hineinhorchen ließ: gewiß habt ihr eben diesen Ton darin vernommen.

So ist das Christentum. Auch seine Entstellungen und sein mannigfaltiges Verderben will ich nicht beschönigen, da die Verderblichkeit alles Heiligen, sobald es menschlich wird, ein Teil seiner ursprünglichen Weltanschauung ist. Auch will ich euch nicht weiter in das Einzelne desselben hineinführen; seine Verhandlungen liegen vor euch, und den Faden glaube ich euch gegeben zu haben, der euch durch alle Anomalieen hindurchführen und, unbesorgt um den Ausgang, euch die genaueste Übersicht möglich machen wird. Haltet ihn nur fest und seht vom ersten Anbeginn an auf nichts als auf die Klarheit, die Mannigfaltigkeit und den Reichtum, womit jene erste Grundidee sich entwickelt hat. Wenn ich das heilige Bild dessen betrachte in den verstümmelten Schilderungen seines Lebens, der der erhabene Urheber des Herrlichsten ist, was es bis jetzt gibt in der Religion: so bewundere ich nicht die Reinigkeit seiner Sittenlehre, die doch nur ausgesprochen hat, was alle Menschen, die zum Bewußtsein ihrer geistigen Natur gekommen sind, mit ihm gemein haben, und dem weder das Aussprechen, noch das Zuerst einen größeren Wert geben kann; ich bewundere nicht die Eigentümlichkeit seines Charakters, die innige Vermählung hoher Kraft mit rührender Sanftmut, da jedes erhaben einfache Gemüt in einer besonderen Situation einen großen Charakter in bestimmten Zügen darstellen muß; das alles sind nur menschliche Dinge; aber das wahrhaft Göttliche ist die herrliche Klarheit, zu welcher die große Idee, welche darzustellen er gekommen war, sich in seiner Seele aus: bildete: die Idee, daß alles Endliche einer höheren Vermittelung bedarf, um mit der Gottheit zusammenzuhängen, und daß für den von dem Endlichen und Besonderen ergriffenen Menschen, dem sich nur gar zu leicht das Göttliche selbst in dieser Form darstellt, nur Heil zu finden ist in der Erlösung. Vergebliche Verwegenheit ist es, den Schleier hinwegnehmen zu wollen, der die Entstehung dieser Idee in ihm verhüllt und verhüllen soll, weil aller Anfang auch in der Religion geheimnisvoll ist. Der vorwitzige Frevel, der es gewagt hat, konnte nur das Göttliche entstellen, als wäre er ausgegangen von der alten Idee seines Volkes, deren Vernichtung er nur aussprechen wollte, und in der Tat in einer zu glorreichen Form ausgesprochen hat, indem er behauptete, der zu sein, dessen sie warteten. Laßt uns das lebendige Mitgefühl für die geistige Welt, das seine ganze Seele erfüllte, nur so betrachten, wie wir es in ihm finden zur Vollkommenheit ausgebildet. Wenn alles Endliche der Vermittelung eines Höheren bedarf, um sich nicht immer weiter von dem Ewigen zu entfernen und ins Leere und Nichtige hinausgestreut zu werden, um seine Verbindung mit dem Ganzen zu unterhalten und zum Bewußt: sein derselben zu kommen: so kann ja das Vermittelnde, das doch selbst nicht wiederum der Vermittelung benötigt sein darf, unmöglich bloß endlich sein; es muß beiden angehören, es muß des göttlichen Wesens teilhaftig sein, ebenso und in eben dem Sinne, in welchem es der endlichen Natur teilhaftig ist. Was sah er aber um sich als Endliches und der Vermittelung Bedürftiges, und wo war etwas Vermittelndes als Er? Niemand kennt den Vater als der Sohn, und wem er es offenbaren will. Dieses Bewußtsein von der Einzigkeit seines Wissens um Gott und Seins in Gott, von der Ursprünglichkeit der Art, wie es in ihm war, und von der Kraft derselben, sich mitzuteilen und Religion aufzuregen, war zugleich das Bewußtsein seines Mittleramtes und seiner Gottheit. Als er, ich will nicht sagen der rohen Gewalt seiner Feinde, ohne Hoffnung, länger leben zu können, gegenübergestellt ward: das ist unaussprechlich gering; aber als er, verlassen, im Begriff, auf immer zu verstummen, ohne irgendeine äußere Anstalt zur Gemeinschaft unter den Seinigen wirklich errichtet zu sehn, gegenüber der feierlichen Pracht der alten verderbten Verfassung, die ihm stark und mächtig entgegentrat, umgeben von allem, was Ehrfurcht einstoßen und Unterwerfung heischen kann, von allem, was er selbst zu ehren von Kindheit an war gelehrt worden, selbst allein von nichts als diesem Gefühl unterstützt, dennoch, ohne zu warten, jenes Ja aussprach, das größte Wort, was je ein Sterblicher gesagt hat: so war dies die herrlichste Apotheose, und keine Gottheit kann gewisser sein als die, welche so sich selbst verkündigt. – Mit diesem Glauben an sich selbst, wer mag sich wundern, daß er gewiß war, nicht nur Mittler zu sein für viele, sondern auch eine große Schule zu hinterlassen, die ihre gleiche Religion von der seinigen ableiten würde? so gewiß, daß er Symbole stiftete für sie, ehe sie noch existierte, welches er tat in der Überzeugung, daß schon dieses hinreichen würde, seine Jüngerschaft zu einem festen Dasein zu bringen; und so gewiß, daß er schon früher von der Verewigung seiner persönlichen Denkwürdigkeiten unter den Seinigen mit einem prophetischen Enthusiasmus redete. Aber nie hat er behauptet, der einzige Mittler zu sein, der Einzige, in welchem seine Idee sich verwirklicht, sondern alle, die ihm anhingen und seine Kirche bildeten, sollten es mit ihm und durch ihn sein, und nie hat er seine Schule verwechselt mit seiner Religion, als sollte man um seiner Person willen seine Idee annehmen, sondern nur um dieser willen auch jene; ja er mochte es dulden, daß man seine Mittlerwürde dahingestellt sein ließ, wenn nur der Geist, das Prinzip, woraus sich seine Religion in ihm und anderen entwickelte, nicht gelästert ward; und auch von seinen Jüngern war diese Verwechselung fern. Schüler des Täufers, der doch in das Wesen des Christentums nur sehr unvollkommen eingeweiht war, wurden von den Aposteln ohne weiteres als Christen angesehen und behandelt, und sie nahmen sie unter die wirklichen Mitglieder der Gemeine auf. Und noch jetzt sollte es so sein: wer von demselben Hauptpunkt mit seiner Religion ausgeht, ist ein Christ, ohne Rücksicht auf die Schule, er mag seine Religion historisch aus sich selbst oder von irgend einem anderen ableiten; denn das wird sich von selbst ergeben, daß, wenn ihm dann Christus mit seiner ganzen Wirksamkeit gezeigt wird, er ihn auch anerkennen muß als den, der aller Vermittelung Mittelpunkt geschichtlich geworden ist; der wahrhaft Erlösung und Versöhnung gestiftet hat. – Nie hat auch Christus die religiösen Ansichten und Gefühle, die er selbst mitteilen konnte, für den ganzen Umfang der Religion ausgegeben, welche von seinem Grundgefühl ausgehen sollte; er hat immer auf die lebendige Wahrheit gewiesen, die nach ihm kommen würde, wenngleich nur von dem Seinigen nehmend. So auch seine Schüler. Nie haben sie dem heiligen Geiste Grenzen gesetzt, seine unbeschränkte Freiheit und die durchgängige Einheit seiner Offenbarungen ist überall von ihnen anerkannt worden; und wenn späterhin, als die erste Zeit seiner Blüte vorüber war, und er auszuruhen schien von seinen Werken, diese Werke, soviel davon in den heiligen Schriften enthalten war, für einen geschlossenen Kodex der Religion unbefugterweise erklärt wurden, geschah das nur von denen, welche den Schlummer des Geistes für seinen Tod hielten, für welche die Religion selbst gestorben war; aber alle, die ihr Leben noch in sich fühlten oder es in anderen wahrnahmen, haben sich immer gegen dieses unchristliche Beginnen erklärt. Die heiligen Schriften sind Bibel geworden aus eigener Kraft: aber sie verbieten keinem anderen Buche, auch Bibel zu sein oder zu werden, und was mit gleicher Kraft geschrieben wäre, würden sie sich gern beigesellen lassen; vielmehr soll sich alles, was als Ausspruch der gesamten Kirche und also des göttlichen Geistes auch später erscheint, getrost an sie anschließen, wenn auch ihnen als den Erstlingen des Geistes eine besondere Heiligkeit und Würde unaustilgbar beiwohnt. – Dieser unbeschränkten Freiheit, dieser wesentlichen Unendlichkeit zufolge hat sich denn die Hauptidee des Christentums von göttlichen vermittelnden Kräften auf mancherlei Art ausgebildet, und alle Anschauungen und Gefühle von Einwohnungen des göttlichen Wesens in der endlichen Natur sind innerhalb desselben zur Vollkommenheit gebracht worden. So ist sehr bald die heilige Schrift, in der auch göttliches Wesen und himmlische Kraft auf eine eigene Art wohnte, für einen logischen Mittler gehalten worden, um für die Erkenntnis der Gottheit aufzuschließen die endliche und verderbte Natur des Verstandes; und der heilige Geist, in einer späteren Bedeutung des Wortes, für einen ethischen Mittler, um sich der Gottheit handelnd anzunähern; ja eine zahlreiche Partei der Christen erklärt noch jetzt bereitwillig jeden für ein vermittelndes und göttliches Wesen, der erweisen kann, durch ein göttliches Leben oder irgendeinen anderen Eindruck der Göttlichkeit auch nur für einen kleinen Kreis die erste Erregung des höheren Sinnes gewesen zu sein. Anderen ist Christus Eins und Alles geblieben, und andere haben sich selbst, oder dies und jenes für sich zu Mittlern erklärt. Wie oft in dem allen in der Form und Materie mag gefehlt sein, das Prinzip ist echt christlich, so lange es frei ist. So haben andere Verhältnisse des Menschen sich in ihrer Beziehung auf den Mittelpunkt des Christentums durch andere Gefühle ausgedrückt und durch andere Bilder dargestellt, von denen in Christi Reden und sonst in den heiligen Büchern nichts erwähnt ist, und mehrere werden sich in der Folge darstellen, weil ja noch bei weitem nicht das ganze Sein des Menschen gestaltet ist in die eigentümliche Form des Christentums, sondern dieses noch eine lange Geschichte haben wird, trotz allem, was man sagt von seinem baldigen oder schon erfolgten Untergange.

Wie sollte es auch untergehn? Der lebendige Geist desselben schlummert zwar oft und lange und zieht sich in einem Zustande der Erstarrung in die tote Hülle des Buchstabens zurück; aber er erwacht immer wieder, so oft die Witterung in der geistigen Welt seiner Auflebung günstig ist und seine Säfte in Bewegung setzt; und so wird es, noch oft wiederkehrend, sich anders und anders erneuern. Die Grundidee jeder positiven Religion an sich ist ewig und allgemein, weil sie ein ergänzender Teil des unendlichen Ganzen ist, in dem alles ewig sein muß; aber ihre ganze Bildung und ihr zeitliches Dasein ist nicht in demselben Sinne allgemein, noch ewig; denn in jene Idee gerade den Mittelpunkt der Religion zu legen, dazu gehört nicht nur eine bestimmte Richtung des Gemüts, sondern auch eine bestimmte Lage der Menschheit. Ist diese in dem freien Spiel des allgemeinen Lebens untergegangen, und hat sich dieses so weitergestaltet, daß sie nicht mehr wiederkehren kann, so vermag auch jenes Verhältnis seine Würde, vermöge deren es alle anderen von sich abhängig macht, im Gefühl nicht länger zu behaupten, und diese Gestalt der Religion kann dann nicht mehr fortdauern. Mit allen kindischen Religionen aus jener Zeit, wo es der Menschheit am Bewußtsein ihrer wesentlichen Kräfte fehlte, ist dies längst schon der Fall; es tut not, sie zu sammeln als Denkmäler der Vorwelt und niederzulegen im Magazin der Geschichte; ihr Leben ist vorüber und kehrt nimmer zurück. Das Christentum, über sie alle erhaben, historischer und demütiger in seiner Herrlichkeit, hat diese Vergänglichkeit seines zeitlichen Daseins ausdrücklich anerkannt. Es wird eine Zeit kommen, spricht es, wo von keinem Mittler mehr die Rede sein wird, sondern der Vater Alles in Allem sein. Aber wann soll diese Zeit kommen? Ich wenigstens kann nur glauben: sie liegt außer aller Zeit. Die Verderblichkeit alles Großen und Göttlichen in den menschlichen Dingen ist die eine Hälfte von der ursprünglichen Anschauung des Christentums; sollte wirklich eine Zeit kommen, wo diese – ich will nicht sagen gar nicht mehr wahrgenommen würde, sondern nur – sich nicht mehr aufdrängte; wo die Menschheit so gleichförmig und ruhig fortschritte, daß kaum zu merken wäre, wie sie bisweilen durch einen vorübergehenden widrigen Wind etwas zurückgetrieben wird auf dem großen Ozean, den sie durchfährt, daß nur der Künstler, der ihren Lauf an den Gestirnen berechnet, es wissen könne, die übrigen aber, welche unbewaffneten Auges nur auf die Ereignisse selbst sehen, den Rückgang der menschlichen Dinge nicht mehr unmittelbar bemerken würden? Ich wollte es, und gern stände ich unter dieser Bedingung auf den Ruinen der Religion, die ich verehre. Daß gewisse glänzende und göttliche Punkte der ursprüngliche Sitz jeder Verbesserung dieses Verderbnisses sind und jeder neuen und näheren Vereinigung des Endlichen mit der Gottheit: dies ist die andere Hälfte des ursprünglichen christlichen Glaubens; und sollte je eine Zeit kommen, wo die Kraft, die uns zum höchsten Wesen emporzieht, so gleich verteilt wäre unter die große Masse der Menschheit, daß diejenigen, welche sie stärker bewegt, aufhörten vermittelnd zu sein für die andern? Ich wollte es, und gern hülfe ich jede Größe ebnen, die sich also erhebt: aber diese Gleichheit ist wohl weniger möglich als irgend sonst eine. Zeiten des Verderbens stehen allem Irdischen bevor, sei es auch göttlichen Ursprungs; neue Gottesgesendete werden nötig, um mit erhöhter Kraft das Zurückgewichene an sich zu ziehen und das Verderbte zu reinigen mit himmlischem Feuer; und jede solche Epoche der Menschheit wird die Palingenesie des Christentumes, und erweckt seinen Geist in einer neueren und schöneren Gestalt.

Wenn es nun aber immer Christen geben wird, soll deswegen das Christentum auch in seiner allgemeinen Verbreitung unbegrenzt und als die einzige Gestalt der Religion in der Menschheit allein herrschend sein? Es verschmäht diese beschränkte Alleinherrschaft; es ehrt jedes seiner eigenen Elemente genug, um es gern auch als den Mittelpunkt eines eigenen Ganzen anzuschauen; es will nicht nur in sich Mannigfaltigkeit bis ins Unendliche erzeugen, sondern möchte auch außer sich alle anschauen, die es aus sich selbst nicht herausbilden kann. Nie vergessend, daß es den besten Beweis seiner Ewigkeit in seiner eigenen Verderblichkeit, in seiner eigenen oft traurigen Geschichte hat, und immer wartend einer Erlösung aus der Unvollkommenheit, von der es eben gedrückt wird, sähe es gern außerhalb dieses Verderbens andere und jüngere, womöglich kräftigere und schönere Gestalten der Religion hervorgehn dicht neben sich aus allen Punkten, auch von jenen Gegenden her, die ihm als die äußersten und zweifelhaften Grenzen der Religion überhaupt erscheinen. Die Religion der Religionen kann nicht Stoff genug sammeln für ihre reine Neigung zu allem Menschlichen; und so wie nichts irreligiöser ist, als Einförmigkeit zu fordern in der Menschheit überhaupt, so ist nichts unchristlicher, als Einförmigkeit zu suchen in der Religion.

Auf alle Weise werde die Gottheit angeschaut und angebetet. Vielfache Gestalten der Religion sind möglich in einander und neben einander; und wenn es notwendig ist, daß jede zu irgendeiner Zeit wirklich werde, so wäre wenigstens zu wünschen, daß viele zu jeder Zeit könnten geahndet werden. Die großen Momente können nur selten sein, wo alles zusammentrifft, um einer unter ihnen ein weit verbreitetes und dauerndes Leben zu sichern, wo dieselbe Ansicht sich in einer großen Masse zugleich und unwiderstehlich entwickelt, und viele von demselben Eindruck des Göttlichen durchdrungen werden. Doch was ist nicht zu erwarten von einer Zeit, welche so offenbar die Grenze ist zwischen zwei verschiedenen Ordnungen der Dinge? Wenn nur erst die gewaltige Krisis vorüber ist, kann sie auch einen solchen Moment herbeigebracht haben; und eine ahnende Seele, wie die flammenden Geister unserer Zeit sie in sich tragen, auf den schaffenden Genius gerichtet, könnte vielleicht jetzt schon den Punkt angeben, der künftigen Geschlechtern der Mittelpunkt werden muß für ihre Gemeinschaft mit der Gottheit. Wie dem aber auch sei, und wie lange ein solcher Augenblick noch verziehe: neue Bildungen der Religion, seien sie nun untergeordnet dem Christentum oder neben dasselbe gestellt, müssen hervorgehen, und zwar bald; sollten sie auch lange nur in einzelnen und flüchtigen Erscheinungen wahrgenommen werden. Aus dem Nichts geht immer eine neue Schöpfung hervor, und nichts ist die Religion fast in allen Genossen der jetzigen Welt, denen ein geistiges Leben in Kraft und Fülle aufgeht. In vielen wird sie sich entwickeln aus irgendeiner von den unzähligen Veranlassungen, und wird in neuem Boden zu einer neuen Gestalt sich bilden. Nur daß die Zeit der Zurückhaltung vorüber sei und der Scheu. Die Religion haßt die Einsamkeit, und in ihrer Jugend zumal, welche ja für alles die Stunde der Liebe ist, vergeht sie in zehrender Sehnsucht. Wenn sie sich in euch entwickelt, wenn ihr die ersten Spuren ihres Lebens inne werdet, so tretet gleich in die eine und unteilbare Gemeinschaft der Heiligen, die alle Religionen aufnimmt, und in der allein jede gedeihen kann. Ihr meint, weil diese zerstreut ist und fern, müßtet auch ihr dann unheiligen Ohren reden! Ihr fragt, welche Sprache geheim genug sei, die Rede, die Schrift, die Tat, die stille Mimik des Geistes? Jede, antworte ich, und ihr seht, ich habe auch die lauteste nicht gescheut. In jeder bleibt das Heilige geheim und vor dem Profanen verborgen. Laßt sie an der Schale nagen, wie sie mögen; aber weigert uns nicht, den Gott anzubeten, der in euch sein wird.

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